Der BVB und Reus - passt das? Pro und Contra
Da schlug sie ein, die Transferbombe: Urplötzlich explodierten sämtliche soziale Netzwerke, Sportseiten und unser Forum - Marco Reus hatte Eberl und Favre erklärt, ab Sommer nicht mehr für den VfL aus Mönchengladbach zu spielen, sondern stattdessen seine Vertragsoption zu ziehen und bei der Borussia aus Dortmund anzuheuern - für 17.100.000 Euro. Freude und Skepsis gehen dabei Hand in Hand und auch unsere Redaktion ist sich nicht einig, was man davon zu halten hat. Pro und Contra!
Pro Reus
17.100.000,00 Euro ist natürlich ein riesiger Betrag, keine Frage. Bei unserer jüngeren Vergangenheit ist da eigentlich jede Skepsis angebracht. Eigentlich. Mir fallen seit der Verpflichtung Jürgen Klopps nämlich kaum Argumente ein, die gegen diesen Transfer sprechen. Marco Reus ist gebürtiger Dortmunder, wurde gar in der eigenen Jugend ausgebildet und befindet sich mit 22 Jahren im perfekten Alter für eine Verpflichtung, die der aktuellen BVB-Philosophie entspricht - trotz der hohen Ablöse. Es stimmt zwar, dass der BVB zuletzt meist mit "jungen, günstigen Spielern" für Aufsehen gesorgt und gar eine Meisterschaft gewonnen hat, ein wahres Schnäppchen stellte bei den Einkäufen aber lediglich der Japaner Shinji Kagawa dar. Egal ob Mats Hummels, der für mehr als vier Millionen Euro vom FC Bayern kam und vor seiner Leihe nur ein einziges Bundesligaspiel aufweisen konnte, Neven Subotic, welcher ebenfalls nur mit einem einzigen Bundesligaspiel auf dem Buckel für mehr als vier Millionen Euro aus Mainz kam, oder Sven Bender, der mit 1860 München im Mittelfeld der zweiten Bundesliga kämpfte und gegen Antonio Rukavina ausgetauscht wurde - all dies sind Transfers von jungen, aufstrebenden Spielern, die nicht wirklich günstig waren und deshalb ein gehöriges Risiko bedeuteten. Gerade Hummels und Subotic kamen in einem Jahr, das finanziell durch die weltweite Finanzkrise für Borussia alles andere als rosig aussah, zumal man zuvor zwar ins Pokalfinale kam, aber im UEFA-Cup keine Runde überstand und auch nur durch den Tausch Zidan/Petric nennenswerte Transfereinnahmen erwirtschaftete.
Der BVB geht also schon seit Klopps Verpflichtung finanzielle Risiken ein und gibt nicht gerade wenig Geld auf dem Transfermarkt aus. Eine Abkehr von der bisherigen Philosophie ist also nur insofern zu erkennen, dass mit Reus erstmals ein Spieler verpflichtet wird, dem man keine Eingewöhnungsphase zugestehen muss und der das Team nicht nur in der Breite stärken soll - Reus ist eine absolute Verstärkung in der Spitze des Teams. Und dass man dafür mittlerweile wieder richtig Geld in die Hand nehmen muss, ist in erster Linie vor allem ein Verdienst von Klopp, Zorc und Watzke. Die Zeiten, in denen man die Mannschaft nur mit Transfers um die 5 Millionen Euro-Marke qualitativ aufwerten konnte, sind nun mal vorbei, wenn man Spieler wie Götze, Bender und Hummels auf dem Feld hat. Dies hat der letzte Sommer bewiesen, seit dem sich weder Perisic noch Gündogan vollständig festspielen konnten, weil die vorhandenen Spieler dann doch stärker oder besser in das Spielsystem integriert waren. Da man mit dem Abschneiden in der Champions-League gerade auch auf Seiten der sportlichen Führung sicher nicht zufrieden ist, muss man an dieser Stelle einfach in die Leistungsspitze investieren, statt ewig nur die Bank zu stärken.
Außerdem dürfte der BVB mittlerweile wieder gesund genug sein, sich auch einmalig einen Transfer dieser Größenordnung erlauben zu können. Neben den Einnahmen aus der Champions-League und Transferüberschüssen hat Borussia im abgelaufenen Jahr sicher einen massiven Zusatz an Sponsoring- und Merchandise-Einnahmen generiert, mit denen einfach nicht zu rechnen war. Außerdem ist es scheinheilig, den Transfer Leo Bittencourts von Energie Cottbus, der ohne jedweden Beweis seiner Bundesligatauglichkeit für mehr als drei Millionen Euro geholt wurde, zu loben, im Gegenzug aber die ungleich höhere Summe bei Reus zu verurteilen, obwohl dieser quasi im Alleingang für den Höhenflug der Gladbacher verantwortlich ist. Dazu sind durch auslaufende Verträge (Kringe, Zidan, Owomoyela, da Silva, Kehl) und eventuelle Transfers (Kuba, Barrios, Kagawa) noch mehr als genug "Reserven" im Gehaltsbudget und Gelder auf der Einnahmenseite generierbar.
Darüber hinaus wünsche ich mir einfach ein wenig mehr Vertrauen in die handelnden Personen. Natürlich haben wir vor gar nicht allzu langer Zeit ein Tal durchschritten, welches unsere geliebte Borussia fast ausradiert hätte, aber im Gegenzug haben uns Zorc, Watzke und nicht zuletzt Klopp auch wieder an die Spitze des deutschen Fußballs geführt. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Marco Reus nicht gekauft hat, um dem FC Bayern zu beweisen, dass man mithalten kann, wo man doch nahezu gebetsmühlenartig betont, der FC Bayern sei klarer Meisterschaftsfavorit und nicht unsere Kragenweite. Man wird Reus nach langen, intensiven Gesprächen und Gedankenspielen verpflichtet haben, in die man sämtliche Komponenten sportlicher und finanzieller Sicht hat einfließen lassen. Solang die sportliche Leitung des Vereins, die uns letzte Saison erst die siebte Deutsche Meisterschaft beschert hat, aus diesen drei Männern besteht und weiterhin für bedingungslosen Einsatz und kontinuierliche Verbesserung und Entwicklung von Team und Verein steht, ist mein Vertrauen groß genug, um auch Transfers solcher Größenordnungen nicht zu verurteilen, bevor der Spieler auch nur ein Spiel für uns bestritten hat. Denn genau wie viele von uns letztes Jahr forderten, man solle Perisic und Gündogan erst mal etwas Zeit geben, so wird auch Reus hier erst mal seine Schuhe schnüren müssen, ehe man seinen Transfer verteufeln kann.
Contra Reus
Zu allererst und vorne weg, der Spieler Reus ist ein klasse Fußballer und funktioniert großartig in Gladbach. Auch wir bekamen das schon im eigenen Westfalenstadion zu sehen und zu spüren. Mit 22 Jahren spielt Marco Reus eine fast unglaubliche Saison, er bringt Spielverständnis, Schnelligkeit und Technik mit, es ist also kein Wunder, dass er Borussia nun aufgefallen ist. Doch eben nicht nur Borussia - sondern auch dem einen oder anderen Verein. Sicher ist das Interesse der Bayern und wenn man den Medienspekulationen glauben mag, hatten auch schon erste europäische Clubs ein Auge auf das Talent geworfen. Man kann natürlich streiten, ob Marco Reus oder überhaupt ein Fußballer die kolportierten 17 Mio. € wert ist – in Anbetracht von Hungerkatastrophen und Kinderarmut in Deutschland, kann einem der alltägliche Geldwahnsinn im Profifußball sowieso schon nachdenklich machen. Doch Fußball ist nun mal Geschäft und für diese Sphären ist Marco Reus wohl gar nicht so teuer. Viel mehr scheint er durch die feste Ablösesumme ein recht gutes Geschäft aus Preis und Leistung zu sein. Insofern war es nicht verwunderlich, dass sein Name jede zweiten Tag mit neuen Vereinen in Verbindung gebracht wurde.
Doch nun hat sich der Dortmunder Jung für die schwarzgelbe Borussia aus seiner Heimat entschieden. Das ist im Grunde erfreulich, zeigt es doch, dass das Dortmunder Konzept zu überzeugen weiß, denn rein monetäre Gründe wird dieser Wechsel wohl kaum haben. Dennoch fließen rund 17 Mio. € an den Niederrhein und auch Marco Reus und sein Berater werden nicht nur nen Appel und nen Ei dafür bekommen, dass sie nun hier ihre Zelte aufschlagen. In der Summe stößt man also in Sphären vor, die man in Dortmund seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Sphären, und da sind sich wohl alle einig, die, für einen Verein, der jahrelang im Mittelfeld der deutschen Liga dümpelte und zum jetzigen Zeitpunkt mit den viel spekulierten Spielerverkäufen noch keine einzige müde Mark verdient hat, an die Grenze des Machbaren gehen. Daher muss dieser Transfer aus der Kasse gestemmt werden, die man zur Zeit hat. Ein Vorgriff auf kommende Einnahmen wäre nämlich genau der kaufmännische Irrsinn, den Niemeier in Dortmund jahrelang praktizierten und so etwas traut wohl keiner unsere aktuellen Vereinsführung zu. Im Moment ist nämlich kaum vorstellbar, woher diese Einnahmen kommen sollten. Dem Vernehmen nach plant Mario Götze nicht, kurzfristig den Verein zu verlassen und auch von den anderen jungen Leistungsträgern hört man keine solche Verlautbarung. Der einzige Wechselwillige scheint zur Zeit Lucas Barrios zu sein, doch richtig viele Interessenten hat er aus dem Weihnachtsurlaub nicht mitgebracht, ob man also 10-12 Mio. Euro für ihn erlösen kann, muss sich erst noch zeigen.
Kommt man also zurück auf die 17 Mio. € + X, so ist das für Borussia Dortmund eine sehr große Summe - eine riesige Summe sogar. Eine solche Summe schließt weitere Transfers im Sommer fast gänzlich aus. Man setzt also alle Jetons auf ein Pferd und geht damit ein recht risikoreiches Spiel ein. In diesem Spiel kann man sicherlich einiges gewinnen, aber eben auch sehr viel verlieren. Investments im Fußball sind immer mit einem erheblichen Risiko behaftet und gerade deshalb erscheint es schon sehr wagemutig, alles und so viel auf einen Spieler zu setzen. Fußball ist schnelllebig und Jürgen Klopp und Michael Zorc sind nicht unfehlbar. Das mag den einen oder anderen Leser nun überraschen, aber alle beide können daneben liegen. Auch das viel gefeierte Duo Schaaf und Allofs zeigte in den letzten Jahren, dass sie Fehler machen und mittlerweile knarscht es bei den sonst so nüchternden Bremern doch gewaltig im finanziellen Gebälk, trotz etlicher Champions-League- und Europa-League-Teilnahmen in den vergangenen Jahren.
Michael Zorc kann sich selber wohl noch am Besten erinnern, wie er runtergemacht und angefeindet wurde. Auch wenn man die Niemeier'sche Zeit außer acht lässt, gab es in Zorcs Amtszeit einige Transferperlen und Trainerwechsel. Jürgen Klopp befand einen Toni da Silva für gut genug, Borussia Dortmund zu helfen - außer einem klasse Pass und einem Freistoßtor ist da allerdings nicht viel Verwertbares rausgekommen. Ein Jürgen Klopp befand übrigens auch Nuri Sahin für zu leicht und wollte ihn abgeben, zum Glück fand sich keine „Dummer“, der das türkische Talent kaufen wollte. Schlussendlich ist es keine gottgegebene Tatsache, dass Marco Reus in Dortmund funktioniert, wie er es in Mönchengladbach tut. Er wäre nicht das erste Talent, dass mit vielen Vorschusslorbeeren beim neuen Verein scheiterte.
Borussia Dortmund ist auf jeden Fall nicht der Verein, der im Fall der Fälle nachlegen könnte. Übrigens auch nicht, wenn sich Reus verletzt; man erinnere nur an einen gewissen Hasan Salihamidzic, der mit einem Allerweltsfoul den Dortmunder Kapitän Sebastian Kehl für fast ein Jahr auf Eis legte. Von daher zieht auch das Argument kaum, man müsse sich auf den Augenblick vorbereiten, wenn Götze geht. Das ist arg fadenscheinig, denn ob Götze überhaupt geht, weiß man heute noch nicht. Lars Ricken war auch mal das Talent des deutschen Fußballs, bis der Körper nicht mehr so wollte. Am Ende hat Ricken ausschließlich für Borussia Dortmund gespielt. Gleichzeitig ist es auch recht vermessen, einen Götze oder Sahin gleichwertig ersetzen zu wollen. Beide Spieler sind Wahnsinnstalente, bei denen wir uns glücklich schätzen können, sie überhaupt in so kurzer Zeit hintereinander und nebeneinander in unseren Farben spielen gesehen zu haben. Natürlich gebührt da auch ein Lob an die Dortmunder Jugendabteilung, aber es gehört eben auch eine große Portion Glück dazu. Diese eins zu eins ersetzen zu wollen, erscheint mir dann doch etwas vermessen; das sind Ansprüche für Vereine, die finanziell auf einem anderen Level agieren als Borussia Dortmund und seit die Scheichs und Russen sich einmischen, steigt dieses Level sogar noch an.
Zusätzlich sendet eine solche Verpflichtung zweifelhafte Signale. Im Umfeld von Borussia ist nun wieder eine Schadenfreude zu spüren, die an längst vergangene Zeiten erinnert – man hat es den Bayern wieder gezeigt. Eigentlich hätte man in Dortmund etwas mehr Demut erwarten können, denn nach 2003 musste man schmerzhaft lernen, dass man die Bayern nicht dauerhaft übertrumpfen kann. Welche Signale die Verpflichtung nach innen in Verein und Mannschaft sendet, kann man von außen schwer beurteilen. Aber welche sollten das schon sein? Fast jeder in Dortmund rechnet damit, dass Götze spätestens in zwei oder drei Jahren geht; auch dass ein Hummels, Subotic, Bender und Schmelzer hier alt werden, scheint kaum wahrscheinlich, wenn sie ihre gezeigte Entwicklung so fortsetzen. Marco Reus schlägt nun in die gleiche Kerbe, er selber sieht Dortmund als den nächstbesten Schritt in seiner Karriere, folglich ist bei ihm das gleiche Spielchen wie bei den anderen Jungstars zu erwarten.
In meinen Augen lassen all diese Punkte das Risiko mit über 17 Mio. € zu hoch erscheinen, um sich mit dem Transfer zum jetzigen Zeitpunkt anzufreunden. Viel mehr sollte man akzeptieren, dass Borussia Dortmund nach den Bayern eben nur einer unter vielen ist und durch Geduld, ernsthafte Jugendarbeit und ein professionelles Scouting hin und wieder mal belohnt wird, man aber keine Abonnement auf einen Europa- oder Champions-League-Platz hat bzw. haben muss. Gerade diese gefährliche Denke verstärken solche Transfers, Reus selber spricht von einem Verein, "der um die Meisterschaft mitspielt" und ihm "die Garantie gibt, in der Champions League zu spielen". Das ist gefährlicher Irrglauben. Wirtschaftlich und sportlich sind wir nicht bedeutend größer als die blauen Nachbarn, die Hamburger oder Stuttgarter – wir waren nur letzte Saison erfolgreicher. Das wird nicht immer so sein und erzwingen kann man es auch nicht.
NeusserJens und mrg, 05.01.2012
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