Die Sonnenkinder sind schuld
Ein Sonntagsschuss der Gäste verdarb allen Borussen den dritten Advent. Nur 1:1 hieß es am Ende gegen einen biederen 1. FC Kaiserslautern, dessen beste Leistung die mitgereisten Fans waren. Auf Dortmunder Seite verhinderten Pfosten, Latte und Unvermögen die eigentlich eingeplanten drei Punkte.
Der erste Schock schon vor dem Anpfiff. Die Sonnenkinder von, aus und zu Selm, die seit drölfzig Jahren traditionell das letzte Heimspiel eines Kalenderjahres gesanglich einläuten, waren nicht anwesend. Chorgesänge legalisieren – Traditionen respektieren. Wieder einmal siegte die hässliche Fratze des Kommerzes über den wahren Fußball und seine Konventionen. Den Selmern war ihr Weihnachtskonzert wichtiger. Dafür wurden auf der Leinwand Bilder vom letzten Jahr gezeigt. Das hat mit Fußball nichts mehr zu tun!
Personell der BVB gegenüber dem Spiel gegen Marseille, wo man innerhalb von drei Minuten 800.000 Euro Siegprämie verzockte (das schaffte nicht einmal René Schnitzler in seinen besten Zeiten), folgendermaßen verändert: Götze und Löwe auf der Bank, Kehl noch beim Zahnarzt, während Barrios es aufgrund einer Weihnachtsgrippe noch nicht mal zur bequemen Auswechselbank schaffte. Und auch die Aufstellung auf der Doppelsechs mit Toni da Silva und Gündogan bot all unseren Forentrollen eine wunderbare Gelegenheit, ihre vorformulierten Bashing-Texte schon einmal in die Eingabemaske zu übertragen. Da weiß man ja gar nicht, auf wen man sich zuerst einschießen soll. Zudem fragt man sich unweigerlich, wann denn endlich Marvin Bakalorz seine verdiente Chance erhält. Zumindest saß er heute schonmal auf der Bank (Warnung! Dieser Absatz enthält an einigen Stellen ironische Formulierungen.)
Die Gäste aus der Pfalz interessieren diese Saison so ziemlich niemanden und sind auf dem besten Wege, zu einer grauen Maus der Liga zu avancieren. Nur die Ablehnung der sogenannten Ultras in Anführungszeichen hinsichtlich eines gesponserten Preises für ihre superbe Fritz-Walter-Choreographie sorgte in den letzten Wochen für Schlagzeilen. Und auch die heutige Choreo im Gästeblock war absolut sehenswert. Personell vielleicht noch bemerkenswert: Ex-Borusse Amedick nur auf der Bank, ansonsten langweilt Lautern schon durch die Spielernamen.
In der Anfangsphase zeigte sich bereits, dass das Spiel heute nicht einfach werden wird. Sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen. Lautern taktisch klug agierend und davon profitierend, dass die besten Fans der Welt bereits nach wenigen Minuten ihren Unmut durch Raunen äußerten. So war denn auch ein harmloser Fernschuss Schmelzers nach sechs Minuten zunächst das einzige Lebenszeichen. Näher kam da schon ein Freistoß de Wits (11.) aus der Mitte der Hälfte, den Roman aber über den Balken lenken konnte.
Artistisch per Seitfallzieher scheiterte Lewandowski nach 14 Minuten im Anschluss an eine da Silva-Freistoßflanke (die kann er ja schön „mir scharf“ reinbringen). Der Schuss prallte auf die Oberkante der Latte. Nach 27 Minuten mussten dann alle Forentrolle ihren Text ändern, denn Gündogan spielte Kevin wundervoll frei, der legt ab auf Kagawa und mit ein wenig Glück bzw. Trapps Unvermögen rollte der Ball zum wichtigen 1:0 in die Maschen. Denn an so einem Tag mit solch einer Truppe gegen so einen Gegner in Führung zu gehen, tut immer gut. Da konnte die Südtribüne auch endlich wieder zusammen mit Klaus Neuhaus „Kagawa Shinji“ anstimmen. Und nur drei Minuten später war es erneut der Japaner, dessen Schuss von der Strafraumgrenze diesmal aber von Trapp vorbei geguckt wurde.
Nun war die Stimmung natürlich auch wieder etwas besser und die Sonntagsmüdigkeizt verzog sich zwar langsam, aber doch merklich. Vom Gästeblock hörte man in dieser Phase hauptsächlich die Absolventen des Trommelkurses der VHS Kaiserslautern. Zum Blödian des Tages avancierte nach 34 Minuten Alex Bugera, der eine Ecke nicht ausführen wollte und dem Schiri seine rechte Wade präsentierte. Einmal die Fliege vertreiben und weiter ging's. Doch die Ecke wurde zum polnischen Überfall auf die Nordfro... äh Nordtribüne. Lewandowski über rechts, in der Mitte waren Kuba und Piszczek, der Ball ging jedoch zu keinem, sondern zu einem Abwehrspieler der Gäste. Mit dem Halbzeitpfiff war es dann Olcay Sahan auf der Torlinie, der das Spiel noch etwas spannend hielt. Denn er wurde von Hummels Kopfball nach einer Ecke glücklich angeschossen, sodass es bei der 1:0-Halbzeitführung blieb.
Zu Beginn der zweiten Hälfte dann ein nachdenkenswertes Spruchband auf der Südtribüne. Dort wurde darauf hingewiesen, dass 85 KSC-Fans durch Polizeigewalt verletzt worden sind. Dazu dann die Frage: „Keinen Bericht wert?“ Auf jeden Fall eine gute Aktion, auch wenn man zynisch formulieren kann, dass die angesprochenen und gemeinten Vertreter der „großen“ Medien so früh in der zweiten Halbzeit noch um die letzten Rostbratwürstchen im Presseraum kämpfen.
Zurück zum Geschehen auf dem Platz. Einen feinen Doppelpass mit Großkreutz fabrizierte Kuba nach 49 Minuten, jedoch war sein Schuss für Trapp diesmal kein Problem. Elf Minuten später demonstrierten die Gästespieler dann, dass sie am Dienstag unser Spiel gegen Marseille studiert haben. Auf dem Lehrplan dabei: „Wie erziele ich Tore aus dem Nichts?“ Langer Ball in die freie Schnittschnelle der Verteidigung, Piszczek muss aushelfen, fabriziert jedoch eine Kopfballkerze und Olcay Sahan erzielt sein persönliches Tor des Lebens. Mit links volley genommen, in die Ecke. Chapeau! Bisher waren nur die Gästefans ein belebendes Element auf Pfälzer Seite. Nun der Doppelpass vom Team. Der Gegentreffer stellte jedoch auch eine Art Weckruf für unsere Farben dar und es wurde kurze Zeit mal wieder richtig laut.
Und als dann der vor dem Spiel als „Golden Boy 2011“ geehrte Mario Götze zur Auswechselbank trabte, keimte wieder so richtig Hoffnung auf die drei Punkte. Auch wenn das Osttribünenpack erstmal pfeifen musste, weil anstatt da Silva Kuba den Platz verlassen musste. Der auf dem Platz gebliebene schlug fast aus dem Mittelkreis nach 72 Minuten einen langen Freistoßball auf den Kopf von Hummels. Sein Kopfball flog über den zu weit vor dem Tor postierten Trapp leider direkt an den Pfosten. Wenige Augenblicke später ein verunglückter Fernschuss und alle dachten, Lewandowski stände im Abseits. War er aber nicht. Nur leider trank er heute morgen seine „Chancentod“-Milch und schoss völligst freistehend Trapp an. So kann er die Forentrolle nie zum Schweigen bringen.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse des heutigen Spiels war es weiterhin, dass nicht jeder Gästeversuch direkt einen Gegentreffer darstellt. Denn nach Flanke Fortounis kam der eingewechselte Shechter am Fünfer ganz frei zum Kopfball. Den unplatzierten Ball hielt Weidenfeller jedoch fest. Das anschließende Tor zählte zurecht nicht. Shechter schoss Weidenfeller den Ball einfach aus der Hand. Auf der Gegenseite konnte kurze Zeit später Lewandowski einen Kopfball ebenfalls nicht gegen den Lauf des Keepers im Tor unterbringen. Das Spiel war jetzt auf Messers Schneide, es wogte hin und her, es stand Spitz auf Knopf (mehr solcher Formulierungen nimmt die Redaktion gerne entgegen).
82 Minuten waren gespielt, als der „Golden Boy“ uns wie in der letzten Rückrunde gegen Hannover einen magischen Moment für die besinnlichen Weihnachtstage schenken wollte. Nachdem „die Quote“ gut den Vorteil hat laufen lassen, schnappte sich Götze den Ball und schoss aus gut 22 Metern ab. Über 80.000 Augen verfolgten die Flugkurve des unhaltbaren Geschosses. Der Torschrei war schon auf den Lippen aller Schwatzgelben, ehe ein dumpfes Lattengeräusch die festliche Vorfreude brutal zerstören sollte. Einfach nur ärgerlich!
Denn es blieb letztlich bei so einem typischen „Borussia am Sonntag gegen einen eigentlich schwachen Gegner nur 1:1“-Ergebnis. Wieder einmal freute sich am Ende der Gast über ein Erfolgserlebnis, ohne eigentlich so richtig zu wissen wie er das angestellt hat. Nächsten Samstag geht es nach Freiburg, wo man eigentlich auch nur verlieren kann. Egal, immer weiter machen!
Zu den Stimmungsvideos
Zeugnistag
Weidenfeller: Sicher beim Fernschuss de Wits und beim Kopfball Shechters, chancenlos gegen Sahans Traumtor. Note 3.
Piszczek: Wie immer läuferisch absolut vorbildlich. Seine Offensivakzente nicht ganz so zwingend wie vielleicht sonst. Beim Gegentor zumindest unglücklich agierend. Note 3,5.
Santana: Ebenfalls defensiv nahezu beschäftigungslos. Offensiv zweimal mit Fast-Chancen nach Standards, die ihm von eigenen Mitspielern genommen wurden. Note 2,5.
Hummels: Defensiv stark und sicher im direkten Duell wie sonst auch. Das Gegentor im Verbund schlecht verteidigt. Note 2,5.
Schmelzer: Selten, dass er ausgewechselt wird. Über seine Seite wurde der Gegentreffer eingeleitet. Offensiv aber solide. Note 3,5.
da Silva: Spielerisch nicht so schlecht, mit den meisten Torschussvorlagen, aber gedanklich und physisch einfach etwas zu langsam. Auch sein Hoffenheim-Gedächtnisfreistoss aus der ersten Hälfte sah eher nach Tipp-Kick aus. Note 4.
Gündogan: Sollte seine Kritiker heute erstmal vorerst zum Schweigen gebracht haben. Im Zweikampf kaum zu überwinden, mit viel Übersicht und Spielintelligenz. Schwatzgelb setzt Zeichen. Note 2.
Kuba: Alibi-Grätschen in der Defensive, dort insgesamt unglücklich. Nach vorne ging auch zu wenig. Note 4.
Kagawa: Torschütze und auch sonst an vielen Torsituationen beteiligt. Zweimal zu inkonsequent bei Kontersituationen, zudem zu leichtgewichtig in einigen Zweikämpfen. Note 2,5.
Großkreutz: Kämpferisch wieder top, beim Führungstor mit super Vorarbeit. Sonst jedoch zu blass. Note 3,5.
Lewandowski: Das Schicksal eines Stürmers. Wenn man nur die Latte und den gegnerischen Torwart trifft, ist die Benotung dementsprechend bescheiden. Note 4.
Die eingewechselten Spieler waren für eine Benotung zu kurz auf dem Spielfeld.
Stimmen zum Spiel:
Olcay Sahan: Ich wollte immer mal so ein schönes Tor in der ersten Liga schießen. Das war heute ein Geschenk an meine Mutter. Eigentlich haben wir heute in der ersten und zweiten Halbzeit gut gespielt. Es ist natürlich klar, dass wenn man gegen den Deutschen Meister spielt, dieser auch zu einigen Chancen kommt und diese herausspielen kann.
Marco Kurz: Natürlich brauchsst du auch ein Quäntchen Glück, um hier bei unserer Ausrichtung bestehen zu können. In der ersten Halbzeit sind wir ganz hervorragend aufgetreten, aber haben dort unsere Situationen nicht immer gut zu Ende gespielt. Unsere Zielsetzung war es, hier und heute nicht nur zu verteidigen. Nach vorne fehlte es uns ab und zu an finalen Pässen und vielleicht auch an der Gier, um sauber abschließen zu können. Aber auch nach dem 1:0 haben wir nie aufgegeben und uns dann durch das tolle Tor belohnt. Für uns ist das wirklich ein toller Moment, hier als FCK einen Punkt holen zu können.
Jürgen Klopp: Der FCK hat sich heute in vielen Situationen den Punkt verdient. Zudem waren sie immer latent gefährlich. Wir haben zwar das 1:0 gemacht und auch viele andere Möglichkeiten herausgespielt, aber wenn du die nicht machst und Sahan dann das Tor des Monats macht, wird es natürlich schwierig. Wir haben in diesem Stadion.... Stadion (bewusst so betont. Für immer Westfalenstadion!) in dieser Hinserie wunderbare Momente erlebt, wo der Fußball oft leicht aussah. Dahinter steckte aber immer harte Arbeit. Das war auch heute so, doch es sah nicht leicht aus dabei. Mit den Umstellungen standen wir einfach nicht mehr so kompakt, weil dann auch die Mechanismen fehlen. Das ist normal. Unterschätzt haben wir den Gegner heute nicht. Das ist Käse! Wir haben trotzdem Chancen, aber dann auch Pech gehabt. Das muss man auch mal sagen.
Daten zum Spiel
BVB (4-2-3-1): Weidenfeller – Piszczek, Santana, Hummels, Schmelzer (77. Owomoyela)– da Silva (73. Perisic), Gündogan, Kuba (66. Götze), Kagawa, Großkreutz – Lewandowski
FCK (4-1-4-1): Trapp – Dick, Abel, Rodnei, Bugera – Kirch (51. Shechter) – Fortounis, Tiffert, de Wit (83. Petsos), Sahan – Kouemaha (78. Nemec)
Tore: 1:0 Kagawa (27., Rechtsschuss, Vorarbeit Großkreutz), 1:1 Sahan (60., Linksschuss, ohne Vorarbeit)
SR: Deniz „die Quote“ Aytekin (Linienwinker: Leicher, Schiffner – VIP-Platz: Schriever). Auch schwatzgelb.de passt sich ab sofort dem neuen, sensiblen Trend an und setzt nochmal Zeichen. Zumindest für heute sind wir also alle Freunde der Waldorf-Pädagogik und geben dem kleinen Deniz heute keine Zensur.
Zuschauer: 80.720 (ausverkauft, denn Familie Pieper war auch da)
Gelbe Karten: Gündogan (52.) – Kouemaha (18.), Dick (83.)
Chancen: 8:2
Ecken: 9:4
Torschüsse: 24:12
Flanken: 13:8
Ballkontakte: 55 % : 45 %
Gewonnene Zweikämpfe: 53 % : 47 %
Fouls: 12:24
Abseits: 2:3
Die meisten Torschüsse Schmelzer/Kagawa/Lewandowski (4) : Sahan (4)
Die meisten Torschussvorlagen: da Silva (6) : Tiffert (5)
Die meisten Ballkontakte: Piszczek (97) : Dick (76)
Die Zweikampfstärksten: Hummels (75 %) : Rodnei (67 %)
Die Fotos zum Unentschieden gegen den 1. FC Kaiserslautern gibt es in Kürze auf unserer BVB-Fotoseite foto.schwatzgelb.de.
Malte, 11.12.2011