Ein trostloses 0:0 sieht anders aus
Das Spiel ist vorbei. Die Mannschaft hat sich schon längst von den Dortmunder Fans verabschiedet. Auf einmal kommt ein Mann mit schwarzem Hoodie vor den Gästeblock gerannt, ballt die Faust und klopft sich auf die Brust. Jürgen Klopp möchte sagen: In Leverkusen ist auch mal ein Punkt in Ordnung. Vielleicht wusste Klopp aber auch selbst nicht so recht, was er nach diesem Bad der Gefühle sagen und machen soll.
Leverkusen gegen Dortmund. Zwei Mannschaften, 30 000 Zuschauer inklusive 7000 Gästefans, keine Tore und zwei Rote Karten sorgten für viel Furore. Wobei es doch eher drei Rote Karten hätten sein müssen. Und dann doch wieder nur zwei, weil eine unberechtigt war. Oder doch nicht? Das Topspiel des 4. Spieltags war aufregend, enttäuschend, ernüchternd und belebend. Und wirft die Frage auf: Was definiert momentan die Mannschaft des BVB, was will der Verein? Fangen wir von vorne an:
Als Jürgen Klopp und Robin Dutt um 18.25 Uhr ihre Plätze auf den Trainerbänken einnahmen, ahnten sie nicht, dass sich in ihrer unmittelbaren Nähe die beiden Schlüsselszenen des Spiels des Deutschen Meisters beim Vizemeister abspielen sollten. Die Partie an sich bot zunächst nur Dutt Grund zum Endorphin-Ausschuss. Seine Mannschaft wirkte spielfreudig, dominant und durchdacht. Es dauerte keine sechs Minuten, da gab es schon die erste Chance für Leverkusen. Leverkusens Neuzugang Andre Schürrle tauchte vor Roman Weidenfeller auf, schoss diesem aber nur ins Gesicht. Die erste Schrecksekunde für die mitgereisten Dortmunder Fans, die sich stimmungstechnisch schon einmal besser im Ulrich-Haberland-Stadion verkauft haben.
In der 12. Minute folgte ein Kopfball von Simon Rolfes, der seine Leverkusener an diesem Tag immer von hinten nach vorne trieb. Starke Leverkusener auf der einen, planlose Borussen auf der anderen Seite. Sie fanden die Lücke einfach nicht, weil die Werkself hinten so stand, wie eine Abwehr stehen muss. Kevin Großkreutz, Shinji Kagawa oder auch Robert Lewandowski zeigten eine schwache Leistung. Marcel Schmelzer war total von der Rolle, ließ sich zwei Mal über seine Seite überlaufen und spielte vorne nur Fehlpässe. Dass dieses Spiel in keinem Desaster endete, hat der BVB dem Gegenpol dieser schwachen Leistung zu verdanken. Mats Hummels, Neven Subotic und Sven Bender wirkten solide wie eh und je, Ilkay Gündogan findet sich so langsam in der Mannschaft der Borussia ein. Lukasz Piszscek ließ über seine rechte Außenbahn nichts zu. Die Hauptrolle der Partie sollte aber ein anderer einnehmen: Wolfgang Stark.
Sein Halbzeitpfiff inmitten eines Leverkusener Angriffs war ja noch regelkonform. Wenn die Zeit um ist, darf der Schiedsrichter eben abpfeifen. Renato Augusto aber mit Gelb zu bestrafen, weil dieser sich verständlicherweise benachteiligt fühlt, ist – Pardon für den Kalauer - eher schwach als stark. Es war ein Vorgeschmack auf die Leistung Starks in der zweiten Hälfte.
Der BVB war jetzt etwas besser. Schon in der 53. Minute hatte Kagawa die Möglichkeit, das lang ersehnte 1:0 zu erzielen. Flott ging es weiter. Kagawa lief in Richtung Strafraum, spielte zu Lewandowski, der mit der Hacke zum Japaner zurück – vergebens. In der 63. Minute reagierte Klopp auf die schwache Leistung des Dortmunder Jungen. Ivan Perisic kam für Großkreutz. Aber die Einwechslungen waren es nicht, die Klopps Mannschaft auf Trab brachten. Es waren Wolfgang Stark und Leverkusen selbst.
Zunächst durfte sich der mit Gelb vorbelastete Hummels beim Schiedsrichter bedanken, trotz eines Foulspiels am Sechszehner noch mitspielen zu dürfen. Kurze Zeit später leistete Michal Kadlec seiner Mannschaft einen Bärendienst. Jetzt kam der Bereich unweit der Trainerbänke ins Spiel. Genau auf dieser Höhe foulte Kadlec Götze brutal von hinten, was die verdiente Rote Karte zur Folge hatte. Jetzt, ja jetzt war der BVB am Drücker. Zu keiner Zeit hatte der BVB bis dato Räume in diesem Spiel, die Lücken waren nicht da. Nun aber war Bayer ein Mann weniger – und Dortmund auf bestem Wege, dies in ganzen Zügen auszunutzen.
Piszscek auf Götze, der von rechts mit der Flanke an den Fünfmeterraum – Perisic eilt herbei, nimmt den Ball volley, aber Bernd Leno, der neue Stammtorhüter der Gastgeber, hält grandios. Schön anzusehen dieser Schuss, am Ende aber ohne Effekt. Die nächste Chance gab es für Shinji Kagawa in der 76. Minute, der nach kurzem Durcheinander aus sieben Metern vergab. Der BVB war, wie bereits geschrieben, auf einem sehr guten Weg, dieses Spiel trotz schwacher Leistung zu gewinnen. Wenn da nicht die Rote Karte für – und normalerweise mag ich dieses Wort nicht - unseren Superstar Mario Götze gewesen wäre.
Hanno Balitsch wird später gesagt haben: „Ich weiß nicht, was Mario gemacht haben soll.“. Die Fernsehbilder sind nicht eindeutig. Jedenfalls ereignete sich die Szene direkt vor den Füßen beider Trainer. Der Ball war längst weg, als Mario Götze Balitsch hinterher getreten und ihn angespuckt hat. Das ist jedenfalls die Version Starks. Die andere, und somit die von Klopp, ist die, dass sich Götze und Balitsch nur verhakt haben und ein Spieler nun einmal ab und zu auf den Boden spuckt. Fakt ist: Es gab die Rote Karte und die Sturm und Drang-Phase des BVB war vorbei. Gedanken wie : „Ein Punkt wäre ja jetzt wirklich ok“ spukten durch den Kopf. Und tatsächlich wäre es fast noch bitterböse gekommen, hätte Subotic nicht noch spektakulär im eigenen Strafraum gerettet.
Ein Spiel ging zu Ende, das viel Gesprächsstoff bot. Die Szene mit Götze gibt auch nach dem 50 Mal des Betrachtens keine 100 Prozentige Gewissheit, wer nun Recht hat. Jeder kann und darf sich seine eigene Meinung bilden. Das bedeutet aber nicht, dass Fernsehreporter für Nachfragen vor laufender Kamera angemacht werden müssen. Zwar wirkt die Variante, die Klopps Gegenüber Dutt gewählt hat, sympathischer ("Das zu bewerten, ist nicht meine Aufgabe"). Es bedarf aber durchaus einer Einschätzung eines Trainers, wenn eine so spielentscheidene Szene vorliegt.
Was bringt dem BVB also dieser Punkt? Zu sagen, die Leichtigkeit des Meisterjahres fehlte momentan, wäre Unsinn. Schließlich hat der BVB auch zu dieser Zeit viele Spiele erlebt, an denen er hart zu knabbern hatte. Bayer Leverkusen war an diesem Tage einfach stark. Ohne die Leistung der Borussia schön zu reden, darf man ruhig behaupten: Andere Mannschaften hätten sich gut und gerne 0:3 abschlachten lassen. Und da ist es eventuell aufmunternd, wenn Dortmund selbst an schlechten Tagen ein Unentschieden beim Vizemeister holt. Erschreckend ist hingegen die Tatsache, dass das letzte Auswärtstor vom 9.4.2011 datiert ist, als Kuba in Hamburg traf. Den letzten Auswärtssieg durfte Klopp in München feiern, und das war im Februar.
Und so standen die Dortmunder Fans nach Abpfiff im Stadion. Vor ihnen ein „Adrenalin-geladener“ Trainer, der alle im Verein mit seinen Gesten noch einmal daran erinnern wollte: Das heute war ein Punktgewinn. Nicht mehr, und nicht weniger.
Stimmen zum Spiel:
Mats Hummels:
Wenn er es pfeift, muss er mir Gelb-Rot geben. Ich bin der Meinung, dass man es nicht pfeifen muss. Man sieht glaube ich, dass ich zurück ziehe. Renato Augusto hatte sich den Ball zu weit vorgelegt und wollte so noch das beste heraus holen. Der Schiedsrichter war sich zu unsicher, um mir da noch Gelb-Rot zu geben.
Ich glaube, dass das heute ein Schritt nach vorne war. Wir haben die letzten beiden Spiele nicht so sehr die Leidenschaft an den Tag gelegt. Heute war man dann wieder da. Wir sind gelaufen, haben attackiert. Wir haben gegen eine starke Leverkusener Mannschaft gut dagegen gehalten. Es ist ja nicht so, dass wir hier der haushohe Favorit wären.
Sven Bender:
Aufgrund der Chancen beider Mannschaften ist das Ergebnis gerecht. Es stimmt, dass wir nach dem Platzverweis Kadlecs sehr viel Druck auf das Tor aufgebaut haben. Ich denke auch, wenn wir ein paar Minuten länger in Überzahl gespielt hätten, dass wir die Kiste gemacht hätten. Beide Mannschaften können mit diesem Punkt sehr, sehr gut leben. Man muss auch sehen, auf welch hohem Niveau dieses Spiel geführt wurde. Da sind zwei sehr, sehr starke Mannschaften aufeinander getroffen.
Hans-Joachim Watzke:
Unter'm Strich haben wir bei einer bärenstarken Leverkusener Mannschaft einen Punkt geholt und sind damit sehr zufrieden.
Wir haben auch letztes Jahr nicht 34. Spiele „Leichtigkeit“ gehabt. Heute war Leverkusen extrem stark und das war das Entscheidene.
Videos zum Spiel
Trockenes zum Spiel:
Bayer Leverkusen: Leno, Castro, Toprak, Reinartz, Kadlec, L. Bender, Rolfes, Renato Augusto (69. Balitsch), Schürrle, Kießling, Sam
BVB: Weidenfeller, Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer, S. Bender, Gündogan, Götze, Kagawa (81. Kuba), Großkreutz (63. Perisic), Lewandowski
Tore: Fehlanzeige
Schiedsrichter: Wolfgang Stark
Gelbe Karten: Kadlec, Renato Augusto, Balitsch - Hummels, Götze
Rote Karten: Kadlec (64., grobes Foulspiel) - Götze (77., Tätlichkeit)
Zuschauer: 30.120 (ausverkauft)
Guerriero, 28.8.2011