"Ihr habt den Torwart gewechselt"
Zu Beginn eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Wir stehen im Finale!!! Die schlechte: Gibt’s nicht! Also nochmal zum Mitschreiben. Berlin, Finale, Pokal, Mai, Dortmund, Bananen, Schwarz, Gelb. Und weil der Ballspielverein nun mal so ist wie er ist – brutal geil auf Siege, aber irgendwie halt auch spektakulär – hat er seinen Anhängern diesen Finaleinzug nicht einfach so überreicht. Er wollte es unbedingt spannend machen und reizte die Pracht der großen Bühne bis zur letzten Sekunde aus. Und weil das Stadion in Nürnberg (also Fürth bei Nürnberg) nicht sooo vielen Zuschauern Platz bietet, eröffnen wir hier an dieser Stelle eine perspektivisch abwechslungsreiche Berichterstattung zum fürthen… sorry, zum fünften Pokalfinaleinzug.
+++ Frankenland, Dienstagnachmittag +++
Für die SG-Korrespondenten begann der Tag im Frankenland bereits mit einem breiten Grinsen und der Erkenntnis, dass man nicht zwingend zum Minister- oder Bundespräsidenten gewählt werden muss, um kostenlose Upgrades zu erhalten. Statt der Übernachtung in der Schankwirtschaft wurden wir kurzerhand zum gleichen Preis ins benachbarte 4-Sterne-Schlosshotel umquartiert – ein durchaus durchschaubares Manöver, doch wir wollen mal nicht so sein und empfehlen unseren Lesern für alle zukünftigen Auswärtsfahrten die sympathische Best-Western-Hotelkette.
(Einen adäquaten Ehrensold vorausgesetzt, wollen wir an dieser Stelle gerne auch unser Amt als Berichtertstatter zur Verfügung stellen – um Schaden hiervon abzuwenden und aus rein persönlichen Gründen, versteht sich.)
Gerade in Fürth angekommen, verriet das Autoradio in Person von Mike Büskens die Geheimtaktik für den Abend: Man wolle das Spiel möglichst lange offen gestalten und derart spät das Tor erzielen, dass der Gegner nicht mehr reagieren könne. Sternzeichen Fuchs, würde Redaktionskollege Malte D. wohl konstatieren.
Den Vorzeigeblauen Nummer Zwei noch im Ohr ging es auf einen kurzen Abstecher in die wirklich schmucke fränkische Innenstadt, in der bereits Grünweiße wie Schwatzgelbe die Kneipen und Gassen bevölkerten. Dass man in Fürth den eigenen Trainer sowie „Publikumsliebling Asamoah“ zum Anlass nimmt, sich auf seltsame Art und Weise unseren blauen Nachbarn verbunden zu fühlen, durften wir dann beim Blick auf den Aushang einer Sportsbar registrieren. „Kleeblatt vs. Lüdenscheid“ verriet dort die Ankündigung der TV-Übetragung für den Abend. Für den Feind der Freunde unserer Feinde schon skurril. Was kommt denn als nächstes, liebe Kleeblätter? Fanfreundschaft mit dem Glubb?
Also auf zum Ronhof – dem inoffiziellen ehemaligen Spitzenreiter in Sachen bekloppte Stadionnamen, inzwischen in dieser Disziplin dank Dresden und Duisburg jedoch etwas ins Hintertreffen geraten. Das kleine Fürther Stadion ist jedenfalls auch nicht das, was man originär als schön bezeichnen würde. Malerisch von einer kleinen Hochhaussiedlung umgeben und mit provisorisch anmutenden Tribünen wild zusammengeschustert, entwickelt die Spielanlage dennoch einen gewissen Charme und Fußballflair vergangener Tage. In Zeiten der Hellmich-Freie-Wiese-Möbelhaus-Arenen eine wohltuende Abwechslung – auch wenn der komplett unüberdachte Gästeblock eine akustisches und bei anderer Witterung wohl auch regnerisches Desaster darstellt.
+++ Dortmund, Kampfbahn Rote Erde, nach dem Schlusspfiff der Amateurpartie +++
Soeben ist das Spiel der Amateure gegen Wuppertal mit einem Sieg zu Ende gegangen und im Hinterraum der Stadiongaststätte wartet alles auf die Pressekonferenz mit den beiden Trainern. Es sitzt aber niemand am Tisch und arbeitet an seinem Bericht, sondern alle scharen sich um den an der Wand hängenden Fernseher auf dem das soeben angepfiffene Pokalhalbfinale zu sehen ist. Auch als die PK dann läuft wird den Trainern höchstens die halbe Aufmerksamkeit gewidmet. Selbst David Wagner scheint bei seinen Ausführungen stets ein Auge auf den Fernseher zu werfen.
+++ Finalstadt, Kneipe, Erste Halbzeit +++
Berlin. Ort der Pokalträume. Aber auch Wohnort zahlreicher Borussen. Seit einiger Zeit zähle ich mich dazu. Das große Glück, ein paar Leute zu treffen, die die Leidenschaft teilen. Die manchmal sogar noch verrückter sind. Noch mehr für den Verein leben. War am vergangenen Wochenende noch ein Großteil der Berliner Borussen unten im schönsten Stadion der Welt, so saßen wir nun wieder zusammen. Wenig nervös. Mit einem Nürnberger und einem Bremer Gast. Der Beamer lief, das Spiel begann. Einer schreit immer „Das ist zu einfach“, einer stimmt immer Lieder an, und ein anderer steht auf, geht zur Toilette, dann Bier holen und wundert sich. In immer kürzeren Abständen.
+++ Fürth, Gästeblock im Ronhof, irgendwann während der Partie +++
Die Stimmung im Gästeblock geriet dann auch entsprechend den örtlichen Gegebenheiten und damit einem DFB-Pokal-Halbfinale eher unwürdig. Ein monotoner Klangbrei, der zum Antreiben der Mannschaft zu keiner Zeit wirklich geeignet war, passte nicht so ganz zum hübschen Bild, das die zahlreichen Schwenkfahnen im Stehplatzblock beim Intro boten. Klar, das fehlende Dach tat das seine dazu, dass sich die Gesänge nicht auf die angrenzenden Blöcke und das Spielfeld weitertragen konnten. Aber auch unter Berücksichtigung dieses Umstands war das einfach zu wenig, waren die Gesänge zu leise und unemotional. Echte Anfeuerung einer Mannschaft, die es an diesem Tage wirklich gebraucht hätte, sieht jedenfalls anders aus.
+++ Dortmund, Kampfbahn Rote Erde, zur selben Zeit +++
Nach dem Ende der Pressekonferenz machen sich die Journalisten von dannen und einige Spieler der Amas sowie das Schiedsrichtergespann nehmen an den Tischen Platz. Die sg.de Amas Crew bleibt sitzen, um an diesem geschichtsträchtigen Ort zu verfolgen, wie ein neues Kapitel in der Pokalhistorie des BVB geschrieben wird. Mit vereinten Kräften wird der Fernseher auf volle Lautstärke gedreht und alle verfolgen gebannt das Spiel in Fürth. Immer wieder sind lautstarke Kommentare von David Wagner und den anderen Mannschaftsbetreuern zu hören, während die Spieler weitgehend still ihre Currywurst mampfen. Sie haben ja auch schon ein schweres Spiel in den Knochen. Dementsprechend sind zur Verlängerung auch keine Spieler mehr da, auch die Schiris haben sich auf den Heimweg gemacht. Jedesmal, wenn man zu David Wagner rüber schielt, sitzt seine Baseballkappe in einer anderen Richtung auf dem Kopf. Scheinbar hat sein Puls ähnliche Höhen erreicht, wie der der beiden sg.de Redakteure, die inzwischen kurz vor dem Herzkasper stehen.
+++ Fürth, Ronhof, zweite Halbzeit +++
Auf Seiten der Gastgeber sieht das schon anders aus. Die Kleeblätter, die mit einer hübsch anzuschauenden Choreo das Spiel begonnen hatten, feuerten ihre Mannschaft nach Kräften von allen Tribünen aus an. Das kann man allerdings auch so erwarten, bei einem Zweitligisten im Halbfinale. Dass es mit der Fanfreundschaft zum Glubb dann wohl doch noch etwas dauern würde, dokumentierten die Reaktionen auf die Einwechslung des Ex-Nürnbergers Gündogan, der von den Zuschauern ähnlich zärtlich bedacht wurde wie auf der anderen Seite die Hereinnahme des blau-grün-weißen Publikumslieblings mit seinen herzerweichenden Tränchen.
+++ Finalstadt, Kneipe, zweite Halbzeit und Verlängerung +++
Borussia drückt, gibt ab der 60. Minute das Spiel aus der Hand. Lässt sich in Zweikämpfe verwickeln, bekommt die Vorstöße nicht in den Griff. Schmelzer, Berliner Fanfavorit, mit einer respektablen Abwehrleistung. Schießt er, raunen wir. Man braucht solche Spieler, wenn man in einer Kneipe sitzt. Das Schimpfen hier ist anders.
Wird aber dann lauter als Asamoah sich aufs Spielfeld begibt. Und richtig berechtigt. Neben mir der Nürnberger schüttelt den Kopf. Er hat bereits die Derbyniederlage im Pokal hinter sich. Und für einen kurzen Moment denke ich: Ein Finaleinzug der Fürther, gleichbedeutend mit dem Einzug in die Europa-League, muss für ihn noch deprimierender sein. Er ist in Fürth zur Schule gegangen. Müsste sich das jahrelang anhören. Aber für uns wäre der Pokaleinzug der Fürther auch ein Problem. Wir wollen das Spiel in Berlin. Die wir da sitzen und stehen und singen und anfeuern, wir wollen ein Heimspiel. Wir wollen die restlichen Borussen an den Grenzübergängen mit Bananen begrüßen. Damals 1989, damals 2008. Heute 2012.
108 Minuten sind mittlerweile gespielt. Sky gibt zum Field Reporter runter, der sensationelles über eine gewisse Jasmin zu berichten hat. Die soll jetzt eingewechselt werden. Die finale Demütigung, denn wie sich rausstellt, soll Jasmin eine veritable Elfmeterkillerin sein. Der Nürnberger sagt: „Jetzt rettet mich nur noch ein Gündogan-Tor in letzter Minute!“ Ohnehin: Gündogan tut dem Spiel gut. Aber das Elfmeterschießen droht. Der Bremer flachst: „Nen Tor für Fürth wäre doch jetzt toll!“ Er wird nichts mehr sagen, das machen wir ihm schnell klar.
Jetzt kommt Jasmin, Grün geht. Noch ein paar Sekunden. Elfmeterschießen. Will Scherben eine SMS schreiben, dass er sich, wo immer er sich gerade befindet, vom Spiel verdrückt. Aber das Spiel ist noch nicht vorbei, verschiebe es auf später. Da haut Gündogan den Ball an den Pfosten, an die Schulter. In das Tor. Der Beamer fliegt auf die Erde, ein paar Menschen drüber. Borussia ist im Finale. Auf dem verbliebenen Fernseher, und auch wieder auf dem Beamer, irgendwer hatte den wieder aufgestellt, erzählt Kevin von seinem Jubel. Wir applaudieren. Auf in die Berliner Nacht. Im Mai dann auf in die schwatzgelbe Berliner Nacht! Es könnte nicht schöner sein.
+++ Washington, ein namenloses Büro, fünf Stunden früher und doch zur selben Zeit +++
Wenn der Puls so und so schon bei 190 Umdrehungen die Minute liegt, ist es nicht besonders hilfreich, wenn der durchgängig wacklige Live-Stream seinen Geist zwischenzeitlich gänzlich aufgibt. Vor allem nicht, wenn das dann auch noch in der 115. Minute passiert. Was soll man da dann bitteschön noch machen? Fingernägel sind eh schon weg, der Schweiß tropft überall da hin, wo er nicht soll und fußballerische Nullchecker-Amerikaner laufen durchs Büro und faseln sich die Birne zu. Und dann noch dieser Kollege Poschmann am Mikro, Wahnsinn wie da das Risiko des Herzstillstandes sekündlich steigt. Ist aber auch so, dass die Borussia viel dazu beigetragen hat, an einem Abend, der schon jetzt in die schwarzgelbe Geschichte eingegangen ist. Über Standards brauchen wir uns in dieser Saison ja sowieso nicht zu unterhalten. Die bringen’s einfach nicht. Richtig an den Nerven zehrt dann aber, wenn saisonale Automatismen nicht greifen. Beispiele gefällig? Bitteschön: Zweite Bälle nach traditionell verschenkten Standardsituationen, Passsicherheit im Spielaufbau, genaue Hummels-Pässe in die Spitze, Flanken, zweite Bälle nach Befreiungsschlägen des Gegners, ruhiger Aufbau.
Und so schaut man auf die Uhr und die Zeit verrinnt und am Ergebnis ändert sich nichts. Man ist schon fast beruhigt, als die reguläre Spielzeit endet und der Greuther-Tee namens „Sturm und Drang“ seine druckvolle Wirkung verliert. Ein Automatismus greift dann allerdings doch noch. In Deutschland ist es schon spät, die Nacht legt ihr schwarzes Gewand um Fürth und auch um dessen Trainer. Blau wie er ist, bringt er einen neuen Keeper – denn auch der soll noch verdiente Pokalluft schnuppern, vor dem sicheren Einzug ins Finale. In Washington geht langsam die Sonne unter. Die hier noch vorhandene Helligkeit legt sich auf Gündogan und sorgt für Klarheit. Abziehen! Einfach nur schießen! Finale! Der Automatismus dabei? Die Borussia bleibt ohne Gegentor, und vorne fällt halt meistens eins. Fürth hat ein gutes Spiel gemacht. Aber draußen ist draußen ist halt nicht Berlin! Aber hier in Washington ist Berlin – zumindest für mich… und für alle anderen überall, die es mit diesem spektakulären Ballspielverein halten!
+++ Dortmund, Kampfbahn Rote Erde, ebenfalls zur selben Zeit +++
Als alles schon vorbei zu sein scheint und es droht, mit ungewissem Ausgang ein Elferschießen gegen einen ausgewiesenen Spezialisten bestreiten zu müssen, folgt der ekstatische Moment in der Schlussminute. Alles springt laut schreiend durch den Raum man liegt sich in den Armen und jedem ist klar: Wenn das Finale in Berlin gespielt wird, muss man einfach live und nicht nur vor der Glotze dabei sein.
+++ Fürth, Ronhof, kurz vor Mitternacht +++
Weil am Ende halt immer Borussia lacht, wurde aus dem Fußmarsch auch diesmal wieder nichts. Kevins Versuch, den Geschlagenen zu trösten, wurde leider recht unversöhnlich zurückgewiesen. Wo bleibt denn da der Sportsgeist? Im Gästeblock wurde es erst mit dem Siegtor richtig laut – und sogar ein bisschen kreativ. „Ihr habt den Torwart gewechselt“ lautete der feixende Gassenhauer aus dem Gästeblock, der noch weit nach Schlusspfiff durch die Stadt hallen sollte. Das schwatzgelbe Glück steht in alle Gesichter geschrieben.
Wir. Fahren. Nach. Berlin.
Ramona / Steph / Web / Tim / Arne, 21.03.2012