Mit der Gesamtsituation unzufrieden
Willkommen im Dortmunder Sommer 2012. Nach EM und Bundesliga ist vor dem Saisonstart. Immer noch bekommt man eine Gänsehaut, wenn man sich an sechs Derbypunkte, Siege gegen München und das Finale in Berlin erinnert. Es war eine unglaubliche Saison, die wie im Rausch verging.
Mittlerweile ist es aber Zeit wieder aufzuwachen, und wie nach einer durchzechten Nacht hat man einen ordentlichen Kater. Der schwere Kopf kommt aber nicht vom wilden Feiern, sondern von den vielen kleinen Nebenschauplätzen, die uns Fans nebenbei präsentiert wurden. Zur Zeit fällt es vielen schwer, von „echter Liebe“ zu sprechen. Noch vor dem Saisonfinale legte der BVB in Gemeinschaft mit einem Dortmunder Versicherungskonzern los und verkündete stolz die Verlängerung des Namens-Sponsoring vom Westfalenstadion. Anscheinend hat man wohlweislich den Termin zwischen den Saisonhighlights gewählt, in der Hoffnung, die Empörung bei diesem emotionalen Thema klein zu halten. Bei einer eigenartigen Pressekonferenz, die eher an eine Zeremonie erinnerte, feierten sich die Dortmunder Geschäftsführung und die Vertreter der Versicherung selbst, während viele Fans vor allem mit Frust und Enttäuschung zurückblieben.
Gleichzeitig gab der BVB eine denkwürdige Pressemeldung heraus, die nach der völlig verkorksten Meisterfeier die Fans in gute und böse Fans aufteilte. Unabhängig von der fehlenden Anerkennung eigener handwerklicher Fehler ist diese Form der Außendarstellung einfach nur unwürdig für einen Verein, der sich immer wieder seiner Fans und seiner besonderen und emotionalen Atmosphäre rühmt. Sicherlich sind einige Dinge während der Meisterfeier auch auf Fanseite schiefgelaufen, doch eine solch kurz gegriffene und einseitige Pressemeldung ist wenig souverän. Manchmal ist es eben doch besser zu schweigen.
Die nächste Überraschung hatten die Verantwortlichen dann beim Dauerkartenumtausch in petto.
„Wir können das offen sagen: Wir diskutieren, dass das Gros unserer Zuschauer von den Veränderungen so gut wie nichts merken werden und es nur an einigen Stellen Korrekturen geben wird. Diese sind einfach zwangsläufig fällig. Auch in den VIP-Bereichen wird es an einigen Stellen Anpassungen geben, dort handelt es sich nämlich um lange laufende Verträge.“ (Carsten Cramer)
„Auf zehn Protestbriefe kommen 100 Neubestellungen. Wir besprechen intern, ob wir dem extremen Ansturm Rechnung tragen, indem wir noch 500 oder 1000 Dauerkarten drauflegen.“ (Hans-Joachim Watzke – im Kicker)
Zwischen diesen beiden Aussagen liegen rund anderthalb Monate. Wie die „Korrekturen“ aussehen, mussten einige Fans leidvoll erfahren. Langjährige Dauerkarteninhaber bekamen eine gesalzene Preissteigerung präsentiert, garniert mit einer dürren Erklärung. Geht man also so unter dem Motto „Echte Liebe“ mit seinen Fans um? Zusätzlich wurde es von BVB-Seite verpasst, den Fans einen Alternativplatz anzubieten. Erst auf Nachfrage beschäftigte sich das Ticketing damit. In diesem Zusammenhang überrascht einen Watzkes Aussage nicht, die zwischen den Zeilen erkennen lässt, dass man als Fan zur Melkkuh degradiert wird. Wer sich verweigert, wird halt ersetzt. „Friss oder stirb!“ mag man da denken. Dass man sich bei solchem Gebaren auch gegen weitere Transparenz beim Ticketing sträubt, verwundert einen kaum noch.
Das nächste schale Bier, das einem eingeschenkt wurde, kam dann vergangene Woche an die Öffentlichkeit. Nachdem die hysterische Mediendebatte um die Relegationsspiele endlich abgeklungen war, ließ es sich der BVB nicht nehmen, den Vorschlaghammer herauszuholen und rund 50 Stadionverbote für Fans jeden Alters und jeder Couleur zu verteilen. Dabei scheint es sich komplett um Fans zu handeln, die bisher nie auffällig geworden waren. Es reichte (mal wieder) der Anfangsverdacht, ohne dass irgendein Betroffener bis jetzt rechtskräftig überführt wurde. Wie gesagt, es sind Fans, die noch nie im Rahmen von Fußballspielen negativ in Erscheinung getreten sind, nun aber mit der Präventivstrafe Stadionverbot belegt werden, die eigentlich dazu dienen soll, weitere Vorfälle zu verhindern. Woher diese Gefahreneinschätzung kommt, bleibt im Dunkeln. Von Seiten des BVB scheint hier auch kein weiteres Interesse an Aufklärung zu bestehen. So wird in den Stadionsverbotsschreiben nicht auf das Anhörungsrecht eingegangen, dessen man sich gerne öffentlich brüstet. Dass die Anhörung der Betroffenen absolut notwendig ist, zeigt sich an den Fällen, in denen der Vorwurf der Polizei schlichtweg falsch ist und der Betroffene diese Tat nicht begangen hat. Sicherlich werden das Gerichte später feststellen, nur hilft das den Betroffenen zum Saisonauftakt auch nicht weiter.
Auch auf das Angebot, sein Stadionverbot durch Sozialstunden zu reduzieren, wurden die unter 25-Jährigen in ihrem Bescheid nicht hingewiesen. Gerade bei jungen „Ersttätern“ hätte hier eine große Möglichkeit bestanden, den Leuten eine Tür zu öffnen.
Doch diese kleine Mühen scheint der einzelne Fan mittlerweile nicht mehr Wert zu sein. Während man sich marketingtechnisch als sympathische Alternative zum Branchenprimus zu etablieren versucht, scheint der Bezug zur Basis verloren zu gehen. Es verfestigt sich der Eindruck, dass der Blick für das individuelle Mitglied in der BVB-Familie als nicht mehr nötig erachtet wird. „Echte Liebe“ wird so langsam zum Marketing-Gag, der nach außen strahlt und nach innen mit wenig Leben gefüllt wird.
Womit wir bei der neuesten groben Verfehlung sind, die man sich am Rheinlanddamm unnötigerweise leistet. Still und leise wurde das Wappen der BVB um eben jenen Slogan erweitert. Aufgefallen war es zuerst auf der offiziellen Webseite der DFL, wo unter jedem BVB-Wappen nun "Echte Liebe" prangt. Was man noch bei der offiziellen Facebook-Seite übersehen konnte, hat sich nun in unschöner Art und Weise manifestiert. Auf Seiten des BVB scheint man sich keines Problems bewusst zu sein und verkündet auf Nachfrage, man werde diesen Slogan nun dauerhaft als Bestandteil des Wappens in der Kommunikation einsetzen.
Dabei beweist man wieder einmal in kürzester Zeit eine völlige Ignoranz gegenüber der treuen Anhängerschaft. Das Wappen ist wohl so ziemlich das heiligste für den Fan eines Vereins. In Wolfsburg, in Stuttgart und bei der Hertha hat man schon leidvolle Erfahrungen gemacht, wie emotional und diffizil das Thema Wappen ist. Nun hat man sich beim BVB, scheinbar besoffen von den eigenen wirtschaftlichen Glanzzahlen, auch dazu hinreißen lassen, ohne Rücksprache mit Fanvertretern am Wappen "für die Kommunikation" rumzuschrauben. Der BVB wandelt sich in atemberaubender Geschwindigkeit in eine durch und durch konzeptionierte Marke, in der scheinbar kein Platz mehr für gegensätzliche Meinungen und individuelle Befindlichkeiten ist. Noch vor vier bis sechs Jahren schien es unmöglich, dass beim BVB wieder derart über die Fans hinweg regiert wird, doch mittlerweile fühlt man sich offensichtlich wieder zu Größeren berufen.
mrg, 03.07.2012