Dortmund ein Fall für den Sportpsychologen
Der BVB schafft das 13. Unentschieden in dieser Saison und vollbringt das Meisterwerk, gleich zweimal einen Zwei-Tore-Vorsprung gegen die abstiegsbedrohten Hannoveraner zu verspielen und tritt nach dem 4:4 gefrustet die Heimreise an. Borussia bleibt auch im siebten Spiel der Rückrunde ohne Sieg, dabei hatte alles so gut angefangen.
Schon Stunden vor dem Spiel strömten die fröhlich gestimmten schwatzgelben Anhänger in die Niedersachsen-Metropole und zogen bei Sonnenschein durch die Innenstadt. Viele Anhänger waren mit der Bahn angereist und ließen sich trotz überfüllter Züge die gute Laune nicht verderben. Die Bahn hielt es nicht für nötig einen Sonderzug einzusetzen, so dass sich die Dortmunder Anhänger auf verschiedene Züge aufteilen mussten. Im Stadion angekommen fühlte man sich wie bei einem Heimspiel. Schwarz und Gelb wohin man schaute. Rund 8.000 Dortmunder sorgten für eine Heimspielatmosphäre und übernahmen von Anfang an das Kommando auf den Rängen. Es sei hinzugefügt, dass die Hannoveraner es ihnen auch nicht schwer machten, die tonangebende Fangruppierung zu sein. Optisch präsentierten sich beide Fanlager von ihrer guten Seite. Der Heimfanblock zeichnete sich durch viele Doppelhalter aus, die Dortmunder Fanszene präsentierte ein schwatzgelbes Fahnenmeer. Der Rahmen für einen klasse Fußballsamstag war im ausverkauften Niedersachsen-Stadion bereitet.
Als Mike Forssell in der 83.Minute zum Elfmeterpunkt schritt, fühlte
man sich als Dortmund-Fan wie auf einer Achterbahn, nachdem man Unmengen
an Bier und Bratwurst verschlungen hat. Vor Augen nur noch den
schnellsten Weg zur Toilette. Der zappelnde Ball im Netz gleicht der
letzten Abfahrt. Im Hinterkopf das internationale Geschäft, vielleicht
noch den Punkterückstand auf die „Blauen", lässt man die letzten Züge
des turbulenten Spiels über sich ergehen. Ein Unentschieden, das sich
anfühlt wie eine Niederlage.
Als Dortmund durch einen Elfmeter,
getreten durch Alex Frei in der 17. Minute mit 1:0 in Führung ging, war
das Spiel beider Mannschaften von viele Fehlern und Unvermögen geprägt.
Valdez hatte bereits in der 3.Minute, nach einem Fehler von Frank
Fahrenhorst, die Führung auf dem Fuß, scheiterte aber mit einem
kläglichen Lupferversuch an Hannovers Schlussmann Enke. Kommentar eines
Zuschauers: „Dat hätt ich auch gekonnt!" Auf der Gegenseite hatte Arnold
Bruggink nach einem Ballverlust von Felipe Santana die Möglichkeit,
seine Mannschaft in Führung zu schießen. Alleine auf Weidenfeller
zulaufend gelang es ihm nicht, den Torwart zu überwinden. Weidenfeller bewahrte seine Mannschaft durch eine gute Parade vor einem frühen Rückstand. Doch dann die 17. Minute. Nuri Sahin wird von "Opa" Tarnat durch hartes Einsteigen im Strafraumeck zu Fall gebracht. Der Unparteiische Felix Brych zeigt sofort auf den Elfmeterpunkt. Für Nuri Sahin ist das Spiel beendet. Verletzungsbedingt musste er ausgewechselt werden.
Eine Auswechslung die Folgen haben sollte. Es kam Florian Kringe, der nach zuletzt unterirdischen Leistungen zu recht auf der Bank Platznehmen musste. Doch jener Kringe erzielte nach einer fahrlässigen Aktion von Hanno Balitsch die 2:0 Führung durch einen „trockenen" Schuss aus knapp 15 Metern Entfernung. Vorausgegangen war eine schöne Kombination auf der rechten Seite von Hajnal, Tinga und Valdez. Das 2:0 nach 27. Minuten löste bei so manch einem Borussen Frühlingsgefühle aus, der Gästeblock tobte. Dortmund kontrollierte das Spiel und ließ aus dem Spiel heraus kaum Chancen für Hannover zu. Lediglich bei Ecken brannte es gelegentlich lichterloh und davon gab es viele. Die Ecken waren meist scharf auf den ersten Pfosten gezogen, so auch in der 42. Minute, als Jiri Stajner zwischen Dede und Tinga heran rauschte und den Anschlusstreffer erzielt. Weidenfeller sah in dieser Situation äußerst unglücklich aus, als Stajner den Ball im 5 Meterraum einköpfte. Es sollte das erste von drei weiteren Standardtoren der Hannoveraner sein.
Hannover kommt schwungvoll aus der Kabine und schnürt die Dortmunder in der eigenen Hälfte ein. In der 48. Minute konnte Weidenfeller eine Ecke von Bruggink gerade noch von der Linie boxen. 60 Sekunden später gab Dortmunds Keeper bei einer ähnlichen Situation jedoch keine glückliche Figur ab und ließ einen weiteren Eckball von Bruggink zum Ausgleich passieren. Eine direkt verwandelte Ecke - Mario Basler lässt grüßen. Das Niedersachsenstadion erwachte. Wechselgesang der Fankurve mit dem Rest des Stadions ließ ein Heimspiel der 96er erahnen. Blankes Entsetzen hingegen in der Dortmunder Kurve, die zum ersten Mal verstummte. Die Borussen schienen sich ihrem Schicksal zu ergeben, geschockt darüber, einen Zwei-Tore-Vorsprung so leicht hergegeben zu haben. In der 56. Minute wäre Hannover fast sogar die Führung geglückt. Jan Rosenthal traf nach einem sehenswerten Solo jedoch nur den Innenpfosten des Dortmunder Tores. Doch mitten in die Drangperiode der 96er hinein schlug der BvB zurück. Kringes 3:2 in der 62. Minute gab seiner Mannschaft wieder Sicherheit, die in Freis zweitem Treffer in der 65. Minute 4:2 Ausdruck fand. Ein fulminanter, gut platzierter Schuss aus gut 20 Metern sollte die Entscheidung zum ersehnten Auswärtssieg sein.
Dortmund gewinnt in Hannover und fährt drei wichtige Punkte ein. Die schwatzgelben Anhänger feierten den sicher geglaubten Auswärtssieg. Die schwere Last von sieben Spielen ohne Sieg kullert von den in der Rückrunde arg gebeutelten Borussen-Seelen. Das Niedersachsenstadion wieder fest in schwatzgelber Hand.
Bis, ja bis Hanke und Forssell die Hoffnungen der Dortmunder zunichte machte. Der Anschlusstreffer durch Hanke in der 80. Minute ging erneut einer Standardsituation voraus. Keine drei Minuten später, nachdem Valdez es schaffte den 96-Torwart aus 4 Meter Entfernung nicht zu überwinden, tritt Forssell nach einem Foulspiel von Neven Subotic zum Strafstoß an.
Dortmund schafft es tatsächlich, zweimal einen Zwei-Tore-Vorsprung zu verspielen. Unfassbar, zumal es gegen eine Mannschaft ging, die sich in den unteren Gefilden der Tabelle aufhält. Natürlich wissen die Liebhaber der Statistik, dass Hannover als sehr Heimstark gilt. Immerhin haben die Niedersachsen von ihren 24 Punkten 23 im eigenen Stadion geholt. Übrigens den einen Punkt Auswärts holte man wo? Ja, genau - im schönen Westfalenstadion. Ein neutraler Fußballfan kam heute sicherlich auf seine Kosten und hat ein klasse Spiel gesehen. Als eingefleischter Borusse hingegen kann man sich nur noch verwundert die Augen reiben und hoffen, dass jede Serie einmal reißt.
Stimmung
Erneut zeigte die schwatzgelbe Fangemeinschaft sich von ihrer besten Seite. Der ganze Fanblock und angrenzende, von Dortmund-Fans besetzte Blöcke, unterstützten ihre Mannschaft 90 Minuten lang. Selbst auf den Sitzplätzen zog man es vor, die meiste Zeit des Spiel über zu stehen. Akkustisch stellte man die Heimfans in den Schatten und erzeugte eine Heimspielatmosphäre für die eigene Mannschaft. Aktueller No.1 Hit im Gäste-Block scheint das Lied auf die Melodie "Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen", das erneut mehrmals laut durch das Stadion hallte und für Gänsehautatmosphäre sorgte. Von dem Auftritt der Dortmunder-Fan-Szene anscheinend beeindruckt, konnten die Hannoveraner kaum überzeugen. Selten wurde sie laut. Lediglich ein langezogenes Hannover, welches im Wechselgesang wirklich eindrucksvoll klingt, konnte für kurze Zeit die Stimmungshoheit im Stadion übernehmen. Insgesamt herrschte im Stadion eine recht freundliche, ja angenehme Atmosphäre. Kaum Hass-Gesänge von beiden Seiten und auch das kurze Einspielen des Liedes "Borussiaaaaaaaaa" vor der Verkündigung der Mannschaftsaufstellung trug sicherlich zu der Wohlfühlatmosphäre bei.
Einen kalten Schauer lief wohl jedem im Stadion über den Rücken, als der Toten des Amoklaufes in Winnenden in einer Schweigeminute gedacht wurde. Eine Tragödie, für die man keine Worte finden kann und die einen schönen Fußballsamstag in die Bedeutungslosigekeit schickt.
Tore:
0 - 1 (17.) A. Frei mit Rechts (Elfm.)
0 - 2 (27.) F. Kringe mit Rechts (Ass. N. Valdez)
1 - 2 (42.) J. Stajner per Kopf (Ass. A. Bruggink)
2 - 2 (48.) A. Bruggink mit Rechts
2 - 3 (62.) F. Kringe mit Links (Ass. P. Owomoyela)
2 - 4 (65.) A. Frei mit Links (Ass. N. Valdez)
3 - 4 (80.) M. Hanke per kopf (Ass. A. Bruggink)
4 - 4 (83.) M. Forssell mit Rechts (Elfm.)
Spielstatistik
Hannover 96 vs. Borussia Dortmund
15 Schüsse gesamt 22
5 Schüsse auf das Tor 10
9 Schüsse neben das Tor 9
1 Abgeblockte Schüsse 3
12 Ecken 7
34 Flanken 24
51 % Ballbesitz in % 49 %
31 % Gewonnene Zweikämpfe am Ball in % 69 %
77 % Pässe gelungen in % 78 %
61 % Pässe gelungen in gegn. Hälfte in % 62 %
18 Fouls 12
0 Abseits 3
Meiste Schüsse
A. Bruggink (3) N. Valdez (8)
Meiste Torschussvorlagen
A. Bruggink (4) N. Valdez (3)
T. Hajnal (3)
P. Owomoyela (3)
Meiste Ballkontakte
S. Pinto (82) P. Owomoyela (74)
Meiste Fouls
L. Andreasen (7) A. Frei (2)
N. Valdez (2)
Aufstellungen
Hannover: Robert Enke , Michael Tarnat (46. Jan Rosenthal), Christian Schulz, Frank Fahrenhorst (46. Konstantin Rausch), Leon Andreasen, Sérgio da Silva Pinto, Arnold Bruggink, Hanno Balitsch, Jacek Krzynówek (67. Mike Hanke), Jiří Štajner, Mikael Forssell
BVB: Roman Weidenfeller - Neven Subotić, Dédé, Patrick Owomoyela, Felipe Santana, Sebastian Kehl, Tinga, Nuri Şahin (20. Florian Kringe), Tamás Hajnal, Nelson Valdez (88. Christopher Kullmann), Alexander Frei (84. Mohamed Zidan)
Verwarnung:
Gelbe Karte:
Michael Tarnat (16. Minute)
Tamás Hajnal (47. Minute)
Arnold Bruggink (64. Minute)
Sérgio da Silva Pinto (68. Minute)
Christian Schulz (79. Minute)
Stimmen zum Spiel:
Nuri Sahin auf die Frage...
... ob es schon eine Diagnose zu seiner Verletzung gibt:
Nein, leider nicht. Aber die Schmerzen werden immer schlimmer. Ich kann kaum noch auftreten. Tarnat hat mich voll am linken Sprunggelenk erwischt, die Untersuchung folgt erst am Sonntag im Krankenhaus. Noch ist der Knöchel Gott sei Dank nicht dick.
.... ob das Ergebnis bitter ist:
Es ist extrem hart. Zumal wir alle vier Tore nach Standardsituationen bekommen haben. Das geht nicht!
Neven Subotic auf die Frage...
...ob es in der 83. Minute ein Elfmeter gewesen ist:
War ein Elfer. Ich spiele zwar den Ball, treffe ihn aber unglücklich.
...wie es sein kann, dass man zweimal das "Heft" aus der Hand gibt:
Wir hatten Chancen zum 5:3. Wenn wir das Tor machen gehen wir als Sieger vom Platz. Ich glaube nicht, dass wir heute Unentschieden gespielt haben, weil es uns am Selbstbewusstsein mangelt.
Nelson Valdez zum Spiel:
Ich glaube es ist enttäuschend nach zwei Führungen mit jeweils zwei Toren Unentschieden zu spielen. Es ist richtig ärgerlich. Ein Sieg wäre sicher drin gewesen. Wir müssen jetzt zusehen wieder drei Punkte zu holen.
Florian Kringe zum Spiel:
Wenn man bedenkt, dass wir heute drei Punkte gebraucht hätten ist es sehr ärgerlich. Die Gegentore sind dabei besonders ärgerlich. Wir haben uns heute selbst um den Sieg gebracht. Wir haben gut gespielt und normalerweise gewinnt man das Spiel....es hätte genauso gut auch 8:2 für uns ausgehen können.
Jürgen Klopp auf der PK:
Das war das, was man gewöhnlich als gefühlte Niederlage bezeichnet. Wir haben über weite Strecken ein gutes Spiel gegen leidenschaftlich kämpfende Hannoveraner gemacht. Wir hatten klare Aktionen - auch wenn wir unsere Chancen nicht genutzt haben. Wir wussten auch, wie Bruggink die Eckbälle schiesst. Aber es ist halt so im Leben eines Trainers, dass besprochene Dinge manchmal nicht umgesetzt werden. Nach dem 2:2 machte Hannover richtig Druck. In dieser Phase sind uns zwei sensationelle Tore gelungen. Doch beim 3:4 schlafen wir, und vor dem 4:4 herrscht Unordnung, da werden die Räume nicht so besetzt, wie ich mir das vorstelle. Auch wenn wir heute vier Tore geschossen haben: Die Chancenverwertung war nicht gerade herausragend. Wir schießen vier Tore auswärts und müssen trotzdem über die Chancenverwertung sprechen.
Das ist grotesk, aber wir hätten sicherlich das fünfte, sechste und siebte machen müssen und das ist uns nicht gelungen. Zwischen dem 3:4 und dem 4:4 hatten wir eine weitere Riesenmöglichkeit. Dann müssem wir in der Schlussphase auch noch diesen Elfmeter hinnehmen... und dann ist so ein Ergebnis verdient. Wir müssen und werden trotzdem weitermachen und sind natürlich unzufrieden mit dem Ergebnis, aber wir müssen es akzeptieren.
Dieter Hecking auf der PK:
Aus meiner Sicht hätten wir in Führung gehen müssen. Hätte mir sehr gewünscht, dass Arnold in dieser Situation das Tor macht. Dann kommt Dortmund mit dem Elfmeter, den ich mir noch mal anschauen muss. Das 0:2 begünstigen wir auch durch einen haarsträubenden Abspielfehler im Mittelfeld . Dann waren wir sicherlich in dieser Phase nicht gut im Spiel drin, kommen aber , was man dieser Mannschaft als ein riesengroßes Kompliment machen muss, hervorragend zurück. Letzte Woche haben wir über die Standards hinten gemeckert, dieses Mal haben wir gewusst, dass bei Dortmund am kurzen Pfosten ein Loch ist.
Noten
Weidenfeller
3 - Bei Standsituationen zeigte er große Unsicherheiten. Seine Strafraumbeherrschung lässt erneut stark zu wünschen übrig.
Subotic
5 - Elfer verursacht und wirkte in vielen Situationen
unsicher. Sein Spiel nach vorne bestand aus langen weiten Bällen nach
vorne, die selten seine Mitspieler erreichten
Dede
3 - Auf dem Weg zu seiner alten Form. Stajner zeigte ihm häufig noch seine (momentanen) Grenzen auf.
Owomoyela
2 - Gute Leistung. Machte viel Druck über die Außen und hatte nicht ohne Grund die meisten Ballkontakte.
Santana
4 - Angeschlagen und ein hoher Unsicherheitsfaktor in der Abwehr.
Kehl
3+ - Ging energisch in die Zweikämpfe, zeigte Präsenz im Mittelfeld und verlieh diesem Halt und Struktur.
Tinga
3 - Solide und bemüht.
3 - Unauffälliges Spiel von ihm. Nur selten gelingt es ihm seine Mitspieler gut in Szene zu setzten. Torgefahr geht von ihm kaum aus, auch nicht nach Standardsituationen.
Valdez
3 - Fleißig aber oft glücklos - oder ist es einfach Unvermögen? Immerhin gab Valdez die meisten Torschüsse ab und glänzte zwei Mal als Torvorbereiter.
Frei
2 - Kämpferisch überzeugend! Setzte die gegnerische Abwehr durch pressing und aggressives Nachsetzen mächtig unter Druck. Seinen Elfmeter verwandelte er sicher und sein 2. Tor gehört sicherlich in die engere Auswahl zum Tor des Monats
Sahin
- Spielte nur 20 Minuten und ist somit nicht bewertbar
Kringe
2 - War das wirklich Florian Kringe? Eiskalt im Abschluss, zeigte seit seiner Einwechslung in der 20. Minute sofort Präsenz im Mittelfeld und machte mit Abstand sein bestes Spiel für Borussia in dieser Saison.
Die Fotostrecke zum Spiel findet Ihr auf unserer Fotoseite.