Sicheres Stadionerlebnis: Ein steiniger Weg
Jetzt ist es da. Am Mittwoch hat das Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ in zweiter Ausführung die Hürde DFL-Versammlung genommen, allen 16 Antragspunkten wurde zugestimmt. Wohl kein Thema in der Geschichte der Bundesliga ist so kontrovers diskutiert worden, hat so eine erstaunliche Wandlung der Medienlandschaft bewirkt und eine so eindrucksvoll solidarische Protestwelle unter den Fans zur Folge gehabt. Doch glücklich kann am Ende niemand sein – der Weg dorthin war einfach viel zu steinig.
„Ich glaube, dass unterm Strich der professionelle Fußball heute als Gewinner aus der Veranstaltung hervorgegangen ist. Alle 16 Punkte, die vom Ligavorstand eingebracht worden sind, hat die Mitgliederversammlung heute mit großer Mehrheit abgesegnet. (…) Es ist trotzdem kein Triumph.“
Als DFL-Präsident und „Anwalt der Fans“ Dr. Reinhard Rauball die Presseerklärung zur Verabschiedung des Konzeptpapiers verlas, stockte Fußballfans in ganz Deutschland der Atem. Unsummen Geld ausgeben, Zeit aufwenden und sich zum Dank dafür von den eigenen Vereinen ins Gesicht treten lassen – innerhalb weniger Augenblicke kochten die Emotionen hoch und war über Tage hinweg nicht an eine vernünftige Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Verhandlungsergebnis zu denken. Darüber konnte nicht einmal die Tatsache hinwegtäuschen, dass im Vergleich zum ersten Entwurf die Stahlkappenstiefel durch Sandalen ersetzt worden waren - wenn man denn bei diesem Sprachbild bleiben möchte.
Denn inhaltlich ist das Papier wohl tatsächlich nicht viel mehr, als ein Dokument der eigenen Zerrissenheit. Der Status Quo wurde wortreich festgeschrieben und in schwammigen Formulierungen geradezu ertränkt, um den tiefen Riss durch den Verband zu kaschieren. Politisch und unternehmerisch mag das Ergebnis sogar ein großer Wurf gewesen sein – ohnehin unhaltbare Positionen wurden geräumt und durch wohlfeile Schwurbeleien ersetzt, ernsthaft mess- und damit kontrollierbare Ansätze zur Problemlösung aber nicht vorgelegt. Die Bundesliga kann dem Swingermotto „Alles kann, nichts muss“ damit auch in Zukunft treu bleiben, mit allen positiven wie negativen Begleiterscheinungen. Um den Inhalt des Papiers, der sogar einige positive Elemente aufweist, wollen wir uns daher im Folgenden nicht weiter kümmern. Wer die Wut der Fans begreifen will, muss sich mit dem Prozess und den beteiligten Akteuren auseinandersetzen.
Anfangen wollen wir hierbei mit den Verbänden, DFB und DFL. Seit Jahren fühlen sie sich unter Druck gesetzt, haben unter dem großen kommerziellen Erfolg des Fußballsports zu leiden. Luxusprobleme, klar, doch werden die Vereine in einem großen Interessenwirrwarr innerlich zerrieben. Auf der einen Seite finden sich die Sponsoren und VIPs sowie die Inhaber teurer Dauerkarten auf den Haupttribünen – sie finanzieren einen Großteil der Veranstaltung Bundesliga, erwarten dafür zurecht positive Abstrahleffekte im Bereich der eigenen Markenführung oder eben Leistungspakete, die den eigenen Ansprüchen gerecht werden. Zunehmend entfernt haben sich diese Interessen von denen der einfachen Fans, die entgegen jeden besseren Wissens ob ihrer heterogenen Zusammensetzung leicht prollig daherkommen mögen, über ihre schiere Anzahl aber die zweite wichtige Säule der Finanzierung repräsentieren. Als dritte Gruppe kommen dann noch all jene Fans hinzu, die Spiele vor dem heimischen Fernsehgerät verfolgen und die TV-Sender dazu veranlassen, unverschämt hohe Beträge zu überweisen.
Drei Gruppen, drei konträre Ziele – der Umbau des Bundesligafußballs vom Proletensport hin zum Familienevent, der kulturell idealerweise auf Augenhöhe mit Mozarts Kleiner Nachtmusik liegen und sich dennoch das Prollige bewahren soll, sorgt für eine Vielzahl an Spannungen, die man früher nicht kannte. Um es platt auszudrücken, reden heute viele Bürger über die Vorkommnisse in der Fußballbundesliga, die man vor 20 Jahren noch mit einigem Nachdruck aus den Stadien befördert hätte – ein Umstand, dem die Verbände gerecht werden und für den sie Antworten finden müssen.
Wie groß diese Interessenskonflikte geworden sind, zeigt die Rolle des Dr. Rauball: Als Präsident und Vorstandsmitglied der DFL gehörte er zu den Personen, die die Entstehung des Konzeptpapiers „Sicheres Stadionerlebnis“ maßgeblich beeinflussten, zur Abstimmung stellten und letzten Endes mit einigem Verve gegen Kritik verteidigten. Auf der anderen Seite musste er wissen, dass die wenigsten Vertreter der eigenen Fanszene mit diesen Maßnahmen einverstanden waren – es ist weithin sichtbar, dass Dortmund in den vergangenen Monaten zu einer Hochburg des Fanprotests geworden ist und dem Konzeptpapier Ablehnung auf breitester Front beschieden wurde.
Dennoch waren die Gräben zwischen Verbänden und Fans bei weitem nicht so tief, dass eine Seite alleine über die Präsentation eines Stück Papiers den offenen Bruch der Beziehung riskiert hätte. Es mag daran liegen, dass den Entscheidungsträgern der Mut zur letzten Konsequenz fehlte, oder aber auch daran, dass sie schlichtweg keine Veranlassung dazu gesehen hatten – ein Zustand, über den wir nur spekulieren können. Was wir jedoch wissen: Die öffentliche Erklärung der Herren um Dr. Rauball, das Konzeptpapier habe aufgrund des großen politischen Drucks unbedingt am 12.12.2012 verabschiedet werden müssen, ist fragwürdig.
So können wir bereits dem Grundgesetz entnehmen, dass Aufgaben rund um das Polizeiwesen in den Aufgabenbereich der Länder fallen, eine Regelung über Bundestag und Bundesregierung ab ihrem Zustandekommen also verfassungswidrig und damit nichtig wäre. Auch wissen wir, dass Regelungen bspw. betreffend die Anzahl der Stehplätze in Fußballstadien selbst auf Länderebene nur unter erheblichen Einschränkungen und abseits von den heute schon möglichen Einzelfallentscheidungen nur unter schwer vorstellbaren Konstellationen denkbar wären. So wären auch die abstrusen innovativen Vorschläge, vom Sicherheitseuro bis hin zur Weitergabe der Polizeieinsatzkosten an die Vereine, dankbare Themen für Verfassungsklagen gewesen, die wohl selbst ein durchschnittlich begabter Anwalt mit relativ sicherer Wahrscheinlichkeit hätte nach Hause bringen können. Die große politische Drohung, das musste einem erfahrenen Juristen wie Dr. Rauball bewusst gewesen sein, bestand damit aus wenig mehr als heißer Luft. Wie gering der politische Spielraum im Fall einer Ablehnung des Konzepts durch die DFL geblieben wäre, zeigen zwei kleine Anfragen der Linksfraktion im Bundestag: "V-Leute und verdeckte Ermittler in Fußball-Fanszenen", "Entwicklung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen von Fußballveranstaltungen" (hierzu Spiegel Online). Beide Dokumente lagen am 12.12. vor und schafften spätestens Gewissheit, dass hinter dem politischen Druck vor allem ein Versuch der Profilbildung seitens der Innenminister stand.
Eben diese Innenminister hatten schwer am NSU-Skandal zu knabbern und benötigten dringend Erfolgsmeldungen. Jahrelange Negativschlagzeilen und Entgleisungen wie der blutrünstige Platzsturm 12-jähriger Düsseldorfer versprachen leichtes Spiel: Eine Medienlandschaft, die geradezu nach verkaufsfördernden Fußballskandalen lechzte, musste als willfähriges Vehikel für die eigenen Absichten doch geradezu geschaffen sein. Intelligenzbefreite Forderungen nach Gesichtsscannern, Geisterspielen oder Nacktkontrollen schafften es tatsächlich bis auf die großen Titelseiten – Stammtische im ganzen Land johlten vor Freude, beim Axel Springer Verlag konnte man sich vor Lachen kaum noch auf den Stühlen halten. Dass die Herren Krawalljournalisten weniger mit, als vielmehr über die Innenminister gelacht haben dürften, mag da schon nicht mehr ins Gewicht gefallen sein. Schließlich, so wohl das Kalkül der Innenminister, gab es immer wieder einmal Berichte über Probleme mit rechtsextremen Fußballfans: Der heroische Einsatz für die Befriedung der Fußballstadien diente mittelbar also auch dem Kampf gegen rechts – und damit der gelungenen Beweisführung, dass man auf dem rechten Auge so gar nicht mehr blind sei und auf allen Ebenen entschieden gegen das braune Pack vorgehen werde.
Eine Handlungsabsicht, die man Rainer Wendt ebenfalls unterstellen dürfen sollte. Doch statt sich mit Lappalien wie Neonazi-Aufmärschen, der Rolle der Polizei rund um die NSU-Mordserie oder national-befreiten Zonen auseinanderzusetzen, kämpft der schillernde Präsident der Deutschen Polizeigewerkschaft, dem Slapstickeinlagen selten peinlich (Video) und Zusammenhänge nicht immer klar sind (Video), stets an vorderster Front gegen die brutalen Auswüchse unserer Gesellschaft. Als Fan des großen Aufschlags scheint ihm dabei keine These zu dumpf, als dass man sie nicht gegen irgendjemanden ins Feld führen könnte. Eine Auswahl (mit Dank an Wikipedia):
2008 handelte sich Rainer Wendt eine Rüge für sein „bedenkliches Verständnis der Grundrechte“ ein, weil er Kritiker des BKA-Gesetzes als „Karlsruhe-Touristen“ bezeichnet hatte. 2009 musste er eine Unterlassungserklärung unterschreiben, da er einer Sicherheitsfirma die Beschäftigung „etliche(r) Verbrecher“ unterstellt hatte – wie so oft im Leben des Rainer Wendt, ohne schlüssige Beweise vorlegen zu können. 2010 forderte Wendt im Zusammenhang mit den Demonstrationen um Stuttgart 21 „Waffen, die weh tun“, da polizeiliche Einsatzmittel nur unter dieser Prämisse zum Erfolg führen könnten. Ebenfalls 2010 bezeichnete Wendt den ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bundestags (es handelt sich dabei um das zweithöchste Staatsamt), Wolfgang Thierse, als „personifizierte Beschädigung des Ansehens des deutschen Parlaments“. 2011 legte Wendt noch einmal nach: Thierse sei „eine Schande für das deutsche Parlament. Ich schäme mich für seinen Vizepräsidenten. Er muß zurücktreten.“ Für diese Aussage erachtete unser Sicherheitssalamander gar das Haus- und Hofmagazin der Neuen Rechten, Junge Freiheit, als geeigneten Kommunikationskanal.
Überhaupt scheint Rainer Wendt keine großen Berührungsängste zu seiner Rechten zu kennen. Gummigeschosse gegen Demonstranten z.B. bei Anti-Nazi-Demos hielt er 2012 wie schon 2007 für eine tolle Sache. Und auch im Oktober 2011 keilte er in der Jungen Freiheit, diesmal unter dem Titel „Moderner Terror“, mit einem Gastautorenbeitrag gegen das „linksextreme Spektrum“: „Moderner Terror organisiert sich nicht in festen Bandenstrukturen, trotzdem ist er längst Realität. Die Politikthesen aus den Bekennerbriefen sind denen der RAF aus den siebziger Jahren ähnlich, kranke Geister fabulieren wirres Zeug. (…) Jetzt läuft die Verharmlosungsrhetorik aus dem Innensenat (Berlin, Anm. d. Verf.) wie geschmiert. (...) Sie warnt vor Überreaktion der Behörden, um die Täter nicht zu radikalisieren. Wie um alles in der Welt soll man diese Spießgesellen, die aus ihrer Bereitschaft, Menschenleben zu opfern, keinen Hehl machen, noch radikalisieren? (…) Politiker müssen unterstützen, statt unsere Arbeit zu behindern.“ Als das Oberverwaltungsgericht Koblenz Racial Profiling (also gezielte Kontrollen bei Menschen dunkler Hautfarbe) nicht als legitimes Polizeieinsatzmittel zugelassen hatte, verspottete Wendt das Gericht als "schöngeistig". Dieser kritischen Distanz zur deutschen Gewaltenteilung ließ Wendt 2012 im Nachgang eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts die offene Aufforderung zum Überkommen derselben folgen: „Es darf nicht sein, dass die Politik tatenlos zusieht, wie uns das Gericht die Hände bindet. (...) Die Ermittler sollten jetzt spähen, so viel es geht, sonst werden der Polizei später fehlende Ermittlungserkenntnisse vorgeworfen."
Bei einem normalen Fußballfan würden diese Aussagen als Beleg der politischen Gesinnung ausreichen und Forderungen nach einem mehrjährigen Stadionverbot nach sich ziehen. Um sich nicht dem Vorwurf der Doppelmoral aussetzen zu müssen: Wie sähe es denn aus mit einem Stadionverbot für Rainer Wendt? Harmlose Stadionbesucher vor gefährlichen Brandrednern zu beschützen, könnte man zumindest für sinnvoller halten, als sich im Fahrwasser solcher Spießgesellen zu bewegen.
Womit wir nach diesem kleinen Exkurs beim eigentlichen Problem angekommen wären: Dem kaputten Verhältnis zwischen Fans und Polizei, das in der Debatte um das Konzeptpapier „Sicheres Stadionerlebnis“ leider zu keinem Zeitpunkt angesprochen wurde.
Fans trauen Polizisten nicht mehr über den Weg und halten die Einsatzkräfte für die Inkarnation des Bösen. Obwohl die Beamten selbst meist wenig für ihren schlechten Ruf können – nur eine Minderheit der Stadionbesucher hat schon einmal persönlich unter ihnen zu leiden gehabt und regelmäßige Probleme treten fast ausschließlich bei solchen Fans auf, die in großen Gruppen zu Spielen anreisen –, stiegen sie in den letzten Jahren immer weiter zum Feindbild der Fußballfans auf. Falsche Einsatzplanung, falsche Ausbildungsroutinen, Uneinsichtigkeit der verantwortlichen Einsatzleiter, ständige Gerüchte über das Decken von Straftätern in den eigenen Reihen und Scharfmacher mit zu wenig Abgrenzung zum tiefrechten Spektrum, die von sich behaupten, im Namen „der Polizisten“ zu sprechen – die Einsatzkräfte vor Ort müssen die Suppe auslöffeln, die einige wenige ihnen einbrocken.
Doch auch die umgekehrte Feststellung ist leider eine wahre: Polizisten trauen Fans nicht mehr über den Weg und halten die aktiven Vereinsanhänger für die Inkarnation des Bösen. Obwohl die Fans selbst meist wenig für ihren schlechten Ruf können – nur eine Minderheit der Beamten hat schon einmal persönlich unter ihnen zu leiden gehabt und regelmäßige Probleme treten fast ausschließlich bei solchen Polizisten auf, die unter einem überforderten Einsatzleiter wirken –, stiegen sie in den letzten Jahren immer weiter zum Feindbild der Sicherheitskräfte auf. „Konspirative Anreisen“, Uneinsichtigkeit einzelner Fans, der immer wiederkehrende Einsatz von Pyrotechnik und ständige Gerüchte über das Decken von Straftätern in den eigenen Reihen – die Fans im Stadion müssen die Suppe auslöffeln, die einige wenige ihnen einbrocken.
Vorurteile und gefährliches Halbwissen gepaart mit einem gerüttelt Maß an eigener Verschlossenheit, gruppendynamischem Zusammenhalt und Jetzt-erst-recht-Mentalität – es ist ein gefährlicher Cocktail entstanden, der das Klima zwischen Beschützern und zu Beschützenden vergiftet hat. Natürlich ist dieser Zustand längst nicht bei allen Fans und allen Polizisten festzustellen, doch teilen eben ausreichend viele Vertreter das Gefühl, keine Rücksicht mehr auf die jeweilige Gegenseite nehmen zu wollen. Das führt so weit, dass sich Polizisten rund um deutsche Stadien nicht einmal mehr trauen, in ganz normaler Uniform ihrem Dienst nachzugehen – Einsätze ohne Helm und Protektoren sind undenkbar geworden. Geradezu grotesk, zeigten doch alleine die Dortmunder Fahrten nach London und Manchester, dass Polizisten selbst in ihrer Alltagsuniform keine Gefahr zu befürchten hatten und mit deutschen Fans ganz vorzüglich zurechtkamen.
Hätte man einen echten Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage rund um deutsche Stadien leisten wollen, wäre das Verhältnis zwischen Fans und Polizei der Schlüssel gewesen. Aufgabe der Innenminister aus Bund und Ländern wäre es gewesen, den Scharfmachern auf beiden Seiten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie hätten Fans und Polizisten an einen runden Tisch zitieren und noch einmal gemeinsam bei null anfangen können: "Alles aus der Vergangenheit ist mit diesem Gespräch vergessen und vorbei. Bestehende Stadionverbote und Meldeauflagen werden aufgehoben und es werden von keiner Seite mehr Vorwürfe an die Gegenseite geduldet. Stattdessen geben wir uns die Hand und klären Punkt für Punkt, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen und welches Verhalten wir voneinander erwarten können. Daran haben sich beide Seiten dann ohne Ausnahme zu halten."
Gerade das ist aber nicht passiert, obwohl die Fanszenen bundesweit auf beeindruckende Art und Weise zeigten, dass sie ernst genommen werden sollten. Mit einer beispiellosen Informationspolitik und vielen guten Hintergrundgesprächen ist es ihnen gelungen, Journalisten zum Nachforschen und Hinterfragen der zuvor hoch im Kurs stehenden Schreckensmeldungen zu bewegen. Ganze Stadien schwiegen dreimal über 12:12 Minuten, Fans unterschiedlichster Vereine demonstrierten gemeinsam auf friedliche und konstruktive Weise.
Es waren die Fans, die – bis auf wenige Ausnahmen – in einer hitzigen und bisweilen schmutzigen Debatte mit der Stimme der Vernunft sprachen: In sechs Wochen unterschrieben mehr als 74.300 Stadionbesucher das Statement „Ich fühl mich sicher“ und dokumentierten damit ihren Wunsch, die Diskussion um die Stadionsicherheit auf einem weniger krawalligen Niveau zu führen – von ihnen besitzen fast 41.000 eine Dauerkarte, fahren rund 46.700 zu Auswärtsspielen und nehmen über 16.200 ihre Kinder mit ins Stadion. Es waren die Fans, die Vereinen und Verbänden mit dieser klaren und starken Aussage den Rücken stärkten: Während sich Dr. Rauball noch über den großen Druck aus der Politik beschwerte, hatten die Fans die öffentliche Diskussion in eine andere Richtung gelenkt und der DFL das stärkste aller denkbaren Argumente in die Hand gedrückt. Und es waren die Fans, die das Angebot zum Schulterschluss mit Vereinen und Verbänden gaben: Sie lieferten DFB und DFL ausreichend Gründe, die eine Vertagung oder gar einen dialogbasierten Neuentwurf des Konzeptpapiers ehrenhaft und ohne Imageschaden ermöglicht hätten. Doch die DFL gerierte sich, als ob sie ihren Diamanten nicht in den Cola-Automaten bekommen könnte - oder wollte.
So hat am Ende eben nicht der professionelle Fußball gewonnen, sondern haben alle Beteiligten eine Niederlage erlitten:
DFB und DFL haben ohne Not den Bruch mit den Fanszenen riskiert. Sie wussten sehr konkret um die fehlende Gesetzgebungskompetenz der Politiker, wollten sich das eigene Hochglanzprodukt von diesen aber nicht länger kaputt reden lassen. Um nicht konkret werden zu müssen, wie es die Fans im Rahmen eines gemeinsamen Dialogs sicherlich gefordert hätten, einigten sie sich auf einen gummiartigen Kompromiss, der keinem richtig gefallen konnte. Das alles wäre vielleicht noch gar nicht einmal so schlimm gewesen, wenn die Verbände öffentliche Schuldzuweisungen an die Fans nicht über Monate hinweg geduldet, sondern radikale Scharfmacher wie Rainer Wendt in die Schranken gewiesen und sich deren Stellungnahmen mit Nachdruck verbeten hätten. Letzten Endes „Sicheres Stadionerlebnis“ mit den Worten zu verabschieden, der Dialog müsse nun weitergehen, empfanden viele aktive Fans als Tritt ins Gesicht – die Lust am Dialog, die auf Seite der Verbände zumindest nie deutlich geworden ist, dürfte nun auch den Fans bis auf weiteres vergangen sein. Zu allem Überfluss stellte sich Dr. Rauball gegen die eigene Fanszene und zahlte dafür den Preis, ihren Rückhalt als BVB-Präsident zumindest bis auf weiteres verloren zu haben.
Die Innenpolitiker aus Bund und Ländern haben sich verzockt. Das todsichere Ding, an den in medialen Misskredit geratenen Fußballfans ein Exempel zu statuieren und vom eigenen Versagen rund um den NSU-Skandal abzulenken, ist gescheitert. Uwe Schünemann, Ralf Jäger, Lorenz Caffier und Hans-Peter Friedrich haben mit billigem Populismus agitiert und wurden dabei ertappt. Sie stehen nicht nur mit heruntergelassener Hose auf öffentlichem Parkett, sondern haben sich mit einem Interessenvertreter verbündet, dessen bedenkliche Haltung gegenüber dem Grundgesetz schon des Öfteren kritisiert wurde und der nicht einmal davor zurückschreckt, am ganz rechten Rand auf Stimmenfang zu gehen.
Die Situation der Polizisten rund um die Stadien hat sich nicht verbessert. Sie sind weiterhin mit falscher Einsatztaktik unterwegs, nicht adäquat für den Umgang mit Fußballfans geschult und bilden den Prellbock, an dem sich die Wut der Fans über Populisten wie Rainer Wendt entlädt. Zudem stellen sich nun auch weite Teile der Öffentlichkeit die Frage, welche fragwürdigen Mittel „der Polizei“ alle recht sein mögen, um Risikoszenarien und eigene Einsätze zu rechtfertigen. Die übertriebene Darstellung der ZiS-Statistik und die unhaltbaren Schlüsse, die aus den dünnen Datensätzen gezogen werden sollten, waren ein Eigentor. Polizisten im Einsatz werden sich vermehrt kritische Fragen und Kommentare gefallen lassen müssen, so lange sie es zulassen, dass Lautsprecher wie Rainer Wendt in ihrem Namen auftreten und vor keiner noch so dumpfen Polemik zurückscheuen.
Die Ironie der Geschichte: Am besten stehen unter den Verlierern noch die Fans da. Denn inhaltlich hat „Sicheres Stadionerlebnis“ kaum etwas an der heutigen Situation geändert. Das schwammige Geschwurbel rechtfertigt keine Maßnahme, die nicht schon heute denkbar wäre – so stellt Union Berlin ganz richtig fest, dass sie den Mehrheitsentscheid der DFL-Mitglieder akzeptieren und an ihren Routinen rein gar nichts ändern werde. In manchen Fällen werden Fans sogar ein kleines bisschen besser gestellt, weil erstmals eine Möglichkeit besteht, Vertreter des eigenen Vereins zu potenziellen Vollkontrollen hinzu zu bitten. Auch wenn also der gewünschte Dialog mit den Verbänden nie zustande gekommen ist und viele Fans noch immer eine mächtige Portion Wut im Bauch verspüren – die Änderungen zwischen dem ersten Entwurf und dem letzten Endes verabschiedeten Maßnahmenpapier waren bemerkenswert und gingen ganz alleine auf den Einsatz der aktiven Fans zurück. Journalisten haben dabei ein neues Bild gewonnen: Die dauerbesoffenen Prolls und Hobbyschläger sind zu ernstzunehmenden Bürgern geworden, die belastbare und glaubwürdige Informationen liefern.
Es bleibt zu hoffen, dass dieses Verständnis nicht genauso schnell wieder verschwindet, wie es gekommen ist – mögen alle Beteiligten die besinnlichen Weihnachtstage nutzen und sich überlegen, welchen Beitrag sie zur Friedensschaffung leisten können.
SSC, 17.12.2012