Unnötiger Punktverlust in Kaiserslautern
Äußerst ungern fährt man als Borusse zum FC Kaiserslautern, fast immer mit einem mulmigen Gefühl und einer unschönen Vorahnung. Allzu oft gingen sicher geglaubte Spiele infolge seltsamer Schiedsrichterentscheidungen in die Hose, die Hölle am Betzenberg beeindruckte schon so manchen Unparteiischen kurz vor Spielende. Auch dieses Jahr sollte es nicht mit einem Sieg in der Pfalz klappen, den Punktverlust hat sich Borussia aber ganz alleine zuzuschreiben.
Gut 8000 BVB-Fans hatten sich auf die Reise in die Pfalz begeben, bestens gelaunt und in froher Erwartung einer neuerlichen Vollgasveranstaltung in der Fremde. Am Nachmittag hatte die Konkurrenz aus München und Leverkusen vorgelegt, mit einem weiteren Sieg in der Auswärts-Rekordsaison hätte sich der bequeme Vorsprung wieder herstellen lassen. Nicht mithelfen konnte diesmal Flügelflitzer Kuba, der sich unter der Woche beim Länderspiel am Knie verletzt hatte. Vorberichte über den ersten Startelfeinsatz Marco Stiepermann erwiesen sich als haltlose Spekulation der Boulevardpresse, für Kuba rückte Robert Lewandowski in die Startelf.
Bereits zu Spielbeginn war die Stimmung im Gästeblock enorm gut. Der optische und akustische Eindruck waren überwältigend und es machte richtig Spaß, diesem Treiben zuzusehen. Auf der Gegenseite blieben ein sehenswertes Wunderkerzen-Intro und das gellende Pfeifkonzert bei so ziemlich jeder Gelegenheit das Höchste der Gefühle – gesanglich kam nur wenig an, gerade einmal die Kaiserslautern-Dauergesänge erreichten eine vernünftige Lautstärke. An diesem Kräfteverhältnis auf den Rängen änderte sich über die gesamten 90 Minuten nichts, wenngleich die erste Halbzeit auf Dortmunder Seite deutlich stärker war. (Anmerkung: Die Sicht von den Presseplätzen war durch das Dach leider stark eingeschränkt, weshalb nur kleine Teile der Tribünen zu sehen und möglicherweise auch zu hören waren.) Das Spiel selbst begann verheißungsvoll, die Anfangsphase bot hochkarätige Torchancen im Minutentakt. In der dritten Spielminute nutzte Nuri Sahin einen Stellungsfehler Tobias Sippel zu einem Heber aus gut 30 Metern, der Ball segelte jedoch einige Meter links am Tor vorbei. Nur Sekunden später legte Lewandowski das Leder ab auf Lucas Barrios, der von Freund und Feind allein gelassen den rechten Pfosten anvisierte. Dass man auch in der Pfalz die hohe Kunst des Fernschusses beherrscht, demonstrierte wiederum nur Augenblicke später Christian Tiffert mit einem wuchtigen Lattenkracher.
Es war das Hallo-Wach-Signal des FCK, der sich von diesem Spiel weitaus mehr versprochen hatte als eine Schadensbegrenzung in der Höhe der Niederlage. Die roten Teufel versteckten sich nie, spielten frech und aggressiv auf. Immer wieder schnell am Ball nahmen sie die Schwatzgelben in enge Manndeckung, doppelten die ballführenden Spieler und zwangen sie zu Fehl- oder Rückpässen. Der BVB ließ sich von diesem Einsatz nicht beeindrucken, verfiel aber in eine spürbare Hektik. An die Stelle des durchdachten Aufbauspiels traten seltsame Pässe, die bereits über wenige Meter nicht ihr Ziel fanden. Sahin erlebte abermals einen schlechten Tag und brachte den Gegner beinahe häufiger in Ballbesitz als seine Mitspieler. Neven Subotic nahm ihn dafür später in Schutz und ärgerte sich über den „Drecks-Rasen im Drecks-Zustand, der keinen Pass über zehn Meter zugelassen hat.“
Tatsächlich kamen die Hausherren sehr viel besser mit dem Geläuf zurecht und wussten diesen Heimvorteil zu nutzen. Während die jungen Dortmunder noch immer mit dem Boden kämpften, sah Ivo Ilicevic eine klaffende Lücke im schwatzgelben Abwehrverbund. Die Abseitsfalls hatte in diesem Moment nicht zugeschnappt, Tifferts Pass segelte über die gesamte Hintermannschaft mitten in den Lauf des Pfälzer Torjägers – es war von Glück zu reden, dass Roman Weidenfeller den Braten gerochen hatte und Ilicevics Schuss an der Strafraumkante abwehren konnte. Schnell wurde ein Konter eingeleitet, der im direkten Gegenzug ebenfalls ein Tor verdient gehabt hätte:
Nur zwei Minuten später folgte die Kopie des Angriffs: Abermals ist Großkreutz alleine im Strafraum unterwegs, hat auch Sippel schon überwunden und schafft es trotzdem nicht, den Ball ins Tor zu schießen – der Nachschuss Mario Götzes brachte keine Gefahr mehr für das Pfälzer Tor.
Auch in der folgenden Szene blieb Götze im Mittelpunkt des Geschehens. Mustergültig an der massierten Defensive vorbeimarschiert legte er den Ball auf Barrios, der drei Meter vor dem Tor nur noch irgendein Körperteil hätte hinhalten müssen. Leider verfehlte er diesen Ball um wenige Zentimeter und reihte sich damit in die Liste der „Hundertprozentigen ohne zählbares Ergebnis“ ein. In der Folgezeit verflachte das Spiel zusehends, erst kurz vor Pausenpfiff sollte es wieder einen ebenfalls gescheiterten Torschuss Lewandowskis geben.
Aus der Kabine gekommen machten sich beide Mannschaften wieder daran, eine frühe Entscheidung zu suchen. Ilicevic bemühte sich mit einer nicht geahndeten Schwalbe um einen unberechtigten Elfmeter, im direkten Gegenzug versagte Schiedsrichter Florian Meyer Götze den fälligen Elfmeterpfiff (Petsos brachte nicht nur Götze ins Straucheln, sondern spielte den Ball auch mit der Hand). Zwei Minuten später scheiterte Götze alleinstehend vor Sippel, bevor das Spiel wieder zerfaserte und beinahe jeden Höhepunkt vermissen ließ. Nur zu oft wurden nun Bälle blind nach vorne geschlagen, ein Sahin in Topform hätte dem Spiel sehr gut getan.
Erst kurz vor Ende wurde es wieder spannend. Der eingewechselte Mohamed Zidan musste verletzungsbedingt nach sieben Minuten Spielzeit wieder ausgewechselt werden – allerdings nahm davon kaum jemand Notiz, weil der Wechsel mitten im Torjubel unterging. Denn die erste richtig herausgespielte Aktion der zweiten Halbzeit hatte just in diesem Moment den Führungstreffer für den BVB gebracht: Lukas Piszczek war auf rechts bis an die Grundlinie vorgestoßen und den Ball in die Mitte gelegt, wo Götze den Ball nicht verwerten konnte und Sven Bender mit einer tollen Übersicht den Ball ins lange Eck legte. Der Gästeblock stand Kopf und es schien, als hätte der BVB das Glück des Tüchtigen und könnte das sich abzeichnende Remis doch noch gewinnen.
Dabei hatten wir allerdings die Rechnung ohne Florian Meyer gemacht. Subotic: „Ich weiß selbst nicht, was in diesem Moment passiert ist. Der Gegner bekommt den Ball, ich bin direkt bei ihm. Das alles passierte 30 Meter vor dem Tor und es war ja nicht gerade Ribery, mit dem ich es zu tun hatte. Ich hatte die Situation völlig unter Kontrolle, der wäre mir ganz sicher nicht davon gelaufen. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt schon viele Zweikämpfe gehabt, die alle sauber abgelaufen sind und hatten eine klare Linie des Schiedsrichters erkannt, weshalb in dieser Situation nichts zu erwarten war. Trotzdem fällt der Gegner plötzlich um und ich höre einen Pfiff, denke mir, die Schwalbe wurde gepfiffen. Der Schiedsrichter kam jedenfalls auf mich zu und sah sich um, überlegte sich, was er tun sollte. Dann ging er auf den Gegner zu und griff zur Tasche, weshalb ich dachte, dass er gelb für die Schwalbe bekommt. Dann dreht er sich zu mir um und zeigt mir die Karte, da war die Nummer für mich gelaufen. Ich will meinen Gegner und den Schiedsrichter nicht kritisieren, bevor ich die Szene nochmal gesehen habe. Allerdings hatte ich heute nicht meinen besten Tag und habe das Gefühl, dass ich damit nicht der einzige auf dem Platz war.“ Tatsächlich musste man sich über die Entscheidung wundern, da bereits die erste gelbe Karte eine harte Entscheidung war und Tifferts taktisches Foul an Barrios in der 25. Minute eben nicht mit gelb geahndet worden war.
Der FCK warf in der Folgezeit nun wirklich alles nach vorne, Borussia bemühte sich um eine geordnete Defensive und brachte nun Felipe Santana für Götze. Das Ziel war ganz klar, die unerwartete Führung über die letzten fünf Minuten zu bringen. Doch die Unordnung war nicht zu übersehen, als die defensiven Hausherren plötzlich auf volle Offensive umgestellt hatten. So wurde eine Ecke für Kaiserslautern zum späten Problem: Jan Moraveks Nachschuss ging vorbei an Roman Weidenfeller unhaltbar ins linke obere Eck und die Heimtribüne drehte plötzlich noch einmal komplett auf. Konsterniert verließen die Borussen den Platz und ärgerten sich über die verlorenen Punkte.
Mats Hummels: „Der Platzverweis hat mich überrascht, ich habe da keinen Kontakt gesehen. Der Boden war heute sehr schwer zu spielen und wir hatten einige Probleme mit einem starken Gegner, konnten uns aber ausreichend Chancen herausspielen. Diese Chancen haben wir nicht genutzt, weshalb es zu einfach und falsch wäre, dem Schiedsrichter die Schuld zu geben. Gerade das Gegentor hatte nichts mit dem Platzverweis zu tun, weil uns in dieser Situation nicht ein Spieler fehlte, sondern der Gegner das Glück auf seiner Seite hatte.“
Sven Bender: „Ich habe heute mein erstes Tor für den BVB geschossen, habe mich darüber auch sehr gefreut. Lieber wäre es mir aber gewesen, wenn wir das Spiel auch gewonnen hätten, gerade weil wir auch die Chancen dazu hatten. Es hat einfach nicht sollen sein, nächste Woche können wir mit einem Sieg gegen St. Pauli alles wieder gut machen. Um uns muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen, heute und letzte Woche waren wir trotz der verlorenen Punkte ja keinesfalls die schlechtere Mannschaft.“
Jürgen Klopp: „Der Platzverweis war keiner, das müssen wir als allererstes mal sagen. Natürlich hätten wir das Spiel heute gerne glücklich gewonnen, einige gute Chancen hatten wir ja. Der Boden war allerdings sehr schwer zu spielen und kam den Kaiserslauterern zugute, die ihre Sache heute richtig gut machten. Größtenteils ist diese Saison bislang sehr fair für uns verlaufen: Wenn wir gut spielten, haben wir gewonnen. Wenn wir nicht gut spielten, haben wir das Unentschieden geholt. Und wenn wir schlecht spielten, haben wir verloren. So war das auch heute, weshalb ich mit dem Ergebnis leben kann.“
Noten
Weidenfeller: Undankbares Spiel mit wenigen Angriffen. Wehrte Ilicevics Angriff in der 19. Minute gut ab, griff später einmal neben den Ball und war beim Gegentreffer machtlos. Dafür gibt es die solide 3.
Subotic: Hatte nicht den besten Tag erwischt, bekam zwei überharte gelbe Karten und damit die nächste Sperre. Dennoch hielt er hinten den Laden wieder dicht und wirkte vorne mit – Note 3.
Lewandowski: Einige starke Szenen und Angriffe, insgesamt aber wieder ein unglückliches Spiel auf ungewohnter Position. Zeigte Einsatz und Kampfbereitschaft, hoffentlich platzt der Knoten gegen St. Pauli. Note 3.
Sahin: Fiel hauptsächlich durch Fehlpässe und schlechte Standards auf, erlebte mit dem Derby den zweiten Durchhänger in Folge. Der Boden kam einem gepflegten Passspiel allerdings auch nicht zugute. Note 4.
Hummels: Hinten sicher, in der Spieleröffnung etwas schwächer als gewohnt und vorne nicht ganz so oft zu sehen – der FCK machte ihm das Leben schwer, eine Blöße gab sich Hummels aber nicht. Note 3.
Barrios: Pech beim Pfostenschuss, später den Ball aus bester Position verpasst und kaum zu sehen. Da muss wieder mehr kommen, vorerst gibt’s die Note 4.
Piszczek: Das 0:1 gut vorbereitet, ansonsten mit ganz schwerem Stand und sehr unauffälligem Spiel. Note 4.
Schmelzer: Schöne Szenen im ganzen Spiel, aber doch ziemlich weit entfernt von seiner normalen Leistung. Note 3.
Götze: Gutes Spiel, brachte haufenweise gute Ideen und ließ sich von der Aggressivität des Gegners nicht beeindrucken. Ebenfalls Pech im Abschluss, das wird bald wieder besser. Note 2.