Zorn, Genugtuung und eine späte Wende
Der laue Sommerkick ohne tabellarische Relevanz stand im Zeichen des Protests. Heute ging es wirklich um nichts, außer um Ticketpreise die für alle Fans bezahlbar sind. Auf dem Platz trennte man sich nach einem späten Doppelschlag von Reus unentschieden. Dennoch gab es einen großen Gewinner: Den Fans von Borussia Dortmund gelang ein eindrucksvolles Zeichen für die Kampagne „Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein.“ Der Stehplatzblock blieb die ersten 20 Minuten des Spiels komplett leer und diesmal schlossen sich auch viele Fans auf den Sitzplätzen dem Protest an und verließen das Stadion. Die Auswirkungen auf die Stimmung waren nicht zu überhören.
Die letzte Auswährtsfahrt der Bundesligasaison 12/13 führte ins beschauliche Wolfsburg, wo einst der KdF Wagen vom Band lief. Man entschied sich für eine kollektive Anreise per Samba- äh Sonderzug und so fand sich morgens bereits ein ordentlicher Haufen BVB Supporter am Dortmunder HBF ein. Entgegen der Erwartungen war trotzdem ausreichend Platz im Zug, so dass einer entspannten Fahrt nichts im Wege stehen sollte. Auch von einem motivierten Schaffner und teilweise pingeliger Polizeibegleitung ließ man sich die Laune nicht vermiesen und selbst die Verspätung bei Abfahrt wurde noch mehr als aufgeholt, so dass man letztlich 5 Minuten vor dem Fahrplan am Mittellandkanal einrollte.
Fußball muss bezahlbar bleiben
Die Faninitiative „Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein“ hatte den 33. Spieltag mal wieder zum Tag des Zorns ausgerufen. Denn ebenso wie viele andere Vereine langte der VfL bei den BVB Fans ordentlich mit Topspielzuschlägen zu. So war der „günstigste“ Sitzplatz für schlanke 38,50€ im Angebot und auch für einen Steher musste man stolze 19€ berappen. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, wird der Fußball vom Volkssport zum Vergnügen für eine begüterte Minderheit. So weit darf es einfach nicht kommen. Und so blieb der Gästesteher vor dem Anpfiff komplett leer. Allein eine Kein Zwanni Zaunfahne zierte das leere Tortenstück neben der „Wölfi-Kurve“. Besonders irrwitzig ist, dass man hier einen Topspielzuschlag für eine Partie verlangte, in der beide Mannschaften nur noch um die goldene Ananas kämpften. Dortmund ist mit seinen Gedanken schon in Wem-ber-ley und der VfL freut sich, dass seine Millionenelf sich ins Niemandsland der Tabelle vorgekämpft hat. Allein das hitzige Hinspiel mit dem legendären Imperator Stark und dessen hoffentlich für alle Zeiten letztem Auftritt im Westfalenstadion sorgte noch für so etwas wie einen Funken Brisanz.
Zum Einlaufen der Mannschaften wurde es endgültig traurig, denn der im Stadion verbliebene BVB Anhang blieb weitgehend ruhig und solidarisierte sich so mit den Protestierenden auf den Stehrängen. Von den Sitzplätzen zog eine Karawane von BVB Fans in Richtung Ausgang. Scheinbar hat auch dort eine Mehrheit inzwischen begriffen, dass der Kampf gegen überhöhte Preise alle etwas angeht. Das ist ein echter Fortschritt zu früheren Aktionen, wo die Protestierenden noch von der Mehrzahl der BVB Fans wortwörtlich im Regen stehen gelassen wurden. Zum Anpfiff schallte dann aus der Gästekurve: „Fußball muss bezahlbar sein – Für alle!“ Wer schon öfter erlebt hat, wie die BVB Fans ihrer Mannschaft in Wolfsburg ein Heimspiel beschert haben, den schmerzte es, dass die VfL Anhänger, die auf jegliche Zeichen der Solidarität verzichteten, mit ihren dünnen Gesängen die Stimmung bestimmten. Zum tristen Stimmungsbild trug aber sicher auch bei, dass die Heimspiele des VfL immer noch von den Weekend Brothers boykottiert werden.
Die BVB Fans konnten anschaulich machen, wie der Fußball der Zukunft aussehen würde, wenn wirklich nur noch ein zahlungskräftiges „Opernpublikum“ die Tribünen bevölkert. Hoffentlich wird dieses deutliche Zeichen auch außerhalb der ohnehin schon interessierten Kreise wahrgenommen. Dazu wäre es wichtig, dass auch Mainstream Medien das Thema aufgreifen.
Erste Halbzeit – Die Rache des Ivan P.
Jürgen Klopp machte seine Ankündigung wahr und schickte nahezu seine aktuell stärkste Elf auf den Rasen. Allein Neven Subotic und Kuba Blaszczykowski bekamen eine Pause verordnet und nahmen auf der Bank Platz. Für sie rückten Santana und Großkreutz in die Startelf. Der verletzte Mario Götze wurde auf der 10 durch Ilkay Gündogan vertreten, dafür rückte Nuri Sahin ins defensive Mittelfeld.
Die Mannschaft, deren Fans im Stadion waren, erwischte den besseren Start und erspielte sich eine erste halbe Chance und einen Eckball. Doch schon der erste Dortmunder Angriff führte zum Erfolg. Reus spielte einen Freistoß aus dem linken Halbfeld über die gesamte Breite des Platzes quer zu Sahin, der den Ball butterweich in den Strafraum flankte. Dort stand der ein oder andere Borusse im Abseits aber nicht Sven Bender, der den Ball ins Tor spitzelte. Wohl selten ist eine BVB Führung derart emotionslos zur Kenntnis genommen worden. Kein wahrnehmbarer Jubel im Gästeblock, nach kurzer Atempause wurde stattdessen wieder bezahlbarer Fußball gefordert. Wenn das die Zukunft unseres Sports sein sollte, ist die Aussicht wirklich erschreckend. Ein paar einsame Wolfsburger Rufer und Trommler und sonst nur Stille. Das als Opernpublikum zu bezeichnen, wäre wohl noch eine Beleidigung der Freunde der klassischen Gesangskunst.
Entsprechend ruhig plätscherte die Partie dahin, bis in der 13. Minute Olic über links freigespielt wurde und den Ball quer legte, wo Perisic schneller als Santana am Ball war und gegen die alten Kollegen vollstreckte. Hummels war zuvor im Angriff unterwegs gewesen, weshalb die Dortmunder Hintermannschaft noch unsortiert erschien. Nun erhob sich kurzer Jubel und es kam auf der Heimseite für einen kurzen Moment tatsächlich so etwas wie Stimmung auf. Doch dann verebbte das rhythmische Klatschen schnell wieder und die paar Unentwegten hinter Weidenfellers Kasten waren wieder auf sich gestellt. Wann würden die 20 Protestminuten endlich vorbei sein? Und würde dann so etwas wie Fußballatmosphäre in diesem toten Stadion aufkommen?
Dann war es endlich soweit. Die BVB Supporter zogen ins Stadion ein. Aber gerade als sie sich formiert hatten und es erstmals laut im Stadion wurde, zog Pereisic einfach mal aus der Distanz ab. Sein eigentlich harmloser Schuss wurde am Strafraum noch abgefälscht, so dass er unhaltbar für Weidenfeller im Eck einschlug. Die Dortmunder Abwehr spielte nun offenes Scheunentor und die Aussicht, den immer noch amtierenden Meister zu packen, schien die Niedersachsen auch anzustacheln. Dann segelte eine Ecke in den Dortmunder Strafraum der Ball wurde per Kopf verlängert und der völlig ungedeckte Naldo hatte keine Probleme ihn im Tor zu versenken. Diese Entwicklung des Spiels hatte sich der BVB selbst zuzuschreiben. Mit furchtbaren Fehlpässen wurde Wolfsburg immer wieder zu Kontern eingeladen und hinten stimmte die Zuordnung überhaupt nicht.
Der Gästeblock hatte sich bestimmt vorgenommen, nach dem Boykott eine besonders engagierte Leistung zu zeigen, aber bei diesem Spielverlauf gelang das zunächst nicht wirklich. Wenigstens schwanden auf den anderen Plätzen die letzten Hoffnungen des Milliardärshobbys. Aber wenn Borussia spielt und man trotzdem auf die Zwischenstände auf anderen Plätzen schielt, obwohl sie uns nicht wirklich direkt betreffen, sagt das auch schon einiges über die Qualität des Gebotenen aus.
Borussia bekam das Spiel weiterhin nicht in den Griff. Die Führung der Gastgeber wurde nun mehr und mehr verdient. Denn während der Spielaufbau der Borussen überhaupt nicht in Gang kam, zeigten sich die Grün-Weißen nach Ballgewinnen deutlich zielstrebiger. Bereits nach einer guten halben Stunde bekam Mats Hummels einen imposanten Wutanfall. Dadurch wurde aber auch nichts besser. Santana köpfte einen Einwurf völlig unbedrängt Richtung eigenen Kasten und hätte nicht der Pfosten im Weg gestanden, wäre die Szene sicher in allen Saisonrückblicken gezeigt worden, denn Weidenfeller hatte keine Chance mehr, diesen Ball zu erreichen.
Kurz vor der Pause hatte dann noch Olic die Chance den BVB wohl endgültig abzuschießen. Nach einem Traumpass des überragenden Perisic schoss er den Ball aber knapp am Tor vorbei. Dem Frust der Borussen verlieh Marco Reus deutlichen Ausdruck, als er sich im Mittelfeld völlig unnötig eine Gelbe Karte nach einem Frustfoul an Diego abholte. Dann war Pause und die BVB Fans, die sich ja 20 Minuten ausgeruht hatten, sangen einfach noch ein bisschen weiter und versicherten der Mannschaft ihre Liebe. Diese hatte sie sich vielleicht nicht am heutigen Tag aber in zahllosen wunderbaren Spielen in den letzten Jahren verdient.
Zweite Halbzeit - … und dann kam Reus
Nach der müden Leistung vor der Pause zog Jürgen Klopp gleich zwei seiner Joker und brachte Kuba und Schieber ins Spiel. Der bis auf seine Vorlage zum 1:0 desolate Sahin durfte aber weitermachen. Schieber ging in die Spitze und Kuba nahm seine angestammte Position auf Rechts ein. Gündogan rückte dafür ins defensive Mittelfeld zurück. Doch das war nicht die letzte Position, die er heute bekleiden sollte. Kurz nach Wiederanpfiff bot sich Lewandowski eine gute Gelegenheit, aber Benaglio hatte etwas gegen den Anschlusstreffer. Der Gästeblock setzte mit dem Wechselgesang von der Droge nun auch einen schönen Akzent. Auch auf Seiten der Fans hatte man sich scheinbar in der Pause etwas vorgenommen. Und so verlagerten sich die Kräfteverhältnisse auf den Tribünen schnell wieder vom Werks- zum Traditionsverein. Auch auf dem Spielfeld machte der BVB nun mehr Druck, die ersten Chancen boten sich aber bei Kontern der Gastgeber. Während der Gästeblock mit dem Rücken zum Spielfeld nochmal daran erinnerte, wer amtierender Meister ist, hatte Diegoeine gute Gelegenheit, die Partie vorzeitig zu entscheiden, aber sein Schuss wurde noch geblockt. Bei nächster Gelegenheit zog Diego die gesamte Abwehr auf sich und legte den Ball dann durch drei Dortmunder Verteidiger hindurch klug quer auf Polak. Der schoss aber völlig freistehend knapp links daneben.
Dann bot sich dem BVB erneut die Chance zum Anschluss. Kuba legte den Ball auf Schieber zurück und der nahm ihn von der Strafraumgrenze direkt. Aber auch sein Schuss strich knapp am Kasten vorbei. Sahin versuchte es kurz darauf auch mal aus der Distanz, aber auch er verfehlte um einen halben Meter. Plötzlich und unvermittelt meldete sich auch die Heimkurve nochmal mit einem kleinen VfL Wechselgesang zurück. Dies sei hier nur erwähnt, damit nicht der Eindruck entsteht, die Stimmung würde einseitig geschildert. Kurz darauf war der Gästeblock aber wieder unüberhörbar lauter.
Das Spiel plätscherte weiter so dahin. Einzelne schienen noch zu wollen so wie Schmelzer, der nach einer Ecke für Wolfsburg einen fruchtlosen Sprint über das ganze Feld ansetzte. Aber als Mannschaft funktionierte der BVB bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Auch die Kombination der Deutschtürken Gündogan und Sahin fremdelt noch immer, wenn sie zusammen im defensiven Mittelfeld ran müssen. Ivan Perisic hätte dann fast noch seinen persönlichen Triumph über den alten Arbeitgeber perfekt gemacht, schlenzte den Ball aber vom Strafraumeck knapp am Kasten vorbei. Während der Gästeblock einen weiteren Gegentreffer für die Vertragsverängerer von der Emscher bejubelte, konzentrierte man sich auf Wolfsburger Seite darauf dem BTSV zum Aufstieg zu gratulieren. Als das aktuelle Spiel endgültig in Vergessenheit zu geraten drohte, demonstrierte Julian Schieber mal wieder seine Probleme mit der Ballbehandlung. Er konnte den Ball in aussichtsreicher Position nicht kontrollieren, setzte nach und traf dabei Diego Benaglio an der Hand. Das sorgte wenigstens kurzfristig nochmal für so etwas wie Fußballatmosphäre.
Jürgen Klopp zeigte sich weiter experimentierfreudig und schickte Leitner für Santana ins Rennen. Auf der Gegenseite erhielt Matchwinner Perisic seinen verdienten Schlussapplaus. Seine neuen Fans feierten ihn mit „Ivan, Ivan“ Rufen. Ilkay Gündogan(!) rückte nun neben Hummels in die Innenverteidigung. Ob er diese Position wohl schon jemals gespielt hat? Die Maßnahme zahlte sich jedenfalls direkt aus. Denn Gündogan eroberte einen Ball und lupfte ihn weit nach vorne in den Lauf von Reus. Eigentlich wäre dieser Pass eine leichte Beute für Benaglio gewesen, aber der blieb vor dem heranstürmenden Reus stehen wie das Kaninchen vor der Schlange und so konnte Reus ohne Probleme abschließen. Der VfL vergab weitere gute Kontermöglichkeiten, das Spiel zu entscheiden. Und so kam es wie es vielleicht kommen musste. Piszczek trieb den Ball durch die Wolfsburger Hälfte, legte ab auf Reus und der knallte ihn schnörkellos unter die Latte. Der Ausgleich war zwar nicht wirklich verdient, aber Wolfsburg hatte viel zu passiv seine Führung verwaltet und die Kontergelegenheiten fahrlässig liegengelassen.
Also trennte man sich unentschieden, was diesem bedeutungslosen Kick auch absolut angemessen war. In Erinnerung wird von diesem Spieltag das Zeichen bleiben, das gegen die überhöhten Ticketpreise und Topspielzuschläge für Gästefans gesetzt wurde. Und die unterhaltsame letzte Auswärtsfahrt dieser Saison, die zumindest nach meiner Wahrnehmung ohne größere negative Begleiterscheinungen über die Bühne gegangen ist. Jetzt nur noch das Projekt in die Bedeutungslosigkeit verabschieden und dann eben kurz nach London, Henkelpott zurückholen! Auf geht’s Borussen, macht unseren Traum wahr!
Die Fotostrecke zur Punkteteilung in Wolfsburg gibt es wie gehabt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Statistik
VW: Benaglio, Medojevic (84. Träsch), Vierinha, Perisic (80. Schäfer), Diego, Olic, Hasebe, Naldo, Polak, Knoche (90. Madlung), Rodriguez
BVB: Weidenfeller – Piszczek, Santana (77. Leitner), Hummels, Schmelzer – Bender (46. Schieber), Sahin – Reus, Gündogan, Großkreutz (46. Blaszczykowski) – Lewandowski
Tore: 0:1 Bender (5., Sahin), 1:1 Perisic (14., Olic), 2:1 Perisc (22.), 3:1 Naldo (26., Polak), 3:2 Reus (84., Gündogan), 3:3 Reus (87., Piszczek)
Ecken: 7:3 (Halbzeit 5:0)
Chancen: 10:5 (5:1)
Gelbe Karten: Polak - Reus, Gündogan
Schiedsrichter: Perl (München),
Zuschauer in der KdF-Arena: 30.000 (ausverkauft)
Web, 11.05.2013
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