Farblos, kraftlos, glücklos
Bei bestem Fußballwetter im Gottlieb-Daimler-Stadion zu Stuttgart feierte Leonardo Dede am Samstag sein Comeback nach gut sechs Monaten Verletzungspause. Das war es dann auch schon an berichtenswerten Neuigkeiten, die der geneigte Fußballfreund aus dem Land der Spätzlekannibalen mit nach Hause nehmen konnte.
Ansonsten blieb eigentlich alles beim Alten. Ein ersatzgeschwächter Gegner, der schon beim 3:0 in der Hinrunde nicht allzu viele Stiche machen konnte und dazu erst dreimal in dieser Saison verloren – das ausgegebene Ziel bis Saisonende nur noch unentschieden zu spielen, schien heute wieder einmal nicht in Gefahr geraten zu müssen.
So entschied sich Trainer Jürgen Klopp für die Rundum-Sorglos-Aufstellung: Mohamed „Ich dribbel sie alle aus“ Zidan und Nelson „Ich trete euch wenigstens den Rasen kaputt“ Valdez sollten vorne die Tore verhindern schießen, während Alex „Wer hat das Abseits erfunden? Die Schweizer waren‘s“ Frei einmal öfter auf der Bank Platz nehmen musste. Für den wiedergenesenen Dede wich Patrick „Ich mache fehlende Grundschnelligkeit durch überlegenes Stellungsspiel wett“ Owomoyela aus der Startformation, so dass auch in der Defensive wieder ein wenig Stabilität Einzug halten konnte.
Im festen Willen das bislang schönste 1:1 der Saison herauszuspielen, trabten die Spieler auf den Platz. Sie wurden begleitet von drei Fahnenschwenkern, die auf dem Platz zwar ein wenig verloren wirkten, in den Augen der Folklore-Beauftragten von DFB und DFL aber wohl ein Höchstmaß an Gänsehauttechnik transportierten. Im Sinne des Fair-Play-Gedankens verzichtete dann auch der Gästeanhang auf übermäßig viele schwarzgelbe Schwenkfahnen: vier Stück stellten eine knappe optische Überlegenheit sicher, eine fünfte fand Verwendung als neutrale Fahne für beide Seiten (ein bisschen Olympia für den „Dabei sein ist alles“-Spirit, ein bisschen Brasilien für Elson/Cacau und Dede/Santana, ein bisschen DFB-Pokal für die geplagten Seelen beider Vereine…) – wer wollte sich denn da bitte für den Titel des harmoniesüchtigsten Knuffels 2009 bewerben?
Während die Anfangsminuten so vor sich hin plätscherten, gab es gottseidank noch allerhand mehr Sensationen zu entdecken: die Soundanlage der Heimkurve schepperte unter dem Dach, der VfB begrüßte gleich mehrfach seinen Spätzlepartner und ein paar hundert Meter hinter dem Stadion fuhr immer wieder mal ein Zug vorbei. Drum herum war also eine Menge geboten, während auf dem Platz Fußball zum Abgewöhnen Einzug gehalten hatte.
Lustloses Gekicke auf beiden Seiten, Zufallsproduktionen dominierten das Geschehen. So auch ein Freistoß des VfB Stuttgart in der 10. Minute. Aus gut und gerne 30 Metern Entfernung visierte Elson das lange Eck des Dortmunder Kastens an, wie es ihm Team-Manager Markus Babbel eingebläut hatte. Weidenfeller machte sich lang und sah nicht besonders glücklich aus, während alle anderen Borussen im Geiste wo ganz anders waren – die Freistoßflanke senkte sich ins Dortmunder Tor und Jens „In Second Life bin ich ein Teletubbiegott“ Lehmann ließ es sich nicht nehmen, diesen Treffer in seiner unnachahmlich sympathischen Art zu goutieren.
Nur wenige Augenblicke später setzte Mario Gomez einen wuchtigen Kopfball an die Latte, bis sich das Spiel nach wieder auf Kreisklassenniveau begab. Bis auf Stückwerk gab es nichts zu sehen – Stuttgart wirkte einen Tick frischer und aggressiver am Ball, während Borussia viel zu weit vom Gegner entfernt stand und diesem beinahe das gesamte Mittelfeld überließ.
Eine typische Szene in der 30. Minute, als Tamas Hajnal durchaus ein veritabler Wutanfall zugestanden hätte: Hajnal erkämpfte sich den Ball gegen zwei Stuttgarter, doch Anspielstationen gab es keine. Weil sich kein Mitspieler freilaufen wollte, zog er nach innen und versuchte es mit dem langen hohen Ball nach vorne. Dort stand immerhin Nelson Valdez, der den Ball auf seinen kongenialen Sturmpartner Zidan ablegte und mit ansehen musste, wie dieser den Ball mitten im gegnerischen Strafraum verstolperte.
Immer wieder brachten nun schlampige Dortmunder Abspiele den VfB in gute Kontersituationen, doch schien das Interesse auf Seite des Gastgebers eher gering zu sein. Während fünf oder gar sechs Schwarzgelbe an der gegnerischen Strafraumgrenze stehen blieben, stellten die Stuttgarter ihre Konter wiederholt an der Mittellinie ein: die einen waren zu faul zum Zurücklaufen, die anderen zu faul zum Vorlaufen – herzlichen Glückwunsch, liebe Zuschauer…
Trotz dieser ausgelassenen Chancen tauchten die Schwaben viel zu oft vor Roman Weidenfeller auf – so auch in der 38. Minute, als Roberto Hilbert und Mario Gomez einen Konter vortrugen, den man diesem Spiel wohl gar nicht zugetraut hätte. Einmal quer über den Platz gespielt, Weidenfeller ausgetanzt und den Ball direkt vor den Fünfmeterraum gelegt – hätte uns Thomas Hitzlsperger vor dem beinahe leer stehenden Tor nicht den Zidan gegeben und Dede auf der Linie angeschossen, wäre das 2:0 direkt vor der Pause bereits die Vorentscheidung gewesen. So blieb es zur Pause bei einem sehr mäßigen Bundesligaspiel, das bis auf zwei bis drei Stuttgarter Torchancen so ziemlich gar nichts zu bieten hatte.
Die zweite Hälfte begann mit einem Weckruf des VfB. Nachdem Dede zunächst einen Angriff Hilberts hatte abwehren können, landete der Ball bei Ricardo Osorio. Der wiederum wurde nicht angegriffen und hämmerte den Ball mit aller Kraft in Richtung des Dortmunder Tors – ein Pfostenknaller aus gut 30 Metern, nun hätte sich Borussia endgültig nicht mehr über einen höheren Rückstand beschweren dürfen.
Der zur Halbzeit für Florian Kringe eingewechselte Kevin-Prince Boateng brachte sichtbar Schwung ins Spiel – bissiger, aggressiver und schneller ging er zur Sache, hauchte seiner Mannschaft wieder etwas Leben ein. Diese ließ sich inspirieren und trat in der 55. Minute tatsächlich selbst einmal den Weg nach Vorne an: Zidans schlampige Flanke landete über Umwege zunächst bei Tinga, der den Ball schön auf Hajnal ablegte. Mit viel Gefühl und guter Übersicht spielte Hajnal dem heran rauschenden Valdez den Ball in den Lauf (oder besser in den Sitz?) und brachte Borussia damit wieder ins Spiel – 1:1!
Die Nachlässigkeiten bei Stuttgart häuften sich nun – der VfB war von diesem überraschenden Gegentreffer völlig aus dem Konzept gebracht worden, Borussia gewann langsam die Überhand und wirkte zumindest optisch überlegen. Doch weder 55% Ballbesitz noch 55% gewonnene Zweikämpfe konnten dafür sorgen, dass diese Überlegenheit sich in etwas Zählbarem hätte niederschlagen können.
Stattdessen reichte Stuttgart ein mustergültiger Angriff, um den alten Abstand wieder herzustellen: Hitzlsperger mit einem Zuckerpass auf Gomez, der über die Zwischenstationen Osorio und Hilbert die gesamte Dortmunder Abwehr aushebelte, um das Leder mit Wucht zum 2:1 unter die Latte zu knallen. Absolut unnötig und zum denkbar blödesten Zeitpunkt den Gegner wieder aufgebaut, doch war bei Borussia nun wenigstens der Wille zu sehen noch etwas zu reißen. Die bislang sichere Stuttgarter Abwehr offenbarte immer öfter Lücken, die Angriffsbemühungen erinnerten meist an Pleiten, Pech und Pannen – auf der anderen Seite spielte Borussia hinten nun regelmäßig in Überzahl, während Angriffe immer emsiger und zielstrebiger eingeleitet wurden.
Doch leider brachte das alles nichts mehr. Es blieb bei der 2:1 Auswärtsniederlage, die zwar insgesamt als verdient, angesichts der letzten 20 Spielminuten aber auch als sehr unglücklich bezeichnet werden kann. Während man beim VfB-TV den neuen Tabellenplatz euphorisch feierte, machte Borussia erneut einen riesengroßen Schritt in Richtung graue Maus. Keine Abstiegsgefahr, keine Chance in Richtung Europapokal, dafür aber reihenweise Unentschieden und unglückliche Niederlagen.
Wer sich noch immer die Frage stellt, warum das aktuelle Sportstudio diese Saison ganz gut ohne Dortmunder Gäste auskommen konnte, dürfte hier die eine oder andere Antwort finden. Zwei Schüsse auf das Tor (vier daneben, drei abgewehrt), gerade einmal 60% der Pässe in der gegnerischen Hälfte ans Ziel gebracht, dazu die meisten Ballkontakte bei Jens Lehmann (78) bzw. dem Rekonvaleszenten Dede (87) – ist mehr Mittelmaß überhaupt noch möglich?
Werfen wir einen Blick auf die Stürmer: die meisten Schüsse stammten von Kringe (4) – sie gingen zwar meist daneben, doch hatte er wenigstens den Mut zum Abschluss. Zidan vertändelte lieber einen Ball nach dem anderen, während von Valdez mit Ausnahme des Tores und einer gelben Karte rein gar nichts zu sehen war. Dass Boateng in einer Halbzeit die meisten Fouls sammeln konnte (4) und just mit der Einwechslung Alexander Freis die stärkste Phase des BVB einsetzte, wirft zumindest die Frage auf, ob man die Startelf beim Gastspiel in Hannover nicht entsprechend anpassen sollte. Wenigstens dort wäre ein Sieg gegen einen zuletzt arg gebeutelten Gegner mal wieder eine gute Sache...
Statistik:
Aufstellung:
Stuttgart: Jens Lehmann - Ricardo Osorio, Serdar Taşçı, Georg Niedermeier (63. Khalid Boulahrouz), Thomas Hitzlsperger, Roberto Hilbert, Élson (58. Jan Šimák), Sami Khedira, Christian Träsch, Ciprian Marica (46. Cacau), Mario Gomez
BVB: Roman Weidenfeller - Young-Pyo Lee, Neven Subotić, Dédé, Felipe Santana, Florian Kringe (46. Kevin-Prince Boateng), Tinga, Nuri Şahin, Tamás Hajnalk, Nelson Valdez (78. Christopher Kullmann), Mohamed Zidan (68. Alexander Frei)
Schiedsrichter: Florian Meyer, Assistenten: Thomas Frank, Matthias Anklam
Tore:
1:0 Elson (10. Minute)
1:1 Valdez (52. Minute)
2:1 Gomez (62. Minute)
Verwarnung:
Gelb
Thomas Hitzlsperger (22. Minute)
Nelson Valdez (43. Miunte)
Serdar Taşçı (44. Minute)
Cacau (79. Minute)
Zuschauer: 55.750 (ausverkauft)
Die Fotostrecke zum Spiel Stuttgart gegen Borussia Dortmund findet Ihr auf unserer BVB-Fotoseite foto.schwatzgelb.de.