Mit dieser Truppe gewinnst du keinen Blumentopf ? aber vielleicht die Todesgruppe.
10.000 mitgereiste Fans verwandeln Madrid in ein schwarz-gelbes Fahnenmeer, die Titelseiten aller örtlichen und der meisten landesweit erscheinenden Tageszeitungen sind vollgepackt mit Bildern feiernder Borussen. Ob im Königspalast, in den Konsumtempeln oder bei den üblichen Buden der Fast-Food-Kultur – auch einen Tag nach dem Spiel gibt es kein anderes Gesprächsthema. Immer wieder hört man das Wort „Borussia“, meist in einem ehrfürchtigen Tonfall. Die Mannschaft, die nach Meinung einiger Stammtischstrategen viel zu naiv und unerfahren ist, um sich im Europapokal auch nur die Schuhe richtig zu schnüren, hat es allen gezeigt – und ganz nebenbei Jose Mourinho in seiner Analyse bestätigt.
„Bei allem Respekt vor Manchester glaube ich nicht, dass City unserer härtester Konkurrent in dieser Gruppe sein wird. Ich denke da eher an Borussia Dortmund.“ Mit diesen Worten hatte „The Only One“ noch in der Sommerpause für Schmunzler gesorgt – ein netter Seitenhieb gegen den neureichen Scheichclub, den Underdog aus Lostopf 4 höher einzustufen als das Starensemble aus Nordengland. Doch hinter dieser Aussage steckte wohl auch eine gewisse Vorahnung, dass der BVB nicht zum zweiten Mal in Folge sang- und klanglos aus der Champions League ausscheiden würde. Und so dürfen die neuesten Aussagen Mourinhos gerne als erneute Prophezeiung verstanden werden: „Wenn Borussia Dortmund das Achtelfinale erreicht, können sie die Champions League gewinnen.“ / „Ich glaube nicht, dass es in Europa eine Mannschaft gibt, die Borussia Dortmund zweimal hintereinander schlagen kann.“ / „Wenn Dortmund sich den Gruppensieg holt, dann ist das eben so – ein echtes Problem hat da nur der Gruppenerste, der im Achtelfinale auf uns treffen wird.“
Es hat den Anschein, als wäre Mourinho in Madrid der Einzige gewesen, der unseren BVB als Gegner tatsächlich ernst genommen hatte. Viele Karten im großartigen Estadio Santiago Bernabeu fanden keinen Abnehmer, vor dem Stadion kursierten Tickets zu Schleuderpreisen (zum Beispiel zwei Karten für den Gästeblock 50 Euro oder eine Karte für die Haupttribüne 30 Euro). Dabei sind Spiele im Estadio Santiago Bernabeu nach wie vor ein Kindheitstraum von so gut wie allen Fußballfans – 110 Jahre alt, ein Unterrang und fünf Oberränge, steil bis zum Geht-Nicht-Mehr – hohe Eintrittspreise, die bitteren Erfahrungen aus Manchester und dazu die teuren Flugtickets hatten eine noch größere schwarzgelbe Party leider verhindert. Wie man es macht, man macht es eben falsch.
Im Gegensatz zu den Erlebnissen rund um das Spiel in Sevilla war es am Nachmittag ruhig geblieben, man konnte angesichts der Rahmenbedingungen sogar fast von paradiesischen Zuständen sprechen. Doch Spanien wäre wohl nicht Spanien, wenn sich diese Situation nicht am Eingang des Gästeblocks geändert hätte. Dort standen eine gute halbe Stunde vor Spielbeginn noch über tausend BVB-Fans und warteten auf Einlass, wurden dabei in einem hüfthohen Gehege aus Metallgittern regelrecht eingepfercht. Einzelne Versuche, sich etwas mehr Platz im Gedränge zu verschaffen, führten nicht zur Besserung – die offensichtlich amüsierten Polizisten, die lachend neben diesen unwürdigen Gittern standen und keinerlei Anstalten zur Situationsverbesserung machten, trugen sogar ihr Schärflein bei und drückten mit ihren Füßen die Metallgitter noch weiter in die Gruppe der wartenden Fans.
Als ob das nicht genug gewesen wäre, trieben auch noch zahlreiche Taschendiebe ihr Unwesen – mehreren BVB-Fans wurden selbst im dichten Gedränge des abgezäunten Bereichs Wertgegenstände aus den Taschen gezogen, ein Eingreifen der Polizisten blieb aus. Angesichts dieser Szenen wäre man wohl nicht auf die Idee gekommen, dass hier ein Champions-League-erfahrener Club sein Zuhause hat. Ist es denn wirklich nicht besser zu organisieren, Fußballfans (in diesem Fall sogar noch schlimmer: zahlende Kunden) schnell und sicher ins Stadion zu bringen?
So richtig professionell ging es aber auch im Stadion nicht zu, da die Ordner den eigenen Tempel nicht zu kennen schienen und/oder überhaupt keine Ahnung hatten, mit welcher Eintrittskarte man in der Champions League denn wo genau hingehen dürfe. Also wurden auf dem Weg zur Pressetribüne die konfusesten Wege vorgeschlagen und eine kafkaeske Situation entstand: Niemand kannte sich aus und konnte weiterhelfen, aus Höflichkeit wollte man die Hilfe aber nicht verweigern und beschrieb einfach irgendeinen Weg nach irgendwohin, wo dann mit ansteigendem Verzweiflungsgrad gleich wieder jemand nach dem Weg gefragt werden konnte, der zwar eigentlich auch keine Ahnung hatte, trotzdem aber gerne behilflich sein wollte… Statt sich also gemütlich am Gesang der Kurven zu berauschen, ging es erst eine Minute vor Spielbeginn auf die Tribüne – für spanische Verhältnisse normal, aber so richtig nervtötend, wenn man gerne mehr Atmosphäre erlebt hätte.
Umso ärgerlicher war es, da man den Gästeblock im Laufe des Spiels nur sporadisch hören konnte. Ja, ihr habt richtig gelesen: Die spanische Seite war abgesehen vom Hintertorblock der Ultras Sur (interessanterweise der wohl leerste Block im Stadion) recht bewegungslos und sang nicht wirklich viel, dafür wurde aber über 90 Minuten geklatscht und gelegentlich kamen sogar Emotionen auf. Auf Dortmunder Seite war viel mehr Bewegung zu sehen und es war zu fühlen, wie toll es in dieser Kurve zugegangen sein mag – leider Gottes kam von dieser Stimmung vor allem in der ersten Halbzeit nur relativ wenig auf der Haupttribüne an. Jammerschade, die Akustik in diesem Stadion hätte man sich im Vorfeld des Spiels dann doch ganz anders und vor allem weniger eigenartig vorgestellt. (Wo wir schon beim Stadiongemecker sind: Wer diese Heizstrahler ans Dach montiert und auf „Grillen“ eingestellt hat, gehört gepaddelt.)
Aber kommen wir zum Spiel: „Wir wollten den Schwung aus dem Hinspiel mitnehmen, waren uns aber sicher, dass wir ein anderes Spiel erleben würden als vor zwei Wochen. Madrid spielt zu Hause wie in einer Festung, die Gegner haben es immer extrem schwer. Das liegt oft daran, dass diese Mannschaften hier wie echte Auswärtsmannschaften auftreten und ihre Stärken nicht ausspielen können. Wir wollten diesen Fehler nicht machen und genauso auftreten, wie wir es zuhause auch getan haben – wir wollten ein ebenbürtiger Gegner sein. Das hat die ersten zehn Minuten beider Halbzeiten mal so gar nicht geklappt, danach haben wir aber ein sehr gutes Spiel gezeigt.“ Diese Darstellung unseres Cheftrainers Jürgen Klopp trifft den Nagel wohl ziemlich auf den Kopf.
Real Madrid erschien überrascht, wie druckvoll die noch immer jungen Borussen zu Werke gingen. In atemberaubendem Takt marschierten Marcel Schmelzer (wie man in diesem Mann keinen großartigen Linksverteidiger sehen kann, werde ich wohl nicht mehr verstehen) und Kevin Großkreutz die linke Seite entlang, ließen ihre Gegenspieler Angel Di Maria und Sergio Ramos alt aussehen. So zum ersten Mal in der 9. Minute, als Schmelzer alleine durch die Lücke stach und vor Iker Casillas auftauchte – der Siegtreffer im Hinspiel hatte in Schmelzer so sehr die Lust am Toreschießen geweckt, dass er es mit einem wuchtigen Pfund selbst versuchte. Obwohl der Ball ganz knapp am linken Pfosten vorbei gegangen wäre, hielt Casillas ihn im Spiel und ermöglichte Robert Lewandowksi den Nachschuss. Es begann die Zeit, in der es Jose Mourinho zu einiger Meisterschaft im Haareraufen bringen sollte.
Denn nur fünf Minuten später hatten sich mit Mario Götze und Marco Reus die beiden Angstgegner der Madrilenen schon wieder in den Strafraum vorgearbeitet – Casillas hielt Reus Torschuss zwar aus dem Kasten, doch schrillten stets alle Alarmglocken, wenn Reus die eigene Mittellinie wieder einmal überschritten hatte. Während man sich an deutschen Stammtischen vor Messi oder CR7 (Ronaldo ist und bleibt ein kleiner, dicker Brasilianer) feucht ins Höschen macht, scheint man beim spanischen Rekordmeister ziemlichen Schiss vor unserer Offensive zu haben. Da darf man sich dann doch mal ein wenig geschmeichelt fühlen.
„In Portugal gibt es ein Sprichwort – zu viel Bescheidenheit ist Eitelkeit. Deshalb bin ich nicht bescheiden“, gab der oft kopierte und nie erreichte CR7 jüngst in einem Interview zum Besten. So würde er sich nicht nur selbst zum Weltfußballer wählen, sondern sich für seine Großartigkeit auch gleich noch selbst beglückwünschen. Mit derlei Problemen haben sich unsere Abwehrrecken noch nicht herumzuschlagen, irgendwie schafften sie es sogar ohne Sonnenbrille, sich dem hellen Glanz des Galaktischen zu entziehen. Allen voran Lukasz Piszczek, der mit einem derart breiten Grinsen eingeschlafen sein dürfte, dass man dahinter beinahe das Ego CR7s hätte verstecken können. Mit einer einzigen Ausnahme hielt er seinen Gegenspieler in sicherer Distanz zum Dortmunder Tor und hatte wohl einiges an Videoanalyse hinter sich gebracht – nicht einmal das sonst so gefürchtete Antäuschen wollte funktionieren.
Diesen Lapsus leisteten sich die unsrigen in der 22. Minute, als die weit aufgerückte Hintermannschaft mit einem Pass überwunden werden und Gonzalo Higuain mit einer messerscharfen Flanke CR7 bedienen konnte. Es schien das sichere 1:0 zu fallen, doch glücklicherweise traf er den Ball nicht voll und köpfte ihn dann doch einige Meter neben den Kasten. Nur eine Minute später versuchten es die beiden Spitzenkräfte wieder mit einer Co-Produktion, doch diesmal war die Abwehr auf der Hut und konnte Higuain nur über den Kasten zielen.
Es war das erwartete Spiel zweier Spitzenmannschaften – Borussia versteckte sich keinesfalls und spielte auf Augenhöhe mit, in der Defensive blieb Real nur die harte Keule mit Fouls von Sergio Ramos. Eine Dortmunder Ballstafette der Extraklasse erregte dann die Gemüter der Königlichen – von hinten bis vorne und von links bis nach rechts konnten sich die Borussen den Ball zuschieben, ohne dass ein Weltstar denn versucht hätte, an dieser Dominanz etwas zu ändern. So viel Selbstaufgabe ist man in Madrid einfach nicht gewöhnt, das Heimpublikum hatte folglich die Schnauze voll und pfiff vor Enttäuschung.
In just diesem Moment kam plötzlich Reus an den Ball, lief zwei Meter weiter und zog furztrocken ab – Casillas war noch mit der Hand am Ball, doch Borussia schaffte das Unmögliche: eine verdiente Führung bei einer der wohl besten Mannschaften der Welt! Selbst Teile der Pressetribüne sprangen vor Freude im Dreieck, zu diesem Zeitpunkt bedeutete das vier Punkte Vorsprung in DER Gruppe der Champions League, wie Mourinho sie vor kurzem nannte.
Leider währte die Freude nur kurz. Knappe zehn Minuten später, es hatte sich schon richtig gut angefühlt, konnte Lewandowksi eine brenzlige Situation nicht klären. Vom Gegenspieler am Strafraum umgerissen, ließ der Schiedsrichter die Szene weiterlaufen – es folgte eine Flanke, Schmelzer ließ sich von Pepe überspringen und ausgerechnet der Widerling vollendete zum 1:1 mit einem Kopfball direkt unter die Latte. Doch wer nun dachte, Real Madrid sei wieder im Spiel und drehe richtig auf, hatte sich getäuscht – die Schwarzgelben machten unbeeindruckt vom Treffer einfach da weiter, wo sie kurz zuvor aufgehört hatten. Mourinho passte das überhaupt nicht in den Kram, ein simples Foul im Mittelfeld reichte ihm nun schon, um die Faust in Richtung seiner Ersatzbank zu ballen.
Es muss sich komisch angefühlt haben, die gewohnte Souveränität nicht gegen einen vermeintlich so kleinen Gegner wie Borussia Dortmund ausspielen zu können. Reus, Götze, Schmelzer und Großkreutz konnten in der Offensive schalten und walten, Piszczek wurde zum Schatten der Mensch gewordenen Gelfrisur. Innenverteidigung und Mittelfeld rückten auf und unterstützten fleißig, sicherten die Angriffe gekonnt nach hinten ab – dort waren es regelmäßig Großkreutz und Lewandowski, die sich aktiv einbrachten und den Ball aus der Gefahrenzone bugsierten.
Tolle Spielzüge waren die Folge: In der 43. Minute harmonierten Reus und Götze klasse, nach einer schönen Kombination hinderte nur noch ein Innenverteidiger Reus am Einschuss. Es folgte der direkte Konter, der CR7 direkt vor Roman Weidenfeller in Stellung brachte, bis Schmelzer sich doch noch sensationell den Ball schnappen konnte. Der von Jogi Löw bis heute noch nicht verstandene Schmelzer drosch den Ball weit nach vorne und leitete damit den nächsten Gegenkonter ein. Es ging Schlag auf Schlag, bis tatsächlich die Erlösung folgte: Großkreutz war zum wiederholten Mal durch die spanische Abwehr marschiert, hatte mit dem Außenrist auf Götze abgelegt und Götze mit dem Außenrist über Casillas ins Tor 1:2 verwandelt – Alvaro Arbeloa sah bei dieser Aktion richtig blöd aus, besser hätte man das Ding aber auch nicht mehr rein machen können.
Ein toller Spielzug, für den sich der in letzter Zeit so oft kritisierte Großkreutz ein Extralob verdient hat: Wenn es bei Kevin läuft, läuft es auch beim BVB. Wie wichtig er im Zusammenspiel mit Schmelzer in der Defensivarbeit und auch für den Zusammenhalt in der Offensive ist, konnte man in diesem Spiel mustergültig sehen. Kevin gehört in dieses Team – wer das nicht verstehen kann oder ihn für einen Schwachpunkt der Mannschaft hält, sei ab sofort auf die Videoanalyse dieses Spiels auf Weltniveau verwiesen.
Der Borussenanhang dürfte zur Halbzeit hochzufrieden gewesen sein, ganz im Gegenteil zu Mourinho. Ein Doppelwechsel zur Halbzeit samt taktischer Umstellung war die Höchststrafe, die der Startrainer seiner Elf verpassen konnte. Mit Jose Callejon und Michael Essien kamen zwei weitere Sahnekicker für die enttäuschend blassen Higuain und Luca Modric, der an Piszczek so brutal gescheiterte CR7 rückte dafür ins Zentrum – auf diese Weise sollte noch mehr Offensivstärke gezeigt und der launische Portugiese endgültig von der letzten Defensivaufgabe verschont werden.
Dieser Wechsel zeigte sofort seine Wirkung. Wütend kamen die Madrilenen aus der Kabine und drückten nun alles, was sie irgendwie mobilisieren konnten, in Richtung des Dortmunder Tors. In einem regelrechten Sturmlauf ging es gleich mehrfach innerhalb weniger Minuten nach vorne, Weidenfeller und seine Abwehrreihe waren dabei schwerst gefordert. Allerdings machten sie so ziemlich alles richtig, was man ihnen in den letzten Tagen und Wochen als Fehler ankreiden konnte, so dass sich sogar der Schiedsrichter kooperativ zeigte und Callejons Ausgleichstreffer in der 47. Minute wegen Abseits verweigerte. Ganz falsch lag er damit nicht, doch weil auch der Videobeweis keine hundertprozentige Sicherheit gab, blieb diese Szene der Zankapfel des weiteren Spielverlaufs.
Es fiel unseren Mannen schwer, sich aus dem Würgegriff der spanischen Offensive zu befreien. Erst als die totale Offensive nach einer guten Viertelstunde abgeebbt und torlos verpufft war, gelang es auch Borussia wieder besser, Akzente nach vorne zu setzen. Es wurde wieder zum Spiel auf Augenhöhe, in dem die Gäste eine leichte optische Überlegenheit hatten, ohne jedoch eine weitere Torchance herausspielen oder gar den Sack zu machen zu können. Alle gefährlichen Situationen gingen in der Folge von Real aus – fortan war Weidenfeller der wichtigste Spieler auf Seite des BVB und rückte der Schiedsrichter öfter in den Mittelpunkt des Geschehens.
So gab es in der 57. Minute gelb für Großkreutz, sicherlich eine sehr und vielleicht auch zu harte Entscheidung. Nach einer Behandlungspause – Ramos und Pepe stießen beim Versuch eines Kopfballs heftig mit den Köpfen zusammen – senste Xabi Alonso Ilkay Gündogan rüde um, kassierte dafür aber nicht einmal gelb. Klopp gab in dieser Phase das HB-Männchen an der Linie und kommentierte die Situation auf Nachfrage eines spanischen Journalisten, der gerne das Problem zwischen Klopp und Mourinho verstanden hätte, später folgendermaßen: „Emocion! So nennt man das doch hier, oder? Ich glaube die Bank von Real wusste die ganze Zeit, dass der Treffer kein Abseits war – wir nicht. Also haben wir uns über Fouls beschwert und sie haben gesagt ‚Aber ihr da vorne!‘. Das war lebhaft, aber es ist alles gut!“
Eine Minute nach dem Foul an Gündogan, es war nun die stärkste Phase des BVB in der zweiten Halbzeit, befand sich Borussia nochmals im Vorwärtsdrang. Reus wollte gerne das 3:1 machen und versetzte Real wieder einigermaßen in Aufregung, doch klappte das Vorhaben nicht wie geplant. Stattdessen führte Real einen Konter über den erstmals flitzenden CR7 – Fairnesskönig Mats Hummels sah die große Gefahr kommen und machte das einzig Richtige: trotz 5 gegen 2 Überlegenheit entschied er sich für ein taktisches Foul weit vor dem eigenen Tor, um die Großchance gar nicht erst zuzulassen. Hummels schien von seinen spanischen Pendants gelernt zu haben, dass auch die gute alte Grätsche ein legitimes Mittel darstellt, Spieler auf diesem Niveau zu stoppen – was für Pepe und Ramos recht war, musste letztlich auch für Dortmunder Spieler billig sein.
Abermals nur Augenblicke später geriet Casillas in erhebliche Kalamitäten, als er seinen Kasten in Richtung Strafraumgrenze verlassen hatte und den Ball dort an Lewandowksi verlor. Leider konnte der unermüdlich kämpfende Pole nichts Zählbares aus dieser Chance herausholen und das 3:1 blieb uns auch weiterhin versagt. Der Gästeblock übertönte nun zunehmend selbst in unseren Tribünenbereichen die Heimkurve, die den Glauben in die eigene Mannschaft verloren zu haben schien oder zumindest vorübergehend desillusioniert war.
Die markigen Worte Klopps vor dem Hinspiel schienen allerdings weiterhin Bestand zu haben. Der überragende Großkreutz und der königliche Schweißtreiber Reus waren in der Defensive immer wieder am Mann, niemand wollte hier das Arschloch sein. Borussia spielte in diesen Minuten im Stile einer Weltklassemannschaft, ließ den Ball zirkulieren und Madrid kaum aktiv zum Zug kommen. Natürlich forderte dieser Einsatz seinen Tribut, so dass Sven Bender für den erschöpften Reus neu ins Spiel kam. Auch Mourinho zog alle Register und brachte Kaka für Arbeloa, während nach einem harmlosen Anspiel Neven Subotics lautstark auf Handelfmeter gepocht wurde.
Madrid drängte in der Schlussphase auf den Ausgleichstreffer, Borussia konnte nach vorne keine richtigen Akzente mehr setzen. Weidenfeller zeigte wohl die Parade seines Lebens und hielt einen Schuss des allmählich verzweifelnden CR7 aus nicht einmal fünf Metern Entfernung mit der Fußspitze aus der Gefahrenzone – nur wenig später hatte erneut Callejon nach einem Sahnepass von Di Maria die Riesenchance auf den Ausgleich, was Großkreutz auf der Linie zu verhindern wusste. Als CR7 dann auch den ersten seiner berüchtigten Freistöße des Abends harmlos in die Mauer gesetzt hatte, war der Sieg zum Greifen nah und glühten selbst auf der Pressetribüne die Emotionen – kaum einer saß noch richtig auf seinem Platz und niemand war mehr zu sehen, der nicht nach jeder gelungenen Aktion den Nobby oder Boris gab.
Doch leider sollte das große Spiel nicht mit drei Punkten belohnt werden – wie bereits in Manchester erlebten wir den Ausgleichstreffer in der vorletzten Minute, diesmal nach einem direkten Freistoß des blass gebliebenen Mezut Özil. Weidenfeller spekulierte aufs lange Eck, doch Özil machte das Ding kurz und traf exakt den Innenpfosten – schade für Roman, der in dieser Situation machtlos war und dennoch unglücklich wirkte, besonders ärgerlich, da dem Freistoß kein Foul vorangegangen war.
Am Ende blieb das 2:2 stehen – es war ein mehr als geiles Spiel, ein absolut verdienter Punkt und wohl für alle mitgereisten Fans ein Highlight ihres Fanlebens. Nach einem Heimsieg vor zwei Wochen auch noch auswärts einen Punkt mitzunehmen und die Weltauswahl von Real Madrid an der Rand einer Blamage zu führen, ist schon meisterlich. Das alles mit einer Mannschaft zu bewerkstelligen, deren gesamter Marktwert etwa dem des selbsterkorenen Weltfußballers allein entsprechen dürfte, ist eine derart bemerkenswerte Leistung, dass man dafür nur ein Wort finden kann: Stolz.
Dementsprechend gut gelaunt ging es nach Spielende in die Madrider Innenstadt, die mit zahlreichen und sehr verlockenden Angeboten die Nacht ziemlich kurz werden ließ. Besonderer Beliebtheit erfreute sich ein Irish Pub, der seine Musikauswahl von Scooter über Klassiker der Böhsen Onkelz bis hin zu „Rubbeldikatz am Borsigplatz“ komplett auf die feiernde Meute eingestellt hatte. Doch auch rundherum legten die feiernden Borussen – stets getreu dem Motto „Das Geld muss in die Wirtschaft“ – ein eigenes Rettungspaket auf und halfen den örtlichen Kneipen und Discotheken aus der Krise. Dass sich unser Fanbeauftragter Jens selbst noch in einem Tanzlokal blicken ließ, war da schon beinahe klar – im Feiern gewinnen wir nicht nur die Todesgruppe, sondern ziemlich sicher auch die Champions League.
Mehr Bilder zum Spiel findet ihr auf unserer Foto-Seite www.bvb-fotos.de (Link).
Stimmen zum Spiel
Jürgen Klopp: „Was unsere Fans hier heute gemacht haben, wird in 10 Jahren noch legendär sein. Das war so weltklasse, dass mir da ein wenig die Worte fehlen. Es ist natürlich schade, dass es am Ende ein Standard ist, der uns den Sieg gekostet hat – geht Roman da im Stile eines Torwarts rein, haut er sich den Kopf blutig, so macht er das schon gut und hat dann Pech, dass ihm der Ball über den Fuß ins Tor rutscht. Es ist so schon ok, obwohl wir natürlich lieber glücklich gewonnen als verdient einen Punt geholt hätten. Dass wir den direkten Vergleich gewinnen können und das auch noch nach Punkten und Auswärtstoren, hätte ich im Vorfeld nicht gedacht. Was das Spiel betrifft, hat Callejon in der zweiten Halbzeit gefühlte zehn Freistöße rausgeholt und ist sehr schnell gefallen. Das Ding ist dann irgendwann versandet, nachdem die große Überraschung ausgeblieben war – der Kollege Mourinho war zur Halbzeit ja schon sehr unzufrieden, was seine Mannschaft da gespielt hat. Dann kamen irgendwann die Freistöße. Das Tor können wir verschmerzen, auch wenn dem Freistoß kein Foul vorausging. Callejon stand in der 47. Minute wohl auch nicht im Abseits, da ist es mir dann aber schon lieber, wenn wir uns den Treffer erst kurz vor Schluss als direkt nach der Pause fangen – wenn du dann nämlich Pech hast, hauen die dir danach noch acht Dinger rein und du kannst den Tag vergessen.“
Auf die Frage eines verwunderten spanischen Reporters, wo sich diese Mannschaft so lange versteckt habe, die selbst Real Madrid so große Probleme bereiten könne:
Jürgen Klopp: „Wir haben schon vor zwei oder drei Jahren tolle Spiele gemacht. Zuhause gegen Sevilla dürfte wohl das beste Spiel gewesen sein, das meine Mannschaft unter mir jemals abgeliefert hat. Es haben hier wohl nicht so viele Leute mitbekommen, aber wir spielen nicht erst seit gestern diesen Fußball. Ich kann sie alle nur herzlich einladen, mal nach Dortmund zu kommen und sich das anzuschauen.“
Roman Weidenfeller: „Die Stimmung war heute einfach weltklasse. Ich kann gar nicht glauben, was unsere Fans hier auf die Beine gestellt haben, das war einfach so fantastisch. Vor allem, wenn man weiß, was heutzutage so ein Flugticket kostet, können wir uns dafür nur herzlich bedanken.“
Sebastian Kehl: „Es ist die traurige Seite des Fußballs, dass man eine solche Stimmung auf dem Platz nicht genießen kann. Man ist da wie in einem Tunnel und kriegt nichts mit, weil man so hoch konzentriert herangehen muss. Nur vor und nach dem Spiel habe ich das mitbekommen, da war das richtig klasse. Auf unsere Fans ist absolut Verlass und da bin ich mir sicher, dass wir uns in Europa nicht verstecken müssen. Es ist schon ein bisschen grotesk, dass wir jetzt nach diesem Spiel und diesen Erfahrungen nach Augsburg fahren müssen – in der Kabine haben wir schon darüber gewitzelt, dass es schwer sein könnte, sich jetzt auf diesen Gegner umzustellen. Nach dem Hinspiel haben wir das in Freiburg aber auch sehr gut hingekriegt, also gehe ich davon aus, dass wir das am Samstag auch hinbekommen und dann einen verdienten Sieg einfahren werden.“
Statistik
Real Madrid: Casillas – Arbelo, Pepe, Varane, Ramos – Alonso, Modric – Ronaldo, Özil, Di Maria – Higuain
Wechsel: Essien für Modric (46.), Callejon für Higuain (46.), Kaka für Arbeloa (77.)
Borussia Dortmund: Weidenfeller – Schmelzer, Hummels, Subotic, Piszczek – Großkreutz, Kehl, Gündogan – Götze, Reus – Lewandowksi
Wechsel: Bender für Reus (74.), Perisic für Gündogan (80.), Leitner für Götze (90.+1)
Gelbe Karten: Großkreutz (57.), Hummels (65.)
Zuschauer: 74.932 – nicht ausverkauft
Tore:
0:1 Reus (28.)
1:1 Pepe (34.)
1:2 Götze (45. – offiziell ein Eigentor von Arbeloa, aber das ist mal totaler Quatsch)
2:2 Özil (89.)
Torschüsse (erste Halbzeit): Real Madrid 20 (8) – 7 (7) Borussia Dortmund
Schüsse aufs Tor (erste Halbzeit): Real Madrid 11 (4) – 5 (5) Borussia Dortmund
Torwartparaden (erste Halbzeit): Real Madrid 3 (3) – 2 (0) Borussia Dortmund
Ecken (erste Halbzeit): Real Madrid 4 (2) – 2 (0) Borussia Dortmund
Abseits (erste Halbzeit): Real Madrid 5 (2) – 1 (1) Borussia Dortmund
Fouls begangen (erste Halbzeit): 13 (7) – 17 (5) Borussia Dortmund
Fouls erlitten (erste Halbzeit): 17 (5) – 12 (6) Borussia Dortmund
Ballbesitz (erste Halbzeit, in %): 61 (60) – 39 (40) Borussia Dortmund
SSC, 08.11.2012