Sieg in Siegen - Klassenunterschied? Nicht feststellbar!
Deutscher Meister gegen Fünftligist. Auf dem Papier eine sonnenklare Angelegenheit. Der BVB hat heute aber mal wieder den Beweis angetreten, dass Papier geduldig ist und es auf dem Platz ganz anders aussehen kann. Und wo ist entscheidend? Richtig: Auf dem Platz. Am Ende stand ein 2:1 Sieg bei den Sportfreunden aus Siegen der den BVB Akteuren eher peinlich sein dürfte. Denn wo ein Schützenfest zu erwarten war, reichte es nur zu einem unverdienten Minimalerfolg in letzter Minute. Wenn man nur nach den Eindrücken des heutigen Abends gehen würde, müsste man sich erhebliche Sorgen um die Leistungsfähigkeit der zweiten Garde der Borussia machen.
Ausgangslage und Randerscheinungen
Für die Jogipause hatte der BVB sich einen Besuch im Sejerland vorgenommen, damit auch die Spieler, die nicht im internationalen Einsatz sind, nicht komplett einrosten. Eigentlich eine gute Idee, denn der ambitionierte NRW-Ligist schien gerade die richtige Kragenweite zu haben, damit Klopps zweiter Anzug nicht komplett unterfordert wird. Andererseits sollte dieser Gegner es auch den Ergänzungsspielern und Rekonvaleszenten ermöglichen, durch ein überlegen geführtes Spiel Selbstvertrauen zu tanken. Doch weit gefehlt, am Ende waren es die Sportfreunde, die mit breiter Brust vom Feld marschierten, während die Borussen nur noch möglichst schnell weg von diesem Ort und das Spiel vergessen wollten. Jürgen Klopp schien aber nach dem Spiel motiviert, seiner enttäuschenden Truppe ausführlich und sehr deutlich klar zu machen, was er von diesem Kick gehalten hat.
Denn trotz aller Länderspielabsenzen lief auf Seiten des BVB eine komplett mit Profis besetzte Mannschaft auf. Lediglich auf der Bank waren einige Leistungsträger der Amateure zu finden. In Abwesenheit von Hummels und Subotic rückte Manni Bender in die Innenverteidigung neben Felipe Santana. Im defensiven Mittelfeld hatte Phantom Marvin Bakalorz seinen ersten Auftritt bei den Profis, nachdem er schon gegen Fortuna Köln ein paar Minuten bei den Amateuren mitgewirkt hatte. An seiner Seite spielte Toni „Slow-Mo“ da Silva. Die offensive Dreierreihe wurde von Heimkehrer Florian Kringe, Damien Le Tallec und Kevin Großkreutz gebildet. Und vorne drin sollte der Panther endlich mal wieder über 90 Minuten Auslauf bekommen. Würde man diese Mannschaft als zweitklassig bezeichnen? Oder gar als dritt- oder viertklassig? Eher nicht. Trotzdem hatte sie Probleme, in Siegen ihre Fünftklassigkeit unter Beweis zu stellen.
Die Sportfreunde stehen in der NRW-Liga nach 09 Spielen mit 17 Punkten auf Platz 03+1 der Tabelle und haben schon ein wenig den Anschluss an Spitzenreiter und Fusionsmonster Victoria Köln verloren. Die BVB Profis waren sicher am Ende froh, dass sie nicht im Kölner Sportpark Höhenberg antreten mussten, sondern im Siegener Leimbachstadion spielen durften. Dieses wusste durchaus zu gefallen, war aber für ortsfremde aufgrund einer eigenwilligen Verkehrspolitik der örtlichen Gendarmen nur schwer zu erreichen. Gelegen am Stadtrand zeichnet es sich durch eine Haupttribüne mit Hafenstrasse Flair aus, von der aus man einen schönen Blick in die umliegenden Wälder hat. Leider umgibt das Spielfeld eine Aschelaufbahn, deren Sinn sich mir nicht so wirklich erschließen wollte. Das Stadion war zum Besuch des Meisters eher spärlich gefüllt. Während die Sitzplatztribüne ausverkauft zu sein schien, war im Stehplatzrund noch überall massig Platz vorhanden. Eine Kurve war für die BVB Anhänger reserviert und dort tummelte sich das typische Testspielpublikum und verbreitete auch die entsprechende Stimmung. Doch dazu später mehr. Die glücklichen Siegener scheinen bislang von einem unlustigen Maskottchen verschont geblieben zu sein, dafür war dann die fette Biene aus Dortmund angereist, um die Leute zu nerven.
Erste Halbzeit
Zur allgemeinen Überraschung legten die Sportfreunde gleich mutig los und erspielten sich einige Eckbälle. Lokalmatador Florian Kringe wollte seinem Heimatpublikum dann auch sofort etwas bieten und versuchte sich mit mäßigem Erfolg an einem Hackentrick. Das sollte seine auffälligste Szene im ganzen Spiel bleiben. Toni da Silva hatte von Beginn an große Probleme damit, dass die hängende Spitze der Siegener, Alexander Hettich eine Art ein Mann Forechecking spielte. Wiederholt ließ er sich den Ball vom stärksten Mann der Sportfreunde stibitzen.
Bereits nach 10 Minuten war man dann versucht, sich als BVB Fan zu verleugnen, denn die Spezialisten im Gästeblock stimmten ein fröhliches „SFS H…söhne“ an. Aber leider sollte das noch lange nicht der Tiefpunkt des „Dortmunder“ Blocks gewesen sein. Die unverzichtbaren Anti-GE Gesänge durften natürlich auch nicht fehlen, aber das ist man ja inzwischen nicht anders gewöhnt und versucht es bei solchen Spielen einfach zu überhören. Dass es aber immer noch schlimmer geht, wurde dann in Halbzeit 2 unter Beweis gestellt.
Auf dem Feld tat sich weiterhin nicht wirklich viel. Dortmund hatte große Probleme mit den zwei tief stehenden Siegener Viererketten und so hing der Panther völlig in der Luft. Frustriert begann er bereits früh, sich die Bälle im Mittelfeld abzuholen und Dribblings gegen die gesamte Siegener Hintermannschaft zu versuchen, die natürlich zum Scheitern verurteilt waren. Demgegenüber blieben die Siegener Konter weiter einigermaßen gefährlich, allein Mitch Langerak gab hinten den Fels in der Brandung und fischte souverän runter, was an hohen Bällen in seinen Strafraum geflogen kam.
Nach einer guten halben Stunde sollte sich das Siegener Chancenplus dann auch auf der Anzeigetafel niederschlagen. Mal wieder war es Hettich, der den Ausgangspunkt der Aktion bildete. Er schickte Jakobs steil, der den indisponierten Löwe überlief und Langerak aus 12 Metern keine Chance ließ. Jürgen Klopp teilte Chris Löwe sehr deutlich mit, was er auch in Testspielen von derartigen Schlafmützigkeiten hält. Jetzt hatte Siegen endgültig Oberwasser. Mit frischem Mut spielte man nach vorne und die Dortmunder Profis sahen immer älter aus. Wenn die Konterattacken in dieser Phase etwas konsequenter zu Ende gespielt worden wären, wäre auch noch eine höhere Führung für die Gastgeber drin gewesen.
Auf Dortmunder Seite tat sich im Angriff weiter gar nichts. Der zunehmend frustrierte Barrios setzte einen Schuss neben den Kasten und das war es auch schon in Halbzeit eins. Einzig Kevin Großkreutz hatte noch einen kleinen Auftritt, als er sich, nachdem er gefoult wurde, eine kleine Schubserei mit Daniel Grebe lieferte. Ansonsten wollte speziell ihm überhaupt nichts gelingen. Seine Fehlpassquote lag gefühlt bei über 80%. So ging es für die Hausherren mit einer verdienten Führung in die Pause und man hätte nun gerne die Halbzeitansprache von Jürgen Klopp belauscht, da diese einen deutlich höheren Unterhaltungswert versprach, als das traurige Gekicke der Borussen.
Zweite Halbzeit
Der BVB kam erwartungsgemäß unverändert aus der Kabine. Diese Suppe sollten die Herren Profis dann doch bitte selbst auslöffeln. Auf der anderen Seite hatte auch Trainer Daniel Cartus wohl Blut geleckt, denn auch er behielt seine erste Elf (bis auf den bereits in der ersten Halbzeit verletzungsbedingt ausgetauschten Innenverteidiger Leon Binder und den Torwart) fast komplett auf dem Platz, obwohl auf seiner Bank 10 weitere Einwechselkandidaten ungeduldig auf ihre Gelegenheit warteten, es dem Meister einmal zu zeigen. In den ersten Minuten zeigten die Borussen auch so etwas wie den Willen, hier noch etwas zu reißen. Bis auf eine verunglückte Freistoßflanke von da Silva, die direkt aufs Tor flog und Ersatztorwart Maximilian Pauli vor einige Probleme stellte, kam aber nicht viel Gefahr für den Siegener Kasten dabei herum.
Nun mussten es doch die Amateure richten. Der blasse Kringe wurde durch Jonas Hofmann, unseren Neuzugang von der Beschallungsanlage ersetzt und der ebenso unsichtbare Le Tallec durch den Amas-Bomber Terrence Boyd. Hofmann übernahm die rechte Position der offensiven Dreierreihe, dafür rückte Kevin Großkreutz nach Links. Dort wurde für ihn aber auch nichts besser. Boyd, eigentlich eher der Typ Strafraumstürmer, durfte sich auf der für ihn ungewohnten Position hinter Barrios versuchen. Nur eine Minute nach seiner Einwechslung setzte eben dieser Boyd, eben diesen Barrios wunderbar in Szene. Er setzte sich auf halblinks durch und spielte den Panther frei, der sich nicht zweimal bitten ließ und demonstrierte, was passiert, wenn man ihm mal einen ordentlichen Ball serviert: Er haut ihn dann schon irgendwie rein. Eins zu Eins. Endlich.
Boyd sorgte weiter für Alarm in der Siegener Abwehr. Er versuchte sich an einem Fernschuss, zeigte eine lächerliche Schwalbe im Strafraum und probierte, allerdings im Abseits stehend, eine schöne Flugeinlage, um einen zu weiten Pass noch zu erreichen. Dann kam auch die dritte Alternative aus der Zwoten zum Einsatz und Sven Bender durfte nach Florian Hübners Einwechslung endlich auf seine gewohnte Position im defensiven Mittelfeld vorrücken. Vom Platz ging Marvin Bakalorz, der mit wenig Erfolg versucht hatte, eine Art Spielmacher für Arme zu geben. Man muss ihm eine solche Leistung nach seiner langen Verletzungspause wohl noch zugestehen, aber man wollte ihm in vielen Situationen einfach „Schuster bleib bei deinen Leisten“ zurufen, wenn er es mal wieder übertrieb.
Der inzwischen in der totalen Sinnlosigkeit versunkene Dortmunder Block verkündete den, darob sicher total überraschten, Siegenern nun, dass sie ein Leben lang keine Schale in der Hand gehalten haben, brüllte seltsamerweise „SIEG“, holte Conny Kramer aus der Schublade und startete schließlich gar eine HUMBA. Wohlgemerkt immer noch beim Stand von 1:1 gegen einen Fünftligisten. Manchmal möchte man wirklich vor Scham im Boden versinken. Zum Glück war ich in zivil unterwegs und konnte von niemandem mit diesen Stimmungskanonen in einen Topf geworfen werden.
Die Siegener wechselten nun fröhlich durch, doch wer gedacht hatte, dass dies den Dortmundern zu mehr Oberwasser verhelfen würde, sah sich alsbald eines besseren belehrt. Es regierte weiter die totale Einfallslosigkeit. Dass Boyd und Hofmann absolut zu den auffälligsten Offensivakteuren des BVB gehörten, lässt schon tief blicken. Klar sind die Jungs motiviert, wenn sie mal mit den Profis ran dürfen, aber das entschuldigt den Auftritt derjenigen, die sich um einen Startplatz in der Bundesligamannschaft bewerben, in keiner Weise. Als dann alle schon gedanklich mit dem Spiel abgeschlossen hatten und insbesondere die Siegener schon ihren Erfolg zu feiern begannen, schickte Löwe einen weiteren Eckball in den Strafraum, Hübner verlängerte den Ball und Bender köpfte ihn in die Maschen. Buchstäblich in letzter Minute hatte der Deutsche Meister dann doch noch den NRW-Ligisten bezwungen. Verdient war das aber nun wirklich nicht.
Als Fazit bleibt mal wieder festzuhalten, dass Testspiele einfach Mist sind und unsere Mannschaft überhaupt nicht funktioniert, wenn sie nicht mit vollem Einsatz zu Werke geht. Jetzt weiß man halt, dass dies nicht nur für die erste Elf gilt sondern auch für die Ergänzungsspieler. Länderspielpausen sind furchtbar und ein Testkick auf dem Land ist nicht mal wie Methadon. Denn das gibt dir zwar keinen Kick, aber es lindert wenigstens die Entzugserscheinungen. Spiele wie dieses haben den gegenteiligen Effekt. Bitte, bitte lieber 14. Oktober mach dich schnell herbei!
Stimme von Jürgen Klopp folgt noch
Zahlen und Fakten
Sportfreunde Siegen (4-4-1-1): Koczor (46. Pauli)– Dalman, S. (59. Dalman, M.), Binder (41. Khmiri), Nowak (60. Stein), Krettek (70. Wright) – Jakobs (59. D’Agostino), Grebe (70. Attiee), Issa (50. Schwertel), Michel (50. Saidi) – Hettich (70. Wright) – Lewejohann (70. Elliott)
Borussia Dortmund (4-2-3-1): Langerak – Owomoyela, Bender, Santana, Löwe – Bakalorz (68. Hübner), da Silva – Großkreutz, Le Tallec (57. Boyd), Kringe (57. Hofmann), Barrios
Tore: 1:0 Jakobs (31.), 1:1 Barrios (58.), 1:2 Bender (90.)
Ecken: 4-7
Zuschauer: 5.201 im Leimbachstadion
Web 05.10.2011