Sehr geehrter Herr Jäger,
ich wende mich an Sie in der Hoffnung, nicht gleich verhaftet zu werden. Ich werde nämlich jetzt gegen das Wahlrecht verstoßen und öffentlich erklären, dass ich Sie gewählt habe. Nun ja, nicht Sie direkt, so verquer bin ich denn doch nicht, aber immerhin Ihre Partei. Das geschah teils aus traditionellen Gründen (Ruhrpott, Bergarbeiterfamilie etc. — haben Sie vielleicht schonmal was von gehört), andererseits aber auch, weil ich dachte, dass politisch doch etwas mehr geboten wird als erzkonservative Law&Order-Politik. Knapp daneben ist eben auch mal vorbei. Eigentlich kann ich mir keinen besseren Mann als Sie für den Job wünschen, den Sie erledigen müssen. Sie haben immerhin Pädagogik in Duisburg studiert. Und wenn ich mir Ihre Politik anschaue, wüsste ich nicht, wer in der Landespolitik besser aufgehoben wäre. Sie kennen anscheinend schließlich alle Fehler und Schwächen des Bildungssystems aus dem Effeff. Vielleicht ist nur die Ressortzuteilung etwas unglücklich verlaufen.
Sei es drum, momentan spreche ich Sie als Fußballfan an. Eins vorweg: Ich bin gerade nüchtern, das Feuerzeug liegt hier nur, um den spießigen Kamin anzuzünden und auch wenn ich manchmal denke, dass der eine oder andere eine saftige Ohrlasche verdient hätte (komischerweise beschleicht mich dieser Gedanke sehr häufig bei Polit-Talkshows), bin ich noch nie derartig tätig geworden. Raufereien auf dem Schulhof der Grundschule sind ja irgendwie obligatorisch und fallen unter den Tisch. Mit anderen Worten: Ich komme in Frieden. Und da geht es mir wie vielen Millionen anderen Menschen auch, die ein Fußballstadion besuchen wollen.
Offenbar sehen Sie und Ihre Kollegen das etwas anders. Warum sonst sollten Sie das Sicherheitskonzept, dass viele von uns als völlig inakzeptabel und über das Ziel hinaus geschossen erachten, noch als zu lasch empfinden und härtere Maßnahmen wünschen? Ich mache an dieser Stelle mal etwas, was scheinbar noch nicht viele Journalisten als Reaktion auf Ihre Äußerungen getan haben. Ich stelle eine kleine, kurze Frage:
Warum?
Warum sollen Stehplätze abgebaut werden? Warum sollen notfalls Ganzkörperkontrollen durchgeführt werden? Warum alles schärfer, intensiver und noch kontrollierter? Oder anders gefragt: Was hat sich im Fußball so massiv in den letzten Jahren verschlechtert?
Och bitte, kommen Sie mir jetzt nicht mit der ZIS-Statistik. Selbst der olle Churchill wird irgendwann müde, wenn man immer wieder seine Meinung zu Statistiken heranzieht. Und diese hier ist nicht einmal besonders gut gemacht. Man legt selbst die Einsatzstunden der Polizei höher, gleichzeitig steigt der Zuschauerzuspruch um fast den identischen Prozentsatz. Und in der Tat, auch die Zahl der festgestellten Straftaten steigt im gleichen Rahmen. Das ist so banal logisch, dass selbst ihre Doktoranden-Amtskollegen ihren Ghostwritern sowas zur Verwendung "Ihrer" Doktorarbeit verbieten würden.
Die Zahl der Verletzten steigt natürlich, analog zur Besucherzahl, auch. Welche Verletzungen eigentlich? Wenn ich auf der Stadiontreppe umknicke und den Sanitätsraum aufsuche, bin ich dann auch für eine steigende Anzahl geleisteter Polizeistunden verantwortlich? Und wird ein Unterschied gemacht zwischen zwei Gruppen, die zielgerichtet die Konfrontation suchen, und zwischen zwei Einzelpersonen, die sich bierselig gegenseitig was auf die Nase geben? Letzteres führt vermutlich an anderer Stelle zum Rauswurf aus der Kneipe, aber nicht zu einer Innenministerkonferenz.
Die Zahl der gewaltbereiten und gewaltsuchenden Fans steigt natürlich auch. Na klar. Wenn ich meinen Kontostand selbst schätzen dürfte, würde ich auch von Tag zu Tag reicher werden. Momentan ist es ja so, dass jedes Mitglied einer Ultragruppe automatisch zumindest als gewaltbereit eingestuft wird. Wenn ich also morgen einen Gruppenpulli überziehen würde, bin ich quasi über Nacht zum Gewalttäter geworden. Vielleicht sollte man mal den Hersteller dieser Pullover aus dem Verkehr ziehen. Da scheint irgendwas im Material zu sein, das die Aggressivität steigert. Wir sind hier einer ganz heißen Sache auf der Spur.
Sollten das Ihre Beweggründe sein? Ich hoffe doch inständig, dass sie das nicht sind. Dabei gebe ich gerne zu, dass vermehrt Pyrotechnik eingesetzt wird. Ich gebe auch gerne zu, dass in den letzten Monaten und Jahren einiges vorgefallen ist, das schlichtweg nicht akzeptabel ist. Wenn Busse gegnerischer Fans von der Autobahn abgedrängt oder fremde Fanprojekte angegriffen werden, dann ist das einfach ein großer Haufen Mist, der zu bestrafen ist. Aber letztere Fälle haben doch überhaupt nichts mit Stadionsicherheit zu tun. Da helfen keine Kontingentreduzierungen oder Platzverbote. Und zumindest im Fall des Kölner Angriffes auf den Gladbacher Bus haben doch die normalen Polizeiermittlungen zum Erfolg und zur Bestrafung geführt. Was will man da noch? Und die brennenden Bengalos. Ich gebe zu, dass ich sie optisch schön finde, mir das Tamtam um Pyrotechnik von allen Seiten aber schlichtweg nur noch auf die Nerven geht. Sie ist nicht entscheidend für meine Definition von Fankultur und ich verstehe die Vehemenz nicht, mit der man sie verteidigt und offensichtlich anderes bereit ist, dafür zu opfern. Ich verstehe aber auch nicht, warum man sie so dämonisiert und für leicht verquer denkende Menschen (wie es bei jungen Menschen nun mal so ist) noch attraktiver macht. Bloß nicht den roten Knopf drücken. Egal was ihr tut, drückt nicht den r.... oh, zu spät.
Sie sind sicher, dass es die Pädagogik und nicht die Podologie war, mit der Sie in Duisburg ihre Tage verbracht haben?
Ich kann mir schon denken, was jetzt kommt. Ob denn erst jemand sein Leben lassen müsse, bevor man einschreiten darf. Wäre ich Zyniker, würde ich darauf anworten, dass wir ja nur Fußballfans sind und keine Naziterrorzelle — die haben ja anscheinend zehn Freirunden. Ups, es liegt mir natürlich fern, andeuten zu wollen, dass man hier mit der Darstellung als Null-Toleranz-Sheriff das Versagen in anderen Dingen übertünchen will. Wenn man Opfer vermeiden will, muss man eben Opfer bringen.
Und da ist dann natürlich auch völlig klar, warum Ihr Mitreiter und -streiter von der schwarzen Partei in Niedersachsen Aussagen tätigt wie:
"Der Staatsanwalt gehört ins Stadion und nach meiner Ansicht nach auch der Richter. Damit es so schnell wie möglich zu Verurteilungen und Stadienverboten kommt."
Hui, das ist ja mal eine kernige Ansage. Aber kann es sein, dass Herr Schünemann da ein paar Dinge nicht ganz bedacht und/oder verstanden hat? Stadionverbote sind Mittel des Hausrechts. Das können Vereine verhängen, um gefährliche (Buh) Menschen aus dem Stadion fern zu halten. Es ist mitnichten eine Strafaktion. Bestrafung ist nämlich Sache der Judikative. Sie wissen schon, dieses nervige Ding von wegen Gewaltenteilung. Alles andere wäre nämlich gewissermaßen ein Aufruf zur Selbstjustiz.
Dann würde ich auch gerne bitten zu erfahren, wer den Vereinen das Geld gibt, um die Stadionkapazität zu verdoppeln. Wir haben da einen Richter, einen Staatsanwalt, einen Angeklagten und ein Verfahren. Fehlt da nicht noch jemand? Seien wir mal ganz verrückt, seien wir mal rechtsstaatlich. Hätte der Beschuldigte nicht auch Anrecht auf einen Rechtsbeistand? Und da ein derartiges Verfahren ja jeden treffen könnte, müsste in Zukunft eigentlich jeder Stadionbesucher seinen Rechtsanwalt mitnehmen. Vielleicht können Sie bei einem Ihrer nächsten Arbeitstreffen ja mal Ihren Amtskollegen meine Fragen weiterreichen. Und wenn Sie schon so freundlich sind, fragen Sie bei der nächsten Runde mit DFB und DFL doch mal nach günstigeren Kombitickets. Kinder unter sechs Jahren darf man in Dortmund ja auch verbilligt mit reinnehmen. Ich würde meine Anwältin auch bei mir auf dem Schoß sitzen lassen.
Ich weiß, das ist alles viel verlangt, aber ich baue auf Ihre Freundlichkeit und Ihren festen Willen, Ihrem Wahlvolk zu helfen. Das kommt doch eigentlich Ihrem ursprünglichen Auftrag viel näher, als immer nur „Druck" auf jemanden auszuüben, oder?
Zu guter Letzt möchte ich meinen Brief an Sie mit den Worten meiner Oma abschließen: Nur die allergrößten Kälber wählen ihre Metzger selber. Natürlich dürften Sie das gerne als Slogan bei der nächsten NRW-Wahl verwenden. Ich bin da nicht so.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.