Stell Dir vor es ist Champions League, und du darfst nicht hin - Ein Erlebnisbericht aus der Kneipe
Immer wieder gerne erinnere ich mich an einen kurzzeitig beliebten Stadiongesang, der wohl im Umfeld eines schwatzgelb.de-Schreibers entstanden ist: "Hey, lieber Nelson, lieber Nelson Valdez, schieß uns bitte in die Champions League." Geiler Song, dachte ich damals, aber leider auf Jahre hin utopisch. Die kaum für möglich gehaltene Realität hat uns alle eingeholt. Der BVB ist in der Champions League, Nelson Valdez war es zwar nicht, dafür sprangen andere ein und schossen uns in die Königsklasse.
Und ich gehöre zu den paar tausend Südtribünen-Dauerkarten-Inhabern ohne Option. Jener bedauernswerter Haufen, dem die UEFA höchstpersönlich die Stadiontore vor der Nase zusperrt, weil sie Sitzplätze verlangt.
Also ab in die Kneipe. Unsere Wahl fiel auf den Freibeuter in Bochum. „Was übertragt ihr hier?", frage ich. „Ich glaube Dortmund und Konferenz", ist die Antwort. Teil 1 davon reicht mir schon. Bier bestellt, Stehtisch gesucht, fündig geworden in der nicht allzu vollen Lokalität. Sind hier irgendwelche Blaue, die nur auf die Niederlage warten? So wie ich es gehandhabt habe, wenn die Blauen in der Champions League gespielt haben und dabei ihre dreckigen Siege eingefahren haben. Ich mache keine aus. Angenehme Atmosphäre, man hält zum BVB.
Das Spiel geht los. Der Ton stammt allerdings von der Konferenz, gewöhnungsbedürftig. Inzwischen ist auch mein Kumpel mit einem riesigen Baguette da. Er ist Fan keines Vereins, sondern schaut nur gerne Fußball. Von der Konferenz hallt mir eine wohlbekannte Reporterstimme entgegen. Das ist doch Matthias Stach, denke ich. Der hat doch heute nacht noch das US Open-Finale zwischen Novak Djokovic und Rafael Nadal auf Eurosport kommentiert. Der Mann muss ein Workaholic sein. Ich erinnere mich, dass er während eines anderen zweiwöchigen Tennisturnieres am Wochenende mal eben die Konferenz eines Bundesligaspiels in Freiburg kommentiert hat, um dann direkt wieder zurück zu fliegen. Respekt.
Nach einer Viertelstunde schicke ich eine SMS ins Stadion an die Leute, neben denen ich normalerweise stehe. Es sind Dauerkarteninhaber mit Option, von der UEFA und vor allem vom BVB bevorzugte Edelfans, so jedenfalls denke ich. Wie ich das Wort „Option" hasse. Ich stelle mir vor, wie jeder CL-Karteninhaber von UEFA-Mitarbeitern mit der Sänfte auf die locker gefüllte Südtribüne getragen wird, während ich am harten Stehtisch stehe. Die SMS hat folgenden Inhalt: „Im Freibeuter gucken ist Mist." Totaler Mist! Nur dabei, statt mittendrin. „Aber was du siehst, weiß zu gefallen", ist die Antwort aus dem Westfalenstadion. Das stimmt.
So richtig begeistert es mich dann aber doch nicht, dass vor dem Tor die Großchancen reihenweise überhastet vergeben werden. Dafür erfahren wir von Marcel Reif (der Ton wurde inzwischen umgestellt), dass die Trainer in der Champions League Anzugpflicht haben. Kloppo sieht aber auch verdammt nobel aus im feinen Zwirn. Der Co-Trainer von Arsenal London brüllt dagegen in Assipeitsche gekleidet seine Mannschaft an. Der darf das tragen, meint Marcel Reif. Trainer Arsene Wenger sitzt ja auf der Tribüne. Aber den Trainer-Gentleman muss man ja eh nicht zum Zweireiher zwingen.
Die erste Halbzeit geht zu Ende. Sebastian Kehl spielt etwas non-chalant. Ey, tritt mal kräftiger gegen den Ball, denke ich. In Gedanken stelle ich mich auf ein 0:0 zur Pause ein. Nicht übel, denke ich gerade, als Sebastian Kehl schon wieder so einen F-Jugendpass spielt. Das geht nicht gut, sind meine Gedanken und einige Sekunden später bestätigt sich das. Allgemeines Ärgern in der Kneipe. Auch Marcel Reif scheint sich zu ärgern. Kurze Halbzeitgespräche.
Dann geht die zweite Hälfte los. Auf der Leinwand das gleiche Bild, ein überlegener BVB, wild verteidigende Londoner. Das kann doch jetzt die ganze Saison nicht so weiter gehen, dass die sich alle hinten rein stellen mit 11 Mann, überlege ich. Während dieser Gedanken merke ich, dass Marcel Reif anscheinend voll auf Linie ist. Mario Götze mache aber auch wirklich alles richtig, höre ich den Kommentator sagen. Endlich sieht es der Lautern-Fan vom Bezahlsender ein, dass der BVB geil ist. Er scheint es jedenfalls eingesehen zu haben.
Etwas skurriles spielt sich vor mir ab. Zwei Welten prallen aufeinander, man kann sogar sagen, zwei verschiedene Epochen kommunizieren miteinander. Ein Kerl im Jersey des DSC Wanne-Eickel aus den 80er Jahren, sitzt vor mir. Das Trikot hat die Nummer 8, ich überlege, welcher Spieler das war, wurde ich doch väterlicherseits auf dem Platz des schwarz-gelb tragenden DSC Wanne-Eickel fußballerisch sozialisiert. Ich komme nicht drauf, vielleicht zu lange her, vielleicht vor meiner Zeit. Ist auch nicht so wichtig. Das Interessante spielt sich später ab. Eine junge Frau, von der ich weiß, dass sie berufsmäßig mit der Firma Apple zu tun hat, unterhält sich mit dem DSC-Typen. Sie scheinen einen Termin auszumachen. Dann das skurrile. Das Mädel zieht ihr iPhone und schaut nach im Terminkalender. Der Typ allerdings zückt einen Old School-Minikalender und schaut ebenfalls nach, wie seine handgeschriebenen Termine so aussehen. Terminplanung gestern und heute. Der Notizblock ist mir irgendwie sympathischer.