Menschen. Keine Maschinen.
Bereits in den letzten beiden Spielzeiten musste sich der BVB seine Siege in Nürnberg immer hart erarbeiten. Für einen so frühen Zeitpunkt wie in dieser Saison bei fehlenden Automatismen reichte es diesmal halt nur zu einem gerechten 1:1-Unentschieden. Oder wie Trainer Jürgen Klopp in seinem Fazit bestehend einfach die höhere Mathematik bemüht: „Wir haben einen Punkt geholt. Das ist einer mehr als vorher."
Die Zeit vergeht. Es schließen sich immer wieder neue und andere Kreise im Leben, andere hingegen öffnen sich. Exemplarisch lassen sich dafür die beiden letzten Gastspiele unseres Ballspielverein beim 1. FC Nürnberg nennen. Beim 2:0-Sieg im Februar hatten Akteure und Zuschauer unter arktischen Temperaturen zu leiden, nun hatten wir einen sogenannten „Jahrhundertsommer" mit Temperaturen an die 40 Grad hinter uns. Lucas Barrios schoss nach langer Abstinenz damals das 2:0 und ist heute in China beim neuen Verein nicht mehr wirklich glücklich.
Damals im Februar vor sechs Monaten zeigte sich die Nürnberger Fanszene gesellschafts- und kulturpolitisch aktiv und demonstrierte mit Spruchbändern gegen das ACTA-Abkommen und forderte hinsichtlich der großen Dürer-Ausstellung, dass das berühmte „Selbstbildnis im Pelzrock" aus der Alten Pinakothek in München zurück zu den Wurzeln zu kommen hat. ACTA liegt inzwischen auf Eis und kann vorerst als gescheitert gelten, das wohl berühmteste Bild Dürers verblieb in München. Dies tat der Begeisterung über diese jetzt schon als titulierte „Jahrhundertschau" keinen Abbruch. Bis zu zwei Stunden musste vor dem Germanischen Nationalmuseum um Karten angestanden werden. Am Sonntag nach dem Spiel war übrigens der letzte Tag der Ausstellung.
Was das alles mit Fußball zu tun hat? Nichts! Aber wir von schwatzgelb.de haben auch einen öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag zu erfüllen und widmen uns deshalb gerne von Zeit zu Zeit fußballabseitigen Belangen. Den meisten Zuschauern im Frankenstadion dürfte das jedoch egal gewesen sein und deshalb widmen wir uns ab sofort auch nur den sportlichen Gegebenheiten. Der Gastgeber blamierte sich zunächst im Pokal beim TSV Havelse, ehe er in Hamburg mit 1:0 siegen konnte. Wir starteten durch den mühsamen 2:1-Erfolg gegen Bremen zumindest von der Punkteausbeute her optimal in die neue Saison. Die Berichterstattung über den BVB war nicht zuletzt von der Joker-Rolle Mario Götzes geprägt. Eine ermüdende und teils langweilige Diskussion. Man kann inzwischen einfach nur noch froh sein, einen Trainer zu haben, dem man diesbezüglich total vertraut und der es versteht, Dampf aus diesen künstlich hochgejazzten Diskussionen zu nehmen.
Problem Torhymne
Personell nahm Jürgen Klopp zwei Änderungen vor. Für Kirch, der noch nicht einmal im Kader stand, spielte wieder Piszczek. Der offensiv stärkere Perisic ersetzte Großkreutz. Die Hausherren setzten ihre offensiven Hoffnungen nicht nur in den immer stärker werdenden Slowaken Robert Mak, sondern auch auf den „fränkischen Kagawa": Hiroshi Kiyotake. Auf der Bank saß mit Markus Feulner übrigens ein Deutscher Meister 2011. Im Nachhinein werden so seine wenigen Einsätze für den BVB erklärbar, wenn er selbst beim durchschnittlichen Club-Kader nur auf eine Einwechslung hoffen kann. Wenn man dem Nürnberger Boulevard Glauben schenken mag, hat der Verein jedoch keine personellen Probleme, sondern Angst vor einem Torerfolg. Wie bitte? Ja, denn es gab angeblich durchaus heftige Proteste gegen die neue Torhymne. Naja, wenn man am ersten Spieltag auswärts gewinnt, muss man sich halt Luxusprobleme suchen.
Das Duell auf den Rängen ging vor Anpfiff ganz klar an die schwatzgelbe Armada. Man spürte richtiggehend die Lust beim Großteil der Fans, endlich auch wieder in der Bundesliga auswärts abzugehen. Die Freunde der Feinde reagierten lediglich mit müden Pfiffen auf die stimmgewaltigen Statements aus der Gästekurve. Nachdem selbst bei der Jubilarehrung für die FCN-Pokalsieger von 1962 keinerlei Reaktionen der ach so traditionsbewussten Nürnberger zu bemerken waren, gingen beide Kurven etwa eine Viertelstunde vor Beginn der Partie ins direkte Duell mit ihren Schlachtrufen. Erfreulich, dass die Borussen allein durch ihre Kehlen von der Lautstärke sogar dem Heimpublikum überlegen waren. So klang es zumindest auf den neutralen Plätzen zur Mitte des Spielfeldes. Dann kam Winnetou mit seiner Flöte, um „Die Legende lebt" einzuleiten. Es gibt sicher schlimmere Hymnen in der Bundesliga.
Reus mit dem ersten Torschuss
Nachdem FCN-Torwart und Kapitän Raphael Schäfer diesen unsäglichen Text vor der Seitenwahl vorgelesen hat, konnte das erste BVB-Auswärtsspiel der Bundesliga 2012/2013 endlich beginnen. Ein Spruchband im BVB-Block wies noch einmal auf die überragende Bedeutung der Stehplätze hin. Es bleibt wohl nur zu hoffen, dass einer der populistischen Politiker oder sonstigen Funktionäre so etwas dann auch mal sieht und zum Nachdenken angeregt wird. Sportlich setzte Marco Reus die erste Duftmarke an diesem milden und angenehmen Nachmittag. Sein direkter Freistoß aus etwa 23 Metern ging jedoch klar über das Tor (6.).
„Auch Dortmund sieht es ein, es wird immer das Frankenstadion sein!" Diese Banderole wurde nach 13 Minuten weithin sichtbar im Gästeblock ausgerollt. Von Seiten der Gegenüber gab es weder positive noch negative Reaktionen dafür. Es regierte Gleichgültigkeit diesbezüglich. Dafür antworteten die Ultras Nürnberg umgehend mit „Kodex, Verbote & Massnahmenplan? Reclaim the Game! Scheiss Sicherheitswahn!" Auf den Rängen ging es zu diesem Zeitpunkt des Spiels also bedeutend aktiver als auf dem Rasen zu.
Nach 18 Minuten baute sich Torwart Schäfer ein zweites Standbein auf. Denn nach seiner Parade gegen einen Distanzschuss Kehls ist davon auszugehen, dass er mal eine Flugschule nach der aktiven Karriere eröffnen möchte. Den hätte man auch deutlich unspektakulärer entschärfen können. Zumal FCN-Torwartlegende Stuhlfauth ja nicht zuletzt durch den lakonischen Ausspruch „A guter Torwart wirft sich net" auch über die fränkischen Grenzen hinaus bekannt geworden ist. Eine gute halbe Stunde war dann gespielt, als die einfachste Variante der Fußballwelt zur völlig überraschenden Führung der Nürnberger führte. Kiyotake schlug eine Ecke hoch in den Strafraum und Pekhart setzte sich gegen Hummels problemlos durch. Zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten war die BVB-Siegesserie ernsthaft in Gefahr, zumal der Nürnberger Beton bereits angeliefert und angerührt wurde.
Dreimal ist Dortmunder Recht
Schön, aber erfolglos spielten sich dann Reus, Piszczek und Lewandowski nach 39 Minuten die erste zwingende BVB-Chance heraus. Unglücklicherweise traf unser Stürmer den Ball aber nicht richtig. Keine Probleme für Schäfer waren die Folge. Eine Minute später lief es dann wesentlich besser. Schmelzers Flanke konnten weder Lewandowski noch Perisic (Latte) im Nachschuss verwerten, sodass es Kuba im dritten Versuch vorbehalten war, den Ausgleich noch vor dem Halbzeittee zu erzielen.
In Halbzeit zwei war es wieder Pekhart, der für den Gastgeber erstmals gefährlich wurde. Diesmal stellte sein Distanzschuss aber keine größere Bedrohung für die Maschen des von Roman Weidenfeller gehüteten Tores dar (55.). Und auch der Schuss Maks nach einem Alberto Tomba-Gedächtsnislauf ging fünf Minuten später glücklicherweise knapp über das Gehäuse. Nach einer strittigen Strafraumsituation auf Seiten des BVB forderte das Heimpublikum dann vehement ihren Ex-Leihspieler Julian Schieber. Vielleicht war es aber auch mit der Leistung des Unparteiischen nicht ganz einverstanden...
Viel los war dann in der 63. Minute. Erst rettete Pinola gegen Hummels' Kopfball auf der Linie und dann schoss Gündogan gegen seine alten Kameraden knapp drüber. Direkt im Anschluss verließ der blasse Perisic für Götze das Feld. Gegen Mitte der zweiten Hälfte wurde das Spiel wesentlich hitziger und Schiri Welz gab insgesamt dreimal Gelb. Auf den Rängen ging es weniger heißblütiger zu. Beiden Seiten kann eine grundsolide Leistng attestiert werden. Kurze Zeit später erhörte Klopp dann den Nürnberger Anhang und brachte Schieber für Reus.
Schieber scheitert an Schäfer
In der 79. Minute wurde es schließlich kurz unübersichtlich. Die Nürnberger wollten es nicht wahrhaben, dass auf Eckball für den BVB entschieden wurde. Die herrschende Konfusion nutzte Götze blitzschnell aus und verwandelte die Ecke direkt. Leider war die Freude jedoch von kurzer Dauer, da das Spiel für die Auswechslung Großkreutz' unterbrochen war. Weitere zwei Minuten später parierte Schäfer prächtig einen Distanzschuss seines ehemaligen Kollegen Schiebers. Der BVB war in dieser Phase des Spiels jetzt ganz klar am Drücker.
Vier Minuten vor dem Ende jedoch schlug Klopp die Hände über dem Kopf zusammen. Gündogan verlor gegen Polter in der Vorwärtsbewegung den Ball. Der bediente Mak und der Wirbelwind musste Fortuna für den BVB richtig schwitzen lassen. Denn seine Flanke von rechts boxte sich Weidenfeller gegen den eigenen Pfosten. Was für ein Glück für den BVB! Die Serie der ungeschlagenen Spiele hielt. Nach der Länderspielpause kann diese zu Hause gegen die Pillendreher aus Leverkusen ausgebaut werden.
Die Fotostrecke zum Spiel gibt es auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Stimmen zum Spiel
Sebastian Kehl: Ich habe ein bisschen Frust und muss aufpassen, dass ich nichts falsches sage. Wir haben 1:1 gespielt und hätten gewinnen müssen, aber haben uns in den entscheidenden Momenten nicht durchgesetzt. Eine Minute nach Spielschluss kann man ja auch mal aufgewühlt sein.
Jürgen Klopp: Was soll ich sagen? Wir hatten mehr Spielanteile und hatten einen relativ guten Anfang, aber der absolute Punch im letzten Drittel hat gefehlt. Dann kriegen wir ein Tor nach einer Standardsituation, wo der FCN eine außerordentliche Qualität hat und wo wir noch nicht bei 100 % sind. Dieses Thema sollten wir angehen. In der zweiten Halbzeit war es dann ein bisschen zu wenig, weil wir auch etwas zu schnell in die Spitze gespielt haben. Aber wir haben einen Punkt. Das ist einer mehr als vorher. Was mir heute an die Nieren ging, war die Schiri-Leistung. Es ist so schwer, wenn allesweg gepfiffen wird. Wir sind die fairste Mannschaft der Liga und kriegenr mehr Gelbe Karten als Nürnberg. Das war heute anstrengend.
Dieter Hecking: Wir haben auch einen Punkt mehr als vorher und bin auch glücklich. Wir wussten, dass wir dem BVB keinen offenen Kampf, kein offenes Feld bieten können. Die Mannschaft hat das heute fantastisch gemacht. Was wir uns taktisch vorgenommen haben, wurde umgesetzt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass wir 1:0 mit in die Halbzeit nehmen. Wir haben den BVB heute genervt und deshalb ist es unterm Strich auch ein gerechtes Unentschieden.
Zeugniskonferenz
Roman Weidenfeller: Sorgte kurz vor Schluss fast für das "Kacktor des Monats". Auch beim Gegentor nicht gerade glücklich. Note 4,5.
Neven Subotic: Heute der bessere Innenverteidiger. Zwar nicht fehlerfrei, aber im entscheidenden Moment immer da. Note 3.
Sebastian Kehl: Sehr präsent und engagiert. Sogar mit zwei, drei Zuckerpässen, die aber leider nicht genutzt werden konnten. Note 2,5.
Ilkay Gündogan: Fast mit fatalem Ballverlust vor dem Weidenfeller-Slapstick. Sonst zumindest bemüht. Note 4.
Robert Lewandowski: Nur mit einer gefährlichen Aktion. Muss noch in die Saison kommen. Note 4.
Marco Reus: Gerade am Anfang sehr engagiert und gefährlich. Konnte dieses Niveau jedoch nicht halten. Note 3,5.
Ivan Perisic: So wird das langfristig nichts mit der ersten Elf. Note 5.
Mats Hummels: Anfängerhaft beim Gegentor. Kurz danach erneut mit Aussetzer. Auch offensiv nicht so zwingend wie sonst. Note 5.
Kuba: Torschütze und auch sonst eher überdurchschnittlich im Teamvergleich. Das reicht dann. Note 3.
Lukasz Piszczek: Offensiv mit guten Aktionen. Hinten solide. Note 3.
Marcel Schmelzer: Seine Flanke führte letztlich zum Ausgleich. Defensiv nicht clever genug, um sich auf den kleinlichen Schiri einzustellen. Note 3,5.
Die drei Einwechselspieler Götze, Schieber und Großkreutz blieben unter einer halben Stunde Einsatzzeit und können deshalb nach guter kicker-Manier nicht bewertet werden.
Daten zum Spiel
1. FC Nürnberg (4-2-3-1): Schäfer – Chandler, Nilsson, Klose, Pinola – Balitsch, Simons – Mak (89. Feulner), Kiyotake, Esswein (88. Gebhart) – Pekhart (82. Polter)
BVB (4-2-3-1): Weidenfeller – Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer – Gündogan, Kehl – Kuba (79. Großkreutz), Reus (72. Schieber), Perisic (63. Götze) – Lewandowski
Tore: 1:0 Pekhart (31., Kopfball, Vorarbeit Kiyotake), 1:1 Kuba (40., Rechtsschuss, Perisic)
SR: Welz (Wiesbaden – Assistenten: Christ, Foltyn – 4. Mann: Assmuth)
Zuschauer: 50.000 (ausverkauft)
Chancen: 3:4
Gelbe Karten: Klose (65., Foulspiel), Balitsch (70., Foulspiel) – Piszczek (71., Foulspiel), Großkreutz (90., Fuß drüber)
Malte, 1.09.2012