Tatort Hannover
Quizfrage: Welcher Begriff wird gesucht? Zu sehen am Sonntag, beteiligt ein Geschäftsmann, der auf der Suche nach zahlungskräftigen Investoren ist, ein Serientäter auf der Suche nach Opfer Nummer sechs und viele Zeugen des Tathergangs. Klarer Fall, der sonntägliche Tatort auf ARD. Falsch. Die richtige Lösung lautet: Auswärtsspiel unserer Borussia in Hannover.
Genau genommen waren 49.000 Zeugen im ausverkauften Niedersachsenstadion vor Ort, die eine absolut hochklassige Vorstellung geboten bekamen. Wieviele von den 49.000 Fans zum BVB hielten, konnte man nach Abpfiff sehen. Das Stadion war fast noch zu einem Viertel gefüllt, um die siegreichen Borussen auf dem Rasen zu feiern. Im Vorfeld war bereits von 7.000 bis 10.000 Gästefans die Rede, es dürften sogar noch wesentlich mehr gewesen sein. Ein gigantischer, schwatzgelber Auswärtsmob, der sich da auf die Reise gemacht hat und ein verdienter Lohn für die bisher herausragenden Leistungen unserer Mannschaft. Die Voraussetzungen für einen Galaauftritt in Sachen Support waren also gegeben. So ganz erfüllen konnte man die Erwartungen jedoch nicht. Bis zum entscheidenden Tor war der Dortmunder Auftritt ok. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Danach zeigte man aber eindrucksvoll, was man mit so einer großen Zahl und einem schön hallenden Stadiondach alles anstellen kann. Das „Wer wird deutscher Meister?" donnerte eindrucksvoll durch die fast komplett hüpfende Gästekurve. Ein imposantes Bild. Würdig eines Mei... ähm.. einer Mannschaft, die noch nicht genug Punkte für den Nichtabstieg gesammelt hat.
Mindestens zwei Anhänger des BVB hatten sich schon am Samstag in die niedersächsische Landeshauptstadt aufgemacht, um ein Reamonn-Konzert (!) zu sehen. Rock on, Mädels!
Die Hannoveraner Fans waren, bis auf wenige Ausnahmen, im Gästeblock nicht zu hören. Allenfalls bei strittigen Schiedsrichterentscheidungen konnte man deutliche Unmutsäußerungen vernehmen. Die Heimkurve hinter dem Tor fiel optisch durch dauerhaftes Fahnenschwenken auf. Nicht jedermanns Sache, aber mittlerweile wohl Standard. Schön allerdings die in die Höhe gereckten Schals, nachdem das Spiel endgültig entschieden war. Verdienter Lohn und Rückhalt für eine Mannschaft, die zu Saisonbeginn als Abstiegskandidat Nummer eins gehandelt wurde und stattdessen eine wirklich ordentliche Serie gespielt hat.
Und jetzt rein ins Spiel
Der BVB begann gewohnt druckvoll. Müdigkeit nach einem Europapokalspiel unter der Woche scheint wohl ein Phänomen zu sein, das unseren Jungs gänzlich unbekannt ist. Mit hoher Laufarbeit wurde gepresst und der ballführende Defensivspieler des Gegners über 90 Minuten hinweg, teilweise sogar mit zwei oder drei Mann, unter Druck gesetzt. Bereits in der elften Minute wurde die aggressive Spielweise belohnt. Nach einer Ballerboberung von Götze steckte Sahin den Ball durch zu Kagawa. Der kleine Japaner lief parallel zur Strafraumkante am ersten Gegenspieler vorbei. Keine Lücke. Dann am zweiten – immer noch keine Lücke. Ebensowenig am dritten. Festgespielt sagt man da normalerweise. Aber Pustekuchen. Shinji erspähte dann doch die erhoffte Lücke zwischen den Abwehrbeinen und schoß für Fromlowitz unhaltbar ins Eck.
Ein perfekter Start für die Auswärtsserientäter. Und während Hannover so rein gar nicht ins Spiel fand, drehte Kagawa erst richtig auf und avancierte zum spielbestimmenden Kicker in Halbzeit eins. Nur zehn Minuten später hätte er fast seinen zweiten Treffer auf dem Konto gehabt. Eine Flanke von Schmelzer legte Barrios perfekt ab, aber trotz freier Schußbahn strich der Schuss gut und gerne einen Meter über das Tor. Und weiter ging es mit der fulminanten Kagawa-Show. In der 30. Minute wollte er eigentlich einen Konter mit einem hohen Pass auf Barrios einleiten, aber ein Hannoveraner bekam den Kopf dazwischen. Allerdings zu unkontrolliert, so dass der Ball wieder bei Kagawa landete. Ein Blick, das lange Eck anvisiert und leider knapp daneben.
Und die Roten aus Niedersachsen? Mehr als anderthalb Chancen für die Heimmannschaft waren nicht zu verzeichnen. Nach einem Stolperer von Subotic in der Vorwärtsbewegung durfte Stoppelkamp den Ball irgendwo in Richtung der Gästekurve schlenzen, im weiteren Verlauf schoß Ya Konan nach einer irregulären Ballmitnahme mit der Hand rechts am Tor vorbei. Die einzig wirklich gefährliche Szene, da der Ivorer vom ansonsten starken Hummels, der vehement das Handspiel reklamierte, laufen gelassen wurde. Eine absolut verdiente Pausenführung, die eigentlich höher hätte ausfallen müssen.
Die zweite Halbzeit
Hereinspaziert, hereinspaziert. In der zweiten Halbzeit wurde alles geboten, was den Fußball ausmacht. Spannung, Härte, technisch wunderbarer Fußball und strittige Schiedsrichterentscheidungen. Wenn man nicht gerade Fan der 96er ist, eine Halbzeit zum Genießen. Dabei kamen die Niedersachsen wirklich gut und mit deutlich mehr Gegenwehr aus der Kabine. Die erste, dicke Chance aber wieder für den BVB. Ein weiter Einwurf von Piszczek flog bis an den Hannoveraner Fünfer, aber sowohl Götzes Schuss als auch den Nachschuss vom Barrios parierte Fromlowitz in Weltklassemanier. Hier hätte der Deckel schon drauf sein können.
Stattdessen überließ man den Hausherren mehr und mehr das Spielfeld und geriet zwei Mal in Gefahr. Zuerst brachte Stoppelkamp, der sich in der Situation so schwer verletzte, dass er vom Platz getragen und ausgewechselt werden musste, den Ball mit der Picke aufs Tor, dann schoss Forssell scharf aufs kurze Eck. Beide Male konnte der nicht häufig gepüfte Weidenfeller abwehren.
Mitten in die Drangphase hinein dann das zweite Tor für den BVB. Sahin bekam an der Mittellinie den Ball und zeigte seine ganze Klasse, seine ganze Technik und sein überragendes Spielverständnis. Mit einem punktgenauen Flachpass über 49 Meter hinweg sezierte er mal eben die komplette Deckung des Gegners. Der deutlich verbesserte Piszczek sprintete hinterher und brachte den Ball flach an den Fünfer. Dort standen zwar zwei Gegenspieler, aber Barrios ließ sich davon in keinster Weise beeindrucken und spitzelte den Ball ins lange Eck. Zwei zu Null und der Gästeblock kochte.
Das war dann auch die letzte Aktion für unseren Torjäger, der anschließend zusammen mit Götze für Lewandwoski und Kuba ausgewechselt wurde. Letzterer stand bereits zwei Minuten später im Mittelpunkt. Mit Tempo zog er aufs Tor, aber Haggui konnte ihm den Ball an der Strafraumgrenze regelkonform abgrätschen. Kuba fiel dabei in den Strafraum und blieb liegen, während das Spiel weiter lief. Haggui vermutete jedoch den Versuch, sich einen Elfer zu erschwalben und trat erzürnt gegen den Kopf des Polen. Die Entscheidung des ansonsten nicht immer mit klarer Linie agierenden Schiedsrichters Brych war für alle Zuschauer ebenso erstaunlich wie goldrichtig. Rote Karte für Haggui und... Elfmeter. Nach dem gewonnen Zweikampf von Haggui lief das Spiel nämlich weiter als der Tunesier innerhalb des Strafraums die Tätlichkeit begang. Ein Mann mehr und Sahin am Elfmeterpunkt. Die endgültige Entscheidung war zum Greifen nah. Leider konnte Fromlowitz Nuris nicht wirklich platzierten Schuss abwehren.
Die Enttäuschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Bereits der zweite nicht verwandelte Elfer innerhalb kurzer Zeit, da fand er auch keinen Trost im Gedanken an die doch beruhigende Führung und die beiden Vorbereitungen zu den Toren. Letzte Saison hätte man ihn noch zum moralischen Aufbau im Training zehn Elfer gegen Weide schießen lassen können – diese Saison bestünde „dummerweise" die Gefahr, dass der davon auch den ein oder anderen wegschnappt. Kopf hoch, Nuri. Das ist deine Saison und daran ändern auch verschossene Elfmeter nichts.
Nur wenige Minuten später konnte er seinen Fehlversuch aber wieder ausbügeln, indem er einen Freistoß schnell auf Kuba brachte. Der lief mit Tempo auf den Sechzehner zu und legte auf Lewandwoski ab. Fünf Hannoveraner gegen zwei Dortmunder. Was Lewandwoski dann machte, war ganz große Fußballkunst. Mit der Hacke direkt weiter in den Strafraum, Kuba war mitgelaufen und in glänzender Schussposition. Diese Chance konnte erneut Fromlowitz klären, aber in der Zwischenzeit hatte sich Lewandwoski anscheinend sein rechtes Bein abgeschraubt und schoß den Abpraller volley aus einer Höhe, bei der Kagawa Schwierigkeiten gehabt hätte, mit dem Kopf dran zu kommen, ins leere Tor. Damit war der Deckel endgültig drauf.
Es folgte ein letzter Wechsel für den BVB. Sahin, an allen drei Toren maßgeblich beteiligt, durfte vom Feld und machte da Silva Platz. Der Brasilianer zeigte sich sofort präsent und trat zum Freistoß an. Der ins Eck gezirkelte Schuss war ebenso spektakulär wie die Parade des Torwarts. In der 90. Minute dann noch das vierte Tor, das wie eine perfekte Zusammenfassung aller Dortmunder Stärken war. Das Spiel war bereits entschieden, trotzdem ging Großkreutz weiterhin aggressiv auf den ballführenden Gegner. Den eroberten Ball schob Kagawa weiter zur Mittellinie in Richtung da Silva. Der überlobte fast aus dem Stand den kompletten niedersächsischen Abwehrverbund, Kuba sprintete in den Ball und nagelte ihn unhaltbar ins lange Eck.
Spätestens hier sollte allen Konkurrenten in der Bundesliga Angst und Bange werden. Drei Einwechselungen, zwei Tore, eine Torvorlage und nahtloses Einfügen in technisch höchst anspruchsvollen Fußball. Unglaublich was für Qualitäten Klopp da auf dem Platz und auf der Bank zur Verfügung stehen.
Unter dem Strich ein hochverdienter Sieg, bei dem es auch für Hannover 96 für nicht mehr als zur Rolle des Opfers Nummer sechs der Dortmunder Serientäter reichte.
Statistik
Hannover 96: Fromlowitz - Cherundolo, Eggimann, Haggui, Djakpa - Stindl, Pinto - Stoppelkamp, Rausch - Abdellaoue, Ya Konan.
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - Bender, Sahin - Götze, Kagawa, Großkreutz - Barrios.
Einwechselungen: 46. Forssell für Abdellaoue, 57. Beasley für Stoppelkamp, 80. Avevor für Stindl - 75. Lewandowski und Kuba für Barrios und Götze, 83. da Silva für Sahin.
Tore: 0:1 Kagawa (11., Sahin), 0:2 Barrios (72., Piszczek), 0:3 Lewandowski (81., Kuba), 0:4 Kuba (90.+1, da Silva). Bes. Vork.: Sahin scheitert mit Foulelfmeter an Fromlowitz (78., Haggui an Kuba).
Eckstöße: 2:3 (Halbzeit 1:0), Chancenverhältnis: 3:11 (1:3).
Schiedsrichter: Brych (München), Rote Karte: Haggui (77., Tätlichkeit). Gelbe Karten: - Piszczek, Barrios.
Zuschauer: 49.000 (ausverkauft). Wetter: bewölkt, 5 Grad.
Noten
Weidenfeller: Kaum geprüft, aber stets hellwach. Der lebende Beweis dafür, dass Torwarte nicht irgendwo außerhalb des Teams als Einzelkämpfer stehen und sprintete bei den Toren drei und vier über den ganzen Platz, um dem Torschützen zu gratulieren. Mangels Möglichkeiten sich großartig auszuzeichnen „nur" eine 2,5
Schmelzer: Nicht so druckvoll wie gegen Paris, aber defensiv sicher. Er muss ja auch nicht immer wie ein Bekloppter die Außenlinie entlang wetzen, wenn seine Kollegen vorne wirbeln. Eine glatte 3
Subotic: Ein Fehler im Spielaufbau in Hälfte eins, der eine halbe Torchance für 96 ermöglichte. Ansonsten sehr solide und ohne Probleme gegen Ya Konan, Abdellaoue oder Forssell. Viel sicherer kann man hinten fast nicht stehen – Note 2
Hummels: Ermöglichte fast den Ausgleich, weil er bei Ya Konans Handspiel reklamierte, statt mitzugehen. Ansonsten gilt für ihn das gleiche wie für Nebenmann Subotic. Nach hinten raus auch noch mit Luft für den ein oder anderen Vorstoß. Wegen des Schnitzers jedoch eine halbe Note Abzug – 2,5.
Piszczek: Vielleicht sein bestes Spiel für den BVB. In der ersten Halbzeit noch etwas unsicher, drehte er in der zweiten stark auf. Legte mustergültig für Barrios auf und hatte selbst zum Ende noch eine Großchance. Weiter so. Wegen der ansteigenden Tendenz auch hier eine 2,5.
Bender: Wenn es momentan eine „undankbare" Rolle beim BVB gibt, dann vielleicht die des defensiven Sechsers. Während seine Kollegen munter zaubern, ackert „Manni" unermüdlich seine Gegenspieler ab, hält Sahin den Rücken frei und erstickt gegnerische Angriffe im Keim. Das wirkt immer etwas unscheinbar, ist aber enorm wichtig. Note 2
Sahin: Jeder Hobbyfußballer wünscht sich soviel Ballgefühl im Fuß, wie Nuri im großen Zeh hat. Auch in Hannover wieder Schaltstelle im Mittelfeld und genialer Ballverteiler. Der Paß vor dem 2:0 hat absolutes Weltklasseformat. Angesichts maßgeblicher Beteiligung an drei Toren vergessen wir den verschossenen Elfer einfach und geben eine 1,5
Großkreutz: Offensiv nicht wirklich auffällig, aber mit riesigen Laufpensum. Ohne Spieler wie ihn ist das praktizierte Pressing kaum möglich. Ging über 90 Minuten hinweg auf Ball und störte das gegnerische Aufbauspiel. Note 3
Kagawa: Immer, wenn es über den ein oder anderen Spieler heißt, dass er „überspielt" sei, dreht derjenige im nächsten Spiel groß auf. In der ersten Halbzeit auffälligster Spieler. Wirbelte, lief, presste und passte wie aufgedreht. In der zweiten Halbzeit etwas zurückhaltender, aber dennoch irgendwie an fast jeder Aktion beteiligt. Eine 1,5 für unser grandioses Schnäppchen.
Barrios: Zwei Chancen, ein Tor. Ging irrsinnig weite Wege und setzte Hannover in der Spieleröffnung unter Druck. Machte seine Bude im Stile eines Torjägers. Note 2,5
Lewandowski, Kuba, da Silva: Normalerweise heißt es bei Einsatzzeiten von 15, bzw. gerade einmal 7 Minuten: ohne Bewertung. Was die drei in den paar Minuten allerdings aufs Parkett zuckerten war ganz großes Kino. Kollektive Note 1,5.