Es brennt
Rauch und Feuer in den Fanblöcken waren ein häufiges Bild in der abgelaufenen Hinrunde, und es spricht nicht viel dafür, dass die Rückrunde anders aussehen könnte. Die Situation rund um das Thema Pyrotechnik ist problematisch und festgefahren. Die Verantwortung dafür tragen jedoch nicht nur die „unverbesserlichen Chaoten“ mit ihrer Zündelei, sondern zu einem großen Teil eben auch Deutscher Fußball-Bund und die Deutsche Fußball Liga, deren unsägliches Vorgehen einen prima Nährboden für die Eskalation bereitet und deren Kommunikationsverhalten derart großen und bedeutenden Verbänden mehr als unwürdig ist.
Sicherheit oder Faszination? Relativ unversöhnlich stehen sich diese beiden Fraktionen gegenüber, und viel gefährlicher als die Pyrotechnik selbst erscheinen die Geisterfahrer auf beiden Seiten, denen es inzwischen nur noch ums Durchdrücken der eigenen Vorstellungen geht – ganz gleich welchen Kollateralschaden sie dabei anrichten. Das betrifft illegales Zündeln und insbesondere Böllerwerfen aus dem Fanblock, das betrifft aber auch hysterische Straf- und Sicherheitsforderungen.
Feuer übt bereits seit Tausenden von Jahren eine ungeheure Faszination auf den Menschen aus, Fußballstadien sind da keine Ausnahme. Und so gibt es aktuell praktisch kein anderes Thema in Fußballdeutschland, das mit einer größeren Emotionalität besetzt ist oder ähnlich kontrovers diskutiert wird. Auch wenn manch Statement zum Thema es einen glauben machen will: In der Pyrotechnikfrage gibt es keine einfachen Antworten.
Das Grundproblem ist die Scheinheiligkeit der Debatte: Ja, Pyrotechnik ist gefährlich. Sie ist umgekehrt aber gesetzlich eben doch nicht ganz so verboten, wie es die Verbände derzeit aller Welt glauben machen wollen – und gesellschaftlich nicht halb so geächtet. Im Gegenteil gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Pyrotechnik nicht ganz so rundherum abgelehnt wird, wie es in der öffentlichen Diskussion zurzeit den Anschein macht.
Da ist der Klassiker der unterschiedlichen Maßstäbe: Immer wieder verdammen TV-Kommentatoren Rauchpulver und bengalische Lichter in deutschen Stadien. Immer wieder aber loben TV-Kommentatoren auch begeistert Rauchpulver und bengalische Lichter in südeuropäischen Stadien. Und auch bei anderen Sportarten, beispielsweise beim Skispringen, sind Seenotfackeln als atmosphärisches Element offenbar akzeptiert. Gezündelt wird auch dort in der Menge, aber dass dies die Polizei in Oberstdorf und Garmisch oder gar die Verantwortlichen der Skiverbände in Wallung brächte, ist nicht überliefert. Und auch das Verhalten der Vereine selbst kann durchaus als scheinheilig bezeichnet werden. Christian Heidel, Manager beim FSV Mainz, hat dies vergangenen Samstag im Aktuellen Sportstudio freimütig eingeräumt, als er zugab, dass die Geschäftsstelle des FSV mit Pyrotechnikbildern geschmückt sei und man sich selbst damit alles andere als konsequent gäbe. Der große FC Bayern seinerseits hat das Jahr 2011 mit einer kleinen Feier in der Allianz-Arena beschlossen - Feuerwerk inklusive. Und auch die Millionen Besoffenen, die sich jedes Jahr zu Silvester mit ganzen Arsenalen bewaffnen dürfen, treiben in der öffentlichen Wahrnehmung allenfalls den Feuerwehren in mittelalterlichen Fachwerkst&auauml;dtchen Schweißperlen auf die Stirn. Zur Belohnung für den alljährlichen trunkenen Übermut wurde jüngst erst die zulässige Menge Schwarzpulver in Feuerwerkskörpern nach oben korrigiert.
Noch Fragen? Man muss kein Pyrotechnik-Befürworter sein, um hier eine gewisse Stringenz in der Argumentation zu vermissen, denn offenbar sind die Deutschen nicht nur beim Fußball hin- und hergerissen zwischen feuerwerksaffiner Faszination und sicherheitstechnischen Bedenken. Das weitaus größere Problem ist denn auch das Irrlichten des Deutschen Fußball Bunds in dieser Frage.
Erst Vollgas, dann Vollbremse - der Schlingerkurs des DFB
Zur Chronologie: Der DFB startete zu Anfang des Jahres 2011 Gespräche mit der Initiative „Pyrotechnik legalisieren“ über deren Anliegen. Schon damals herrschten unter den organisierten Fans jene zwei Strömungen, die man analog zu den Grünen wohl am besten mit „Fundis“ und „Realos“ beschreiben kann. Hier die kompromisslosen Hardliner, die auf Gespräche mit Vereinen und Verbänden keinen Wert legen, nicht an deren Wirkung glauben und stattdessen lieber konsequent und rücksichtslos ihr Ding durchziehen. Und dort eben die – zahlenmäßig sicherlich größere – Gruppe der Vernünftigen, die auf den Dialog setzen, an diesen Weg der Zielerreichung glauben und die auch kompromissbereit sind, ohne auf Biegen und Brechen all ihre Forderungen durchzubringen.
Die Gespräche, an denen noch der damalige DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn beteiligt war, liefen dem Vernehmen nach konstruktiv und in guter Atmosphäre. Die Vision von ausgewiesenen Freiflächen, an denen erlaubt und kontrolliert Pyrotechnik gezündet werden kann, schien ein Stück weit näher gerückt. Sogar einen entsprechenden Modellversuch hatte man Ihnen in Aussicht gestellt, so die Vertreter der Initiative, und ein von der Initiative in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kam schließlich tatsächlich zu dem Ergebnis, dass Pyrotechnik unter bestimmten Voraussetzungen kontrolliert im Stadion gezündet werden darf. In Chemnitz hatten Verein, Polizei und Feuerwehr bereits sogar einem solchen Versuch im Rahmen einer Choreo zugestimmt.
Der Wagen war also auf die Gleise gesetzt und man kam in gutem Tempo vorwärts – bis irgendwer beim Verband urplötzlich die Notbremse betätigte und die Gespräche zum Entgleisen brachte. Dem Chemnitzer FC wurde ein Versuch bei Strafandrohung untersagt. Von Modellversuchen konnte keine Rede mehr sein, nicht einmal von entsprechenden Gesprächsinhalten wollten die Verbändler nun noch etwas wissen und suggerierten stattdessen, die Fans hätten sich derlei Vereinbarungen eingebildet. Überhaupt, so befand man beim DFB, sei Pyrotechnik ja verboten, gefährlich und es gäbe gar keinen Handlungsspielraum und somit überhaupt keine Diskussionsgrundlage. Eine solche Argumentation führt zwar die eigene Gesprächsbeteiligung komplett ad absurdum, aber das ficht den Verband nicht an. Statt auf konstruktiven Dialog wurde nun voll auf Basta-Politik umgeschaltet.
Mit seinem dynamischen Wendmanöver und dem Abbruch der Gespräche, ließ der DFB die Realos nun nicht nur im Regen stehen. Er hat ihnen zusätzlich ins Gesicht geschlagen, sie verhöhnt und ihre Position innerhalb der Fanszenen geschwächt. Welche Argumente haben die organisierten Fans in Deutschland denn heute noch für einen konstruktiven Dialog mit den Verbänden? Ihre Position ist schwach, ihr Einfluss ist gesunken und der DFB hat eifrig viel dafür getan, dass es so kam. Das Vertrauen in die Verbände war schon zuvor gering, die Realos haben trotzdem für diese Gespräche geworben – und sehen sich nun damit konfrontiert, mit dem beschrittenen konstruktiven Weg auf die Nase gefallen zu sein. Das ist ein gefährliches Zeichen.
Beim Fußballbund hat man so die verhandelnden Personen auf Fanseite beschädigt – und den Verband selbst gleich ein Stückchen mit, denn die Figur, die man bei diesem Thema seither bietet, ist eine reichlich jämmerliche.
Kurz nach dem Abbruch der Gespräche durch den DFB präsentierte der Verband der Öffentlichkeit die Aussagen eines eigenen Rechtsgutachten, demnach jegliche Zugeständnisse undenkbar seien. Tenor der Veröffentlichungen: Pyrotechnik ist verboten, bleibt verboten, basta. Veröffentlicht wurde dieses Gutachten bis heute nicht. Und in der Zwischenzeit bekommt man auch eine Ahnung, warum dem so ist, denn Berichten zufolge soll der Tenor des DFB-Gutachten weitgehend deckungsgleich mit dem von der Initiative in Auftrag gegebenen, nach dem ein kontrolliertes Abbrennen grundsätzlich möglich ist. Es ist eine recht tappsige Öffentlichkeitsarbeit des weltgrößten nationalen Fußballverbands, der freilich nicht zum ersten Mal in letzter Zeit durch eine gewisse Kommunikationsstörung auffällig wird.
Suggestivfragen am Telefon
Doch auch bei den Verbänden scheint man in der Zwischenzeit zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dass die eigene Vorstellung in der Angelegenheit recht dürftig erscheint und man in der Öffentlichkeit kein gutes Bild abgibt. Was man also benötigt, ist einen starken Verbündeten. Ausnahmsweise entschied man sich beim DFB hierfür gegen die Bild-Zeitung und für das gesunde Volksempfinden. Eine Umfrage musste her und so klingelte schon bald das Telefon in rund 2000 Haushalten.
Ja, richtig gehört: Keine Umfrage an einem Bundesliga-Spieltag in deutschen Stadien, kein Televoting während einer Sportübertragung, nein, man ließ einfach wahllos telefonisch in deutschen Wohnzimmern anfragen. Immerhin knapp die Hälfte der etwa 2000 Befragten interessierte sich demnach für Fußball, und durfte die folgenden Fragen beantworten:
1) „Das Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion ist verboten. Soll dieses Verbot bestehen bleiben?“
2) „Pyrotechnik ist gefährlich. Sie ist schädlich für den Fußball und soll deshalb hart bestraft werden. Stimmen Sie dem zu?“
Sie finden doch auch, dass etwas Verbotenes verboten sein sollte, oder? Und wer verbotene und außerdem gefährliche Dinge tut, gehört Ihrer Meinung doch auch hart bestraft, nicht wahr? Ergebnisoffen ist irgendwie anders und da ist es schon bemerkenswert, dass sich immer noch knapp 16 Prozent der Suggestivbefragten gegen das Verbot und mehr als 20 Prozent sogar gegen eine harte Bestrafung ausgesprochen haben.
Der Verband, der zuvor Ansprechpartner in der Initiative hatte und über seine Fan- und Sicherheitsverantwortlichen jederzeit die Diskussion mit den Fanorganisationen suchen kann, äußert sich nun also nicht mehr in direkten Gesprächen. Stattdessen wird der Standpunkt nur noch durch Verlautbarungen via Pressemitteilung, Mikrofon und Kamera untermauert – ergänzt durch fragwürdige Umfrageergebnisse und selektiv veröffentlichte Gutachtenaussagen. Der DFB ist seither sichtlich darauf aus, die Deutungshoheit für das Thema zu erlangen und die Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen. Kommunikationsherrschaft hat das Dr. Theo Zwanziger einmal genannt – kurz bevor ihm genau jene in einem teilprivaten Rechtsstreit mit dem Journalisten Jens Weinreich abhanden kam.
Am vergangenen Wochenende fand nun in Berlin der von Profans organisierte Fankongress statt. Hunderte von Fußballfans diskutierten über einen bunten Strauß an fußballerischen Fanthemen, auch über Pyrotechnik. Doch die anwesenden Vertreter von DFL und DFB, insbesondere Spahn-Nachfolger und Neu-Sicherheitsbeauftrager Hendrik Große Lefert sowie DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus, zeigten sich in der Frage unkooperativ und machten schon im Vorfeld deutlich, dass sie zu Zugeständnissen nicht bereit sind. Die Verbandspräsidenten, Dr. Theo Zwanziger und Dr. Reinhard Rauball, ließen sich in Berlin im Übrigen gar nicht erst blicken. Dr. Rauball besuchte stattdessen die Dortmunder Hallen-Stadtmeisterschaften.
Erst am darauf folgenden Montag, beim Neujahrsempfang der DFL und ohne räumliche Nähe zu den Fanorganisationen und deren Diskussionsbedürfnis, war dann plötzlich wieder Zeit und Raum für das Thema und so erneuerten sowohl DFB-Präsident in spe, Wolfgang Niersbach, wie auch Dr. Rauball ihre altbekannte Ablehnung – erneut via Mikrofon und Kamera. Die dort zum Ausdruck gebrachten Standpunkte und Argumente hätte man freilich auch zwei Tage zuvor auf dem Fankongress anbringen und diskutieren können. Dort hätten sie vielleicht sogar Wirkung gezeigt und wären beim Gegenüber verfangen. Doch es scheint, als ob es darum schon lange gar nicht mehr geht. Und so schlägt man den aktiven Fanorganisationen erneut ins Gesicht und lässt sie im Regen stehen.
Es ist offensichtlich: Die Verbände setzen auf Stärke und Konfrontation, wohlwissend dass sie am Ende noch immer die mächtigere Position innehaben. Mit Hilfe des längeren Hebels, an dem sie sitzen, versuchen sie ihre Kritiker und Pyrobefürworter an den Rand zu drängen. Der Ellbogen ist an die Stelle des Dialogs getreten. Sympathisch ist das nicht. Und es ist auch nicht einmal sonderlich klug, denn die organisierten Fußballfans in Deutschland werden aufmerksam verfolgen, welcher Mittel sich die Verbände bemächtigen, welche Glaubwürdigkeit einmal getätigte Aussagen besitzen und inwiefern Dialog und Zusammenarbeit überhaupt noch sinnvoll sind. So verhärten sich die Fronten. Dass dies langfristig im Sinne von DFL und DFB sein kann, darf bezweifelt werden.
Geringes Vertrauen in den eigenen Standpunkt
Zur Klarstellung: Ich bin kein Pyrotechnik-Fan. Mein Stadionerlebnis wird geprägt von dem Geschehen auf dem Rasen und den Gesängen auf den Tribünen. Zur optischen Untermalung reichen mir Fahnen, auf Rauch und Feuer kann ich prima verzichten, und ein Pyrotechnik-Verbot berührt mich und mein Fußballerlebnis nicht im Geringsten. Ich bin auch relativ strikt gegen jegliche Form von verbotenem Zündeln im Block, weil ich um die Gefahr weiß – und um das Wasser, das dieses Feuer auf den Mühlen der Sicherheits-Hardliner darstellt.
Der Umgang von DFB und DFL mit der Thematik jedoch stößt mich ab. Wie wenig die Armada von Funktionären und Berufs-Verbändlern die Anstrengungen der Fanvertreter wertschätzt, wie sie ihnen den Dolch in den Rücken rammen, von getroffenen Vereinbarungen nichts mehr wissen wollen und all die Bemühungen und die ehrenamtlich aufgewendete Zeit für verschwendet erklären, das macht mich wirklich wütend! Auf diese Weise weckt die 180-Grad-Wende vom Dialog zur Konfrontation meine Sympathien für die Pyro-Befürworter. Eigentlich wollte ich das gar nicht.
Doch wenn, verdammt noch mal, die Verbände so überragend gute Argumente haben, warum äußern sie diese nicht in Gesprächen?
Wenn das in Auftrag gegebene Rechtsgutachten die eigene Position doch so klar untermauert, warum wird es unter Verschluss gehalten?
Wenn so viele Menschen in (Fußball-)Deutschland gegen Pyrotechnik sind und deren Befürworter so deutlich in der Minderheit, warum stellt man Suggestivfragen in den Umfragen zu diesem Thema und offenbart so ein geringes Vertrauen in den eigenen Standpunkt?
Die Sache stinkt und sie gibt mir wenig Anlass, den Worten jenes Fußballverbands zu trauen, der die Öffentlichkeit immer wieder auch in der jüngeren Vergangenheit (Stichwort Weinreich, Stichwort Amerell) bestenfalls selektiv informiert hat. Und der, das darf man als Randnotiz durchaus im Hinterkopf behalten, sich mit dem Weltverbandssystem rund um Sepp Blatter ganz formidabel arrangiert. Ob ich den Veröffentlichungen des Deutschen Fußball Bundes nun also in der Pyrotechnik-Frage Glauben schenke? Darf ich lachen?
Die Situation ist dramatisch: Einen Kampf gegen die Allmacht der Verbände werden die Pyrobefürworter nicht gewinnen können. Mit ihrer Kehrtwende und der kompletten Diskussionsverweigerung sind die Verbände selbst aber gerade eifrig dabei, den Preis für einen Sieg drastisch zu erhöhen. Einen Preis, den dank der Geisterfahrer auf beiden Seiten mit etwas Pech am Ende alle Fans im Lande zahlen dürfen.
Es brennt in Fußballdeutschland. Und es wird schleunigst Zeit für Abkühlung und Dialog.