Unsa Senf

Verirrt auf dem Dortmunder Weg

23.10.2012, 18:04 Uhr von:  Redaktion

Marco Raus und Robert Lewandowski sind nach Abpfiff bedientMal wieder ein verlorenes Derby. Mal wieder eines, dass an frühere Zeiten erinnerte. Als Derbys in Serie verloren gingen und unser Fußballspiel regelmäßig zum Davonlaufen war. Wisst Ihr noch, wie sich das angefühlt hat? Damals. Als die letzten beiden magischen Spielzeiten noch verrückte Sehnsuchtsfantasien einer leidgeprüften Fanseele schienen? Mittelmaßfußball von Spieltag zu Spieltag. Fehlpassfestivals vor und „Ärmel hochkrempeln“-Bekenntnisse nach Abpfiff. Überhaupt: Pfiffe!

Als man schon während des Spiels alle eigenen Spieler bis hinab in die Hölle verdammen konnte, ihre Leistung anhand von Besoldungsgruppen maß und sich zur Spiel“analyse“ im Nachhinein über die schlechte Leistung auf dem Platz noch genauso schön aufregen konnte wie über die schlechte Stimmung auf der Tribüne. Als man noch ungerecht über andere - Spieler, Trainer, Mitfans – urteilen konnte, um sich wenigstens ein bisschen besser zu fühlen. Und den eigenen Schmerz weniger intensiv. Es waren herrliche Zeiten im Vergleich zu dem begeisternden und mitreißenden Fußball, den Borussia uns in den letzten Spielzeiten anbot.

Ein zerbrechliches Glück

Zu viel Heititei, zu viel gute Laune. Spieler, die sich scheinbar mit dem Verein identifizieren und die ein tolles Mannschaftsgefüge aufgebaut haben, bei dem jeder Außenstehende neidisch wird und Lust verspürt, auch ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Funktionäre, die dem Verein eine solide Struktur und wenig Angriffsfläche geben. Emotion gepaart mit Sachverstand und Sachlichkeit. Was soll das? Wer will sowas? Also langfristig? Fußball war doch immer schon eine Sache, deren Reiz sich über die Unwägbarkeiten des Spiels und die Leidensfähigkeit der Fans definierte. Wie viel Erfolg hält ein Fanherz auf Dauer aus, bevor es stumpf wird?

Ja, wir haben uns ungläubig vor Stauen die Augen gerieben. Das sollte unsere Borussia sein? Runderneuert und aufgehübscht. Wir haben uns gefreut und es gierig aufgesogen. Endlich wurden wir wieder vom Glück begünstigt. So wie wir es eigentlich schon immer verdient hatten. Wie Phönix aus der Asche vor wenigen Jahren erst der Düsseldorfer Pathologie entstiegen, rockten wir die Bundesliga und zeigten es allen. Das Westfalenstadion unsere Festung. Die Eventfans kehrten zurück, wir waren immer ausverkauft und stimmgewaltig. Nicht bei jedem waren sie erwünscht, doch wir nahmen sie mit: „Deutscher Meister steh auf!“ Die Fans auf den Tribünen vereint im Gleichklang mit der Mannschaft auf dem Platz – alle besoffen vor Glück und im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten. Ein zerbrechliches Glück. Wir wussten es.

Alle hatten sich lieb. Es war fast unheimlich. Wir fragten uns, wann wird das alles ein Ende haben? Wann zahlen wir die Zeche dafür? Die Wehmut am Ende der Saison, dass alles einmal zu Ende gehen wird, ich spüre sie heute noch. Sie wandelt sich langsam zur Gewissheit, dass unser Sommermärchen nun vorbei sein könnte und es auch in Dortmund wieder kältere Tage geben wird.

Jubelnde Blaue im WestfalenstadionVielleicht auch gut, dass es jetzt so gekommen ist, wie es gekommen ist. Dass es unbedingt das Derby sein musste, dass den Scheidepunkt symbolisiert. Derbyniederlagen schmerzen mehr als alles andere. Aber ehrlich: Welches Spiel wäre besser geeignet dazu, unsere Aufmerksamkeit ganz auf uns selbst zu fokussieren? Denn wir stehen an einer Weggabelung. Wir sind dabei, unseren Weg, den Dortmunder Weg zu verlassen. Wohin gehen wir? Folgen wir den altbekannten und ausgetretenen Pfaden, die uns glauben machen wollen, dass es überall, wo es bergauf geht, auch irgendwann wieder bergab gehen muss? Dass nach großem Glück zwangsläufig großes Leid folgen muss? Oder wagen wir wieder etwas Neues?

Wie vertraut uns der alte Weg ist, hat man nach dem Spiel am Wochenende gemerkt, als wir ohne Schwierigkeiten wieder in unsere alten Verhaltensmuster der Selbstzerfleischung und gegenseitigen Schuldzuweisungen zurückgefunden haben. Es zeigt uns, wie unsicher der Weg des neuen BVB noch ist, wie zerbrechlich das fragile Gebilde der Borussia-Familie. Fast schon zynisch, dass es unsere eigenen Farben waren, die uns vor Augen gehalten, das auslösen konnten.

Plötzlich sind nicht mehr alle Spieler auf dem Platz gut genug, plötzlich fehlt es an Entwicklung, plötzlich ist der vor der Saison als besonders breit gelobte Kader genau dies nicht mehr. Plötzlich macht sogar der Über-Trainer Fehler. Und plötzlich haben wir endlich wieder Grund, uns über die Selbstdarsteller-Ultras zu ereifern, die wir eigentlich noch nie mochten und noch weniger gebraucht haben.

Wir haben in den letzten Jahren unter Jürgen Klopp schon eine Menge Neuland betreten – und bisher sind wir damit außerordentlich gut gefahren. Wovon wir in der Vergangenheit am meisten profitiert haben, ist seine andere Sicht- und Herangehensweise an die Dinge. Es ist ihm wie keinem anderen gelungen, in diesem Verein ein Miteinander statt dem gewohnten Neben- oder Gegeneinander zu schaffen. Das war in der letzten Zeit unsere große Stärke und das sollten wir nicht leichtfertig aus der Hand geben.

Wir alle waren überfordert

Egal, ob Götze oder Großkreutz spielt, ob wir mit TU oder ohne sie auf der Tribüne stehen. Sie alle machen Borussia in diesem Tagen aus. Ist es nicht völlig egal, warum der ein oder andere mal ausfällt oder einen schwachen Tag erwischt? Wir brauchen jeden von ihnen und leider ist es uns in diesem Derby nicht gelungen, sie adäquat zu ersetzen. Auf dem Feld nicht und auch nicht auf der Tribüne. Man mag zu der Einstellung der Gruppe The Unity und zu Ultra im Allgemeinen stehen, wie man will. Sie haben eine Entscheidung getroffen. Sie ist ihnen sicher nicht leicht gefallen und vielleicht war es auch die falsche, das geben sie heute ganz offen selbst zu. Ich hätte mir gewünscht, sie wären geblieben und hätten sich der Situation anders gestellt, als dass sie den ausgetretenen Ultra-Pfaden folgen. Aber letztendlich bleibt, dass sie sich nicht in der Lage gesehen haben, weiter ihren Part auf der Tribüne auszufüllen und letztlich gegangen sind. Die Süd war darauf ebenso wenig vorbereitet wie die Mannschaft auf die Kloppsche Taktikumstellung und die Ausfälle gleich vierer Leistungsträger. Wir alle waren dementsprechend überfordert. Für dieses Mal.

Südtribüne mit Ultras in AktionSüdtribüne mit schweigenden UltrasBeim nächsten Mal sind wir gewappneter. Dann machen wir es dem Gegner nicht wieder so einfach, uns zu schlagen. Mit gegenseitigen Anfeindungen gewinnen wir dabei aber ganz sicher keine Spiele. „Hey, ich sing für Dich, wenn Du grad nicht kannst“ sollte für uns genauso selbstverständlich werden wie das „Hey, ich lauf für Dich“ auf dem Platz, dass uns die Mannschaft in der letzten Zeit so wunderbar vorgelebt hat. Die wird ihren Dortmunder Weg weitergehen, dessen bin ich mir sicher. Auch wenn sie im Moment selbst noch ratlos scheint, wo der Weg sie hinführen wird. Doch Rückschläge gehören eben dazu in einer Entwicklung. Man lernt nicht daraus, dass man von Erfolg zu Erfolg eilt. Man lernt aus dem Ausbleiben des Erfolgs und aus den eigenen Bemühungen, zurück in die Spur zu kommen.

Jürgen Klopp wird das mit seinen Jungs gemeinsam hinbekommen. Mein Gott, wir haben dort unten auf dem Grün noch immer eine unfassbar talentierte Truppe, noch immer erst am Beginn ihrer Entwicklung. Da ist noch so viel möglich, aber wir alle brauchen auch Geduld und Vertrauen in die Jungs. Das sind wir ihnen schuldig nach den letzten Jahren. Panik und Ungeduld sind ganz sicher die schlechtesten Ratgeber, auch wenn man dem BVB sicher schon bald handfeste Probleme und eine große Krise einreden möchte und auch wenn schon heute urplötzlich in Frage gestellt wird, was vier Jahre lang den großen Erfolg dieser neuen Borussia ausgemacht hat.

Und wir Fans? Die Ultras? The Unity als größte Gruppe hat sich immer gesehen als Vertreter des Dortmunder Wegs. Als eine Gruppierung, die nicht jedem Ultratrend hinterher läuft und auf Teufel komm raus den Wettstreit mit anderen Gruppen sucht. Eine Gruppierung, die den Verein tief im Herzen trägt und für die der BVB über allem steht. Die Zeit wird auch zeigen, ob man diesen Weg weiter gemeinsam mit anderen Dortmundern oder mit anderen Ultras gehen will.

Niemandem ist damit geholfen, den Frust an der Polizei oder an den Mitarbeitern im eigenen Stadion abzulassen. Ausschreitungen und Randale unter der Süd sind das letzte, was wir brauchen!
Gerade in dieser Zeit, wo alle Welt nur auf den nächsten Fehltritt von Fußballfans wartet, sind solche Zeichen verheerend. Und ganz nebenbei: Die Blauen sind es doch gar nicht wert, sich selbst derartige Schwierigkeiten zu bereiten.

Wir sind Borussia. Wir sind Dortmund. Und wir gehen unseren Weg, weil wir von ihm überzeugt sind. Auf und neben dem Platz. Das war in der Vergangenheit so und so sollte es auch in der Zukunft sein.

Ramona, 23.10.2012

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