Spielbericht Profis

Brüll zum Abschied donnernd Servus

25.11.2011, 08:36 Uhr von:  Redaktion

Intro der BVB Fans im Emirates StadiumNiedergeschlagen verlassen sie das Stadion, lange sind ihre Antworten nicht mehr so einsilbig gewesen. Der Schock sitzt tief, der Frust ist groß, die Enttäuschung nimmt überhand. „Wir sind heute Abend ausgeschieden", konstatiert Mats Hummels. „Wir müssen unbedingt das Derby gewinnen, um uns bei unseren Fans zu entschuldigen", erklärt Kevin Großkreutz. Der große Traum von Europa scheint vorbei.

Wir schreiben den 23.11.2011. Ganz London ist schwarzgelb geprägt, keine Ecke, an der man nicht einen der mitgereisten 10.000 Borussen trifft. Neben alten Schlachtenbummlern finden sich unter ihnen auch haufenweise Neu-Auswärtsfahrer, denen das Traumlos Arsenal und das wunderschöne London ausreichend Argumente für einen Kurzurlaub geboten hat.

Die Stimmung ist fantastisch. Es wird viel gesungen, die Sehenswürdigkeiten laden bei herrlichem Novemberwetter zum Besuch ein, die britische Gastfreundschaft wird mit offenen Armen angenommen. So haben erstmals überhaupt die Pforten des „Gunners Pub" für Gästefans geöffnet, nutzen Borussen und Engländer die Chance zum Erfahrungsaustausch und bierschwangeren Palaver.

stehende Arsenal FansAuch sonst zeigen sich die Londoner begeistert von ihren Gästen, scheinen sich in diese regelrecht verliebt zu haben. Immer wieder geben sich Engländer als BVB-Fans zu erkennen, die beste Stimmung in Europa gebe es ganz eindeutig bei Borussia. So gibt es nach dem Spiel aufbauende Worte, geht es in Nachtclubs an der Schlange vorbei zu halbem Eintritt ins Vergnügen und immer wieder einmal einen Schnaps zum Anstoßen – wahlweise von Tottenham-Fans, die Arsenal nicht leiden können, oder Engländern, die tief beeindruckt von der phänomenalen Stimmung ihr Fanleben überdenken möchten.

Auch die lokalen Medien überschlagen sich in ihren Huldigungen für den tollen Anhang, das Ausscheiden Borussias würde einen herben Verlust für die Champions League bedeuten – Arsenal hingegen wird ob seines erschreckend leblosen Publikums wieder einmal als „Highbury Library" verspottet.

"If the Supreme Being should grant me reincarnation, I hope to come back as a Borussia Dortmund fan. There were 9,000 or so of them inside the Emirates last night, all having the time of their lives. (...) The Dortmund fans, meanwhile, raised the roof for their team, even in defeat. It showed immense class, or emboldened mass drunkenness, or perhaps some combination of the two. Which only made me love them more." (www.thisislondon.co.uk)

"As Thierry Henry leapt from his seat to join the salute, the home supporters loved it, chanting 'one-nil to the Arsenal' but earning a tart rebuke from the German hordes of 'you only sing when you're winning'. All in such perfect English you could almost hear the apostrophe being slid in place. 'We've only got one Song,' chorused the Arsenal fans. Dortmund fans had a whole hymn-book and Europe's elite league will be all the poorer if they go out." (Daily Telegraph)

Eines also ist schon mal sicher: Der Borussenanhang hat sich in London von seiner allerbesten Seite präsentiert und eine Visitenkarte abgegeben, die ihresgleichen sucht. Liebend gerne hätte ich mit diesen Zeilen nun auch wieder geschlossen, doch leider muss an dieser Stelle noch ein Spielbericht folgen. Leider nicht etwa, weil Borussia versagt hätte, sondern weil die Niederlage neben drei bitter benötigten Punkten auch zwei unserer wichtigsten Spieler als Preis forderte.

Sven Bender war so schwer verletzt, das er den Platz nicth mehr selbst verlassen konnteMario Götze, am Wochenende noch Torschütze beim 1:0 Sieg in München, hatte es dabei vergleichsweise „gut" erwischt: „Ich habe einen Schlag über dem Knie abbekommen, danach hat sich ein ganz dickes Ei über dem Muskel gebildet – weiterspielen war da nicht mehr drin, morgen werden wir das untersuchen und dann entscheiden, wie wir weitermachen." Viel bitterer war der Ausfall Sven Benders. Sein verdrehtes Knie führte nicht nur zum befürchteten Innenbandriss, obendrein versetzte ihm ein doppelter Kieferbruch den sprichwörtlichen Knockout. Wir wünschen gute Besserung und drücken die Daumen, dass ihr beide schnell wieder fit werdet!

Beide Mannschaften waren im Vergleich zu ihren letzten Ligaspielen unverändert in die Partie gegangen. Insbesondere Robin van Persie – derzeit in bestechender Form und bereits in Dortmund der Schütze zum 1:0 – stand auf Dortmunder Seite unter besonderer Beobachtung, während alleine der Name Mario Götze bei britischen Beobachtern für Nervenflattern sorgte.

Arsenal, in der tabellarisch besseren Lage und ohne großen Druck, begann zögerlich und ließ die international noch immer recht unerfahrene Borussenelf das Spiel machen. Es entwickelte sich eine – um es kurz zu machen – stinklangweilige Partie ohne besondere Höhepunkte: Die Dortmunder Defensive besser, miese Pässe zu einer kaum stattfindenden Offensive, und auf der anderen Seite Arsenal, mit dem Status Quo nicht unglücklich und das 0:0 bereits ab der ersten Minute recht lässig verteidigend.

Zweikampf zwischen Sebastian Kehl und einem "gunner"Hätte der Gästeanhang endlich einmal die Klappe gehalten, wäre zu diesem Zeitpunkt Gelegenheit für erste Experimente gewesen. Ob man wohl ein Handy klingeln hören würde, so auf der anderen Seite des Stadions? Oder ein Geldstück fallen, sagen wir in 50 Metern Entfernung? Die Regungslosigkeit bei den Heimfans war schon ziemlich übel – nicht einmal Gespräche mit den Sitzplatznachbarn wurden geführt, es hatte tatsächlich etwas von einer Bibliothek. Auf der anderen Seite diese irgendwas zwischen 7.000 und 10.000 Dortmunder, hüpfend und singend und brüllend und wedelnd und hüpfend und singend, dass einem das Herz aufgehen wollte. Man hätte es dem einen oder anderen gewünscht, bei diesem Spiel einfach mal auf der anderen Seite zu stehen und zu erleben, wie dieser Block abging. 90 Minuten Hardcore, echte Gefühle, vom feinsten.

Die gesamte Offensivausbeute der ersten Halbzeit– ein Kopfball van Persies, ein toller Schuss Theo Walcotts mit noch tollerer Parade Roman Weidenfellers sowie ein knapp am Tor vorbeistreichender Distanzschuss Robert Lewandowskis – fand innerhalb von etwa zehn Minuten statt, hektisch oder spannend wurde es allerdings auch hier nicht. Dabei wirkte zunächst Dortmund, nach den Wechseln Arsenal etwas überlegen, ohne es jedoch zu sein.

Der Live-Ticker des Guardian beschäftigt sich nun ebenfalls lieber mit interessanteren Dingen, warum man in Deutschland bspw. immer von Arsenal London spräche und welche fußballsoziologischen Gründe das haben könnte. Nebenbei schweift der Blick immer öfter über die Ränge: "37. Min: To be honest, the highlights of this game so far have been (1) Dortmund's pressing and (2) Dortmund's fans. Word is that many English folks, disillusioned by the high prices and hollow hype of the Premier League, take cheap flights to Germany of a weekend to go watch football there, where the atmosphere is better and the experience more pleasant. Are you one of them? Tell us some stories."

Wir machen es ähnlich, verschweigen zwei bis drei halb spannende Situationen und widmen uns der nur unwesentlich besseren zweiten Hälfte, die jedoch wenigstens mit ein paar Hinguckern begann: Der erste richtige Angriff Borussias, vorgetragen in der 46. Minute und nur dank etwas Pech nicht richtig am Ziel angekommen, ließ die Hoffnung auf eine Vollgasveranstaltung im besten Kloppschen Sinne wachsen. Eine Minute später folgte eine exakte Kopie des Münchener Modells, Lewandowski mit der Hacke auf Kagawa in hervorragender Position, blöderweise auch mit der Kopie des angeschossenen Torwarts. Der BVB war nun endlich angekommen und hatte keine Mühen, die wacklige Londoner Abwehr zu überlisten.

Der Torjubel nach dem 1:0 von van PersieDoch nun war es schon wieder vorbei mit der Herrlichkeit: Die bislang atemberaubend gute schwatzgelbe Abwehr versagte komplett ihren Dienst und lud die Hausherren zum Toreschießen ein: Sebastian Kehl, Lukasz Piszczek und Kevin Großkreutz standen Spalier, als Alexandre Song eine wunderschöne Flanke auf van Persie schlug, der allein gelassen von Mats Hummels und Felipe Santana selbst mit einem schlecht platzierten Kopfball zum unhaltbaren 1:0 einnicken konnte.

Zumindest Hummels bekam schon wenig später Gelegenheit, seinen Bock wieder gut zu machen: Ein langer Pass vorbei an der gesamten Abwehr landete bei Gervinho, der zu allem Unglück bereits an Weidenfeller vorbeigerauscht und einschussbereit vor dem Tor angekommen war – sein Zögern ermöglichte Hummels die Rettungstat des Abends, als sein Fuß noch irgendwie zwischen Ball und Tor gekommen war.

Es fehlte insgesamt an Spielwitz und Ideen im Spiel nach vorne, also kam Barrios zu einem fast 30-minütigen Einsatz – bis Spielende fiel das jedoch nicht einmal auf. Man wünschte sich fortan fast wieder in die Zeit des „Hoher Ball auf Koller" zurück, weil es im klein-klein einfach nichts werden wollte.

Als Walcott kurz vor Schluss unter Standing Ovations das Spielfeld verlassen durfte und man sich beinahe sicher sein konnte, dass hier so wirklich gar nichts mehr gehen würde, verlängerte Thomas Vermaelen einen Eckball auf van Persie, der erneut zur Stelle war und mit dem Kopf das 2:0 markierte. Ein drittes und letztes Mal schwang sich nun das Stadion zum Gesange auf, alles zusammengenommen etwa 45 Sekunden feinsten und beeindruckenden Schalls – schade, dass sie ihre Klappe nicht öfter aufbekamen.

Trauriger Abschied von den mitgereisten FansAm Schluss fiel sogar noch das 2:1 für die Ehre, bis das Schiedsrichtergespann Erbarmen hatte und das schaurige Treiben beendete. Man wurde den Eindruck nicht los, dass auch hier deutlich mehr drin gewesen wäre, wenn die Verletzungen ausgeblieben und freie Räume entschlossen wie in der Bundesliga genutzt worden wären. Nun stehen wir mit dem Rücken zur Wand, müssen Marseille mit mindestens 3+1 Toren wegschießen und auf Londons Schützenhilfe in Piräus hoffen – möglich, dass die schwerste aller Varianten den ersehnten Erfolg bringen kann, nachdem es nun schon in vier von fünf Spielen nicht dazu reichen sollte, die auf dem Silbertablett bereitliegenden Punkte auch wirklich einzupacken.

Die ganze Konzentration liegt nun auf dem Derby – das wichtigste Spiel der Woche kann all das wieder vergessen machen. PACKen wirs an!

Noten

Weidenfeller: Wie gegen Bayern fast nichts zu tun, bei den Gegentoren machtlos – Note 2.

Piszczek: Bekam Walcott nicht richtig in den Griff, wann immer es für Arsenal nach vorne ging, lief es über diese Seite. Note 4.

Santana: Bis auf gelegentliche Konzentrationsschwächen ordentliches Spiel. Note 3.

Hummels: Nach hinten sehr sicher, nach vorne wichtiger Impulsgeber – bester Feldspieler beim BVB, Note 2,5.

Schmelzer: Ordentliche Partie, aber nicht immer glücklich. Note 3.

Leitner: Potenzial war zu erkennen, mehr aber auch nicht. Note 4.

Kehl: Beim 1:0 gepennt, ansonsten unauffälliges Spiel – Note 3,5.

Perisic: Mantel des Schweigens – das war gar nichts. Note 5.

Kagawa: Kaum zu sehen, das Spiel lief so gut wie komplett an ihm vorbei. Eine Riesenchance vergeben, am Ende noch der Ehrentreffer – Note 3.

Großkreutz: Besser als in München, aber noch mit deutlich Luft nach oben - Note 3,5.

Lewandowski: Hat zumindest gekämpft, war aber auch ganz alleine gelassen – Note 4.

Stimmungsvideos

ssc, 25.11.2011


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