Von verblichenen Großmüttern, Bild-Lesern und harmlosen Mainzern
Auch im nächsten Jahr ist unter BVB-Fans wieder Kreativität gefragt, wenn es um Krankenscheine und verblichene Großmütter geht: Dank eines hochverdienten 2:0 über den schlechtesten FSV Mainz, der in den vergangenen Jahren im Westfalenstadion aufgetreten ist, hat unsere Borussia die direkte Qualifikation für die Champions League perfekt gemacht hat. Und weil wir uns dort bereits in dieser Saison pudelwohl fühlen, gilt die volle Konzentration nun dem Halbfinale gegen Real Madrid.
Zugegeben, es gab schon aufregendere Nachmittage im Tempel. Manch einem wird der gefühlt 793. Anruf bei der Tickethotline unter der Woche („Kennen Sie diesen Service bereits?“) mehr Adrenalin durch die Adern gepumpt haben als der laue Kick gegen die harmlosen Mainzer. Von den Bild-Lesern unter uns ganz zu schweigen.
Start nach Maß dank Wetklo
Überraschenderweise verzichtete Jürgen Klopp, das Real-Spiel vor Augen, auf nennenswerte Rotationen und schickte die erste Elf ins Rennen. Selbst der angeschlagene Lukasz Piszczek und Marco Reus, gegen Fürth noch verletzt, spielten von Anfang an – und wie!
Gerade möchte ich mich gemütlich hinsetzen und überlegen, welches meiner exklusiven schwatzgelb.de-Privilegien ich denn als erstes genießen soll, da netzt Reus 33 Sekunden nach Anpfiff auch schon ein. Bazinga, was für ein Tor! Wetklo, der blaue Hampelmann, faustet einen langen Ball von Hummels grottenschlecht vor die Füße unseres Neuzugangs, der laut lachend nur noch einschieben muss. Der Rest der ersten Hälfte ist eigentlich schnell erzählt: Reus hat nach sechs Minuten noch eine Chance aus guter Position, visiert Wetklos Gesicht an, doch der Unsympath vor dem Herrn reißt im letzten Moment noch schützend die Fäuste hoch. Borussia dominiert das Spiel mit viel Ballbesitz und Passischerheit, fast alles spielt sich in der Hälfte der tief stehenden, teilweise mit einer Fünferkette verteidigenden Mainzer ab. Ein ganz anderes Bild als noch im Hinspiel.
Borussia muss nicht, Mainz kann offenbar nicht. Mit Ausnahme einer gefährlichen Hereingabe in der 27. Minute werden die Gäste nie gefährlich. Komisch, schließlich geht es für den FSV im Schneckenrennen um den Europapokal noch um richtig viel. Doch wer die Jungs in rot und weiß so spielen sieht, der weiß auch, warum der Wettbewerb um die internationalen Plätze diesen Namen trägt. Das einzige Ausrufezeichen setzt der Gästeblock mit einem Spruchband gegen Topspielzuschläge und dem gemeinsam mit der Süd gebrüllten „Fußball muss bezahlbar sein – für alle!“. Ansonsten, natürlich auch aufgrund des Spiels, ein durchschnittlicher Auftritt der 3.500 Mainzer. Ich weiß gar nicht, wann ich in der Bundesliga das letzte Mal einen richtig lauten Gästeblock im Westfalenstadion erlebt habe?
Einmal wird’s noch aufregend, weil der blaue Fiesling im Strafraum Robert Lewandowski umsemmelt, große Diskussionen bleiben wegen vermeintlicher Abseitsposition aber aus. In der Pause entzückt Nobby mal wieder mit einem kurzweiligen Spiel irgendeines Sponsors mit – Zitat Nobby – „einem total tollen Chef“. Ich dachte, die Zeiten wären bei uns vorbei und wünsche mir in der nächsten Saison unsere Nachwuchsspieler zurück.
Der zweite Durchgang ist kaum spektakulärer als der erste. Sechs Minuten nach Wiederanpfiff spielt sich Marcel Schmelzer auf links gut frei, sein Schuss nach Vorlage von Lewandowski geht allerdings knapp vorbei. Kurz darauf spielt der Pole einen schlechten Ball in die Spitze, doch Wetklo ist noch schlechter, kann den Ball nicht sichern und erneut ist es MS29, der aus aussichtsreicher Position verzieht. Angst kommt ob der kaum stattfindenden FSV-Offensive kaum auf, wohl aber Ungeduld, wann Borussia nun endlich mit dem 2:0 alles klar machen würde.
Ärger über Spiderkamera in Block drölf
Reus verpasst diese Chance in der 65. Minute nach schönem Doppelpass mit Nuri Sahin, als er die Kugel über das Tor haut, zwölf Zeigerumdrehungen später wird ein Hummels-Kopfball von Niki Zimling auf der Linie geklärt. Und so macht Lewandowski erst drei Minuten vor Schluss den Sack nach sehenswerter Vorlage von Piszczek zu. Zwölf Spiele hintereinander hat der Junge nun immer mindestens einmal getroffen, eine unglaubliche Quote. Dank der Champions-League-Millionen und des großen wirtschaftlichen Erfolgs bin ich mittlerweile dafür, den Jungen noch eine Saison zu behalten und ihn zur Not für Nüsse abzugeben. Dafür ist er einfach zu wichtig für unser Spiel!
So ging ein harmonischer Nachmittag im Westfalenstadion zu Ende. Zumindest fast. Einigen Unmut gab es nämlich im Zentrum der Südtribüne über eine moderne Spiderkamera, die der WDR für Reportage über BVB-Fans einsetzte. Der Einsatz dieser Technik war einigen Fans in Block drölf bereits vor dem Spiel bekannt und sie hatten darum gebeten, keine Nahaufnahmen aus kürzester Distanz zu machen. Umso größer der Ärger als die Kamera während des Spiels nur wenige Meter über ihren Köpfen schwebte und sie filmte. Manche Fans in Block drölf verließen deshalb aus Protest die Südtribüne.
So viel zum Unschönen. Um die Zeit bis Mittwoch rum zu kriegen, rät euer Lieblingsfanzine, sich den Satz „Wir stehen im Halbfinale der Champions League und spielen gegen die Königlichen aus Madrid“ so oft es geht auf der Zunge zergehen zu lassen. Noch 74 Stunden ...
Einzelbewertung
Roman Weidenfeller: In Halbzeit eins gar nicht geprüft, in Halbzeit zwei - auch nicht. Welche Note gibt man dann? Der Kicker wohl eine 3, wir machen daraus 'ne glatte 2.
Lukasz Piszczek: Ohne große Fehler und mit Ausnahme der Vorarbeit zum 2:0 glanzlos. Note 3
Neven Subotic: Einige Unachtsamkeiten schlichen sich in sein Spiel. Ein blöder Querschläger in der 43. Minute, außerdem pennte er später gegen Parker (58.). Note 3,5
Mats Hummels: Ohne Fehler und mit einem schönen langen Ball vor dem frühen 1:0. Trug sonst relativ wenig zum Spielaufbau bei. Note 3
Marcel Schmelzer: Hatte zwei gute Torchancen, konnte sie aber nicht nutzen. In der Abwehr wenig zu tun. Note 2,5
Nuri Sahin: In der Anfangsphase stark, konnte dem Spiel später allerdings kaum seinen Stempel aufdrücken. Note 3,5
Ilkay Gündogan: Führ ihn gilt eigentlich genau das gleiche wie für seinen Kollegen auf der Sechs. Note 3,5
Kuba: Wechselte oft die Seiten mit Reus und machte ein solides Spiel, ohne zu glänzen. Note 3
Mario Götze: War nicht sein Spiel. Strahlte kaum Torgefahr aus und könnte mal 'ne Pause gebrauchen - nach Madrid. Note 4
Marco Reus: Erzielte das frühe 1:0 und war fast immer beteiligt, wenn es gefährlich für das Mainzer Tor wurde. Gutes Spiel von ihm. Note 2
Robert Lewandowski: Hatte bis zum späten 2:0 kaum Torchancen und machte eine eher durchschnittliche Partie. Traf im zwölften Bundesligaspiel hintereinander. Note 3
Kevin Großkreutz (seit 62.), Julian Schieber (seit 74.) und Moritz Leitner (seit 86.) waren für eine Benotung nicht lange genug auf dem Feld.
Aufstellungen
BVB: Weidenfeller – Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer – Sahin, Gündogan, - Kuba (62. Großkreutz), Götze (74. Schieber), Reus (86. Leitner), Lewandowski.
FSV Mainz: Wetklo – Bell, Svensson, Noveski, Pospech - Baumgartlinger - Risse (57. Szalai), Ziemling, Malli, Rukavytsya (81. Caligiuri) – Parker (70. N. Müller).
Tore: 1:0 Reus (1.), 2:0 Lewandowski (87.).
Stimmen
Thomas Tuchel: „Ein verdienter Sieg mit einem frühen und einem späten Tor. Zwischen den Treffern haben wir einen ordenglichen Auftritt mit viel Herz. Auch wenn man bereits nach 30 Sekunden davon ausgehen konnte, dass wir uns hier heute ein paar Orfeigen fangen, hat uns das frühe 1:0 nicht geschadet. Nach und nach haben wir uns Spielanteile erkämpft, nur die Durchschlagskraft fehlte.“
Jürgen Klopp: „Selten haben wir so gut ins Spiel gefunden. Nach dem Tor haben wir 20, 25 Minutenrichtig gut gespielt. Im Hinblick auf Spielaufbau, Verlagerung und Tempoverschärfung haben wir heute viel richtig gemacht, wobei der Gegner auch mit personellen Problemen zu kämpfen hatte. Dann haben wir den roten Faden aus der Hand gegeben, das Spiel wurde ausgeglichener. In der Halbzeit, nachdem wir kurz zuvor auch den Ausgleich hätten kassieren können, konnten wir noch einmal nachjustieren. Im zweiten Durchgang haben wir wenig zugelassen und weil sich wohl keiner verletzt hat, war das ein perfekter Tag."
Die Fotostrecke zum Heimsieg gegen Mainz gibtes wie immer auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Malte S., 21.03+1.2013
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