Patriotismus und andere Gefahren
Hab mal wieder ferngesehen. Da ging es bei Plasberg um Patriotismus. Interessante Diskussion mit dem Fehler, dass es gar keine Diskussion war, weil das Thema in Deutschland so verkopft angegangen wird, dass man eher grübelt, statt zu diskutieren. Oder es wird gleich verallgemeinert. Wohltuend war aus meiner Sicht der amerikanische Studiogast, der uns Deutschen mal wieder erklärt hat, dass wir eigentlich viel zu verklemmt sind, wenn es um unser Land geht.
Das ist immer total doof, wenn ein Ami so etwas sagt, weil ich es immer total doof finde, wenn ein Ami Recht hat. Vor allem, wenn er von Dingen spricht, die ihn eigentlich nichts angehen. Ich finde schon, dass wir vieles zu verkopft sehen. So wie die Grüne Terry Reintke, die so schön verklemmt gleich schon wieder die Horrorvision von Fackelzügen durchs Brandenburger Tor vor Augen hatte, als von schwarz-rot-goldenen Fahnen beim Public Viewing die Rede war. Diese verklemmte Sichtweise ödet mich genauso an wie das Gepöbel von Fans in Richtung der schwarz-rot-goldenen Party-People. Bleibt doch einfach mal locker und lasst die Leute in Ruhe.
Ich teile ja sogar die Ansicht, dass das Partyvolk mitunter nervt (zum Beispiel, weil das dieselben Leute sind, die sich während der Saison über Fußball-Proleten und zugeparkte Wohngebiete aufregen). Aber die Botschaft, die ich hinter schwarz-rot-goldenen Fanmeilen (die übrigens auch bunt gemischt mit den Farben anderer Nationen sind) verbirgt, ist in meinen Augen eine durchweg positive: "Wir stehen und feiern hier, weil hier eine Mannschaft spielt, die uns vertritt." Nix mit Vaterland oder so. Zumindest war die deutsche Nationalmannschaft für mich noch nie so wirklich die Vertretung meines Vaterlandes, sondern meiner Nachbarschaft (okay, eine große Nachbarschaft, die von der Küste bis zu den Alpen reicht). Und zu dieser Nachbarschaft haben für mich immer auch türkische oder griechische oder italienische Klassenkameraden oder Arbeitskollegen gehört - und ich bin heilfroh, dass einige von denen sich tatsächlich auch entschlossen haben, für das Land zu spielen, in dem sie aufgewachsen sind. Durch diese Neuinterpretation des Wortes "Nation" oder "Nationalität" ist mir diese Nationalmannschaft viel mehr ans Herz gewachsen, als sie es je zuvor war. Weil sie mehr denn je Leute einschließt, statt auszuschlie0en.
Nach einem langen Amerika-Urlaub, bei dem ich täglich gegrillt oder bei Burger-Läden gegessen habe, sehne ich mich auch nach "deutschem" Essen - und hole mir dann zu Hause ne Pizza oder ne Portion Gyros. Weil deutsch für mich das ist, was es in Deutschland gibt. Und wenn das die Einstellung der Leute ist, die schwarz-rot-gold tragen, dann gehöre ich dazu.
Ich glaube nicht, dass das Wort "Patriotismus" dort etwas zu suchen hat. Bei Plasberg hieß es, Patriotismus sei der beste Schutz vor Nationalismus. Der Aussage kann ich nicht zustimmen. Auch wenn der Satz von Paul Spiegel stammt. Ich weiß, wie er gemeint ist, aber ich kann ihn schwer nachvollziehen. Ich bin Lokalpatriot, ja. Ich würde jederzeit wider besseres Wissen die These verteidigen, das Dortmund die schönste, liebens- und lebenswerteste Stadt der Welt ist. Und ich glaube, dass es nur ein kleiner Schritt ist, den man braucht, um die Grenze zwischen "Ich finde etwas gut" zu "Ich finde alles andere scheiße" zu überschreiten. Das sehen wir ja oft genug dann, wenn sich Fans unterschieldicher Vereine die Köpfe einhauen.
Bei mir hört es mit dem Patriotismus allerdings auf der lokalen Ebene erst mal auf. Mein Patriotismus überspringt die nationale Ebene. Ich bin Lokalpatriot und dann bin ich begeisterter Europäer, der sich über offene Grenzen und eine gemeinsame Währung freut. Deutschland finde ich zwar gut und ich bin froh, in Deutschland zu leben und nicht in... Uganda oder Papua-Neuguiniea... Aber das hat eher sachliche Gründe wie das Sozial- und das Gesundheitssystem, stabile Häuser, keine Erdbeben, Reisefreiheit und überhaupt. Also, so Wohlfühl-Gründe. Ich freue mich mindestens genauso, dass ich in einem unglaublich bunten Europa lebe. Daher lehne ich auch die gedankliche Gleichmacherei ab, die bei Plasberg von der grünen Reintke betrieben wurde. Diese Verneinung von so etwas wie einem "Nationalcharakter" - ich nenne es lieber Mentalität - ist meiner Ansicht nach Mumpitz und reines Wunschdenken.
Will denn ernsthaft jemand abstreiten, dass Norddeutsche eher protestantsich-kühl sind und Rheinländer etwas zum Überschwang neigen? Und dass Italiener eher in der Lage sind Fünfe gerade sein zu lassen als wir Deutschen? Wir Deutschen, die sich über alle einen Kopp machen müssen (als Ergebnis kommen dann so überflüssige Texte wie der hier heraus)? Das trifft vielleicht nicht auf JEDEN zu, aber in der Gesamtheit stimmen diese Klischees schon - sonst wären sie ja keine. Unterschiede machen uns Menschen doch aus. Problematisch wird es nur dann, wenn die Unterschiede zu einer Wertung führen. Wenn ich eine Mentalität als höherwertig bezeichne als eine andere, dann lande ich schnurstracks bei Nationalismus oder Chauvinismus und schließlich bei Ausgrenzung und der Abwertung ganzer Menschengruppen. Ich kann sagen, dass mir gewisse Mentalitäten besser gefallen als andere. Gefährlich wird es, wenn ich anfange, daraus den Schluss zu ziehen, es handele sich dabei um eine Frage von Wertigkeit.
Jetzt, da ich das alles geschrieben habe, finde ich wieder, dass das typisch deutsch ist. Sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, ist wohl eine Form der Zeitverschwendung, die wir Deutschen seit 1949 exklusiv haben. Wir schaffen es, uns ewig lang den Kopf über den Sinn und die Gefahren von Patriiotismus zu zerbrechen. Und wenn wir Landsleute sehen, die sich eine schwarz-rot-goldene Fahne umhängen und einen Döner essen gehen, dann bringt uns das auf die Palme, weil das technisch eigentlich gar nicht geht. Wir haben ständig Angst vor dem Nazi in uns. Aber ganz ehrlich: Ich bin fest davon überzeugt, dass der unabhängig von schwarz-rot-goldenen Fahnen ist. Im Gegenteil. Wenn ich eine deutsche Nationalmannschaft mit Spielern wie Özil und Khedira sehe, freut mich das allein schon deshalb, weil es für die ganzen Blut-und-Boden-Anhänger ein fetter Schlag in die Fresse ist. In dem Moment bin ich dann doch auch mal kurz stolz auf mein Land. Weil in dem Moment mein Nachbarschaftsprinzip gilt. Und da ist mit der Ruhrgebietsjunge Özil näher als der Bayer Schweinsteiger.
Und trotzdem ist das alles viel zu verkopft. Ähnlich wie der Ami bei Plasberg, hat ein Amerikaner mir mal gesagt, wir Deutschen sollten lockerer mit unserer Geschichte umgehen. Ich weiß natürlich, wie er das gemeint hat, aber meine Antwort war sinngemäß: "Nee, wir werden wohl nie Sportmannschaften nach Völkern benennen, die wir ausgerottet haben." Aber das ist ein anderes Thema...
Euer