Ohne Sinn und Verstand
Manch geneigter Fußballfan fragt sich mittlerweile, wofür wir eigentlich Funktionäre und bezahlte Polizisten haben?
Nachdem der DFB in Personalunion mit der DFL die Pyrotechnik-Debatte mit dem schröderischen Basta zur Freude der Polizei beendet hat, sieht man sich mit einer Welle an Vergehen konfrontiert, die zum ganz großen Teil weiterhin mit der Verwendung von Pyrotechnik zusammenhängen. Die ganze Art der Diskussionsführung und öffentlichen Darstellung brachte mehr als deutlich zu Tage, dass weite Teile der Verbandsakteure immer noch nicht im Hier und Jetzt der Fußballrealität angekommen sind. Nicht nur, dass der plumpe Versuch, die Fans ins offene Messer laufen zu lassen, sang- und klanglos gescheitert ist, nein: man hat im Anschluss sogar noch die Deutungshoheit in den Medien wieder einmal verloren und reagierte nur als Getriebener mit einer Salamitaktik, die beide Verbände in äußerst schlechtem Licht dastehen ließ.
Erst durch das massive Fehlverhalten einiger weniger konnte der Fokus der Medien wieder von den hausgemachten Unzulänglichkeiten weggedreht werden. Dennoch blieb man in der öffentlichen Meinung dieses Mal eher eine Randfigur, während Fanforscher ein deutlich höheres Gewicht in der medialen Berichterstattungen genossen.
Nun ist es den Fans wiederum gelungen, insbesondere den DFB und sein Sportgericht zu beschämen. Aufgrund einer Reihe von Vorfällen in der Vergangenheit wurden in den letzten Jahren mehrfach Spiele unter Ausschluss von Fans der betroffenen Vereine beschlossen. Hierbei traf es vor allem Dresden, Köln, Frankfurt und Berlin. Schon bei den ersten Verboten wurde von Fanseiten die Sinnhaftigkeit ebenjener Maßnahmen stark bezweifelt, und Zeitpunkt jetzt muss man konstatieren: die Fans haben Recht behalten. Gerade der Ausschluss der Gästefans hat nicht annähernd die Wirkung erzielt, die man sich beim DFB erhofft hat, ganz im Gegensatz dazu ist genau jenes passiert, was Fans vorausgesagt bzw. befürchtet haben.
Dresden in Unterhaching 2010 hätte für den DFB das erste Warnsignal sein können, dass dieses Verbot wohl nicht haltbar ist. Hunderte Dresdener fanden sich trotz Verbot auf den Heimtribünen in Unterhaching ein und machten deutlich, dass man es ihnen nicht verbieten kann, ihrem Verein die Treue im Stadion zu halten. Konnte man diesen Umstand irgendwo in den tieferen Ligen anscheinend noch getrost ignorieren, hätte diese Erkenntnis spätestens beim Spiel von Hoffenheim gegen den 1. FC Köln in der 1. Liga bei den Entscheidungsträgern durchsickern müssen. Doch auch hier ignorierte man, dass Hunderte von eben den Fans, die man bestrafen wollte (also vor allem Ultras), doch dem Spiel beiwohnten und ihre Mannschaft in der Fremde unterstützten.
Das letzte Warnsignal war das Gastspiel der Dresdner in Frankfurt, bei dem sich wiederum eine größere Anzahl Dresdner im Heimbereich neben dem Gästeblock breit machte. Hier kam es auch das erste Mal zu dem von Fans schon vorher angemerkten Gefahrenszenario, dass es durch das Verbot eben zu einer Vermischung der Fangruppen kommen kann. So kam es im Stadionbereich zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Frankfurtern und Dresdnern, die durch die fehlende Fantrennung und die heimliche Anreise der Gästefans sicherlich begünstigt wurden. Doch auch hier reagierte in der DFB-Zentrale in Frankfurt offiziell niemand, obwohl es direkt vor der eigenen Nase passierte.
Es musste erst ein Live-Spiel vor etlichen Fernsehzuschauern her, damit sich die Granden des deutschen Fußballs mit einem hausgemachten Problem auseinandersetzten. Beim Gastspiel der Frankfurter in der Alten Försterei hielten die Fans beider Vereine zusammen, und so kamen rund 1000 Frankfurter an Karten für das Spiel in Berlin. In der Folge versuchten Ordnungsdienst und Polizei sinnvollerweise(!) nicht ein sinnloses Verbot von irgendwelchen Bürokraten in Frankfurt durchzusetzen, sondern ließen es zu, dass die Frankfurter Fans den Gästeblock übernahmen und dort ihren Verein unterstützten. Garniert wurde das Ganze durch offensichtlich gemeinschaftliche organisierte Proteste gegen den DFB.
Nun also sah man sich in der DFB-Zentrale genötigt, die Sinnlosigkeit der eigenen Handlungen öffentlich zu erklären, ohne dabei wirklich mit neuen Ideen aufzuwarten. Wie so oft in der letzten Vergangenheit, stellt sich der DFB als ein unflexibler und kurzsichtiger Verband dar, der erst auf öffentlichen Druck auf bestehende Probleme und Fehlentwicklungen zu reagieren bereit ist, dabei allerdings auch schamlos offenlegt, dass man überhaupt nicht vorbereitet ist. Anders ist die Aussage: „Wir stellen fest, dass bestimmte Strafen offenbar nicht ausreichen. Aber ein Abzug von Punkten greift auch immer in den Wettbewerb mit ein. Und mit Geldstrafen geht es irgendwann auch nicht mehr weiter. Deshalb müssen wir uns zunächst alle, der DFB, die DFL und die Klubs an einen Tisch setzen und schauen, welche Sanktionen zielführend sind.“ von DFB-Vize Rainer Koch nicht zu verstehen.
Wohl gemerkt, hier beschreibt Koch ein Problem, das seit 2010 bekannt sein könnte, und schon im Vorfeld haben Fans daraufhin gewiesen, dass genau dies passieren kann. Insofern passen die Ereignisse in das Bild eines Verbandes, der immer noch nicht akzeptiert hat, dass man Fans, ihre Meinungen und ihre Vertreter ernst nehmen muss, dass man es mit Fans zu tun hat, die man nicht durch platte Verbote und Populismus in ihre Schranken weisen kann. Hier muss endlich ein Umdenken stattfinden, und dazu gehört mehr, als die Finanzierungszusagen für Fanprojekte einzuhalten und Vertreter ohne Verhandlungsmacht zum Fandialogen zu schicken.
Doch wer nun glaubt, es wäre alles vorerst geregelt, macht seine Rechnung ohne die Hamburger Polizei. Eben jene stellte an den FC St. Pauli eine Unterlassungsverfügung aus, die den Verkauf von Karten an Fans von Hansa Rostock unterbindet. Dieses Vorgehen wurde nun ärgerlicherweise vom Verwaltungsgericht bestätigt. Was das für die Zukunft und das anstehende Spiel im Speziellen bedeutet, kann man nun kaum abschätzen. Sicher erscheint, dass wenn das Urteil auch in den nächsten Instanzen bestand haben sollte, die Polizei zukünftig öfter von diesem Mittel Gebrauch machen würde, und dies trotz der Erfahrungen, die DFB und DFL machen mussten. Die Fanszenen hingegen haben jetzt bereits mehrfach bewiesen, dass sie sich den Stadionbesuch nicht verbieten lassen. Zusätzlich haben die Dresdner Fans gezeigt, dass sie bereit sind, durch das Kaufen von "Geistertickets" die Folgen für den eigenen Verein abzufedern. Gab es beim letzten Gästefanverbot am Millerntor noch einen medialen Zusammenschluss zwischen Fans und Verein in Rostock, könnte es dieses Mal anders aussehen. Zwar erscheint es kaum wahrscheinlich, dass die Rostocker Fans sich massenhaft über St. Pauli eindecken, einfach weil das Stadion dauerhaft ausverkauft ist. Dennoch ist es möglich, dass eine nicht unerhebliche Zahl Rostocker anreisen könnten. Bei dem gleichzeitig stattfindenden Hamburger Dom ein nicht zu unterschätzendes Gefährdungspotential.
Die Dresdner Fans haben bei ihrem Heimspiel gegen Ingolstadt bewiesen, dass man sich auch ohne Einlass auf dem Weg zum Stadion macht, und auch über 500 BVB-Fans zeigten bereits in Hamburg, dass man für seine Sache auch vor dem Stadion bei einem Auswärtsspiel steht. Einen Königsweg zur Eindämmung von Fangewalt gibt es nicht, doch mit rein repressiven Zwängen ist man auf jeden Fall auf dem Holzweg. Die Fans haben mehrfach bewiesen, dass sich nicht für dumm verkaufen lassen. Sie sind organisierter, flexibler und ernstzunehmender, als es sich viele Funktionäre und Einsatzleiter anscheinend vorstellen können und wollen. Teile der Medien und einige Politiker haben das mittlerweile begriffen, es wird also höchste Zeit, dass auch der DFB und die Polizei anfangen, die Kurven und ihre Interessen ernstzunehmen. Dazu gehört ein offener Dialog und das Auftreten als verlässlichlicher Partner, auch über Bundesländergrenzen hinweg.
mrg, 04.04.2012
Mehr Fotos von den Aktionen der Dresdner findet ihr bei Erlebnis Stadion [hier], [hier] und [hier] Die Fotos von den Dresdner Spielen wurden uns dankenswerter Weise von Erlebnis Stadion zur Verfügung gestellt.
Mehr Fotos von der Aktion der Frankfurter in Berlin findet ihr [hier] bei unveu. Die Fotos vom Spiel Union - Frankfurt wurden dankenswerter Weise von unveu zur Verfügung gestellt.