Vizekusen vom Vizerang verdrängt
Der BVB hat das Spitzenspiel in der Farbenstadt mit gnadenloser Effizienz in der ersten und ein wenig Glück in der zweiten Halbzeit gewonnen. Obwohl man zur Pause bereits eine beruhigende Führung herausgespielt hatte, geriet die Partie noch zum Krimi bis zur letzten Minute. Damit steht die Mannschaft auf dem Platz, der nach menschlichem Ermessen in dieser Saison das Optimum darstellen dürfte, zumindest für alle Mannschaften die nicht Bayern München heißen.
Trotz unverschämter Topspielzuschläge war der Gästebereich natürlich ausverkauft. Der BVB ist halt momentan hip und modern, da finden sich auch genug Liebhaber, denen über 70€ für einen Sitzplatz nicht wehtun. Auch der Stehplatz riss inklusive VVK-Gebühr die magische 20€ Grenze. Der Preis des Erfolges tut weh. Viele dürften beim Kauf ihrer Karten die Faust in der Tasche geballt haben. Die Zukunft wird zeigen, ob manche Vereine die Preisschraube inzwischen überdreht haben. Vorerst durfte Bayer sich in seiner Preispolitik jedenfalls bestätigt sehen.
Die Aufstellung von Jürgen Klopp entsprach weitgehend den Erwartungen. Allein der Fakt, dass Kevin Großkreutz auch gegen seinen Lieblingsgegner nur auf der Bank Platz nehmen durfte, war etwas umstritten. Aber bei den bisherigen Offensivleistungen in der Rückrunde fällt es natürlich schwer, einen der Stammspieler zu opfern. Auf der Doppelsechs durfte Sven Bender ins Bruderduell starten. Zusammen mit Ilkay Gündogan bildete er die wohl offensivste Variante, die Jürgen Klopp im defensiven Mittelfeld zur Verfügung steht. Kehl und Sahin, die sich in den tieferen Räumen wohlfühlen, durften nur auf der Bank Platz nehmen. Der kurzfristig erkrankte Roman Weidenfeller wurde natürlich von Mitch Langerak vertreten. Regelmäßige Zuschauer der Amateure hatten zwischenzeitlich ein paar Zweifel hinsichtlich der Qualität des australischen Sonnyboys bekommen, da er eigentlich in jedem Spiel bei der U23 mindestens einen dicken Klops eingebaut hat. Bei den Profis hatte er bislang allerdings immer überzeugt und auch in Leverkusen hielt er wieder tadellos. Vielleicht kann er sich ja nur für Topspiele richtig motivieren. Und ein solches Topspiel stand heute zweifellos an, denn der Platz hinter den alles überragenden Bayern wurde ausgespielt. In Leverkusen trägt man das einstige Schimpfwort vom ewigen Vize zwar inzwischen mit einigem Stolz, denn selbst ein Vizetitel würde beim Werksclub als großer Erfolg gewertet werden. Doch zumindest diesen zweiten Platz strebt natürlich auch der Meister noch an und heute wurden die Vizeträume der Vizekusener dann auch fürs Erste auf Eis gelegt.
Vor dem Spiel hatte man noch das zweifelhafte Vergnügen, Sympathieträger Wolfgang Holzhäuser zu lauschen, der dem Stadionsprecher live über die Stadionlautsprecher ein Geburtstagsständchen darbrachte. „Vom Plastikclub zur Werkself, das war kein leichter Weg“ hieß es im Anschluss in der Plastikschnulze zur Einstimmung. Irgendwie haben sie es in Leverkusen wohl immer noch nicht kapiert, dass Werkself nichts anderes heißt als Plastikclub und es immer so sein wird, dass nebenan beim EffZeh zu jedem Testspiel mehr Andrang herrscht als bei Champions League Spielen der Pillendreher. Wie schwach das Werkspublikum wirklich ist, wurde schon beim Verlesen der Aufstellung deutlich. Als der Gästeblock zu singen begann, war vom Heimpublikum plötzlich nichts mehr zu hören.
Erste Halbzeit – der BVB rollt
Beide Mannschaften gönnten sich keine Abtastphase, sondern spielten von Beginn an mit offenem Visier nach vorne. Schon nach einer Minute hatte Castro die erste Gelegenheit für Bayer, aber er lupfte den Ball nicht nur über Langerak sondern auch über das Tor. Besser machte es kurz darauf dann Marco Reus nach wunderbarer Vorarbeit von Robert Lewandowski. Gündogan lief sich fest, aber Lewandowski behauptete nicht nur den Ball, sondern legte ihn auch noch genau in den Lauf des durchstartenden Reus. Alles Weitere war nur noch Formsache für so einen abgezockten Spieler. Sein eiskalter Lupfer ließ Leno nicht den Hauch einer Chance.
Es waren immer noch keine 10 Minuten gespielt, als Borussia die Führung ausbaute. Götze schickte Lewandowski in den Strafraum, der legte den Ball zwar am herauslaufenden Leverkusener Torwart vorbei, schien ihn sich aber etwas zu weit vorzulegen. Damit wäre die Chance eigentlich vorbei gewesen, aber Leno zog das Bein nach und legte den Polen. Schiri Aytekin zeigte sich auf der Höhe und entschied zum Entsetzen der Bayer Fans sofort auf Elfmeter. Den versenkte Kuba routiniert. Beim nächsten Leverkusener Foul begann das Heimpublikum rassistische Parolen aus grauer Vorzeit gegen den Schiedsrichter auszupacken. Einfach nur unschön so etwas.
Leverkusen zeigte sich nach dem erneuten Rückschlag nicht geschockt und spielte weiter gut mit, schaffte es aber nicht, den Ball in den Dortmunder Strafraum zu tragen. Erst nach einer guten Viertelstunde verlor die BVB Innenverteidigung einmal Kießling aus den Augen, so dass er unbedrängt einen Flugkopfball ansetzen konnte. Aber der Ball flog weit an Langeraks Kasten vorbei. Kießling demonstrierte aber immer wieder seine Klasse. Er schien nahezu jeden Zweikampf zu gewinnen.
Der Gästeblock schwang sich analog zur Vorstellung auf dem Rasen in der ersten Halbzeit zu einer ganz starken Leistung auf. Vom Heimanhang war phasenweise nichts zu hören. Der überragende Lewandowski erkämpfte sich selbst eine Chance und holte so eine Ecke heraus. Diese schlug Reus gekonnt auf den Kopf von Santana, aber dessen Kopfball verfehlte knapp das Ziel. Ebenso knapp war im Gegenzug die Abseitsstellung von Andre Schürrle. Leverkusen ließ sich von dem deutlichen Rückstand zu keinem Zeitpunkt entmutigen. Kurz darauf bediente Castro Kießling, der aber noch von Santana beim Schuss gestört wurde. Borussia ließ aber auch immer wieder ihre überragende Klasse aufblitzen. Der Pass von Gündogan in den Lauf von Piszczek war eine Augenweide und allein diese Vorarbeit hätte einen Treffer verdient gehabt. Ähnlich schön war ein paar Minuten später ein Konter über Gündogan, aber diesmal war sein Ball eine Nuance zu steil, so dass Leno vor dem heranstürmenden Blaszczykowski klären konnte.
Auch der von den Amateuren bekannte Wechselgesang von der Droge funktionierte im Wechsel Unter- und Oberrang ganz vorzüglich. Den Schlaftabletten in der Nordkurve wurde demonstriert, wie man die Hütte rocken kann. Nach 40 Minuten servierte die Bayer Abwehr Götze eine Chance auf dem Silbertablett. Leider legte er sich den Ball ein wenig zu weit nach Außen, so dass sein Schuss Leno nicht wirklich vor Probleme stellen konnte. Kurz vor dem Pausenpfiff fuhr Leverkusen einen weiteren gefährlichen Konter, aber weder Kießling noch Schürrle schafften es, den Ball aufs Tor zu schießen. Kießling und Langerak schlossen dann noch Freundschaft. Erst rammte Kießling den Australier im Strafraum um und Langerak platzierte im Fallen noch eine Hand im Gesicht des Stürmers. Nach einem Fehlschuss von Castro eine Minute später lieferte Kießling sich dann eine heiße Diskussion mit dem Dortmunder Schlussmann, weil er eine Ecke haben wollte. Aber Langerak hatte den Ball überhaupt nicht mehr berührt.
Die BVB Fans nutzten nun die Gelegenheit, sich über die unverschämte Preisgestaltung in Leverkusen zu beschweren: „Fußball muss bezahlbar sein – Für alle!“ Am Ende blieb es bei der deutlichen Führung zur Pause die nicht unverdient, allerhöchstens ein Tor zu hoch ausgefallen war. Denn die Dortmunder zeigten vor dem Tor die Konsequenz, die Leverkusen fehlte, wenn sie zu Chancen kamen. Insgesamt hatte die erste Halbzeit aber die hohen Erwartungen an das Spitzenspiel vollauf erfüllt. Beide Mannschaften schenkten sich nichts und zeigten ihre Spielstärke .
Zweite Halbzeit – der BVB schwimmt
Das Trainerduett Lewandowski/Hyypiä brachte in der zweiten Halbzeit Sam für Rolfes ins Spiel und setzte noch stärker auf Offensive. Das hätte sich beinahe sofort ausgezahlt. Doch Mitch Langerak fischte den Schuss des Einwechselspielers gerade noch aus dem Eck. Leverkusen blieb jetzt am Drücker. Einen Kopfball von Kießling aus kurzer Distanz rettete Langerak nur unter Aufbietung aller Kräfte. Gegen den Nachschuss von Schürrle wäre er aber machtlos gewesen, doch den kratzte Hummels von der Linie. Der BVB ließ sich viel zu weit in die eigene Hälfte drängen und kam nur noch zu seltenen Kontergelegenheiten. Auch das bislang schläfrige Heimpublikum wachte nun auf, aber der Gästeblock hielt weiter dagegen. Die nächste Gelegenheit hatte Lars Bender nach einer Ecke, aber er setzte seinen Kopfball etwas zu hoch an.
Dem unmenschlichen Druck, den Leverkusen nun aufbaute, konnte der BVB nicht mehr lange standhalten. Nun begannen die verrücktesten 5 Minuten des Spiels. Kießling kämpfte sich durch den Strafraum und räumte den Weg frei für Reinartz, der aus kurzer Distanz problemlos den Anschlusstreffer erzielte. Der BVB hatte sich seit Wiederanpfiff einfach viel zu passiv verhalten. Nur kurz darauf durfte Reinartz schon wieder zuschlagen. Nach einem Freistoß fühlte sich niemand für Boenisch zuständig, der den Ball per Kopf querlegte, wo Reinartz zur Stelle war und einnickte. Doch während der unfassbar lächerliche Danke-Bitte-Grüßaugust noch sein Wechselspiel mit dem Publikum zelebrierte (TOOOOOOOOR für die – WERKSELF!!!1!), drang Götze in den Strafraum ein. Er wurde zwar noch von Leno gestoppt, aber der Abpraller landete bei Lewandowski, der eiskalt aus dem Hintergrund vollstreckte. Dem Leverkusener Publikum blieb der Jubel im Halse stecken und der Gästeblock frohlockte.
Doch auch in der Folgezeit präsentierte sich die Borussia in der Abwehr unerklärlich unsortiert. Immer wieder gelang es dem Leverkusener Dreiersturm Lücken in die Dortmunder Defensive zu reißen. Bei einem der spärlichen Konter zeigte Lewandowski seine Klasse und wurde von Boenisch dumm gelegt. Kuba schritt zum Elfmeter und versuchte erneut, den Torwart auszugucken. Aber Leno ließ sich diesmal von seinem Verzögerungsschritt nicht täuschen und hielt den schwach geschossenen Strafstoß. Leverkusen hatte nun natürlich noch mehr Oberwasser und kam auch zu weiteren Chancen durch Sam. Borussia beschränkte sich weiter aufs Kontern und dabei waren unsere schnellen Jungs so gefährlich, dass sie von Leverkusen oft nur per Foul zu stoppen waren. Aytekin hatte seine Zurückhaltung aus der ersten Hälfte inzwischen auch aufgegeben und so regnete es zum Unmut des Heimpublikums gelbe Karten.
Hegeler war nach seiner Einwechslung kaum auf dem Feld, da hatte er schon eine riesige Kopfballchance, die er aber glücklicherweise relativ kläglich vergab. Auch Klopp reagierte nun und brachte Großkreutz für den unglücklichen Blaszczykowski aufs Feld. Der BVB beschränkte sich nun auf die Ergebnissicherung und pöhlte die Bälle zumeist nur hoch und weit aus der Abwehr. Leverkusen hielt den Druck hoch, aber ihre Angriffsversuche wirkten zunehmend verzweifelter. Richtig viel wollte ihnen auch nicht mehr einfallen. Wenn Dortmund bei den wenigen Kontermöglichkeiten etwas zielstrebiger zu Werke gegangen wäre, hätte man das Spiel längst entscheiden können. So blieb es bis zum Schluss spannend. Am Ende rettete der BVB seine knappe Führung eher glücklich als verdient ins Ziel und nahm Leverkusen die Best-of-the-Rest-Position ab. Wenn die Bayern so weiter marschieren, dürfte das auch alles sein, was es diese Saison noch zu holen gibt. Aber so ein Vizemeistertitel klingt ja auch nicht ganz so schlecht. Fragt nach in Vizekusen…
Statistik
Bayer Leverkusen: Leno - Carvajal, Wollscheid, Toprak, Boenisch - L. Bender, Reinartz (87. Milik), Rolfes (46. Sam) – Castro (78. Hegeler), Kießling, Schürrle
Borussia Dortmund: Langerak - Piszczek, Santana, Hummels, Schmelzer - S. Bender, Gündogan (93. Schieber) – Blaszczykowski (80. Großkreutz), Götze (90. Kehl), Reus – Lewandowski
Tore: 0:1 Reus (3., Lewandowski), 0:2 Blaszczykowski (9., Foulelfmeter, Leno an Lewandowski), 1:2 Reinartz (58., Kießling), 2:2 Reinartz (62., Boenisch), 2:3 Lewandowski (63., Götze)
Gelbe Karten: Leno, Carvajal, Boenisch, Toprak, Reinartz – Langerak
Noten
Langerak: Weitgehend fehlerfrei und mit einigen phantastischen Paraden. Diese Leistung nährt die Hoffnung, dass es bei ihm doch noch dauerhaft zum Bundesliganiveau reicht. (2)
Piszczek: Wurde in der Defensive stark gefordert, kam daher selten zu seinen gefürchteten Flügelläufen. (3,5)
Santana: Verlor ungewohnt viele Kopfballduelle. Ohne groben Schnitzer, fiel gegenüber Hummels aber deutlich ab. (4)
Hummels: War im Leverkusener Sturmwirbel auch nicht immer ganz auf der Höhe, stand aber teilweise wie ein Fels in der Brandung. (3,5)
Schmelzer: Auch er konnte seine Seite in der zweiten Hälfte nicht mehr dicht machen. Nach vorne gewohnt unauffällig. (4)
Bender: Selbst Chuck Bender konnte den Leverkusener Sturmlauf in Hälfte 2 nicht entscheidend bremsen. (4)
Gündogan: Spielte in der ersten Hälfte teilweise brillant. In der zweiten Halbzeit früh angeschlagen, tauchte mehr und mehr unter. (3)
Blaszczykowski: Einen Elfer versenkte er, den weiten vergab er kläglich. Insgesamt nicht ganz so stark wie in den letzten Wochen. (3,5)
Götze: Spulte ein unglaubliches Pensum ab. Zwar gelang ihm nicht alles, aber ihm gelang immer noch mehr als den meisten anderen Fußballern in zwei Spielen gelingt. (2,5)
Reus: Fing bärenstark an und tauchte in der zweiten Halbzeit ab. (2,5)
Lewandowski: Bester Mann auf dem Platz. Immer anspielbar. Immer in Bewegung. Immer gefährlich. An allen BVB Toren entscheidend beteiligt. (1,5)
Großkreutz, Kehl, Schieber: Zu kurz dabei, um bewertet werden zu können
Pressekonferenz
Klopp: Das Spiel ist dem Begriff Spitzenspiel gerecht geworden. Beide Mannschaften haben sich über 90 Minuten zu Fehlern gezwungen. Hier werden in dieser Saison nicht mehr viele Mannschaften gewinnen. Trotz dem 2:0 zur Halbzeit war das Spiel überhaupt nicht entschieden. In der zweiten Halbzeit haben wir einige Zeit gebraucht, um Sidney Sam in den Griff zu bekommen. Wir haben nach dem Ausgleich wirklich Moral gezeigt. Das war ganz stark für eine Auswärtsmannschaft. Wir können besser verteidigen, aber das kann auch an der Qualität des Gegners gelegen haben.
Lewandowski: Offensiv waren wir stark. Wir haben uns eine Vielzahl von Torchancen erarbeitet. Auch in der ersten Halbzeit hatten wir schon gute Möglichkeiten und in der zweiten Halbzeit wegen unserer guten Dynamik dann noch mehr. Nach dem Rückstand so zurück zu kommen, zeugt von einer guten Einstellung. Heute hat uns ein wenig Abgeklärtheit gefehlt, aber wir waren in vielen Bereichen mit dem BVB auf Augenhöhe und vor einiger Zeit waren wir da noch sehr weit weg. Daher ist ein klarer Fortschritt zu erkennen.
Web, 03.02.2012
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