Lederhosen ausgezogen, Meisterschaft ganz nah
Vorgeplänkel
Jürgen Klopp hatte es auf der Pressekonferenz vor dem Spiel bereits schön ausgedrückt: Zum Spiel der Spiele war von Seiten der Medien und der Verantwortlichen im Vorfeld bereits alles gesagt worden. Das Aufeinandertreffen der beiden besten deutschen Teams, schon zum deutschen El Clásico ausgerufen, elektrisierte ganz Fußball-Deutschland. Mehr als 450.000 Kartenwünsche gingen beim BVB ein und auch auf der Pressetribüne tummelten sich viel mehr Medienvertreter als üblich. Ein freier Sitzplatz? Fehlanzeige.
Viel war über mögliche Aufstellungen der Duellanten gesprochen worden, kaum weniger über eine mögliche Rückkehr von Mario Götze oder über einen Einsatz des kürzlich wiedergenesenen Bastian Schweinsteiger. Doch personell änderte sich im Vergleich zu den vorausgegangenen Partien der beiden Teams wenig: Der BVB begann mit einer Ausnahme mit derselben Aufstellung wie gegen den VfL Wolfsburg. Der defensivstarke Kevin Großkreutz startete wie erwartet für den leicht lädierten Ivan Perisic im linken offensiven Mittelfeld. Ilkay Gündogan und Anführer Sebastian Kehl bildeten wieder die Schaltzentrale, sodass Sven Bender mit einem Platz auf der Bank vorlieb nehmen musste. Von dort hätte sich auch Götze gerne den Großteil der Partie angeschaut, doch der Trainer entschied sich nach dem Abschlusstraining gegen eine Nominierung des Ausnahmetalents, das aufgrund einer Schambeinentzündung in diesem Jahr noch zu keinem Einsatz gekommen war. Zwar habe der 19-Jährige laut Klopp „am Sonntag ganz normal trainiert" und „keine Probleme mehr", doch für einen Kurzeinsatz gegen die Bayern reiche es noch nicht. So blieb nur der Tribünenplatz.Klopps Pendant Jupp Heynckes veränderte seine Startelf auf zwei Positionen. Anstelle von Anatoliy Tymoshchuk vertraute das Trainer-Urgestein auf den gegen Augsburg noch gelbgesperrten Brasilianer Luiz Gustavo, und auch Toni Kroos durfte wieder von Beginn an ran. Dafür blieb Schweinsteiger zunächst nur Ergänzungsspieler. Der Österreicher David Alaba verteidigte wie in den letzten Wochen erfolgreich erprobt auf der linken Defensivseite.
Teil eins: Der Vorhang öffnet sich – BVB besser, trifft aber nicht
Vor 80.270 Zuschauern und 450 Medienschaffenden im ausverkauften schwarzgelben Tempel sowie vor Millionen von Zuschauern an den heimischen Fernsehgeräten und Computern auf der ganzen Welt pfiff der Unparteiische Knut Kircher die Partie kurz nach 20 Uhr an. Schon da bekam man einen ersten Eindruck von der besonderen, atemberaubenden Atmosphäre, die dank eindrucksvoller Kulisse und eines mächtigen Geräuschpegels beeindruckte. Beim Einlaufen der Gladiatoren erstrahlte die Südtribüne in gelb, vereinzelt leuchteten einige Wunderkerzen auf. Ein Banner machte dem Gegner deutlich, dass er eigentlich erst gar nicht anzutreten bräuchte: „Auf dem Weg zum Ziel kann uns keiner halten!"Der Aufruf von Nobby Dickel wäre vermutlich gar nicht erst nötig gewesen, dennoch forderte der Stadionsprecher noch vor Anpfiff: „Alle Tribünen machen mit! Das muss ein Fest werden!" Und tatsächlich: Exakt nach 1:09 gespielten Minuten stand das ganze Stadion zum ersten Mal. Auch die Fans auf West- und Osttribüne lüfteten gemeinsam ihre Hintern, peitschten das Team in der Anfangsphase im Gleichklang mit der Südtribüne nach vorne und trugen somit zu dem starken Beginn des BVB bei. Kuba nach einem starken Pass von Gündogan, sowie Großkreutz, dessen Abschluss Manuel Neuer mit einer Riesenparade entschärfte, setzten bereits in den ersten fünf Minuten Ausrufezeichen zugunsten der Schwarz-Gelben. „Wir wollen den 80.000 ein Spektakel bieten", hatte Klopp vor der Partie versprochen - seine Mannschaft hielt sich an die Vorgabe.
Doch auch die für ein Spiel unter der Woche durchaus zahlreich angereisten Bayern-Fans machten zu Beginn relativ laut auf sich aufmerksam, ließen aber im Verlaufe der Partie mit Ausnahme einer kurzen Hochphase um die 60. Minute merklich nach. Ihr Team fand nach einer guten Viertelstunde besser in die Partie, so dass sich ein offener Schlagabtausch im Mittelfeld entwickelte. Gefährliche Szenen vor dem Tor blieben kurzzeitig Mangelware, weil sich beide Mannschaften zeitweise egalisierten und einen harten Kampf boten. So kam es kaum noch zu Strafraumszenen. Dennoch erwähnenswert: Während der Schalker Rückstand auf der Anzeigetafel erschien, ließ Kagawa mehrere Gegenspieler wie Slalomstangen stehen - sein Schuss blockte die Bayern-Abwehr aber im letzten Moment (25.). Den BVB-Fans machte das Spiel aber weiterhin großen Spaß: So trugen sie maßgeblich dazu bei, dass dieser Abend nicht nur wegen des Geschehens auf dem Platz unvergesslich werden würde. Auch der Linksschuss von Toni Kroos, der nach einer halben Stunde knapp am Kasten von Weidenfeller vorbeiflog, trübte die gute Stimmung nicht.Und der BVB blieb in Hälfte eins das Team mit den besseren, weil klarer herausgespielten Chancen. Häufig involviert war der gute Gündogan, der zur Halbzeit die meisten Ballkontakte hatte und oft kluge Bälle in die Spitze oder auf die Flanken spielte. Die Hereingabe von Lewandowski konnte Kehl aber ebenso nicht verwerten, wie der polnische Torjäger die Flanke von Kuba, die nur an den Pfosten klatschte — Glück für die Bayern, die vor der Halbzeit zu keiner hundertprozentigen Möglichkeit mehr kamen.
Teil zwei: Bayern wird stärker und kassiert das Tor
Die zweite Halbzeit begann mit einer herzlichen Begrüßung Manuel Neuers, der nun vor der Südtribüne stehen musste und freundlich an seine verkorkste Vergangenheit erinnert wurde. Mit kurzer Verzögerung — die Ordner räumten zunächst die zahlreichen in den Strafraum geschmissene Bananen vom Feld — ging es dann weiter.
Der BVB kam gut aus der Pause, doch mit den Schüssen von Lewandowski und Piszczek sowie einem Kopfball von Kagawa hatte Neuer keine Probleme. Die Fans auf den Tribünen feuerten weiter lautstark ihre „young guns" an, doch nun verlor der BVB etwas die Spielkontrolle. Der Rekordmeister wurde stärker, die Fans im Gästeblock wieder lauter und Ribery vergab zwei gute Möglichkeiten nach einer knappen Stunde. Der BVB litt unter unnötigen Ballverlusten im Spielaufbau und einer aufkommenden Dominanz der Roten als Folge der variableren Spielweise im offensiven Mittelfeld. Robben, Ribery und Müller wechselten nun häufiger die Positionen und trugen so zur Verwirrung in Klopps Defensive bei. Nur Kehl (66.) und Kagawa (74.) sendeten mit ihren Schüssen noch kleine Signale, dann dominierte der FCB, für den mittlerweile Schweinsteiger für Müller gekommen war.Auch Klopp, in seinem 133. Spiel für den BVB, änderte seine Startelf: Perisic und Leitner brachten frischen Wind ins Spiel, Gündogan und Kagawa gingen für sie heraus. Wie aus dem Nichts und doch irgendwie verdient führte der BVB plötzlich: Großkreutz schoss 13 Minuten vor Ende aus 17 Metern nach unzureichend abgewehrter Ecke auf das Tor von Neuer, Lewandowski netzte gekonnt mit der Hacke ein. Die Führung für Dortmund!
Das Stadion stand jetzt Kopf, doch der Rekordmeister warf noch einmal alles nach vorne und in die Waagschale. Der BVB wiederum kämpfte bis vier Minuten vor Schluss erfolgreich um den Sieg, war aber dann dem Elfmeterpfiff von Knut Kircher ausgeliefert — nach Betrachtung der Zeitlupe wohl eher eine Fehlentscheidung: Weidenfeller berührte Robben, der sich selbst in die Hacken trat, kaum. Egal, denn der Keeper hielt und wurde so zum Helden des Abends. Der Niederländer mit der Nummer zehn wiederum wurde damit im dreifachen Sinne zum Anti-„man of the match", da er nicht nur den Elfmeter verschoss, sondern in der 91. Minute auch den Nachschuß nach Lattenkopfball von Subotic über das Tor setzte. Beim entscheidenden Treffer des Abends, und das setzte dem ganzen die Krone auf, hatte der Nationalspieler außerdem das Abseits aufgehoben. Den Schlusspunkt der turbulenten Schlussphase setzte schließlich Lewandowski, der nach Pass des eingewechselten Owomoyela alleine auf das Tor zulief, aber ebenfalls nur das Gebälk traf.Knut Kircher pfiff ab, der BVB hat nun sechs Punkte Vorsprung auf Platz zwei und beste Aussichten auf die Meisterschaft. Aber Achtung, bei aller Freude über diesen denkwürdigen Abend: Schon Samstag steht das Derby an und auch dort muss das Team von Klopp wieder in Bestform antreten, um im Idealfall die nächsten drei Punkte auf dem Weg zum Titel einzusacken. Andernfalls könnte es noch einmal spannend werden.
Stimmen
Klopp: „Man kann das nicht viel besser spielen gegen die Bayern. Wie viele Chancen wir kreiert haben: Hut ab! Die Jungs haben sich für ihren großen Aufwand belohnt. Ich fand es am Ende hochverdient. Ich halte das für das beste Spiel, das wir gegen den FCB gemacht haben. Wie die Jungs Fußball spielen, ist außergewöhnlich.“„Ich glaube, dass das schon am Anschlag war. Die letzten paar Minuten waren ja unglaublich. Wir bleiben schön in der Spur, kein Problem. Es kann leider noch viel passieren. Wir haben in nicht einmal drei Tagen Schalke vor der Brust. Wir brauchen keine Vorentscheidung. Wir feiern, wenn es passiert ist und arbeiten solange weiter.“
„Ich möchte nicht übertreiben, aber das was wir hier machen geht nicht im Vorbeigehen. Wir machen das hier mit Haut und Haaren, und sind alle ein bisschen verknallt in den Verein. Das muss man manchmal rauslassen.“
Lahm: „Ich glaube nicht, dass sich Dortmund sechs Punkte nehmen lässt.“
Neuer: „Beim Derby kann immer alles passieren, das weiß man. Deswegen verhalte ich mich erstmal ruhig und hoffe noch auf unsere Chance.“
Nerlinger: „Die Enttäuschung ist groß, aber wir müssen das beste machen und nach vorne schauen — in allen Wettbewerben.“
Kroos: „Wir müssen die Niederlage jetzt erst Mal ein bisschen verdauen.“
Noten
Weidenfeller: Alleine der gehaltene Elfmeter war Gold wert! Auch sonst ein sicherer Rückhalt, der das Spiel auch klug beruhigte und am Ende ein bisschen Zeit gewann. (1)
Piszczek: Lieferte sich rassige Duelle mit Ribery und war mal Gewinner, mal Verlierer. (2,5)
Subotic: Zweikampfstärkster Spieler, gewann viele wichtige Zweikämpfe, hatte aber Glück bei seinem Lattenkopfball ans eigene Tor. (2,5)
Hummels: Antizipationsstark, sicher und immer da, wenn er gefordert wurde. (2)
Schmelzer: Ließ hinten nichts zu und setzte auch ein, zwei Akzente in der Offensive. (2,5)Kehl: Ein Leader. Gab die Richtung vor, gewann wichtige Zweikämpfe, hatte aber auch eine kleine Schwächephase, als die Bayern in Hälfte zwei stärker wurden. (2,5)
Gündogan: Mit den meisten Ballkontakten und schönen Pässen im ersten Durchgang, ließ er in den zweiten 45 Minuten die Präzision vermissen und wurde folgerichtig ausgewechselt. (3)
Kuba: Bärenstark in der ersten Halbzeit - besonders in den ersten 15 Minuten. Dann etwas weniger dominant in der Offensive, aber ungemein wichtig in der Defensivarbeit. (2,5)
Kagawa: Mit Licht und Schatten. Starke Aktionen wie sein Solo in der ersten Halbzeit oder der Schuss kurz nach der Pause wechselten sich mit ein paar Fehlpässen und Ballverlusten ab. (3)
Großkreutz: Die Lunge. Kampf- und zweikampfstark, machte zusammen mit Schmelzer die linke Seite dicht und bereitete auch das Tor vor. Gute Chance am Anfang, die Neuer klasse hält. (2,5)
Lewandowski : Besonders in den zweiten 45 Minuten ball- und passsicher, zudem der Torschütze des Tages mit einem traumhaften Tor. (1,5)
Statistik
Deutscher Meister: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - Gündogan (74. Leitner), Kehl - Blaszczykowski (89. Owomoyela), Kagawa (74. Perisic), Großkreutz - Lewandowski
Bayern München: Neuer - Lahm, Boateng, Badstuber, Alaba - Luiz Gustavo, Kroos - Robben, Müller (61. Schweinsteiger), Ribery - Gomez (75. Olic)
Tore: 1:0 Lewandowski (77. Linksschuss, Großkreutz)
Zuschauer: 80.720 (ausverkauft)
Ecken: 3-4
Flanken: 12-8
Ballbesitz: 44%-56%
Zweikämpfe: 53%-47%
Fouls: 10-9
Abseits: 2-3
Die meisten Torschüsse: Lewandowski (4)
Die meisten Torschussvorlagen: Kuba, Großkreutz (3)
Die meisten Ballkontakte: Kroos (100), BVB: Subotic (65)
Der Zweikampfstärkste: Subotic (72%)
Daniel R. 12.04.2012