Hummelstich im Lulu-Land
Was war das für eine elende Zeit! Drei Wochen Winterpause, sinnlos versumpfte Samstagnachmittage und massenhaft Langeweile. Höchste Zeit für den Beginn der Rückrunde, deren Auftaktspiel es für Borussia in sich haben sollte: Alle Konkurrenten um die vorderen Tabellenplätze hatten mit Siegen vorgelegt, alle Verfolger ordentlich Federn gelassen – eine ideale Ausgangslage, um sich vor den harten Spielen der kommenden Wochen ein bequemes Polster zu erspielen.
Zuvor hatten sich die Spielplaner der DFL aber wieder einmal selbst übertroffen. Der komische Verein aus Gelsenkirchen durfte am Sonntagnachmittag zuhause gegen den FC Nürnberg ran, während es für Borussia am Abend nach Köln gehen sollte. Selbst dem letzten Menschen hätte bei zumutbarer Intelligenz auffallen müssen, dass sich sämtliche An- und Abfahrtswege überschneiden würden – doch wie schon beim Derby am Freitagabend schienen Sicherheitsfragen keinen zu interessieren.
Glücklicherweise blieben Kontakte im Großen und Ganzen aus, so dass noch mal alles gut gegangen ist – beim nächsten Mal darf man jedoch auch in Funktionärskreisen einmal öfter nachdenken.
Borussia war nach einer durchwachsenen Vorbereitung mit steigerungsfähigen Testspielergebnissen nur mit einem Rumpfkader nach Köln gereist, der von Kölner Journalisten gar als „verstärkte B-Jugend“ belächelt wurde. Insbesondere im Mittelfeld fehlten mit Sebastian Kehl, Tinga, Markus Feulner, Tamas Hajnal und Yasin Ötzekin gleich mehrere der arrivierten Stammkräfte, so dass abermals Nuri Sahin und Sven Bender die kreative Tätigkeit anvertraut werden konnte.
Bevor das Spiel nun endlich beginnen konnte, kam es abseits des Rasens zu einer bemerkenswerten Szene. Der FC Köln und seine Fans gratulierten dem BVB zum 100. Geburtstag und überreichen zwei Fanvertretern einen Blumenstrauß: "100 Jahre sind etwas ganz besonderes, der BVB ist ein Traditionsverein genau wie wir es sind. Selbst wenn wir gleich wieder Gegner sein werden, ist es für uns eine Frage der Ehre, Borussia Dortmund zu diesem Jubiläum zu gratulieren." Ein tolles Zeichen, dass sportliche Rivalität nichts mit zwangsläufigem Pseudohass zu tun haben muss – vielen Dank dafür zurück nach Köln.
Die ersten Spielminuten standen ganz im Zeichen des matschigen Untergrunds. Schnee und Tauwetter hatten dem Rasen empfindlich zugesetzt, gerade im Bereich der Mittellinie konnten nur selten grüne Fleckchen im saftigen Braun ausgemacht werden. Diesen Heimvorteil zu nutzen, war klare Absicht der Hausherren – sie legten einen schwungvollen Start hin und bemühten sich, dem Dortmunder Offensivspiel keine allzu großen Räume zu lassen. Immer wieder spielten sie lange und schnelle Pässe in die Spitze, in der sich mit Maniche ein torgefährlicher Abnehmer fand – seine Distanzschüsse wurden dank des holprigen Bodens im Dortmunder Strafraum zu unberechenbaren Hämmern, die Roman Weidenfeller (und später Marc Ziegler) eine ganze Menge abverlangten.
Es dauerte rund 20 Minuten, bis sich die Dortmunder mit den widrigen Bedingungen angefreundet hatten – sie verzichteten zunehmend auf Kunststücke und Doppelpässe, setzten stattdessen auf körperbetonten Einsatz und Standardsituationen. Der FC stand seinerseits kompakt und setzte auf blitzschnelle Konter, deren Einleitung meist über lange hohe Bälle erfolgte und das Dortmunder Mittelfeld fast immer kalt erwischte. So tauchte wie aus dem Nichts Milivoje Novakovic vor Weidenfeller auf, der sich nur mit einem beherzten Manöver zu helfen wusste – eine dabei zugezogene Fleischwunde wurde noch vor der Halbzeitpause genäht und wird Weidenfeller rund drei bis vier Wochen Auszeit bescheren. Wir wünschen an dieser Stelle gute Besserung!
Nur wenig später – wir schrieben die 29. Minute – gab es den ersten richtigen Höhepunkt des Spiels. Zum wiederholten Mal hatte konsequentes Nachsetzen einen Eckball eingebracht, den Sahin mit viel Gefühl in den Strafraum lenkte – Lucas Barrios und Mats Hummels standen goldrichtig und markierten mit einer gelungenen Co-Produktion den überraschenden Führungstreffer. Beinahe schien es so, als habe der schwatzgelbe Tross Blut geleckt: Als die Kölner nach einem Ausrutscher im Dortmunder Strafraum noch Elfmeter forderten, setzte Sahin schon wieder zum Konter an – eine Belohnung erhielt er für seine starke Leistung aber nicht, da ihm der Ball kurz vor dem Abspiel im gegnerischen Strafraum versprang.
Im Gästeblock wurde versuchsweise schon einmal die kommende Meisterfeier besungen, insgesamt war die Stimmung auf beiden Tribünenseiten mehr als ordentlich. Nur in der 38. Minute stockte den 50.000 Zuschauern plötzlich der Atem: Kevin McKenna war mit einem Gegenspieler zusammengestoßen und regungslos am Dortmunder Elfmeterpunkt zu Fall gekommen. Erst als die Sanitäter ihn mit dem Verdacht auf Hirnerschütterung aus dem Stadion tragen wollten, kam er wieder zu sich und meldete sich gegen die Bedenken des Mannschaftsarztes zurück ins Spiel.
Aufgrund der beiden langen Verletzungspausen wurden rund vier Minuten Nachspielzeit aufgeschlagen. Wirklich begeistert schien Klopp darüber aber nicht zu sein. Wie ein HB-Männchen sprang er auf und ab, als die Gastgeber immer stärker auf den Ausgleich drängten und sich in Form Novakovics sogar eine Riesenchance herausspielen konnten. Erst ein Entlastungskonter in der fünften Minute der Nachspielzeit konnte daran etwas ändern: Als sich die Fans schon längst in der Pause wähnten, hatte Sahin Hummels einen Freistoß aus dem Halbfeld mit viel Gefühl auf den Fuß gelegt – völlig unerwartet fiel das 2:0 mit dem Pausenpfiff, der Gästeblock tanzte vor Freude.
Die zweite Halbzeit begann fast genauso wie die erste. Köln kam besser aus der Kabine, spielte mit dem Mut der Verzweiflung nach vorne – trotz bester Chancen mit zwei Toren hinten zu liegen, wollte sich hier keiner gefallen lassen. Auf der anderen Seite ging es für Borussia nun darum, ein drittes Tor nachzulegen und unter Beweis zu stellen, dass die Führung nicht völlig unverdient zustande gekommen war. Tatsächlich lief das Leder nun etwas gefälliger und konnte sich der BVB ein wenig öfter mit nennenswerten Angriffen bemerkbar machen. Wenngleich ihm weiterhin so gut wie nichts gelingen wollte, zeigte vor allem der bislang unsichtbare Kevin Großkreutz mehr Biss – ein hübscher Torschuss nach einer Stunde Spielzeit war da gerne gesehen, seine absolut unnötige gelbe Karte hingegen eher nicht.
Noch schwächer als Großkreutz hatte bislang das Kölner Riesentalent Lukas Podolski gespielt. Ein Riesentrara um den verlorenen Sohn samt Spendenmarathon und Ablösespiel hatten zu Saisonbeginn die Blicke der Fußballwelt nach Köln gezogen, wo man sich vom einsilbigen Lulu Tore im Minutentakt versprochen hatte. Die Auswechslung in der 60. Minute avancierte zur Höchststrafe für den einst gefeierten WM-Helden, der sich wutschnaubend vom Platz trollte und sich später ob seiner Nichtleistung unangenehme Fragen stellen lassen musste.
Viel weniger erwartet hatte man sich bei Borussia Dortmund von der Verpflichtung Zieglers. Als Backup-Lösung hinter dem gesetzten Weidenfeller sollte er sich auf die Bank setzen, dort brav die Klappe halten und als Sparringspartner in Trainingsspielchen zur Verfügung stehen. Niemand konnte damals ahnen, was für einen Pfundskerl man sich geangelt hatte: vorbildliches Verhalten, sportliche Glanztaten während Weidenfellers Verletzungspausen und das Talent, zu jeder Zeit Ruhe und Sicherheit auszustrahlen, brachten ihm schon im DFB-Pokal große Sympathien der Fans ein. Dass er in der 74. Spielminute zum wiederholten Mal einen eigentlich unhaltbaren Schuss aus der Gefahrenzone bugsieren konnte, dürfte daran kaum etwas geändert haben.
Leider war diese Szene aber nur der Auftakt zu einem beispiellosen Kölner Sturmlauf. Novakovic tauchte nun regelmäßig vor dem Dortmunder Gehäuse auf, Adil Chihi konnte nach Lust und Laune die Bälle verteilen, Maniche schien an drei Orten gleichzeitig zu sein. Borussia hatte das eigene Spiel so gut wie eingestellt und bettelte förmlich um einen Gegentreffer – dass es hiervon in der 82. und 89. Minute gleich zwei Stück gab, war ebenso absehbar wie überflüssig. Unsere Jungs rissen innerhalb weniger Minuten all das mit dem Hintern wieder ein, was sie zuvor mühevoll aufgebaut hatten – und weil sich die Kölner mit Unterstützung ihrer Fans in einen Rausch gespielt hatten, blieb nach souveräner Führung nichts weiter als Schadensbegrenzung.
Glaubte man zumindest. Doch mitten in die Kölner Angriffsbemühungen fiel der eine Moment, der alle Kritiker Lügen strafen sollte: Der eifrig bemühte und dennoch über weite Strecken glücklose Kuba legte den Ball in der Nachspielzeit auf den frei stehenden Großkreutz, der mit seiner ersten (und einzigen) gelungenen Aktion des Tages Faryd Mondragon überwinden und die drei Punkte wieder auf unser Konto buchen konnte. Im Stile einer Spitzenmannschaft die wenigen Chancen eiskalt genutzt und den wesentlich besser aufgelegten Gegner in die Schranken gewiesen – auch wenn man diese Spannung beileibe nicht jede Woche braucht, kann man für diesen Abschluss nur ein Urteil finden: hammergeil!
Stimmen zum Spiel:
Mats Hummels: „Natürlich freue ich mich riesig, dass ich heute zwei Tore schießen konnte. Beinahe hätte das aber nicht gereicht, weil wir am Ende zu leichtsinnig waren. Da hatten wir richtig Glück, dass am Ende noch das 3:2 fiel – so toll das war, kann ich zukünftig auf den Nervenkitzel verzichten. Wir müssen nicht erst eine zwei-Tore-Führung verspielen, um ein Spiel noch zu gewinnen.“
Marc Ziegler: „Ich bin kalt ins Spiel gekommen, wurde aber recht schnell von den Kölnern warm geschossen. Das 2:2 hätte der Schiedsrichter abpfeifen können, normalerweise wird in solchen Situationen auf Foul erkannt. Er hat uns diesen Gefallen nicht getan, dafür haben wir die drei Punkte mitgenommen – damit können wir am Schluss doch alle zufrieden sein. Was die kommenden Wochen angeht, möchte ich mich erst einmal nicht äußern. Ich hoffe, dass Roman schnell wieder gesund wird, stehe aber auch gerne für ihn bereit. Gerade mit dem HSV habe ich auch noch eine Rechnung offen.“
Dr. Reinhard Rauball: „Nach dem 2:2 hatte ich nicht mehr geglaubt, dass man dieses Spiel noch gewinnen könnte. Woran ich jedoch immer geglaubt habe, war unsere Mannschaft. Die hat das Spiel so gut angenommen, wie man es besser gar nicht hätte machen können. Obwohl sie sich nach einer Stunde etwas zu sehr zurückgelehnt und damit unnötig in Gefahr gebracht hatte, war das ein perfektes Spiel unserer Mannschaft.“
Jürgen Klopp: „Roman hat sich eine Fleischwunde am Knie zugezogen, wurde noch vor der Pause in der Kabine genäht. Obwohl es nichts Ernstes war, konnte man bis auf die Kapsel heruntersehen – wir wissen aus Erfahrung, dass er uns nun drei bis vier Wochen fehlen wird. Gerade bei Fleischwunden muss man einfach dafür sorgen, dass die wieder richtig verheilen können. Wir sehen uns dann nächste Woche wieder – mit einem bärenstarken Marc Ziegler im Tor.“
Noten:
Subotic: Ordentliches Spiel, mehr aber auch nicht. Note 3,5.
Hummels: In der Defensive nicht immer ganz im Bild, dafür mit zwei Toren Matchwinner und Mondragons Albtraum. Note 2.
Owomoyela: Bemüht und noch einer der Besseren, wirklich gut war das aber auch nicht. Note 3.
Schmelzer: Nicht immer voll auf der Höhe, rettete zum Schluss jedoch den Sieg. Note 3,5.
Sahin: Neben Hummels bester Spieler beim BVB. Unermüdlich im Spiel nach vorne, stark im Nachsetzen und dazu noch kluge Ballverteilung – nur weil er in der Defensive etwas zu vorsichtig agierte, gibt’s einen Abzug. Note 2,5.
Kuba: Wenn das Spiel einmal schnell wurde, dann ging es über Kuba. Leider blieb er bis auf seine Vorlage zum 3:2 bestenfalls glücklos, damit Note 4.
Bender: Unauffälliges Spiel, weitgehend ohne Höhen und Tiefen. Note 3,5.
Valdez: Wirkte wie ein Fremdkörper, der nie so recht ins Spiel finden wollte. Wurde mit der Auswechslung erlöst. Note 5.
Barrios: Ausnahmsweise nicht selbst erfolgreich, dafür mit schöner Vorarbeit zum 1:0. Mehr als Wuseln und Kämpfen war sonst für ihn nicht drin, Note 3,5.
Großkreutz: Gelang so gut wie gar nichts, bewarb sich mit seiner sinnlosen gelben Karte aber um den Titel „Depp des Tages“. Sein Treffer zum 3:2 ließ all das wieder vergessen, weshalb es am Ende doch noch zur Note 4,5 reichte.
Ziegler: Ein stets sicherer Rückhalt, der die Punkte gleich mehrfach festhielt. An seiner Leistung gibt es besonders in Anbetracht des holprigen Rasens nichts zu mäkeln, also gibt es eine glatte 1.
Weidenfeller, Götze, Santana: Für eine Bewertung zu kurz auf dem Platz.
Statistik
Wechsel: Freis für Podolski (60.), Ehret für Petit (72)
Auswärtssieger: Weidenfeller – Subotic, Hummels, Owomoyela, Schmelzer – Sahin, Kuba, Bender, Großkreutz – Valdez, Barrios
Wechsel: Ziegler für Weidenfeller (22.), Götze für Valdez (85.), Santana für Kuba (90+2.)
Tore: 0:1 Hummels (28.), 0:2 Hummels (45+5.), 1:2 McKenna (82.), 2:2 Mohamad (89.), 2:3 Großkreutz (90+1.)