...Fananwalt Tobias Westkamp (Teil 1): "Stadionverbote öffnen der Willkür Tür und Tor"
Die Sicherheitsdebatte rund um den Fußballsport und seine Anhänger ist aktueller denn je. Wer die Berichterstattung der letzten Monate aufmerksam verfolgt hat, wird mit Sicherheit von der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte gehört haben. Ging es um rechtliche Einschätzungen oder die Einordnung repressiver Maßnahmen, griffen viele Medien vermehrt auf die Meinung der fußballaffinen Juristen zurück. Wir von schwatzgelb.de hatten das Vergnügen, ein ausführliches Gespräch mit Tobias, Mitglied der AG Fananwälte und Anwalt für Strafrecht aus Köln, führen zu dürfen. Es geht um die Ziele der Arbeitsgemeinschaft, Stadionverbote, Polizeieinsätze beim Fußball und die Frage, warum so manch angewandte Praxis an der Rechtsstaatlichkeit kratzt.
Bevor ihr auf den nächsten Seiten Teil eins des ausführlichen Interviews findet, haben wir in dieser Einleitung die wichtigsten Themen und Ergebnisse zusammengefasst. Bereits an dieser Stelle ein großes Dankeschön an Tobias Westkamp für dieses Gespräch und sein großes Engagement!
Arbeitsgemeinschaft Fananwälte,
was ist das überhaupt? Hinter diesem Namen stehen elf Anwälte aus
verschiedenen Fanszenen dieser Republik, die sich aktiv an der
Fanpolitik beteiligen und ihre Geschehnisse juristisch einordnen. So war
die AG zum Beispiel fester Bestandteil der Gegenveranstaltung von
Fußballfans während des Berliner Sicherheitsgipfels im Juli. Vertreter aus Politik, Verbänden und der Vereine ebneten in diesem Rahmen den gemeinsamen Weg, die Maximaldauer von Stadionverboten auf zehn Jahre zu erhöhen. Eine Praxis, die Tobias Westkamp sehr kritisch sieht: „Wird der Strafrahmen erweitert, dann wird sich auch das Strafmaß im Mittel erhöhen." Heißt konkret, ein Vergehen mittlerer Schwere würde zukünftig mit fünf Jahren Stadionverbot, statt wie bisher üblich mit einem, bedacht werden. Darüber hinaus bestehe aufgrund der sich ändernden gesellschaftlichen Stimmung gegenüber Fußballfans die Gefahr, dass die neue Höchststrafe langfristig nicht mehr ausschließlich in absoluten Härtefällen angewandt wird, sondern bereits bei kleineren Vergehen, wie dem reinen Abbrennen von Pyrotechnik.
Westkamp verurteilt das damit verbundene Vorhaben der Vereine, mit einem Stadionverbot Prognose-Entscheidungen über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren zu treffen. Gerade bei jungen Personen sei dies unmöglich. Zum Vergleich: In der normalen, vom Fußball losgelösten Gerichtsbarkeit seien Gefahrenprognosen im Rahmen von Betretungsverboten über ein Jahr schon das absolute Maximum.
„Doch Fußballvereine sollen sich trotzdem anmaßen dürfen, solche weitreichenden Prognosen zu treffen. Schon eine Prognose über drei oder fünf Jahre ist in solch einem Fall überhaupt nicht darstellbar. Ich bezweifle daher, dass Stadionverbote tatsächlich als ein Instrumentarium der Prävention gedacht sind. Vielmehr soll damit Fehlverhalten sanktioniert werden. Das ist schreiend rechtswidrig, denn solches Strafen ist ureigenste Staatsaufgabe und steht Privaten (in diesem Fall den das SV aussprechenden Vereinen, d. Red.) unter keinen Umständen zu. Das weiß auch der DFB und schiebt deswegen den Zweck der Gefahrenabwehr vor", erklärt er.
Und weil zur Verhängung eines Stadionverbots bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht, werde die Unschuldsvermutung zum Schutze des Bürgers außer Kraft gesetzt. Oft würden Vereine von der Polizei zum Aussprechen von Stadionverboten gedrängt, weshalb Tobias Westkamp hier eine Verletzung der Gewaltenteilung sieht. Schließlich solle die Polizei als Exekutive ermitteln und nicht urteilen. Für letzteres ist in der Bundesrepublik die Judikative, also Gerichte, zuständig.
Die im Falle eines Stadionverbotes notwendige Übermittlung persönlicher Daten von der Polizei an Vereine bewertet der Kölner Anwalt als „eine Angelegenheit, die dringend einer Klärung bedarf.". Denn: „Niemand weiß, auf welcher Rechtsgrundlage die Polizei Daten von Fußballfans an Vereine übermittelt." Schließlich hätten die Beamten zur Gefahrenabwehr durch die Anhänger eigene Mittel, wie zum Beispiel das Aussprechen eines Aufenthaltsverbots. Doch dafür seien die bürokratischen und rechtlichen Hürden höher als bei einem Stadionverbot. Das wisse die Polizei genau. Möglich sei eine Klage vor dem Verwaltungsgericht. Sollte dies bestätigen, dass die Datenweitergabe unrechtens war oder ist, würde das zumindest den Fußballfans zugute kommen, die zukünftig mit einer solchen Situation konfrontiert werden.
Außerdem: „Der Bundesgerichtshof hat sich mit anderen Teilaspekten, nicht mit allen, von Stadionverboten bereits beschäftigt. Und er erachtet gewisse Aspekte für rechtmäßig, die wir für schreiend rechtswidrig halten. Das muss man ehrlich und fair sagen." Das betrifft unter anderem die Frage, ob und inwieweit der Umstand, dass sich ein Betroffener lediglich in einer Gruppe befunden hat, aus der heraus Straftaten im Rahmen eines Fußballspiels begangen wurden, für die Verhängung eines bundesweiten Stadionverbots ausreicht. Der BGH hat dies bejaht.
schwatzgelb.de: Vielleicht kannst du zuerst dich und die AG Fananwälte vorstellen?
Tobias Westkamp: Zunächst einmal zu meiner Person: Ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht aus Köln. Das soll heißen, ich bin primär Strafverteidiger - und nebenbei leidenschaftlicher Fußballfan. Dies hat dazu geführt, dass mein Sozius und ich uns auch verstärkt um Fußballfans kümmern.
Zur AG: Es war die Stuttgarter Fanszene, die ihre Anwältin auf die Idee brachte, sich untereinander zu vernetzen. Dann haben sich elf Anwälte zusammengeschlossen, die zumindest einen Teil ihrer Arbeit den Problemen von Fußballfans in rechtlicher Hinsicht widmen. Das sind Kollegen und Kolleginnen aus Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe, München, Nürnberg, Rostock, Würzburg, Berlin und Köln. Wenn jemand ein brauchbares Urteil erstreitet oder brauchbare Rechtsprechung findet, so kann er das an die anderen weitergeben. Wir haben unterschiedliche Schwerpunkte: Der eine ist Verwaltungsrechtler, der andere macht mehr Zivilrecht, der nächste mehr Strafrecht – da kann man sich gut untereinander austauschen. Wichtig ist uns aber auch, dass wir nicht jeden Kollegen aufnehmen, der das gerne möchte. Das soll jetzt keine primitive Eigenwerbung sein, wir meinen aber schon behaupten zu können, dass die elf, die nun hier tätig sind, Ahnung von der Materie haben und sich damit fast tagtäglich beschäftigen.
schwatzgelb.de: Wie sieht eure Arbeit aus?
Tobias Westkamp: Wir treffen uns drei- bis viermal im Jahr, um bestimmte Themen abzuarbeiten, die uns unter den Nägeln brennen. Wir haben einen Mailverteiler, über den wir in täglichem Kontakt stehen. Da tut sich manchmal tagelang nichts – und wenn die Politik zum Sicherheitsgipfel ruft, dann kommen schon mal 40 Mails am Tag.
schwatzgelb.de: Wo seht ihr neben der Vertretung der Mandanten, eurem Tagesgeschäft, die Hauptaufgabe der AG Fananwälte? Was habt ihr euch auf die Fahnen geschrieben?
Tobias Westkamp: Zum einen soll die Arbeit des Einzelnen von der Mithilfe und das Wissen der Anderen profitieren und dadurch zum Vorteil der Mandanten führen. Aber wir haben uns auch auf die Fahnen geschrieben – das soll jetzt nicht zu vermessen klingen –, Fanpolitik zu betreiben. Per se hat der Rechtsanwalt vielleicht einen kleinen Vertrauensvorschuss bzw. der Eine oder Andere hört etwas genauer hin, wenn ein Anwalt etwas kundtut, als wenn es der „unwissende Fan" aus der Kurve tut – überspitzt gesagt.
"Die Vereine werden von der Polizei massiv unter Druck gesetzt."
Wir haben uns zuletzt öfter zu Wort gemeldet bezüglich des Sicherheitsgipfels oder der unsäglichen Forderungen des Generalbundesanwaltes. Allerdings wollen wir uns dabei auf unsere Kernkompetenz beschränken, die rechtliche Einordnung der Dinge. Ich habe eine private Meinung dazu, ob man Stehplätze abschaffen sollte oder nicht – aber es ist vielleicht nicht zwingend unsere Aufgabe zu erklären, warum Stehplätze wichtig sind.
schwatzgelb.de: Wie sind eure Erfahrungen mit der Presse und den Verbänden? Reagieren die Medien auf eure Veröffentlichungen? Kommen sie auf euch zu? Wie gehen die Verbände mit euch um? Oder ist das eine Lobbyarbeit, die noch ganz am Anfang steht?
Tobias Westkamp: Das funktioniert schon sehr gut. Anlässlich des Sicherheitsgipfels hatte unser Berliner Kollege eine Reihe von Anfragen. Bis hin zu Formaten wie RTL. Wir stehen den Medienvertretern generell gerne für Fragen zur Verfügung und meinen, dass das auch ganz gut funktioniert. Bei den Verbänden kennt man uns auch und wir werden durchaus ernst genommen.
schwatzgelb.de: Wie sieht die konkrete Zusammenarbeit mit den Vereinen aus?
Tobias Westkamp: Bis dato gibt es die kaum. Wir haben überlegt, von uns aus auf die Vereine zuzugehen, denn eines scheint offensichtlich: Die Klubs werden von der Polizei massiv unter Druck gesetzt. Manchem Vereinsvertreter ist das sicherlich nicht unrecht, weil er dann seine Interessen durchsetzen und den schwarzen Peter der Polizei bzw. der Politik zuschieben kann. Doch man würde den Vereinen unrecht tun, dies zu pauschalisieren. Es gibt eine ganze Reihe von Vereinen, die vieles lieber fanfreundlicher gestalten würden. Denen könnte man dann das rechtliche Rüstzeug geben. Auf der anderen Seite muss man bedenken, dass die Spielbetriebsgesellschaften mittelständische Unternehmen mit eigenen Rechtsabteilungen sind - und dann kommt da der Herr Westkamp und will dem BVB die Rechtslage erklären? Ich hätte da keine Einwände, das wäre aber vielleicht etwas vermessen. Das erscheint bei kleineren Vereinen erfolgsversprechender.
schwatzgelb.de: Ist es nicht auch ein Problem, dass Dinge wie das Aussprechen eines Stadionverbots oder die Datenweitergabe durch die Polizei an die Vereine rechtlich sehr schwammig sind? Was dort abläuft, ist in den Augen vieler Fans nicht rechtstaatlich.
Tobias Westkamp: Das ist in der Tat so. Das Rechtsgefühl lässt die Fans da nicht im Stich. Die Vergabepraxis von Stadionverboten ist hochgradig schwammig und gerade deswegen für viele Betroffene oftmals nachteilhaft. Andererseits könnten die Vereine, wenn sie denn wollten, auch ganz anders agieren, gerade weil einiges nicht verbindlich festgelegt ist.
schwatzgelb.de: In diesem Sinne: Wie bewertest du die Ergebnisse der beiden Sicherheitsgipfel?
Tobias Westkamp: Einige „Grausamkeiten" sind wohl in Planung, aber im Nachgang des Sicherheitsgipfels im Sommer wurde erstaunlicherweise lediglich die angedachte Verlängerung der Stadionverbotsdauer auf bis zu zehn Jahren angekündigt. Man sieht Stadionverbote wohl als ein Allheilmittel an – und das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden aktiven Fußballfan. Kein Thema wird in der Fanszene dermaßen heiß diskutiert wie die Problematik der Stadionverbote und das vollkommen zu Recht. Ich persönlich meine auch, dass kaum ein anderes Thema zur stetigen Anheizung des Konfliktes zwischen Fußballfans und Sicherheitsbehörden bzw. Vereinen und Verbänden so viel beiträgt. Dass nun ausgerechnet die Verlängerung der Stadionverbote angedacht wird, macht mich ein Stück weit fassungslos.
schwatzgelb.de: Was muss man in Deutschland verbrechen, um über einen Zeitraum von zehn Jahren derart hart bestraft zu werden?
Tobias Westkamp: Ihr werdet lachen, auf genau die Idee bin ich zunächst auch gekommen. Ich habe versucht, das in Relation zu setzen, aber letztlich hinkt der Vergleich gewaltig. Bei einer zehnjährigen Freiheitsstrafe ist ein Stadionverbot zwangsläufig mitinbegriffen, aber eben auch ein komplettes „Freiheitsverbot". Da bist du weg vom Fenster. Daher kann man das nicht miteinander vergleichen. Doch für die Verhängung einer zehnjährigen Freiheitsstrafe muss man in der Tat schwerste Straftaten begehen und es ist mit Sicherheit so, dass man mit einem Stadionverbot ziemlich hart aus seinem sozialen Umfeld herausgerissen wird.
schwatzgelb.de: Die Waage kippt. Einerseits erhöht man die Dauer, anderseits bleiben die Vergaberichtlinien weiterhin sehr schwammig. Was glaubt ihr, wird das für Konsequenzen haben?
Tobias Westkamp: Fakt ist: Wird der Strafrahmen – und ich nenne es bewusst „Strafrahmen" – erweitert, werden sich auch die Strafen als solche im Mittel erhöhen. Das ist im „normalen" Strafrecht ebenfalls so. Habe ich einen Rahmen von null bis zehn Jahren, wird eine mittelschwere Straftat mit fünf Jahren geahndet. Bis jetzt konnte man noch so argumentieren: „Mensch das war doch eine Lappalie. Der stand irgendwo in der vierten Reihe und hat nicht viel gemacht. Bei einer maximalen Strafe von drei Jahren Stadionverbot verhängen wir also eins." Wird der Rahmen jetzt allerdings auf zehn Jahre erhöht, wird die Gegenseite leicht sagen: „Bei einem leichten Vergehen sprechen wir nun drei Jahre Stadionverbot aus." Nach neuer Regel liegen die ja jetzt im unteren Bereich.
Oftmals werden die neu geschaffenen Strafmöglichkeiten mit der Zeit immer exzessiver angewandt. Anfangs wird die Höchststrafe nur in absoluten Härte- und Ausnahmefällen angewandt. Zum Beispiel, wenn ein Fan seinem Gegenüber eine Leuchtrakete aus kürzester Entfernung an den Kopf schießt. Doch in drei Jahren wird die Höchststrafe aufgrund der gesellschaftlichen Stimmung vielleicht rigoros und kollektiv beim Abbrennen von Pyrotechnik verhängt.
"Die Vergabepraxis von Stadionverboten ist ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Dadurch sind der Willkür Tür und Tor geöffnet."
schwatzgelb.de: Stadionverbote sollen eigentlich keine Bestrafung darstellen, sondern der Gefahrenabwehr dienen. Stimmt das?
Tobias Westkamp: Stadionverbote sollen ausweislich ihrer Begründung ein Mittel zur Gefahrenabwehr sein. Ihnen müssen daher Prognose-Entscheidungen zugrunde liegen: Wie lange stellt jemand eine Gefahr für sich und andere im Zusammenhang mit dem Besuch von Fußballspielen dar? In der ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt es hinsichtlich der Gefahrenabwehr eigentlich kaum längere Prognosen als über einen Zeitraum von einem halben oder einem ganzen Jahr. Beispiel: Wie lange darf sich ein einschlägig vorbestrafter Drogendealer nicht mehr in einem Bahnhofsviertel aufhalten. Ein Jahr ist da in der Regel schon das äußerste und auch wirklich erst dann, wenn es vorher eine mündliche Verhandlung gegeben hat und sich der Richter ein Bild von dem Betroffenen machen konnte. Sogar die Sicherheitsverwahrung wird regelmäßig überprüft!
Bei Stadionverboten dagegen urteilen Vereine oftmals über junge Menschen, mit denen sie sich nie unterhalten haben – und teilen dem zukünftig gegebenenfalls mittels eines schnöden Schreibens mit: „Du bist noch in neuneinhalb Jahren eine Gefahr für Dich und andere beim Fußball." Der hat bis dahin vielleicht eine Frau, zwei Kinder, einen Job – ein vollkommen anderes Leben. Doch Vereine sollen sich trotzdem anmaßen dürfen, solche Prognosen zu treffen. In der normalen Rechtsprechung würde das unter keinen Umständen funktionieren. Das ist reine Willkür. Schon eine Prognose von drei oder fünf Jahren ist in solch einem Fall überhaupt nicht darstellbar. Wie das nun aber über zehn Jahre funktionieren soll, ist mir ein Rätsel.
Ich bezweifele daher, dass Stadionverbote tatsächlich als ein Instrumentarium der Prävention gedacht sind. Ich glaube vielmehr, damit soll Fehlverhalten sanktioniert also bestraft werden. Das ist schreiend rechtswidrig – was auch der DFB weiß, und deswegen den Zweck Gefahrenabwehr vorschiebt. Strafen ist jedoch ureigenste Staatsaufgabe, dies steht Privaten unter keinen Umständen zu. Bei Stadionverboten erhält der Betroffene das Schreiben und damit seine Bestrafung beispielsweise vom 1. FC Köln oder dem BVB, also nicht durch Gerichte.
In der Strafgerichtsbarkeit muss die Unschuldsvermutung gelten. Bei Stadionverboten reicht bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens für die Verhängung der Strafe aus, obwohl ein Fehlverhalten noch gar nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt wurde. Außerdem stellt die Stadionverbotsvergabepraxis einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung dar: Die Exekutive spricht die Strafe aus, dadurch ist Willkür Tür und Tor geöffnet.
schwatzgelb.de: Du meinst also, dass man von der Justiz für sein Fehlverhalten regulär bestraft wird, oben drauf aber noch ein Stadionverbot bekommt und so doppelt zur Rechenschaft gezogen wird?
Tobias Westkamp: Nein, das Stadionverbot wird faktisch von der Polizei ausgesprochen und deswegen ist es in der täglichen Praxis so, dass die Ermittlungsbehörden über ihre Erfüllungsgehilfen, nämlich die Vereine, Strafen aussprechen. Dies widerspricht der Gewaltenteilung, denn die Judikative muss die Exekutive überwachen. Das heißt, die Polizei kann zwar Ermittlungen führen, doch ob am Ende des Tages eine Straftat begangen wurde, darüber muss letztendlich ein unabhängiges Gericht entscheiden.
Stattdessen herrschen Zustände wie im Mittelalter, da waren Ermittler, Richter und Henker auch eine Person. Ich möchte jetzt nicht alle Polizisten an den Pranger stellen, aber praktisch läuft es doch oft so: Die Beamten haben ohnehin schon eine Gruppierung auf dem Kieker und schauen dort genauer hin. Plötzlich gibt es einen leisen Verdacht eines Fehlverhaltens, was die Einführung eines recht großzügigen Ermittlungsverfahrens zur Folge hat. Auf dieser Basis wird beim Verein ein Stadionverbot angeregt, denn die Klubs gehorchen ja ohnehin.
Das würde natürlich alles nicht ohne den juristischen Taschenspielertrick funktionieren, dass der DFB behauptet, Stadionverbote würden der Gefahrenabwehr dienen. Kein Gericht in diesem Land würde diese Praxis ohne diese Formulierung erlauben.
schwatzgelb.de: Ist der Weg über die Vereine rechtlich nicht trotzdem kritisch?
Tobias Westkamp: Ja, Gefahrenabwehr ist ureigenste Staatsaufgabe – und die öffentliche Gewalt hat dazu ja auch entsprechende Instrumentarien wie zum Beispiel das Aussprechen von Aufenthaltsverboten. Nur da sind die Hürden wesentlich höher. Wenn die Stadt Dortmund jemanden verbieten will, die öffentlichen Anfahrtswege zum Westfalenstadion zu nutzen, ist das wesentlich schwieriger auszusprechen als ein Stadionverbot. Deswegen werden durch die Stadionverbotsvergabepraxis gesetzliche Vorgaben umgangen, die die Rechte des Bürgers schützen sollen.
"Niemand weiß, auf welcher Rechtsgrundlage die Polizei Daten von Fans an Vereine übermittelt. Das bedarf dringend einer Klärung."
schwatzgelb.de: Wie ist das denn mit der Übermittlung der Daten von der Polizei an die Vereine?
Tobias Westkamp: Das ist eine Angelegenheit, die dringend einer Klärung bedarf. Niemand weiß – und da haben wir auch namenhafte Datenschützer gefragt –, auf welcher Rechtsgrundlage die Polizei Daten von Fußballfans an die Vereine übermittelt. Mir ist überhaupt nicht ersichtlich, wie das funktionieren soll. Es gibt im Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen eine Vorschrift, in der es sinngemäß heißt: „Zur Gefahrenabwehr können öffentliche Stellen personenbezogene Daten an Private übermitteln, wenn es zur Erfüllung der polizeilichen Aufgaben erforderlich ist." Damit ist die Verhinderung von Straftaten gemeint. Hier aber ist die Datenweitergabe an die Vereine zwecks Verhängung eines Stadionverbotes nicht erforderlich, da die Polizei ein eigenes Instrumentarium zur Gefahrenabwehr hat: Die Beamten können Aufenthaltsverbote verhängen, nur wie gesagt sind da die rechtlichen Anforderungen höher und es gibt eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die das ganze dann vollumfänglich überprüft. Der eine oder andere Polizeibeamte weiß das ganz genau, ruft daher beim BVB an, gibt Namen durch und fordert, dass die Vereine tätig werden. Diese Privatisierung der Gefahrenabwehr erachte ich als rechtswidrig.
schwatzgelb.de: Was wird dagegen getan?
Tobias Westkamp: Es gibt in der Tat Bestrebungen, dies rechtlich zu erklären. Mehrere Optionen sind denkbar: Man könnte vor dem Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit überprüfen lassen. Dann könnte man, wohl mit eher bescheidenen Erfolgsaussichten, auf dem zivilrechtlichen Weg den aussprechenden Verein verklagen, weil die Datenübermittelung nicht korrekt war. Gegebenenfalls ist die Datenübermittlung durch die Polizisten auch strafrechtlich relevant.
schwatzgelb.de: In der Folge würde das bedeuten, dass die Datenübermittelung seitens der Polizei an die Vereine so nicht zulässig ist?
Tobias Westkamp: Genau.
schwatzgelb.de: Hätte das auch Folgen für bestehende Stadionverbote?
Tobias Westkamp: Für bereits bestehende Stadionverbote wären die Auswirkungen voraussichtlich eher gering. Es gibt sogar im Strafverfahren kein zwingendes Beweisverwertungsverbot: Der Umstand, dass ein Beweis rechtswidrig erhoben wurde, hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass man diesen nicht verwerten darf. Daher würde gegebenenfalls auch in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung um das Bestehen eines Stadionverbotes diese Rechtsauffassung vertreten werden: Die Datenübermittlung war zugegebenermaßen rechtswidrig. aber nun hat der Verein die Personalien nun einmal vorliegen. Und dann geht das Stadionverbot schon in Ordnung.
Zukünftig könnte ein Stadionverbot durch die Vereine jedoch nur dann ausgesprochen werden, wenn der Verein von Privaten die Daten des Betroffenen erhält – beispielsweise dem Ordnungsdienst. Allerdings ist niemand verpflichtet, gegenüber einem privaten Ordner seine Personalien abzugeben. Da in den allermeisten Fällen die Daten von der Polizei übermittelt werden, wäre es einer echter Wirkungstreffer, würde die Datenübermittlung für rechtswidrig erklärt werden.
Bevor jedoch die Sektkorken knallen: Zunächst müssten Gerichte in unserem Sinne entscheiden. Und natürlich ist in Zeiten, in denen vermeintliches Fehlverhalten von Fans mit großer Hysterie wahrgenommen wird, nicht auszuschließen, dass ein Richter der Auffassung ist, dass die Datenweitergabe durch die Polizei zur Gefahrenabwehr zwingend erforderlich ist und nur so die Sicherheit rund um Fußballveranstaltungen gewährleistet werden kann.
schwatzgelb.de: Deine Ausführungen entsprechen dem Rechtsverständnis vieler Fußballfans. Ganz pragmatisch gefragt: Warum hat sich bisher noch niemand so deutlich gegen gewehrt?
Tobias Westkamp: Wo kein Kläger, da auch kein Richter. Viele scheuen den Aufwand einer Klage, was ich auch verstehen kann. So etwas kostet und dauert, insbesondere wenn man ein Grundsatzurteil streiten möchte und daher durch die Instanzen ziehen muss. Bis dahin ziehen schon mal mehrere Jahre ins Land. Oft hätte man ein Stadionverbot bis dahin ohnehin bereits abgesessen.
Ehrlich und fair muss man in diesem Zusammenhang sagen: Der BGH hat sich mit Teilaspekten, nicht mit allen, von Stadionverboten bereits beschäftigt. Und er erachtet gewisse Aspekte für rechtmäßig, die wir für schreiend rechtswidrig halten. Da muss ich ein bisschen ausholen: Ein Fan von Bayern München hat im Jahr 2009 den Bundesgerichtshof bemüht. Die Schickeria München war nach einem Auswärtsspiel in Duisburg mit ihren Freunden vom VfL Bochum unterwegs. Nach der Partie sollen einige wenige Personen aus dieser Gruppe mit Duisburgern aneinandergeraten sein. Daraufhin wurden Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch gegen alle Personen aus der Fanansammlung eingeleitet. Später wurden die ersten Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Das heißt: Freisprechende Verfahrenseinstellung mangels Tatverdacht – alles wunderbar. Also mussten die Stadionverbote aufgehoben werden. Die Einstellungsverfügungen trudelten im Zwei Tages Takt bei den Betroffenen ein, und die Jungs haben beim MSV erfolgreich die Aufhebung ihrer Stadionverbote beantragt.
"Wer wagt, der gewinnt."
Die Polizei hat das natürlich mitbekommen – und war scheinbar nicht begeistert. Plötzlich wurden die Verfahren von Seiten der Staatsanwaltschaft nach § 153 StPO eingestellt. Das ist umgangssprachlich eine Verfahrenseinstellung zweiter Klasse. Eine strafrechtlich relevante Schuld des Betroffenen wird nicht festgestellt, die Unschuldsvermutung gilt auch hier weiterhin. Zwischen den verschiedenen Einstellungsmodalitäten gibt es keinen gravierenden Unterschied - mit einer Ausnahme: Die Stadionverbote müssen bei einer Einstellung nach § 153 StPO nicht aufgehoben werden, sondern können aufgehoben werden. Diejenigen, deren Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden, durften wieder ihren Verein im Stadion unterstützen – diejenigen , deren Verfahren nach § 153 StPO eingestellt wurden, haben in Duisburg ebenfalls um eine Aufhebung des Stadionverbots gebeten, was allerdings vom MSV mit Blick auf die Stadionverbotsrichtlinien abgelehnt wurde.
Also hat ein betroffener Bayern-Anhänger den MSV durch alle Instanzen auf Aufhebung des Stadionverbotes verklagt. Gegenstand der Klage war unter anderem die Frage, ob bzw. inwieweit der Umstand, dass sich jemand lediglich in einer Gruppe befunden hat, aus der heraus Straftaten begangen wurden, für die Verhängung eines bundesweiten Stadionverbotes ausreicht. Der BGH hat dies bejaht.
Man treibt einen Rechtsstreit nur dann durch alle Instanzen, wenn man entweder Recht haben oder etwas für alle Fußballfans erreichen will. Aber auch in diesem Zusammenhang gilt manchmal: Wer wagt, der gewinnt. Es gab im Sommer 2011 zahlreiche Aufenthaltsverbote für FC-Köln-Fans anlässlich des Spiels bei euren blauen Rivalen. Da ist einem Betroffenen die Hutschnur geplatzt und er ist dagegen gerichtlich vorgegangen. Der hat sich von der Gefahr einer etwaigen Niederlage nicht schrecken lassen, er hatte schlicht „die Schnauze voll" – und hat Recht bekommen. Mit der erstrittenen Rechtsprechung werden wir zukünftig wuchern.
Der zweite Teil des Interviews erscheint Anfang November. Es geht unter anderem um Pyrotechnik, Stehplatzverbote, Polizeigewalt und die Frage, warum ausgerechnet Fußballfans zur Zeit im Fokus der Ermittler stehen.