Fabelhaft in Manchester
Eins vorweg: Stimmungsfetischisten und Leute, die in umwerfend geilen Vorort-Berichten aus Manchester schwelgen wollen, sind hier leider etwas fehl am Platze. Die SG-Crew, die sich auf den Weg über den Ärmelkanal ins Land von Fish & Chips aufgemacht hat, ist noch viel zu geflasht, um halbwegs gerade Sätze zu Papier zu bringen. Da aber eine der verfickt geilsten taktischen und spielerischen Leistungen einer Borussenelf in den letzten Jahren für die Annalen festgehalten werden muss, ist dieser Spielbericht von der heimischen Couch aus verfasst.
Ein Nachteil, so ein Spiel zuhause zu bestaunen, ist, dass der Abend völlig unüblich anfängt: nämlich mit Benimmregeln. Angesichts mittlerer Tobsuchtsanfälle und fliegender Sofakissen beim Spiel gegen die Frankfurter Eintracht kurz nach der Halbzeitpause schwang sich die beste Ehefrau von allen zum Beschützer der Nachbarschaft auf und bat, ja so kann man es ausdrücken, etwas nachdrücklich um Rücksicht auf schlafende Kinder und nichtfußballafine Erwachsene drumherum. Ok, eine völlig neue Erfahrung.
Und bereits nach wenigen Sekunden sollte meine Bereitschaft zum häuslichen Frieden auf die Probe gestellt werden. Kopfball Dzeko, Schuss Nasri, Parade Weidenfeller. Ganz easy. Der Pessimist in mir, für den die Woche nicht einen freien Tag zusätzlich, sondern einen weiteren gefühlten Montag mehr hat, hatte gegen das hochgezüchtete Milliardenteam von City bereits ähnliches erwartet. Klar, wir sind auch keine Laufkundschaft, aber dort sitzen allein auf der Bank zusammen mehr Millionen als das Dortmunder U gekostet hat.
Aber hoppala, Klopp schien sich was Feines ausgedacht zu haben, um Roberto Mancini und der Scheichfamilie zu zeigen wo der Frosch die Locken hat. Ein variables 4-3-3-System, mit dem die Citizens bereits in der eigenen Hälfte in Empfang genommen wurden. Viel Laufarbeit, taktisch allerhöchste Disziplin und als Ergebnis ratlos dreinblickende Engländer. Wenn was kam, dann entweder durch Einzelaktionen des ebenso quirligen wie genialen Silva – oder typisch britisches Kick & Rush mit langen Bällen in die Spitze. Vor allem mit Letzterem schafften sie es, die Dortmunder Defensive zu überraschen und bereits nach acht Minuten musste Weidenfeller erneut retten. Diesmal gegen Kun Agüero. Aber auch unsere Borussen ließen sich nicht lumpen und stiegen voll ins Spiel ein. Eine feine Kombination über Reus und Lewandowski lässt Götze frei vor dem britischen Torwart Hart auftauchen, der wohl leider eine Extraportion Reaktion in seiner Pfefferminzsoße gehabt haben muss.
Und weiter geht's, immer angetrieben vom glänzend aufgelegten Borussenblock, der sich konsequent über das Stehplatzverbot hinwegsetzt und parallel zur Mannschaft zu großer Form aufläuft. Weiter Wechselschritt. Mal lenkt Weide in absoluter Ajax-Galaform einen Schuss über die Latte, dann lenkt Hart den Ball von Götze an den Pfosten und kurz darauf an die Latte. Das Spiel ist ganz großer Fußballsport. Mal scheint es, als nagele Borussia den Gegner minutenlang ideenlos an der Mittellinie fest und dann geht es ganz schnell. Silva nimmt es mit vier Dortmundern auf und auf der anderen Seite zeigt Gündogan, dass er innerhalb eines Jahres zum absoluten Sahnekicker mutiert ist. Ihm gebührt dann auch die letzte Chance vor der Pause, doch der Ball flippert ein bisschen zwischen den Stutzen herum, bevor er ihn aufs Tor und leider direkt in die Arme von Hart schießen kann. An seiner Seite übrigens nicht der etatmäßige Kapitän Kehl, sondern Kampfmaschine Bender. Quasi von null in die Startelf bei diesem Spiel und es war als wäre er nie weg gewesen. Wie eine gut geölte und runderneuerte Maschine pflügte er das Mittelfeld um und warf sich bekannt robust und geliebt in die Zweikämpfe. Halbzeit. Null zu null. Aber eins der ganz guten Sorte. Wahlweise hätte es auch 3:0, 3:3 oder 0:3 stehen können. Wie sagt man so schön? Werbung für den Fußballsport.
Spiel ausgeglichen, auf der Tribüne satte Halbzeitführung. Eat this, liebe Verfechter höherer Ticketpreise und englischer Verhältnisse.
Besser hätte es bis hierher eigentlich nicht laufen können und statt schlafloser Nachbarskinder nur ein zufriedenes, seeliges Grinsen im Gesicht, das breiter nicht hätte sein können. Falsch gedacht! Halbzeit Zwei ließ Mundwinkel und Ohrläppchen miteinander verschmelzen.
Borussia macht genau dort weiter, wo sie aufgehört hat. Hoch verteidigen, tief verteidigen, keine Räume im Mittelfeld lassen. Manchester wurde mit jeder Minute genervter und ideenloser. Selbst Silva wurde zusehends immer mehr aus dem Spiel genommen und unsere Jungs gestalteten das Spiel nicht mehr nur ausgeglichen, sie dominierten es. Einzig und allein Torwart Hart sorgte dafür, dass dem schwatzgelben Anhang Witzchen über typisch britische Torhüter im Halse stecken blieben und glänzte ein ums andere Mal. Besonders Götze schien es ihm angetan zu haben und zum dritten Mal brachte er seine Handschuhe zwischen den Ball und die Torlinie.
Und dann war es endlich so weit. Wieder den Gegner konzentriert zum Querpass in der Abwehr gezwungen und auf den einen Moment der Unachtsamkeit gewartet. Der ansonsten spielerisch eher blassere Reus läuft in den Pass zwischen Kompany und Rodwell zieht mit irren 34 Sachen Richtung Tor und die Kugel rutscht über Harts Fingerspitzen hinweg ins lange Eck. Die mittlerweile mehr als verdiente Führung. Der Mob tobt, die Couch wackelt und auch die Ehefrau jubelt, alle guten Vorsätze vergessend.
Ab diesem Punkt musste Manchester eigentlich kommen. Nach der Auftaktniederlage gegen Real Madrid war alles andere als ein Sieg eigentlich zu wenig. Trotzdem konnten sie sich in der Folgezeit bedanken, nicht richtig abgeseift zu werden. In der 76. Minute dann die allergrößte von vielen Großchancen. Gündogan erkämpft sich den Ball, rennt die Außenbahn entlang, schüttelt dabei lästige Gegner locker ab und spielt den Ball perfekt getimed in die Mitte, wo Lewandowski auf Höhe des Elfmeterpunktes nur noch den Keeper vor sich hat. Statt mit dem Innenrist zu schieben, schlenzt er den Ball mit dem Außenrist zwar an Hart, aber leider auch Zentimeter am Pfosten vorbei. In meinem Kopf läuft gerade Carmen Geissen Amok und kreischt immer wieder „Rooooooooobärt". Mensch Junge, das muss es doch sein.
In die Euphorie mischen sich dann leider auch zwei kleine Wehmutstropfen. Erst knallt Hummels beim Versuch, einen langen Freistoß über die Linie zu drücken, mit dem Rücken auf den Boden und man muss kein ausgebildeter Lippenleser sein, um sein „Das tut weh" zu erkennen. Dann wird Gündogang gefoult und bleibt ebenfalls mit Rückenschmerzen liegen. Für beide leider das Spielende und für Santana und Kehl der Spielbeginn.
Und jetzt schreiben wir die 89. Minute. Eckball in den Dortmunder Strafraum, Weidenfeller wird angegangen – kein Pfiff. Der Ball rutscht Kehl über den Scheitel, Agüero schießt aus der Drehung einen Ball aufs Tor, den Weide locker weggeschnappt hätte, wenn Subotic' Arm nicht im Weg gewesen wäre. Aus knapp 80 cm Entfernung angeschossen. Selbst wenn er den Ball mit der Hand hätte spielen wollen, wäre die Reaktionszeit viel zu kurz gewesen. Doch zum Entsetzen aller Schwatzgelben zeigt der Schiri auf den Punkt. Jetzt muss es aber raus. Sollen die Nachbarskinder doch am Wochenende ausschlafen. Und neben Neven schaut der sprichwörtlich begossene Pudel wie frisch frisiert aus.
Den Ball legt sich der eingewechselte Balotelli auf den Punkt. Weidenfeller geht zu ihm hin und bittet ihn vermutlich freundlich, doch fairerweise den Ball neben das Gehäuse zu setzen. Gott sei Dank kann selbst der Boulevard bei der Kamereinstellung keinen Lippenleser beauftragen. Handelsüblicher Trash-Talk, der einfach dazu gehört. Was Balotelli davon hält, zeigt er gleich doppelt. Leicht verzögerter Anlauf, Weidenfeller verladen und Meck-Meck. Leider eine ziemlich coole Aktion, die ich gegen jeden anderen Gegner ziemlich nett finden würde. So aber fühlt sich das irgendwie an wie ein Schlag in die Magengrube.
In der Nachspielzeit hat Lewandowski dann noch einmal die Chance, doch erneut wird der satte Schuss gehalten. Vier Minuten legt der tschechische Schiri noch drauf und der eingangs erwähnte Pessimist in mir erwartet jetzt auf einmal den völligen und megaunverdienten Knockout. Geht aber nochmal gut.
Schade, Jungs. Ihr hättet alle drei Punkte verdient gehabt. Und dennoch: ein großer Fußballabend voller Herz, Leidenschaft und einfach einer geilen Leistung. Fetten Respekt für alle Beteiligten auf und neben dem Platz. Ihr habt Borussia mehr als würdig in Europa präsentiert.
Die Fotostrecke zum Spiel findet Ihr wie geahbt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.