Fußball offline

Über den Fußballplatz hinaus - Eine Kulturgeschichte des Sports

29.07.2013, 01:15 Uhr von:  PatBorm
Über den Fußballplatz hinaus - Eine Kulturgeschichte des Sports
Eine Kulturgeschichte des Sports
© Amazon

Der Historiker Wolfgang Behringer schaut mit seiner „Kulturgeschichte des Sports“ über diesen engen zeitlichen Rahmen hinaus und zeigt dabei, dass der moderne Sport und auch der Fußball weit vielfältigere und wesentlich ältere Traditionsstränge haben als nur die Entwicklung in den letzten etwas mehr als 100 Jahren.

Gemeinhin gilt England als das Mutterland des Fußballs. Auf der Insel trennte sich im 19. Jahrhundert das Fußballspiel vom Rugby, klare Regeln wurden festgelegt und die Football Association definierte Statuten, die für die Fußballvereine verbindlich waren. Der englische Imperialismus sorgte mit seinen reisenden Kaufleuten für die rasche Verbreitung des Sports: Wo ein englisches Schiff anlegte, folgte schon kurz darauf die Gründung von Fußballvereinen. Dies galt sowohl für Lateinamerika wie auch für das Rheinland, das zu den frühen Zentren des Ballspiels in Deutschland gehörte, da viele britische Kaufleute den Rhein als Handelsweg nutzten. Doch nicht nur der Fußball, auch viele andere Sportarten wurden von den sportbegeisterten Briten in der Welt verbreitet, so dass das Großbritannien des 19. Jahrhunderts als Ursprung des modernen Sports gilt.

Der Historiker Wolfgang Behringer schaut mit seiner „Kulturgeschichte des Sports“ über diesen engen zeitlichen Rahmen hinaus und zeigt dabei, dass der moderne Sport und auch der Fußball weit vielfältigere und wesentlich ältere Traditionsstränge haben. Denn schon im alten Ägypten war Sport ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. So wurden Ringkämpfe ausgeübt und Laufwettbewerbe veranstaltet. In der Totenanlage des Pharaos Djoser wurde neben der ersten großen Pyramide sogar eine steinerne Laufanlage errichtet, deren Überreste bis heute zu bestaunen sind. Zwar handelt es sich dabei vermutlich nur um die Nachbildung einer tatsächlichen Laufbahn, doch sie bezeugt die ersten Schritte einer Institutionalisierung des Sports.

Organisatorisch und institutionell bereits relativ weit fortgeschritten war der Sport im antiken Griechenland, das nicht nur die berühmten Olympischen Spiele ausrichtete. In der ganzen griechischen Welt fanden mindestens einmal jährlich lokale und regionale Sportfeste statt, einige entwickelten sich sogar zu überregionalen Veranstaltungen. Diese panhellenischen Spiele standen in ihrer Bedeutung den Olympischen Spielen kaum nach und wurden alle zwei bis vier Jahre ausgetragen. Sie fanden dabei zeitversetzt statt, um Konkurrenzen zu vermeiden. Da die Disziplinen bei den verschiedenen Wettbewerben im Wesentlichen identisch waren, kam es sogar zur Ausbildung von Profisportlern. Wer in einer Disziplin bei den vier größten Spielen, den Istgmien, den Olympien, den Nemeen und den Pythien, gewann, erhielt den Ehrentitel eines „Periodoniken“ – sozusagen ein antiker Grand Slam.


Während das Mittelalter trotz seiner Ritterturniere in sportlicher Hinsicht eher ein maues Zeitalter war – an dieser Stelle stimme ich mit Behringer nicht ganz überein, der die Kontinuität des Sports auch im Mittelalter stark macht –, stieg die soziale Bedeutung des Sports spätestens mit der Renaissance erneut an. Nun waren es nicht zuletzt Könige und Adlige, die sich im sportlichen Wettkampf maßen. Viele moderne Sportarten wie Tennis und Fußball, der in England und in Italien- hier als Calcio- etwa zeitgleich populär wurde, haben in dieser Zeit wenn nicht ihren Ursprung, so doch ihre erste kulturelle Blüte. Mit der Renaissance des Sports setzte zudem der im Mittelalter seltene Bau von Sportanlagen wieder ein. Heute bringt man Ballhäuser eher mit Tanzveranstaltungen in Verbindung, tatsächlich dienten sie ursprünglich den verschiedenen Ballsportarten. Der berühmte Ballhaus-Schwur vom 20. Juni 1789, mit dem die französischen Abgeordneten des Dritten Standes einen entscheidenden Schritt zur Revolution machten, fand in einer Tennishalle statt – freilich war diese angesichts der meist adligen Benutzer nicht mit den heutigen, vor allem auf praktischen Nutzen hin konzipierten Sportanlagen zu vergleichen. Im 19. Jahrhundert revolutionierte sich der Sport erneut und fand eine gesellschaftlich breitere Basis. Antriebsmomente hierfür waren unter anderem der Wehrgedanke, also die sportliche Vorbereitung auf den Militärdienst, oder auch körperphilosophische Thesen. So sollte eine Balance zwischen Körper und Geist durch das Sporttreiben erreicht werden. Das antike Motto, in einem gesunden Körper stecke ein gesunder Geist, gewann neue Popularität. Mit der Einbindung des Sports in die schulische Ausbildung in zahlreichen europäischen Ländern wurde aber die Grundlage für die Entwicklung des modernen Sports gelegt.

Behringer beschreibt diese historische Entwicklung anschaulich mit einem Fokus auf die Sportler sowie die architektonische Institutionalisierung des Sports. Aber auch sportmedizinische Aspekte werden thematisiert, wobei sich im jeweiligen historischen Kontext oftmals eine enge Verknüpfung mit sportideologischen Ideen nachweisen lässt. Das Buch lebt davon, dass Behringer gerade für die vormoderne Zeit mit einer breiten Quellen- und Literaturbasis einen sehr vielfältigen Zugang zum Sport findet, wodurch immer neue Einsichten ermöglicht werden. Bei einem solchen Ritt durch die Geschichte bleibt es nicht aus, dass manche Dinge unter den Tisch fallen. So könnte die kulturelle Bedeutung des Sports gerade in den letzten 20 Jahren stärker behandelt werden. Die Zuschauer des Sports und damit auch Fankulturen kommen quasi überhaupt nicht vor. Obwohl Behringer immer wieder Kapitel zum Sport in außereuropäischen Gesellschaften einstreut, handelt es sich bei seiner Kulturgeschichte des Sports vor allem um eine europäische Geschichte. Manche Schwerpunktsetzungen scheinen fragwürdig: den modernen Fußball im Wesentlichen bei der Geschichte Bayern Münchens zu belassen, ist aus Fußballfansicht ebenso schade wie unverständlich. Zudem haben sich hier einige sachliche Fehler eingeschlichen. So heißt es an einer Stelle, Ostblockmannschaften hätten bei den Fußballweltmeisterschaften keine Chancen auf den Titel gehabt. Ungarn 1954 ist allerdings das offenkundigste Gegenbeispiel. Zuletzt kann man auch kritisieren, dass gerade bei den Schilderungen zum modernen Sport manche Kapitel eher wie eine Aufzählung von Leistungen wirken als wie eine synthetisierende Analyse. Dies alles ändert jedoch nichts daran, dass Behringers „Kulturgeschichte des Sports“ ein gelungener und leicht zu lesender Querschnitt durch die Geschichte des Sports seit den Anfängen im alten Ägypten darstellt. Und angesichts der vielen kleinen interessanten Einzelheiten beobachtet man an sich selbst, wie man immer wieder dem Gegenüber die Frage stellt: „Wusstest Du schon, dass…?“

Wolfgang Behringer, München 2012.

Daten

Titel: Eine Kulturgeschichte des Sports. Vom alten Olympia bis ins 21. Jahrhundert

Seiten: 494 Seiten

ISBN: 978-3-406-63205-1

Preis: 24,95 EUR

Erwerben könnt ihr das Buch im lokalen Buchhandel oder direkt bei Amazon.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel