12 Minuten Stille und das Momentversagen der Mentalitätsmonster
Der BVB gab im eigenen Stadion die Führung aus der Hand und ließ den Aufsteiger aus Düsseldorf mit einem letztlich nicht mal komplett unverdienten Punkt nach Hause fahren. Eigentlich ein Spiel zum Vergessen, wäre da nicht das eindrucksvolle Zeichen gewesen, das die Fans beider Farben in den ersten 12 Minuten und 12 Sekunden gesetzt haben. Eine solch tote Anfangsphase hat der Tempel in den letzten 38 Jahren nicht erlebt. Es bleibt zu hoffen, dass die Adressaten des Stimmungsboykotts realisieren, was sie mit ihren unverantwortlichen und menschenverachtenden Plänen aufs Spiel setzen.
Jürgen Klopp hatte seine Truppe als Mentalitätsmonster gelobt, nachdem sie unter Beweis gestellt hatte, dass kulinarische Highlights in der Champions League sie nicht davon abhalten, am Wochenende auch das täglich Brot in der Bundesliga zu verspeisen. In dieser englischen Woche stand die umgekehrte Herausforderung auf dem Plan: Das Highlight bei den Bajuwaren vor der Brust, stellte sich die vergleichsweise graue Maus Fortuna aus der Landeshauptstadt im Tempel vor. Leider schafften es die Monster diesmal nicht, ihre Mentalität über die komplette Spieldauer zu zeigen.
Ein Schmankerl für die Freunde der BVB Amateure hatte Norbert „Kopfstoß“ Meier in seiner Aufstellung: Ivan Paurevic durfte an alter Wirkungsstätte von Beginn an aufs Feld. Sein Bundesligadebüt wird Paurevic sicher nicht mehr vergessen. Allerdings plagten die Fortuna insbesondere in der Innenverteidigung einige Verletzungsprobleme. Auch beim BVB konnte nicht aus dem Vollen geschöpft werden. Mats Hummels, Mario Götze und Ilkay Gündogan mussten dem Kampfspiel in Mainz Tribut zollen. Es bleibt aber natürlich ein wenig fraglich, ob der ein oder andere nicht doch aufgelaufen wäre, wenn die Bayern schon heute auf dem Plan gestanden hätten. So fand sich auf der Bank auch das Abwehrtalent Koray Günter wieder. Zum Einsatz kam er aber nicht und so wie das Spiel verlief, wird er sich darüber auch nicht gewundert haben.
12:12 Schweigen
Vor dem Anpfiff konnte sich schon der erste Düsseldorfer freuen. Es war allerdings ein BVB Fan, der eine Reise ins nächste BVB Trainingslager gewann. Im Stadion herrschte schon zum Aufwärmprogramm gespenstische Stimmung. Allein die Gästefans stimmten ab und zu einen Gesang an. Aber selbst auf das ausgelutschte BVB H...S... folgte keine Antwort. Naja dieses Lied konnte vielleicht beim letzten Auftritt der Fortuna im Westfalenstadion noch ein paar Schwatzgelbe ärgern. Vielleicht braucht man am Rhein in der Kurve noch etwas Zeit, um sich wieder an Bundesliganiveau heranzutasten. Hoffentlich ist man bis dahin nicht schon wieder abgestiegen... Vor Block Drölf prangte eine große Zaunfahne zum Stimmungsboykott und zum Einlaufen der Mannschaften wurde auch nochmal an die Aktion ich-fuel-mich-sicher.de erinnert. Auch Düsseldorf machte per Transparent ihre Unterstützung der Aktion 12:12 deutlich.
Auf Dortmunder Seite schien man jedenfalls entschlossen, den Auftakt der Protestwochen schon vorzeitig zu starten. Als dann aber zu YNWA die Schals in die Höhe gereckt wurden, zeigten sich auch die Ultras solidarisch und schwenkten ihre Fahnen. Auch Nobbys Tribünenrunde fand noch in gewohnter Lautstärke statt. Was anderes konnte man dem Geburtstagskind aber wohl auch nicht zumuten.
Mit Anpfiff war dann aber wirklich Ruhe im Tempel. Der Stimmungsboykott scheint tatsächlich eine breite Unterstützung über die aktive Fanszene hinaus zu genießen. Denn wirklich niemand versuchte irgendetwas anzustimmen und das ist angesichts der vielschichtigen Zusammensetzung der Südtribüne mehr als bemerkenswert. Ein absolut seltsames Gefühl, ein Heimspiel von Borussia zu sehen und auf den Rängen herrscht eine Stimmung wie beim Wimbledonfinale während der Ballwechsel. Wenn so der Fußball der Zukunft klingt, setze ich mich lieber in eine Kneipe vor den Fernseher, denn da ist mehr Stimmung. Ohne die gewohnte Geräuschkulisse kamen bei mir auch nicht die üblichen Emotionen auf. Ich war zwar angespannt, aber eher wie vor einem Zahnarztbesuch im Wartezimmer.
Als Kevin in den Strafraum zog, wurde es kurz mal etwas lauter, aber mehr als beim Golf nach einem gelungenen Abschlag war das auch nicht. Wenn auch die anderen Fanszenen ihren Protest ähnlich diszipliniert durchgezogen haben, wurde heute Abend wirklich ein eindrucksvolles Zeichen gesetzt. So eine Stimmung kann sich nicht mal Rainer Wendt wünschen. Auch die Spieler schienen seltsam gehemmt zu sein und spielten die Angriffsaktionen nicht sauber zu Ende. Innerlich zählte ich die Sekunden herunter, bis endlich nach 12 Min. und 12 Sek. das echte Spiel beginnen sollte. Kurz vor dem Ende der angekündigten Schweigephase machte Block Drölf nochmal deutlich, was man von der derzeitigen Hetzkampagne in Medien und Politik hält: „ZIS – Traue keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast“
Endlich wieder Fußball
Dann wurde in den letzten Sekunden der Countdown runtergezählt und der Orkan brach los. Der Süden explodierte, Konfetti flog und die Deutschen Meister erhoben sich. Endlich Fußball! Bitte liebe Politik macht uns das nicht kaputt, denn wir lieben es so sehr.
Auch die Gäste auf der Nordseite machten sich lautstark bemerkbar und sogar bis kurz vor die Südtribüne konnten Fortunen im Osten sich erheben und ihre Schals schwenken, ohne um ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit fürchten zu müssen. Wir fühlen uns alle sicher beim Fußball und wir sind die Mehrheit! Hoffentlich wird die Stimme der Vernunft nun auch endlich bei den Entscheidungsträgern in Politik und auf Verbandsebene gehört. Auch wir sind Wähler aus der Mitte der Gesellschaft und zwar nicht gerade wenige!
Auch die Mannschaften zeigten sich inspiriert von der Fußballatmosphäre und erhöhten merklich das Tempo. Dortmund tat sich aber noch schwer damit, Dominanz auszustrahlen und die Fortuna deutete ihre Gefährlichkeit bei Kontern an. Dann zogen sie sich aber Minute für Minute weiter in die eigene Hälfte zurück und überließen den Borussen den Ball. Doch ohne den zuletzt überragenden Götze und Ballverteiler Gündogan fehlte es der Dortmunder Offensive etwas an Struktur. Auch Santana konnte Hummels natürlich im Spielaufbau nicht ansatzweise gleichwertig ersetzen. Der wuselige Kuba versuchte sich zwar immer wieder über Rechts, aber echte Torchancen sprangen in der ersten halben Stunde nicht heraus.
Dann ging es einmal schnell und Reus versuchte sich aus nahezu unmöglichem Winkel, aber immer kann selbst er aus solchen Positionen nicht treffen. Wenig später hatte er wieder eine gute Schussgelegenheit, aber diesmal lag der Ball auf seinem schwächeren linken Fuß.Kurz vor der Pause wurde der Bann dann doch noch gebrochen. Und was für ein wunderbarer Treffer es war! Eine Flanke von Piszczek ließ Kuba mit der Brust zu Großkreutz prallen und der zeigte einmal mehr, dass er offensiv weit mehr drauf hat, als ihm so mancher zutraut. Er spielte den Ball direkt butterweich wieder zurück und Kuba zimmerte die Kugel aus der Drehung artistisch unter die Latte. Was für eine Glanzleistung!
Bis auf dieses eine Highlight war die erste Halbzeit der Borussia aber weit unterdurchschnittlich. Es fehlten Schlüsselspieler und vielleicht hat auch die ungewohnte Stille zu Beginn dazu beigetragen, die Mannschaft etwas zu verunsichern. Trotz allem war die Führung zu diesem Zeitpunkt mehr als verdient, denn die Fortuna konnte nur zu Beginn einigermaßen mithalten und beschränkte sich mehr und mehr auf die Ergebnissicherung, je länger das Spiel lief. Über 63% Ballbesitz und 9:1 Torschüsse zur Pause verdeutlichten die Dortmunder Überlegenheit.
Zweite Halbzeit
Man durfte gespannt sein, ob Norbert Meier seine Mannen in der zweiten Hälfte etwas mehr von der Leine lassen würde. Wechsel hielt jedenfalls zunächst keiner der Trainer für erforderlich. Und so setzte sich zunächst das gleiche Spiel fort. Nur, dass Dortmund von Beginn an gefährlich vor das Düsseldorfer Tor kam. Erst war es eine abgerutschte Flanke von Blaszczykowski, die Giefer zur Parade zwang und kurz darauf hatte Bender eine gute Kopfballgelegenheit, geriet aber in Rücklage.Santana war dann an der eigenen Torauslinie zu ungestüm und so gab es Freistoß für die Fortuna. Ilsö zog den Ball vor das Tor und Paurevic hatte eine ordentliche Schussmöglichkeit.
Reus und Schmelzer zeigten dann eine schöne Eckballvariante á la Matthäus/Brehme. Obwohl Schiri Aytekin Schmelzer die Sicht auf den Ball versperrte, brachte er den Volleyschuss Richtung Tor, aber die vielbeinige Düsseldorfer Abwehr war nicht zu bezwingen. Kurz darauf durfte ein schöner Zwischenstand aus Hamburg bejubelt werden und die ohnehin schon ordentliche Stimmung erhielt weiteren Auftrieb.
Dann zeigte die Fortuna aber nochmal Zähne. Dortmund verlor den Ball in der Vorwärtsbewegung und Kruse ging steil. Er lief völlig unbedrängt in den Strafraum und umspielte den herauslaufenden Weidenfeller. Doch statt zu schießen legte er nochmal quer auf Reisinger und der schoss Ilsö an. Ein solcher Angriff muss eigentlich zum Tor führen. Aber eigentlich hätte diese Großchance eine Warnung für die nachlassenden Borussen sein müssen. Kurz darauf tankte sich Schmelzer über Links durch und legte den Ball wunderbar zurück auf den am Strafraum lauernden Großkreutz, aber der setzte seinen Schuss mit der Innenseite geringfügig zu hoch an. Den konnte man ruhig mal aufs Tor bringen, denn ein roter Abwehrspieler war weit und breit nicht zu sehen.
Das Spiel nahm nun deutlich Fahrt auf und das lag auch daran, dass der BVB nun in der Rückwärtsbewegung unsortiert wirkte. Kurzfristig ging die Spielkontrolle der Schwatzgelben verloren. Düsseldorf hingegen baute in der Abwehr weiter situativ eine Fünfer- oder gar Sechserkette vor dem eigenen Strafraum auf. Das nennt man wohl Catenaccio auf rheinische Art. Bei Kontern kehrte aber in der zweiten Halbzeit bei F95 die Gefährlichkeit aus der Anfangsphase der Partie zurück. Für einen Abstiegskandidaten ist die Mannschaft von Norbert Meier taktisch gut aufgestellt. Schön ist anders, aber das ist im Überlebenskampf ja auch nicht unbedingt gefragt. Der Ex-Borusse Paurevic kassierte im Strafraum einen Ellbogen von Santana und blutete fortan aus der Nasengegend, spielte aber nach kurzer Behandlung weiter.
Zwanzig Minuten vor dem Ende gab der BVB das Heft des Handelns völlig aus der Hand und die Fortuna witterte die Gelegenheit, beim Meister etwas mitzunehmen. Der BVB schwamm in der Abwehr bedenklich und die wenigen Konterchancen wurden nicht sauber ausgespielt. So kam der Ausgleich nicht mal wirklich überraschend. Der stark nachlassende Piszczek spielte zum wiederholten Male einen Fehlpass, der Ball landete über ein paar Stationen bei Kruse. Der flankte weit und weder ein Dortmunder Abwehrspieler noch Roman Weidenfeller fühlte sich berufen, den Ball abzufangen. So konnte Reisinger, von Schmelzer ungestört, am langen Eck locker einköpfen.
Die Mentalitätsmonster reagierten mit wütenden Angriffen und der ebenso wütende Klopp brachte mit Schieber einen weiteren Stürmer. Kevin Großkreutz vergab dann die todsichere Führung. Nach schöner Vorarbeit von Leitner und einer Kopfballablage von Bender, setzte er einen Ball aus kürzester Distanz derart weit über den Kasten, als hätte er den Vollmond anvisiert. Laut Klopp war das „die größte Chance des Spiels, viel größer als die beiden Tore.“ Und selbst das ist angesichts dieser Chance fast noch untertrieben.
Düsseldorf zog nun wieder die Catenaccio Kette auf. Verständlicherweise war man mit dem Unentschieden beim Meister mehr als zufrieden. Paurevic zeigte kurz vor Schluss noch, dass er weiß, wie man im Westfalenstadion für Stimmung sorgt. Er senste am Strafraum Piszczek um, holte sich dafür völlig zurecht seine zweite Gelbe ab und spielte danach so unverschämt auf Zeit, dass Aytekin ihm eigentlich die Rote hinterher schicken musste. Das Stadion rastete nun natürlich komplett aus, aber wer noch einigermaßen klar denken konnte, stellte sich die Frage, wer denn nun den Freistoß schießen sollte. Der Spezialist Reus war ja leider nicht mehr auf dem Platz. So stellten sich Schmelzer und Schieber auf. Jeder konnte an ihren Positionen zum Ball aber auch schon ihren Plan ablesen und als Schmelzer dann erwartungsgemäß für Schieber abgelegt hatte, stand dem schon die halbe Düsseldorfer Mauer auf den Füßen, so dass diese Großchance ohne Effekt verpuffte. Auch Lukasz Piszczek hatte noch eine gute Möglichkeit, das Spiel wieder in die richtige Richtung zu drehen, aber er scheiterte aus kurzer Distanz per Kopf.
Das war einfach zu wenig für den Sieg in der zweiten Halbzeit. Wenn man das Spiel so im Griff hat, darf man sich nicht von einem deutlich unterlegenen Gegner derart den Schneid abkaufen lassen. Nach dem Gegentreffer zeigte die Mannschaft zwar nochmal Moral und warf alles nach vorn, aber das war letztlich viel zu spät. So schenkte man zwei Punkte her und verpasste die Chance sich von der Konkurrenz um den zweiten Platz abzusetzen und konnte auch keinen weiteren Druck in Richtung der Spitzenposition ausüben.
Fakten, Fakten, Fakten
BVB: Weidenfeller – Piszczek, Subotic, Santana, Schmelzer – Kehl (68. Leitner), Bender – Blaszczykowski (81. Schieber), Reus (75. Perisic), Großkreutz - Lewandowski
F95: Giefer – Balogun, Bodzek, Juanan, van den Bergh – Paurevic, Lambertz – Reisinger (93. Fomitschow), Ilsö (72. Schahin), Bellinghausen – Kruse
Tore: 1:0 Blaszczykowski 43. (Rechtsschuss, Großkreutz), 1:1 Reisinger 78. (Kopfball, Kruse)
Gelbe Karten: Subotic - Kruse
Gelb-Rot: Paurevic
Ecken: 7:2
Torschüsse: 21:5
Zweikämpfe: 51,8%:48,2%
Ballkontakte: 65%:35%
Laufdistanz: 119,4km:118,1km
80.100 Zuschauer im Westfalentempel
Web 28.11.2012