Aura der Unbesiegbarkeit
Zugegeben, die letzten drei Spiele gegen Nürnberg, Leverkusen und Berlin werden nicht in die Top Ten der schönsten Spiele unserer Borussia eingehen. Es waren eher drei Arbeitssiege, bei denen zumindest in Berlin auch ein gehöriges Quentchen Glück dabei war. Dennoch sind sie wichtig bei der Beantwortung der Frage: Was kann der BVB? Die Antwort ist ziemlich eindeutig, er kann alles. Die Borussia beherrscht ein wunderbar anzusehendes Kombinationsspiel ebenso wie das harte, leidenschaftliche Arbeitsspiel. Das Ergebnis einer Mischung aus harter Trainingsarbeit und einem enormen Selbstbewusstsein.
Natürlich, wer seit 16 Spieltagen nicht mehr verloren hat, der ist selbstbewusst. Aber das gesamte Zahlenmaterial seit Beginn der letzten Saison ist mehr als beeindruckend. Wer alle 56 Bundesligaspiele besucht hat, der durfte 38 Siege und 114 Tore unserer Borussia bewundern. Im Schnitt holen wir 2,2 Punkte pro Spiel, schießen 2,03 Tore und kassieren selbst nur 0,67 Gegentore. Gerade einmal 8 Mal sind wir als Verlierer vom Platz gegangen. Unsere Jungs haben das, was die Bayern so gerne hätten: eine Aura der Unbesiegbarkeit. Auch wenn die Mannschaft niemanden unterschätzt, der Gegner hat mehr Angst vor uns, als wir vor denen.
Diese erarbeitete Siegermentalität ist umso erstaunlicher, wenn man sich die Rahmenbedingungen anschaut. Der überragende und dominierende Spielmacher der letzten Saison hat uns Richtung Real Madrid verlassen. Es gab nicht wenige, die sich gefragt haben, wie man diesen Verlust kompensieren kann. Die Mannschaft hat die Last einfach auf mehreren Schultern verteilt und Sahins Weggang innerhalb von sechs Spielen zu Saisonbeginn ausgeglichen. Zum Ende der Hinrunde sind verletzungsbedingt mit Subotic, Bender und Kehl wichtige Defensivspieler ausgefallen. Der Rest hat die Ärmel hochgekrempelt, ist einfach zwei Schritte mehr gelaufen und war sich nicht für ein Mehr an Drecksarbeit zu schade. Kaum waren diese Spieler wieder einsatzbereit, sind mit Götze und später auch Kagawa technisch hochbeschlagene Offensivkräfte ausgefallen. Und wieder konnte man das im Kollektiv ausgleichen.
An dieser Stelle drängt sich erneut der Vergleich zum selbsternannten Platzhirschen auf Lebenszeit aus München auf. Der Ausfall von Schweinsteiger Mitte der Hinrunde bedeutete auch gleichzeitig das Ende des befürchteten Durchmarsches durch die Bundesliga. Ein prägender Spieler, ohne Zweifel. Aber im modernen Fußball ist es eigentlich unverzeihlich, dass man so von einer einzigen Personalie abhängig und die Dominanz von einen Tag auf den anderen wie weggeblasen ist. In der Rückrunde dann mit Arjen Robben die nächste Baustelle. Nicht fit, nicht effektiv und niemand da, der es ausgleichen konnte. Ob Thomas Müller jetzt das Allheilmittel auf dieser Position ist, wird sich auch noch zeigen.
Unsere Mannschaft hat tiefe Einschnitte in die spielerische Ausrichtung, eine kleine Ergebnisdurststrecke zu Saisonbeginn und personelle Ausfälle in beeindruckender Art und Weise weggesteckt. Dieser Gleichmut gegenüber schwierigen Aufgabenstellungen ist an sich schon bewundernswert. Richtig außergewöhnlich ist jedoch, dass sie dabei nicht nur Löcher stopft und in ihrer Entwicklung stehen bleibt. Sie entwickelt und lernt immer weiter. Wenn wir in der letzten Saison und zu Beginn dieser Saison Probleme hatten, dann mit Gegnern, die sich auf unser System eingestellt und es effektiv bekämpft haben. Mittlerweile kann die Mannschaft umstellen und den Gegner vor ein neues Problem stellen. Sind die Offensivkräfte gebunden, kann aus der Abwehr heraus das Spiel gemacht werden. Gibt es dort Probleme, wird eine Offensivkraft zurück beordert und auf eine Dreierkette bei Ballbesitz umgestellt. Wenn auch bei manchen Spielen die Brillanz und die technische Perfektion der Vorsaison fehlt, spielerisch hat unsere Elf an Tiefe gewonnen und bietet sogar mehr Facetten als die Meistermannschaft.
Sie lernt auch, wie sie mit einer Führung umzugehen hat. Bei zwei der drei Unentschieden der letzten 16 Spiele gegen Gladbach und Lautern haben wir jeweils 1:0 geführt und den Ausgleich kassiert. Vielleicht auch, weil man das zweite Tor nachlegen und den Sack unbedingt zu machen wollte. Gegen Leverkusen und in Berlin ist man da schon viel cleverer zu Werke gegangen. Otto Rehagel hätte, wenn er schon am Samstag auf der Bank gesessen hätte, viel Spaß am Verhalten unserer Borussen nach der Führung gehabt. Seine propagierte „kontrollierte Offensive" fast in Perfektion. Man sucht zwar weiterhin Gelegenheiten, um das zweite Tor nachzulegen, aber dosiert. Und zwar so genau dosiert, dass es nicht zu Lasten der Defensive geht. Nach der Führung hat man dem Gegner keine ernsthafte Gelegenheit zum Ausgleich gelassen.
Die Mannschaft weiß, dass sie für alles eine Antwort hat und geht mit gestellten Problemen gelassen um. Mit dieser Einstellung ist sie momentan wirklich fast unschlagbar.
Es ist unfassbar spannend, diese Borussia zu begleiten. Innerhalb von drei Jahren hat sie eine Entwicklung genommen, die so groß und so umfassend ist, dass es auch heute noch kaum zu begreifen ist. Medial wird da gerne von den „jungen Wilden" gesprochen, aber diese Einschätzung geht meilenweit am Kern der Sache vorbei. Das Gros der Spieler ist tatsächlich jung, aber alles andere als wild. Technisch und taktisch auf Spitzenniveau ausgebildet. Sie verbinden in Perfektion das, was Jürgen Klopp gerne flappsig als „Spaß am Kicken" bezeichnet, mit Disziplin und Abgeklärtheit. Eine Mannschaft, die mit ihrer Reife eigentlich ihrem Altersschnitt um drei bis vier Jahre voraus ist. Und dabei immer noch formbar und wissbegierig.
Wenn Klopp dann davon spricht, dass man in der Entwicklung noch nicht am Ende sei, ist das für uns Fans ein süßes Versprechen. Für alle anderen Vereine eher eine erschreckende Vorstellung. Freuen wir uns einfach auf den weiteren Weg. Keiner kann uns halten.