Hummeln im Hintern und Hummels aufm Rasen
Was leben wir in schönen Zeiten! Diese Probleme! Ist das herrlich. Mangels Fußball diskutiert ganz Deutschland darüber, wie man volle Stadien möglichst nachhaltig in leere verwandeln kann und grübelt so nebenbei noch, ob und wie viele Spieler unserer Borussia in die Nationalmannschaft gehören. Oder besser: welche oder wie viele Spieler dort in die Anfangsformation gehören.
Das nennt man Luxusprobleme.
Wisst ihr noch? WM 1982? EM 1984? Wie viele Dortmunder waren damals in der Nationalmannschaft? 1986 musste der Kaiser quai bis kurz vor Anpfiff des ersten Spiels warten, bis Eike Immel vom dritten Relegationsspiel ganz wacker nach Mexiko reisen konnte, um dann als dritter (wegen Uli Steins Suppenkaspar-Affäre später als zweiter) Torwart vor Ort sein zu können. Naja, Immel war da schon zur Hälfte Stuttgarter. 1990 dann der Borussen-Overkill: Frank Mill und Andy Möller. Möller aber schon mit den Gedanken in Frankfurt. Was ich sagen will: Als BVB-Fan gehe ich eigentlich nie davon aus, dass da überhaupt einer von meinen Jungs in der Nationalmannschaft vertreten ist. Höchstens beim Gegner. Wisst ihr noch, wie wir 1992 Flemming Povlsens Europameister-Titel bejubelt haben?
Wir haben doch in den letzten Jahren etwas gelernt in Dortmund: Demut. Die Dinge nehmen, wie sie sind, nicht moppern, einfach genießen, was da ist. Oder ignorieren, was da ist und irgendwas Anderes genießen. Und wie schön war das, als man sich so völlig unbeteiligt Gedanken darüber machen konnte, wer auf welcher Position unbedingt in der Nationalmannschaft zu spielen hat. Doch jetzt sehen wir unsere gelben Götter Woche für Woche Geniales leisten und wollen natürlich, dass sich das entsprechend in Jogis Truppe niederschlägt. Der Schmelzer muss natürlich, weil er beste Linksverteidiger der Liga ist. Ja, aber nur, wenn Lahm rechts spielt. Spielt Lahm links, guckt Schmelle in die Röhre. Ilkay Gündogan, Mario Götze, Marco Reus - alles geschenkt.
Aber der Hummels, ey, der muss ja wohl.
Warum eigentlich? Also, jetzt nicht so fußballerisch begründet, sondern emotional. Gibt es mir als BVB-Fan etwas, wenn da nicht Bayern, sondern Borussen für Deutschland auf dem Rasen rennen? Ja, mal ganz ehrlich: irgendwie schon.
2006 - krasse Scheiße! Es gibt ja so Momente, da weiß jeder, wo er war und was er gemacht hat, als ein bestimmtes Ereignis geschah. 11. September ist so ein Tag. Wisster noch, ne? Ich weiß noch, wo ich an Kevin Kuranyis 11. September war. Oder um es positiver zu formulieren: Ich weiß, wo ich war und was ich gemacht habe, als ich erfuhr, dass David Odonkor in den Kader für die WM 2006 berufen wurde. Im Auto. Ich hab's im Radio gehört und wäre vor lachen fast gegen einen Baum gefahren. Und dann das Spiel gegen Polen... Alter! Auf der einen Seite Herzblut-Borusse Ebi Smolarek, auf unserer Seite David Odonkor. Und ich weiß noch genau, wie ich gejubelt habe, als das 1:0 für Deutschland fiel: "Jaaaaaaaaaaaa, jaaaaaaaaaaj!!! Hahahahaha! UND ODONKOR HAT DIE FLANKE GEGEBEN!!!" Da behaupte noch einer, es wäre egal, für welchen Verein die Nationalspieler im echten Leben spielen.
Geht übrigens auch andersrum. WM 2010, Deutschland gegen England. Neuers Patzer. Meine Frau und ich inne Ecke vonne Kneipe am Alten Markt. 2:0 für Deutschland, Jubel und ungläubiges Staunen. Dann Flanke von rechts, Neuer faustet am Ball vorbei - 2:1. Die Reaktion inne Kneipe: Gelächter und Meckerei über den blöden Blauen. Kurze Zeit später: Ein Engländer zieht ab, Neuer, die Nulpe, steht zu weit vorm Tor, der Ball segelt über ihn an die Latte, hinter die Linie, in Neuers Hände. Schiri gibt das Tor nicht. Reaktionen während des Spielzuges waren ungefähr so: "Nananana - ooooh - booooah, Neuaaaaa, du Depp - näääää - SCHEISSE! - Aaaaah, NÄÄÄÄÄ, Hahahahaha, kannjanich! - boah, Neuer, du Idiot! Musse haben, ey!"
Es ist also doch irgendwie verständlich, dass wir alle Hummeln im Hintern haben, wenn sich die Diskussion um unsere Jungs und die Nationalmannschaft geht. Die Nominierung Odonkors hatte eine humoristische Note. Berufungen in den 80ern haben einen als BVB-Fan stolz gemacht, weil es aus der Trümmertruppe zumindest einer auf internationales Niveau schaffen konnte. In den 90ern waren wir eh der Ansicht, dass die komplette Mannschaft für Deutschland spielen müsste - Julio Cesar eingeschlossen. Und jetzt ist es einfach das Gespür für Fairness, wenn Schwarz-Gelbe fordern, dass Borussen auch für Deutschland auflaufen. Fünf Mal hintereinander die Bayern geschlagen. Siege gegen alles, was nicht rechtzeitig auf den Bäumen war. Naja, aber so ganz unrecht hat Jogi Löw natürlich auch nicht. Borussia hat 1:0 in Hoffenheim verloren. Das geht natürlich nicht!
Euer