4:1 beim VfR Aalen ? Kompetenz im Schrott
Spiele in der Provinz sind nicht für jeden Borussen ein besonderes Highlight. Irgendwo am Ende der bekannten Welt sitzt man, meist unter der Woche und bei klirrender Kälte, auf Bergen völlig überteuerter Tickets und grummelt über miese Kicks, die im schlimmsten aller Fälle die Qualen auch noch in die Verlängerung retten. Weil einem dann meist nichts Blöderes einfällt, kann man sich im Kampf um Klickraten dann immerhin noch tief in der Krabbelkiste gut abgegriffener Kalauer bedienen (z.B. „Hurra, das ganze Dorf ist da“), um den bäuerlichen Anhang des Dorfclubs zu dissen. Doch das haben sich Spiel und Gegner, der sich zumindest nach Kräften um einen erstligareifen Auftritt bemühte, diesmal nicht verdient.
Ganz sicher erstklassig waren die Preise, die der VfR Aalen für das Spiel des Jahres (wahlweise: das Highlight seiner (!) Vereinsgeschichte) verlangt hatte: 16 Euro für einen Stehplatz, 55 Euro für einen Sitzplatz. Da ein vergleichbarer Sitzplatz beim FC Bayern 33 bis 44 Euro kostet (in der Topkategorie), ein Champions-League-Ticket bei Manchester City 47,20 Euro und bei Real Madrid 44 Euro, durfte schon spekuliert werden, welches internationale Starensemble der VfR Aalen für die zweite Pokalrunde wohl aufzubieten gedachte. Dass am Ende nicht mal ein übergewichtiger Quoten-Brasilianer auf dem Platz stand, enttäuschte da schon ein wenig.
Tatsächlich erstklassig war das Auftreten der Polizei, die es – ungewöhnlich für Spiele in Baden-Württemberg – sehr locker angehen ließ. Freundlich und hilfsbereit, vor Spielbeginn als Parkplatzeinweiser aushelfend und irgendwie so gar nicht für die große Schlacht gerüstet, machten sie einfach das, was Polizisten beim Fußball machen sollten: ihren Job. Diesen machten sie obendrein noch sehr gut, was man angesichts der jüngsten Diskussionen leider gesondert hervorheben muss und nicht (mehr) als Selbstverständlichkeit voraussetzen kann.
In die Kategorie Weltklasse gehörte die Werbung, die rund ums Stadion für Schmunzler sorgte. „Kompetenz im Schrott“ prangte allenthalten an der nach Vereinspräsident Berndt-Ulrich Scholz bzw. dessen Unternehmen benannten Arena. Ein Bonmot, das man in der ersten Bundesliga vergeblich suchen dürfte, neben der Allgäuer Latschenkiefer und so mancher Stadionnamenvergewaltigung aber sicherlich einen Platz in der Hall of Fame der Sponsoren verdient hätte. Überhaupt wurde kein Versuch der Dokumentation ausgelassen, dass geballte Fußballkompetenz selbst die schwäbische Ostalb ihre Heimat nennt. Ergebnistipps wie „15:14 n.E.“ oder die Stellungnahme eines Fußball-Fan Pfarrers im Club-Magazin wiesen darauf hin, dass die örtlichen Edelfans den Charakter eines K.O.-Spiels verinnerlicht hatten. VfR-Fan, BVB-Dauerkarteninhaber und Tausendsassa Thomas Körner tippte gar auf einen Heimsieg, „weil der Pokal seine eigenen Gesetze hat“. Als sich die örtlichen Journalisten bei der Pressekonferenz dann fast darin überschlugen, aus Höflichkeit Fragen an Jürgen Klopp zu stellen, gab ihnen dieser charmant ein freundliches Lächeln zurück: „Es muss sich jetzt hier keiner irgendwelche Fragen rauspressen, wir können auch einfach nach Hause gehen.“ Hätte es im Vorfeld nicht so großen Ärger um die teuren Tickets gegeben und wäre die Lebensmittelversorgung im Gästebereich einen Ticken besser gewesen, der VfR Aalen hätte an diesem Tag wohl ausnahmslos Sympathiepunkte sammeln können.
Doch kommen wir zum spielerischen Teil des gestrigen Abends. Der Real-Madrid-Bezwinger und Derby-Verlierer (Klopp: „Wir haben Real Madrid geschlagen und zwei Siege nachgelegt, trotzdem haben wir noch eine Menge Wiedergutmachung zu leisten, weil man eine Sache in Dortmund nicht vergisst – Niederlagen im Derby…“) konnte mit Ausnahme von Sven Bender, Kuba und Patrick Owomoyela aus dem Vollen schöpfen. Marco Reus und Sebastian Kehl bekamen eine verdiente Ruhepause, für sie in die Startformation rückten Moritz Leitner und Ivan Perisic. Auf Seite der Aalener ragte besonders Torwart Jasmin Fejzic heraus, der uns in der Vorsaison mit vollem Körpereinsatz den Weg ins Finale geebnet hatte. Ansonsten bot Trainer Ralph Hasenhüttl eine eher unscheinbare Mannschaft auf, die ohne altgediente Bundesligarecken auskommen musste. Überraschend hatte sich Hasenhüttl dennoc für eine offensive Taktik entschieden, wie er später erklärte: „Ich wusste von Anfang an, dass wir keine Chance hatten. Wir hätten uns verbarrikadieren und 90 Minuten mauern können, wären nie über die Mittellinie gekommen und hätten dann mit 0:3 verloren. Also wollte ich es meiner Mannschaft ermöglichen, dieses tolle Spiel anzunehmen und so lange wie möglich mitzuhalten – am Ende haben wir 1:4 verloren und Real Madrid 1:2, wir haben ein Highlight erlebt und können damit sehr gut leben.“
Die Fans hatten dagegen auch nur wenig einzuwenden und so ging es nach einer wohl unvermeidlichen Cheerleader-Tanzeinlage ohne allzu großes Abtasten ins Spiel. Aalen attackierte frühzeitig und deckte geschickt, so dass sich das Dortmunder Spiel nicht wie gewohnt entfalten konnte. Immer wieder fehlten die Anspielstationen, landeten Bälle bei den Hausherren oder schafften es diese, leichte Konzentrationsstörungen des BVB zu Konteraktionen zu nutzen. Michael Klauß nutzte einen solchen Konter zu einem wuchtigen Torschuss in der 11. Minute, verzog von der Strafraumgrenze dann aber doch deutlich in Richtung Gästeblock.
Auf Dortmunder Seite waren es Mario Götze, Neven Subotic und Kevin Großkreutz, die in der Anfangsviertelstunde zu guten, wenngleich nicht zwingenden Chancen kamen. Den echten Hallo-Wach-Effekt besorgte erst Robert Lewandowski in der 17. Minute, der seinen Schuss nach einem schönen Angriff aber nur an die Querlatte lenken konnte. Weiterhin spielte Aalen munter nach vorne und öffnete gerade den Dortmunder Außenverteidigern große Räume. So lockten Großkreutz und Götze mit Querpässen immer wieder die Hausherren aus dem eigenen Strafraum, um blitzschnell umzuschalten und den durchstartenden Lukasz Piszczek in Szene zu setzen. Dass die schwarzgelben Abwehrrecken dann erneut ihre Torgefährlichkeit unter Beweis stellen konnten, lag nicht zuletzt an Mats Hummels. Um die Überzahl im Mittelfeld auch in die Offensive zu tragen, schaltete er sich gewohnt sicher in die Vorwärtsbewegung ein und wuselte sich durch den Aalener Strafraum. Etwas Fußballbillard später lag ihm der Ball im Fünfmeterraum vor Füßen, folgte ein blitzgescheiter Reflex und donnerte Hummels den Ball aus kürzester Distanz unter die Querlatte. Klopp war stolz wie Oskar und betonte später „den Sinn dieser Aktionen“, den man „aus dem Tor ganz hervorragend ablesen“ könne. Tatsächlich war das Tor nicht besonders schön herausgespielt und möglicherweise sogar ein Kandidat für das „Kacktor des Monats“, wichtig und mühevoll erarbeitet war es aber allemal.
Das Spiel war fortan so gut wie entschieden. Borussia zeigte die deutlich reifere Spielanlage, die bis auf kleinere (und von Aalen nicht ausgenutzte) Fehler von Leitner, Hummels und Subotic keinen Anlass zu besonders großen Ängsten bot. Zugleich lagen die besseren Chancen auf Seite des BVB und waren die Schwaben gut damit beschäftigt, dem Treiben der Borussen Einhalt zu gebieten. Kurz nach Lewandowskis Möglichkeit in der 30. Minute war es dann erneut Marcel Schmelzer, der das Glück auf seiner Seite hatte – wie schon gegen Real Madrid stand er zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wurde diesmal von Leitner mustergültig bedient und schoss den entscheidenden Treffer zum 2:0.
Als kurz nach der Halbzeitpause Götze mit seinem 3:0 alles klar gemacht hatte, explodierte der ohnehin hervorragend aufgelegte Gästeblock in Sachen Kreativität. Über 90 Minuten war er ordentlich zu hören und um ein Vielfaches lauter als das Aalener Gegenstück, das sich in enttäuschend leisen Dauer-Lalala-Gesängen seines Potenzials beraubte. Nun aber gesellten sich zur Lautstärke auch noch weitere Elemente: leiser und lauter werdende gesangliche Parts, mal stehend oder sitzend, mal mit Fahnen oder ohne sie – die Dortmunder Fans hatten mächtig Spaß in den Backen und die Lacher des heimischen Publikums immer auf ihrer Seite.
Das Spiel flachte in der Folgezeit ab und gewann durch Wechsel auf beiden Seiten nicht unbedingt an Attraktivität. Vorne mühte sich Lewandowski nach Kräften um einen zählbaren Torerfolg, hinten brannte nichts mehr an. Erwähnt werden muss dann eigentlich nur noch, dass Julian Schieber sein erstes Pflichtspieltor für den BVB gelang – begrüßt wurde der Ex-Stuttgarter mit einigen Pfiffen seitens der Aalener, in der 79. Minute gab er die Grüße mit einem Schuss an den Innenpfosten zurück. Mit Klopp freute sich die ganze Mannschaft, wie unser Trainer später feststellte: „Julian ist ein super Kerl, der voll in Dortmund angekommen ist und den wir alle sehr gerne haben. Wie so oft, muss bei Stürmern einfach mal der Knoten platzen und ich hoffe, dass eben das heute passiert ist. Wir gönnen ihm das Tor, er hat es sich redlich verdient.“ Ihrerseits verdient hatten sich die Zweitligisten aufgrund der ordentlichen Leistung auch noch ihren Ehrentreffer, den Michael Klauß in der 87. Minute direkt per Freistoß über den ansonsten nicht geprüften Roman Weidenfellers ins linke Eck zirkeln konnte.
Das muntere Spiel endete leistungsgerecht mit 4:1 und keiner der Dortmunder Mitfahrer dürfte es bereut haben, den Weg in die Fußballprovinz angetreten zu sein. Die Gastgeber verkauften sich so gut es nur ging und dürfen am Wochenende den 1. FC Köln empfangen, während Borussia mit dem VfB Stuttgart Teil 3 der bislang erfolgreichen Baden-Württembergwoche vor der Brust hat.
Die Fotostrecke zum Auswärtssieg beim VfR Aalen 1921 findet Ihr wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
SSC, 31.10.2012