Blauer Schlips zu engem Korsett - Die BVB-Gala in der Westfalenhalle
Eine Stunde nach der eindrucksvollen 100-Jahrfeier im brutal kalten Westfalenstadion sollte in der benachbarten Westfalenhalle die große Geburtstagshow des BVB beginnen. Wer glaubte, schnell ins Warme huschen zu können, sah sich schnell getäuscht. Ähnlich wie bei dem Fanfest zwei Hallen weiter, knubbelte sich auch hier, vor dem einzigen Eingang für 10.000 Besucher, eine Fantraube.
Im Gegensatz zu „drüben“, wo man bis zu einer Stunde im Frost ausharren musste, erreichten die durchgeforenen Rotnasen hier "schon" nach ca. 30 Minuten Geschubse die warmen Wandelhallen der altehrwürdigen Westfalenhalle. Bleibt die Frage, warum der zweite Eingang am Rheinlanddamm nicht genutzt wurde.
Am Platz angekommen, blickte man auf eine aufwändige Bühnenkonstruktion, die sich über die komplette Länge der Halle erstreckte und einige Überraschungen erwarten ließ. Die Erste kam dann auch prompt, als Moderator Gerhard Delling die Bühne in funkelndem Glitzeranzug nebst tiefblauer(!) Krawatte betrat. Was wollte er uns damit wohl sagen? Vorab sei erwähnt, dass Delling souverän durch den Abend führte, seine sprödes norddeutsches Auftreten insgesamt aber nicht ganz in die Fußballwelt des Potts passte. Manchmal wünschte man sich, dass Leute aus dem Dunstkreis des BVB moderiert hätten, denn das Gute lag so nahe: Atze Schröder und Matthias Bongard waren eh anwesend und hätten an diesem Abend sicherlich zu mehr Lockerheit beigetragen. Zu Dellings Ehrenrettung sei noch gesagt, dass er durch die Live-Übertragung des WDR offensichtlich in ein enges zeitliches Korsett gezwungen war, was sich bei fast allen Programmpunkten immer wieder stimmungsmäßig negativ bemerkbar machte.
Das Programm begann eindrucksvoll mit Pauken, und Trompeten, denen die Rhine Power Pipe Band mit ihren quietschenden Dudelsäcken folgte. Sofort hoffte der Verfasser, dass uns „Leuchte auf mein Stern Borussia“ von eben diesen Dudelsäcken präsentiert werden würde, gehört die Ursprungsmelodie „Amazing Grace“ doch bei allen Bagpipe-Konzerten zu den Höhepunkten. Doch es sollte besser kommen, dazu später.
Nicht unerwähnt kann bleiben, dass in einer Umbauphase auch unsere drei Fanbeauftragten kurz zu Wort kamen. Auf der einen Seite Petra im eleganten schwarzen Hosenanzug, auf der anderen Seite Jens und Sebastian, die die kurze Aufwärmpause zwischen dem langen Einsatz im Eisschrank Westfalenstadion und der gleichzeitig stattfindenden Fanfete in legerem Outfit nutzten.
Als Roter Faden zog sich die Geschichte von Borussia Dortmund mit all ihren Höhen und Tiefen durch das Programm. In einzelne Epochen aufgeteilt, mit historischen Bildern und Videos untermalt, und von dem Schauspieler Claus Dieter Clausnitzer getragen erzählt, gab es in der Westfalenhalle immer wieder Gänsehautmomente, Beifallsstürme, Jubelgesänge oder nachdenkliche Ruhe. Ein wirklich super gemacher Geschichtsunterricht in Sachen BVB!
Die vielen Gäste und Promis der ersten und zweiten Garnitur müssen an dieser Stelle nicht aufgezählt werden, einige dürfen allerdings nicht unerwähnt bleiben. So gab es ein umjubeltes Wiedersehen mit Murdo McLeod, Flemming Povlsen und Alexander Frei. Letzterer wurde nach seinem plötzlichen Wechsel nachträglich verabschiedet. Murdo soll , nach dem alle Flüge von Glasgow gestrichen worden waren, kurzerhand mit seiner Gattin per PKW aus Schottland angereist sein - Respekt! Für jeden der Drei gab es Jubel und die passenden Gesänge, leider auch hier aus Zeitgründen häufig durch den Moderator abgewürgt. Auch Ottmar Hitzfeld feierte eine triumphale Rückkehr in die Stadt seiner ersten großen Erfolge. Er darf schon jetzt zu den Dortmunder Legenden gezählt werden.
Ein großer Borusse fehlte an diesem Abend leider: Matthias Sammer. Wenn man Berichten Glauben schenken darf, hatte er wegen des für ihn nicht würdigen Umgangs seitens des BVB mit Gerd Niebaum eine Einladung abgelehnt. Das möge jeder für sich bewerten.
Ein weiterer Höhepunkt war der Auftritt von Spielern aller erfolgreichen Mannschaften der letzten Jahrzehnte, die einzeln aufgerufen wurden und auf die Bühne marschierten. Eine solche Ansammlung ehemaliger und aktiver Borussen hat es in der Geschichte des BVB wohl noch nie gegeben. Kaum ging einem nach der Nennung das Namens eines der Spieler eine Geschichte durch den Kopf, tauchte bereits der nächste auf und weckte Erinnerungen.
Zur musikalischen Untermalung waren als Showacts Extrabreit, Sasha und Udo Jürgens verpflichtet worden. Im Vorfeld der Gala wurde viel darüber diskutiert, ob diese Besetzung für die größte Feier unseres Vereins passend sei. Im Nachhinein sage ich „Ja“. So, wie bei den Auftritten lautstark mitgesungen und geklatscht wurde, war der Geschmack der meisten Besucher, deren Alter sich im gleichen Rahmen bewegte wie das Alter der Sänger und Bands (Ü30), offensichtlich getroffen. Und das, obwohl Sasha nicht so spritzig wirkte wie sonst von seinen Auftritten gewohnt. Extrabreit wusste nach 25 Jahren zu gefallen und es wurde einem wieder einmal klar, dass wir alle älter werden... Für Udo Jürgens hingegen scheint das nicht zu gelten. Mit seine 75 Jahren wirke er, zumindest auf der Bühne, dynamisch wie vor Jahrzehnten. Bei seinem über halbstündigen Auftritt stand erstaunlicherweise die komplette Halle, das Volk sang textsicher und lautstark mit, forderte Zugabe um Zugabe.
All das war jedoch kein Vergleich zu dem gleichermaßen musikalischen wie emotionalen Höhepunkt des Abends. Die Halle verdunkelt sich, nur das BVB-Logo auf der Bühne ist zu sehen. Darauf steht ein Mädchen und singt vor 10.000 Fans in der Westfalenhalle unser „Leuchte auf mein Stern“ so wunderschön und ohne Nervosität, als hätte sie schon 20 Jahre an der Mailänder Scala hinter sich: Ana Fiesel, neun Jahre alt, mein ganz persönlicher Star des Abends. Während des Liedes wurde mit Bildern an die inzwischen verstorbenen BVB-Legenden erinnert. Eine schöne Geste, bevor Ana gemeinsam mit dem Jahrhundertchor und der gesamten Westfalenhalle das Lied noch einmal aus vollem Hals anstimmten. Emotion pur, glasige Augen allerorten. Wer diesen Auftritt bisher nicht sehen konnte, dem sei YouTube ausnahmsweise einmal sehr ans Herz gelegt.
Das WDR-Fernsehen beendete seine Übertragung übrigens unmittelbar vor dem Auftritt von Udo Jürgens, pünktlich um 22:15 Uhr . Es darf vermutet werden, dass Livebilder des Konzerts nicht in den finanziellen Rahmen des WDR gepasst haben.
So versäumten die fernsehenden Borussen leider den letzten Höhepunkt. Zum Abschluss der Veranstaltung kamen noch einmal alle Mitwirkenden auf die Bühne. Der Jahrhundert-Chor, der bereits im Stadion die durchaus gelungene Hymne "Schon seit 100 Jahren" präsentiert hatte, sang gemeinsam mit der Halle – endlich - unser Vereinslied, das viele bei der Feier zuvor im Westfalenstadion vemisst hatten. Wieder einmal Gänsehaut bei diesem famosen Finale.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass natürlich auch schwatzgelb.de auf der Bühne vertreten war: Ein Kollege der Redaktion hatte sich über das Casting in den Jahrhundertchor gesungen und durfte sowohl im Westfalenstadion als auch hier vor großem schwarzgelben Publikum auftreten – eine Geschichte für die Kinder, Enkel und Urenkel.
Wer am 19.12.2009 um 19:09 Uhr in der Westfalenhalle war, wird diesen Abend nicht vergessen, sein Kommen nicht bereut haben, auch wenn es kein preisgünstiges Vergnügen war.