Liga-Alltag im Herbst
„Wenn Du heute kein Tor schießt, brauchste nicht nach Hause kommen!" Sebastian Kehl war von seinem Sohn gewarnt und Sebastian Kehl, so viel darf man verraten, darf nach Hause kommen. Er wird mit viel Applaus empfangen werden. Das 5-0 gegen Köln war Balsam für die in der Champions-League geschundene Borussen-Seele. „Wir haben uns diese Situation selber eingebrockt, wir wollten uns da wieder rausholen", sagt der getackerte Kehl mit dicker Lippe. Mehr war aber nicht passiert. Alles wird gut. Zumindest in der Liga.
Nur 3 Tage nach der Pleite in Griechenland hat der Liga-Alltag die Borussia wieder. Sicher nicht die schlechteste Idee zur Zeit. Für den Jungnationalspieler Gündogan bringt Klopp Kehl, der gelb/rote gesperrte Perisic wird durch den Dortmunder Jung Großkreutz ersetzt. Ansonsten verzichtet Klopp auf Rotation und setzt auf die Euroverlierer. Zum ersten Mal im Kader findet sich der US-Topscorer Terrence Boyd, der bei den Amateuren für Furore gesorgt hat. Köln muss weiter auf den angeschlagenen Novakovic verzichten, der angereiste Kölner Anhang legt all seine Hoffnung in den erstarkten Lukas, der sich mit fast der kompletten Mannschaft bereits vor dem Spiel bei den Geißböcken bedankt. Nach dem Spiel, so vermuten sie, wird es nichts zu feiern geben. An diesem fürstlichen Herbstag jedoch schleppt sich die Süd durch die Zeit bis zum Anpfiff.
Noch morgens legt sich der Reif über die Felder der Stadt. Ein einsamer Graureiher sitzt vor den Fördertürmen und fliegt mit lautem Geschrei dahin. Nicht nur ihn zieht es heute wieder in Richtung des fast ausverkauften Westfalenstadions. Dort steht der Jahrhundertchor und reißt erst im letzten Moment die Süd mit. Langsamen Schrittes hinkt Nobby Dickel während You Never Walk Alone in Richtung Süd, davor hat er das Stadion noch einmal beschwört. Auch die Banner auf der Süd sind heute ungewöhnlich zurückhaltend. Die Dortmunder fordern: „Gegen Gästefanverbote". Köln antwortet mit „Gegen Stadtverbote" und ein kleiner roten Pyroshow. Da hat man schon einmal besseres gesehen. Bei wunderbarem Herbstwetter laufen die Spieler zu den Playback-Tönen des Wetten Dass?-Stars Hagen auf den sonnengetränkten Platz. Optimales Fußballwetter. Der Ballspielverein muss heute seine Serie ausbauen. 8-1 Tore und 9 Punkte aus den letzten 3 Spielen waren ein Signal an die Liga, diesmal müssen sie zeigen, dass sie sich durch die Champions-League-Verwirblungen nicht von ihrem Weg abbringen lassen.
Die Borussia gewinnt die Seitenwahl und spielt angefeuert von „Hier regiert der BVB" somit erst einmal auf die Nord. Sebastian Kehl ist es dann, der nach rund 4 Minuten ein erstes Ausrufezeichen an der Mittellinie setzt. Nasenbluten, Grätsche, Gelbe Karte. Alles dabei. Da lässt sich Matuschyk nicht lange bitten und holt sich nach einem Foul an Piszczek die nächste Karte ab. Noch sind keine zehn Minuten gespielt, noch ist der Ball nicht einmal gefährlich vors Tor getragen. Das aber soll sich nur wenige Sekunden später ändern, Hummels lupft den Ball in den freien Raum, diesmal steht dort Großkreutz, der von links mit der zweiten Ballberührungen Kagawa in der Mitte freispielt. Aus kurzer Distanz versenkt der in dieser Saison bislang schwächelnde Japaner den Ball im Netz. 1-0-. Erste Chance drin! Selbstvertrauen wieder da? Auf jeden Fall entwickelt sich erst einmal ein ansehnliches Spiel, in dem gerade über die linke Seite immer wieder die Angriffe aufs Kölner Tor rollen. Doch die schönste Situation in dieser Phase entsteht nach einem fantastischen Götze-Hacke-in-derLuft-Trick. Der Kehl-Schuss aus 18 Metern wird jedoch von Rensing in Köpke-Manier aus der Tormitte gefischt. Die ersten 20 Minuten zeigen eine Borussia , die es auf Platz 2 der Tabelle schaffen und vor allen Dingen ihre Serie ausbauen will. Auch wenn sich das Spiel in den folgenden Minuten beruhigt, setzt Borussia immer wieder ein paar Nadelstiche. Und nach einer elendig langen Kombination über Kagawa, Götze, Bender ist es am Ende Schmelzer mit einem feinen Schlenzer in den Winkel. 2-0 nach 25 Minuten und eine Premiere für den Magdeburger, sein erstes Ligator. Was folgt sind Wechselgesänge. Damit hatte hier wohl niemand gerechnet. Borussia zerlegt die Geißböcke. Auch nach dem 2-0 spielt hier nur eine Mannschaft. Bezeichnend, dass die Young Guns ihr Heil nicht nur in komplizierten Kombinationen, sondern auch in Abschlüssen suchen. Gerade Kehl und Piszczek zeichnen sich in dieser Disziplin, wenn auch erfolglos, aus.
In der 38. Minuten aber kassiert Subotic eine Gelbe Karte und verursacht einen Freistoß gut 30 Meter vor dem Dortmunder Tor, doch nicht einmal aus dieser Situation kann Köln Torgefahr entwickeln. Die Young Guns sind vorerst zurück, gerade der Wechsel von Gündogan auf den agilen Kehl und auch Kagawa nach einer Frischzellenkur bringen endlich wieder die vermisste Struktur in das Offensivspiel. Die erste Halbzeit endet mit einem Traumtor von Lewandowski. Nicht das Tor an sich macht einen verrückt, sondern der vorherige Lauf des Balls. Piszczek schickt Bender in den Strafraum, der Pole spielt den Ball genau dahin, wo er hinkommen muss und Bender lässt sich ein Stück nach außen fallen, um die Kugel dann maßgerecht auf Lewandowski zu servieren. Der polnische Goalgetter fällt mit dem Spielgerät ins Tor. Wow! Wow! Wow! 3-0. Mit stehenden Ovationen und unter Borussia Borussia Schreien geht es in die Kabine. Stellt sich die Frage, wird Köln überhaupt noch einmal ins Spiel zurückfinden oder können die Schwatzgelben ihre Torverhältnis weiter pushen?
Mit der gemeinsamen Choreographie und lauten „Fußball muss bezahlbar sein" (selbst die Spieler sehen es ein) Gesängen geht es in die zweite Halbzeit. Köln ersetzt Peszko durch Roshi. Bei Dortmund sehen wir Kuba für Götze, der sein Soll erfüllt hat. Noch einmal legen die Ultras mit „Gegen Stadtverbote" nach. Und die Partie geht in der tiefenstehenden Herbstsonne gemächlich in die Kür. Wie immer in den letzten Woche kann es nur Lewandowski sein. Kuba auf Großkreutz, mit dem Kopf in den Lauf des so oft gescholtenen Polen. Humorlos und verdient zappelt der Ball da zum 4-0 im Netz. Nur eine Minute später zieht Kuba den Ball knapp am linken Pfosten vorbei. Was immer in Piräus war, heute ist es nicht mehr da. Und nicht nur auf dem Rasen sind die Kräfteverhältnisse spätestens jetzt verteilt, auch das Stadion kostet diesen fantastischen Samstag Nachmittag im späten Oktober aus. Die Demütigung in der Champions-League ist längst vergessen, voller Stolz singt die Süd „Wer ist Deutscher Meister?" und springt hoch und springt runter und das Stadion steht auf. Wir sind wieder da. Auch da ist nach einer Unterbrechung Moritz Leitner, der für den anständig laut verabschiedeten Sven Bender in der 57.Minute auf den Platz kommt. Bei Köln ersetzt Clemens Chihi und Kagawa wird im Strafraum gefoult. Brych entscheidet auf „Weiterspielen". Aber dieser Kagawa ist endlich zurück. Er hat seine Angst verloren, sucht die Zweikämpfe, spielt die Pässe und macht richtig Spaß. Und während Kagawa und der Rest der Mannschaft da unten richtig Spaß machen, steht das ganze Stadion auf, ist und vielleicht, wenn man genau zwischen den Zeilen hört, wird Deutscher Meister und auch Felix Brych kann mit seinen Abseitsentscheidungen hier niemanden mehr aufregen. Köln hat sich da längst ergeben. Ist mit ihren heute limitierten Fähigkeiten nur auf Klatsche vermeiden aus, doch nicht einmal das will der Solbakken-Truppe so richtig gelingen. Wieder schickt Hummels den Ball steil in den 16er, diesmal wartet Kuba an der Grundlinie stehend bis Kehl aus dem Hintergrund heranstürmt. Mit voller Wucht gelangt der Ball aus gut 12 Metern ins Tor des bemitleidenswerten Rensings.
Schunkeln. Schunkeln. Und der Kölner Anhang feiert jetzt einfach mit und freut sich über den gelungenen Trip in die Kapitale Westfalens. Sie spielen ihr eigenes, sie sehen ihr eigenes Spiel und nehmen die erneute Niederlage in Dortmund sichtlich gelassen auf. Hin und wieder probieren sie die Welle, hin und wieder stehen sie mit dem Rücken zum Spielfeld und spielen alles durch, was an man eben als Fan macht, wenn die Mannschaft unten jetzt nicht wirklich gut spielt. 20 Minuten vor Schluß geht Kagawa, nach einer formidablen Partie, Ilkay Gündogan übernimmt jetzt noch einmal. In der 74. Minute klärt Rensing außerhalb des Strafraums in allerhöchster Not vor Kuba, der mal wieder von Hummels steil geschickt wurde. Doch ansonsten sehen wir nur noch Schaulaufen, der Frust ist aus der Seele gespielt, der Ball läuft, in der Liga hat man jetzt 4x in Folge gewonnen und dabei 3x in Folge kein Gegentor kassiert. Auch wenn in den letzten Minuten Podolski noch einmal für ein wenig Druck sorgt, bleibt es am Ende bei dem auch in dieser Höhe mehr als verdienten 5-0 Erfolg der Young Guns. Mit nunmehr 12 Punkten und 13-1 Toren aus den letzten vier Spielen etabliert sich der BVB wieder in der Ligaspitze. Neven Subotic war nach dem Spiel bestens gelaunt: „So ein einseitiges Spiel habe ich zuletzt auf der Playstation gesehen!" Die Zahlen belegen das: 27 zu 2 Torschüsse, 60% Ballbesitz.
Dortmund ist auch in diesem Oktober kein schlechter Ort. Die Borussia hat das Spiel von der Grundlinie wiederentdeckt, alle fünf Tore fallen aus dem Spiel heraus, alle fünf Tore fallen nach Vorlagen von der Grundlinie. Dortmund kann in diesem Oktober auf eine lange Siegesserie zurückblicken. Und die Fans erfreuen sich derweilen an der anstehenden Gladbacher Niederlage in Hoffenheim, die Kölner wollen nicht einsteigen, jubeln hin und wieder, freuen sich weiterhin über das Heimspiel in Dortmund und singen „Und ihr wollt Deutscher Meister sein?" Wir wollen Deutscher Meister werden, mag man ihnen da antworten. Alles wie gehabt also. Köln kommt, lässt die Punkte hier, nimmt es mit Humor und ist dann doch irgendwie zufrieden. Nach dem Spiel lassen sich die Schwatzgelben nicht lange bitten, sie spazieren auf die Südtribüne zu und feiern mit den Fans, deren Chor langsam zu einem Dortmund-Orkan anschwillt. Doch es gibt nur eine kurze Welle und ein Spaziergang durch das Rund. Man sieht: Das hier heute war ihre verdammte Pflicht. Das wollten sie, das bekamen sie. Und auch die Kölner Fans bekamen ihre Welle mit den Borussia-Spielern. Da grinst Kevin. Derweilen torkelt Emma durch den Mittelkreis und feiert vor allen Dingen mit den Kids. Ein rundum gelungener Nachmittag also. Für Kevin, für Emma, für die Köln-Fans und auch für uns Borussen.
Die Fotos zum Heimsieg gegen den 1. FC Köln findet Ihr wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite www.bvb-fotos.de unter diesem Link, die Videos gibt es hier.
Die Noten
Weidenfeller: Stand auf dem Platz. Sonst musste er nichts machen. 3
Piszczek: Traumpass vor dem 3-0. Ansonsten unauffällig. 3
Subotic: Wenig gefordert, mit wenigen Vorstößen. 3
Hummels: Immer wieder mit langen Bällen in die Tiefen. Diesmal kamen sie an. In den wenigen Situationen in der Defensive zuverlässig. 1,5
Schmelzer: Stark verbessert, das war aber auch kein Problem. Erster Ligatreffer. 3
Kehl: Die 6 steht, trotz früher Verwarnung ein Aktivposten. Hielt den Ball wenig und sorgte mit seinen Pässen für Gefahr. Traute sich aus der zweiten Reihe, leider in der ersten Halbzeit ohne Erfolg. Mit wuchtigem Kopfballtor. Sein bester Auftritt seit langer Zeit (gut, so viele gab es da auch nicht) 2
Bender: In der Defensive kaum gefordert. Mit zwei Assists vorne sehr auffällig. Unter Applaus raus. 2
Götze: Wirbelte ordentlich, war am zweiten Tor entscheidend beteiligt. Mit glorreicher Ballbehandlung. Solider Auftritt. Für Götze. Das heißt: 2,5
Kagawa: Endlich wieder mit einer guten Leistung. War gerade in der ersten Halbzeit Dreh- und Angelpunkt des Spiels. 2,5
Großkreutz: Schöne Vorarbeit zum 1-0, der sogenannte Dosenöffner. Gerade in der Anfangsphase aktiv, aber auch mit toller Vorarbeit zum 4-0. 2,5
Lewandowski: Schon wieder unter den Torschützen. Gleich 2x. Hat sich immer mehr auf das Spiel der Borussia eingestellt. In dieser Form nicht aus der Mannschaft wegzudenken. 2
Kuba: Auch wieder dabei. Gute Vorarbeit zum 5-0. Solide. 3
Leitner: Unauffällige Leistung. Macht sich langsam. 3
Statistik:
Tore: 1:0 Kagawa (7 / Großkreutz), 2:0 Schmelzer (25 / Bender), 3:0 Lewandowski (44 / Bender), 4:0 Lewandowski (50 / Großkreutz), 5:0 Kehl (66 / Kuba)
Gelbe Karten: Kehl, Subotic - Matuschyk, Sereno
Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - Kehl, Bender - Götze, Kagawa, Großkreutz - Lewandowski
Köln: Rensing - Riether, Jamal, Sereno, Eichner - Matuschyk, Jajalo - Chihi, Lanig, Peszko - Podolski
Auswechslungen: Kuba für Götze (46), Leitner für Bender (57), Gündogan für Kagawa (71) - Roshi für Peszko (46), Clemens für Chihi (58), Pezzoni für Jajalo (71)
Zuschauer: 80.200
steph, 22.10.2011