Stumpfsinnige Abzockerei
Das Abzocken von Schals, Fahnen und Bannern ist mittlerweile ein beliebtes Spielchen der Ultraszene geworden. Kaum ein Spieltag vergeht, an dem man nicht in einer Kurve Fanutensilien des Gegners bestaunen darf und so ließ sich auch ein Teil des Dortmunder Anhangs in Frankfurt nicht lumpen und präsentierte unter Gefahr für Leib und Leben eine große Schwenkfahne eines Franfurter Fanklubs. Eine ganz tolle und furchtbar mutige Aktion, die von unwahrscheinlich viel Männlichkeit und Einsatz für den Verein zeugt.
Zumindest sollen diese Szenespielchen anscheinend so etwas ausdrücken. In der Realität sind das aber mitnichten harmlosere Spielchen die intern ablaufen, die Geschädigten befinden sich oft außerhalb der „Spielfreudigen". Das sind zum Einen die Bestohlenen, die auf dem Heimweg einer Überzahl gegenüber stehen und die nette Wahl haben, ihre Fanutensilien entweder freiwillig rauszurücken, oder erst Backenfutter zu kassieren und dann ihrer Schals oder Fahnen beraubt werden. Geschädigt werden aber vor allem auch die eigenen Fans, die sich sich zu Hunderten oder Tausenden, oftmals völlig ahnungslos, in Kleingruppen zum Bahnhof oder Parkplatz begeben dürfen, während da draußen ein angepisster gegnerischer Mob unterwegs ist, der Gleiches mit Gleichem vergelten möchte. Die heldenhaften Präsentateure laufen währenddessen im Schutz einer größeren Gruppe und unter den Augen der Polizei zurück zu Bus oder Zug. Hier hätte man die Möglichkeit die oft eingeforderte Eigenverantwortung für Fans mal Realität werden zu lassen und zum Schutz der gesamten Fanschar auf diesen Mist zu verzichten - und man lässt diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen.
Stattdessen gibt es dann den nützlichen Tipp, dass man doch ganz zivil ins Stadion gehen sollte, wenn man nicht in der Lage sei, die eigenen Schals, Doppelhalter oder Fahnen zu verteidigen. Eine Argumentation, die ähnlich schwachsinnig ist wie die, dass Frauen doch auf kurze Röcke und enge Tops verzichten sollten, wenn sie nicht wollen, dass ihnen was passiert. Warum sollte die überwiegende Mehrheit, die absolut keine Lust auf diesen ganzen Dreck hat, entweder zwei mal in der Woche zum Kampfsport gehen oder komplett auf die lieb gewonnenen Fanutensilien verzichten müssen, nur weil ein deutlich kleinerer Teil auf Beutezug gehen will? Hier werden die Verantwortlichkeiten völlig auf den Kopf gestellt. Von mir aus kann man das gerne völlig unter sich ausmachen, wenn man denn den Rest unbeteiligt lässt. Paradoxerweise kommt der Täterkreis aus einer Gruppe, die ansonsten das hohe Lied einer lautstarken und vor allem farbenfrohen Kurve singt. Da möge man sich doch bitte mal entscheiden, was man nun eigentlich so genau möchte. Eine Kurve, die aus Angst vor Übergriffen zivil im Stadion erscheint, oder eine, die dort ohne Scheu ihre jeweiligen Farben stolz und gefahrlos vertreten kann.
Und wo wir gerade bei Paradoxa sind: aus dem selben Kreis wird auch immer wieder gegen die Eventisierung des Fußballs gewettert. Aber was macht man denn da anderes im Stadion, als sein eigenes „Event" aufzuziehen? Man präsentiert das gezockte Material und schaut erst einmal in den gegnerischen Block, ob die Reaktion dort auch wie gewünscht ist. Ein bloßes Fäusteschütteln ist zwar ganz nett, aber noch viel toller ist es, wenn dort dann ein Teil den Block verlässt und sich zumindest alibimäßig auf den niemals zu bewältigenden Weg Richtung Gegner macht. Währenddessen läuft auf dem Platz ziemlich unbeachtet das Spiel weiter, die eigene Mannschaft kämpft um wichtige Punkte. Was bitte ist das anderes als ein Event, das vom eigentlichen Fußballsport ablenkt? Es wäre mal an der Zeit, die eigenen Aussagen und das eigene Handeln auf Stichhaltigkeit zu überprüfen und sich zu entscheiden, was man denn nun eigentlich erreichen will.
Ebenso sollte man die mittlerweile völlig überfrachtete Symbolik und den Kult um Gegenstände überdenken. Wenn mir am Bahnhof eine Gruppe in Überzahl gegenüberstehen und die Herausgabe meines Schals verlangen würde - Achtung, das mag jetzt für manchen ein Schock sein - ich würde ihn hergeben und ohne blutige Nase das Feld verlassen. Natürlich wäre die Faust in der Tasche geballt und das Gefühl der Ohnmacht und der Verlust von etwas lieb Gewonnenem kein schönes, aber schlussendlich würde ich es tun und mir später etwas Neues kaufen. Sollen diese Würstchen sich doch damit brüsten und ihr Ego damit aufpolieren, dass sie den Schal später mit anderen zusammengeknüpft im Stadion präsentieren - wenn dafür dann der BVB das Feld als Sieger verlässt, habe ich alles was ich will. Ich brauche auch keine Gruppe, die sich an meiner statt auf Rachefeldzug begibt und Richtung gegnerischer Block stürmt. Ein Unterfangen, das in den Hochsicherheitstrakten der Bundesliga eh zum Scheitern verurteilt ist und im wüsten Fäusteschütteln vor verschlossenen Gittertoren endet.
Das dürfte auch jedem klar und einkalkuliert sein, Hauptsache man hat sich sehen lassen. Ich würde gerne mal die Gesichter sehen, wenn die Tore nicht verschlossen wären, die Sicherheitskräfte einfach weggucken und man wirklich gezwungen wäre, mit 100 oder 200 Leuten eine Tribüne mit mehreren Tausend zu stürmen. Ob man da wohl ähnlich enthusiastisch zu Werke gehen würde?
Und wofür das alles? Für Gegenstände, die zwar in den eigenen Farben gehalten sind, hinter denen oftmals einiges an Arbeit und Geld steckt, die aber letzten Endes nichts anderes als Gegenstände sind. Die Liebe zum eigenen Verein und der Stolz auf die eigenen Farben sind nicht in den Stoff eingeschlossen, sie sitzen im Herzen eines jeden Fans. Vielleicht sollte man sich das mal in Erinnerung rufen, um die Bedeutung von Schals, Doppelhalter und Fahnen wieder richtig einzuordnen. Diese Dinge kann man einem Fan stehlen, das wirklich Wichtige aber nimmt ihm niemand. Also hört auf mit diesem Mist, oder zumindest damit, sich dafür zu prügeln.