Dicke Luft nach lauem Lüftchen
Einen durchwachsenen Saisonstart im Gepäck und ein schweres Programm vor der Brust, galt es für Borussia in Frankfurt einen Dreier einzufahren. Wie üblich etwas leichter gesagt als getan, doch machten sich rund 6000 BVB-Fans frohen Mutes auf den Weg in die Hessenmetropole.
Dennoch konnte man vor Spielbeginn deutlich spüren, dass etwas nicht stimmte. Zurückhaltung wohin man sah, niemand wollte sich so recht aus dem Fenster lehnen. Die letzten Darbietungen Borussias hatten offensichtlich ihre Spuren hinterlassen, ebenso wie eine gehörige Portion Respekt vor dem Frankfurter Anhang – dieser hatte beim letzten Aufeinandertreffen sprichwörtlich Federn lassen müssen und sich bislang eher selten einen Namen als besonders guter Verlierer machen können.
Zu allem Überfluss schien die Frankfurter Polizei ihren Auftrag, die Gästefans zu beschützen, nicht besonders ernst genommen zu haben – sie zeigte sich von ihrer schlechten Seite und agierte mehr als nur übermotiviert. Da wirkte es schon fast befremdlich, dass uns eine halbe Stunde vor Spielbeginn eine freundliche Damenstimme in brüllender Lautstärke begrüßte: „Herzlich willkommen, ich bin Ihre Sicherheitssprecherin. Wenn Sie meine Stimme hören, geht es um Ihre Sicherheit. Viel Spaß beim Spiel.“ Die Reise ging offensichtlich nach Absurdistan – einen Augenzeugenbericht der weiteren Vorkommnisse findet ihr direkt im Anschluss an den Spielbericht.
Eine faustdicke Überraschung hatte Jürgen Klopp dann allerdings auch noch parat. Welttorjäger und Neuzugang Lucas Barrios musste draußen bleiben, für ihn stürmte Mohamed Zidan – verstehen konnte das keiner so recht, da Barrios bislang auch ohne Ligatreffer überzeugt hatte. Nach Spielende erklärte Klopp: „Neuzugänge haben es oft schwer sich in die Mannschaft einzufinden. Ich habe mit Lucas vereinbart, dass wir ihn aus diesem Grund zunächst aus der Mannschaft nehmen. Wenn die sich eingespielt und dieses ganze Theater um ihn ein Ende gefunden hat, wird er wieder ins Spiel kommen. Dann kann er seine Fähigkeiten auch voll zur Geltung bringen.“
Das Spiel selbst begann eher unspektakulär und plätscherte vor sich hin. Eine halbe Stunde lang bekamen die Zuschauer Fußball von seiner allerschlimmsten Seite zu sehen: ein Fehlpass jagte den anderen, viele Nickligkeiten im Spielaufbau, eine völlig indisponierte Borussia, eine optisch überlegene und dennoch glücklose Eintracht. Als Krönung oben drauf gab es einen stillen Gästeblock und eine an ihrem Ruf gemessen enttäuschende Heimkurve, so dass wir diese grausame Verschwendung wertvoller Lebenszeit einmal überspringen möchten.
Wir steigen ein in der 35. Minute: Rund 30 Meter vor dem eigenen Tor stolpert Tamas Hajnal über den Ball und verliert ihn prompt an Caio, der schnell schaltet und den frei stehenden Ioannis Amanatidis in Szene setzt. Der wiederum überwindet Roman Weidenfeller zum verdienten 1:0, hat jedoch die Rechnung ohne Schiedsrichter Florian Meyer gemacht. Der hat zum großen Glück des BVB eine Abseitsstellung ausgemacht, die sonst keiner im Stadion sehen konnte. Eintracht-Trainer Michael Skibbe: „Ich weiß wirklich nicht, was da in den Schiedsrichter gefahren ist. Ich habe von der Bank aus sehen können, dass das keine Abseitsstellung war – hier wurden wir heute zum ersten Mal ganz klar benachteiligt.“
Die Eintracht ließ sich davon nicht unterkriegen und spielte sich langsam in einen kleinen Rausch. Immer wieder angetrieben vom bärenstarken Alexander Meier ging es in Richtung des Dortmunder Tors – so auch in der 41 Minute. Meier hatte sich den Ball im Mittelfeld geschnappt und einen ordentlichen Sprint eingelegt, wurde vom noch schnelleren Santana am Strafraumeck gestellt. Santana gewann den Zweikampf und lief weiter in Richtung Grundlinie, bemühte dann allerdings einen Hackentrick statt eines sicheren Schusses ins Seitenaus. Es war klar, dass diese Aktion komplett ins Auge gehen musste – Santana fiel auf die Nase, Meier eroberte den Ball zurück und setzte seinen Mitspieler in Szene, der jedoch an Weidenfeller scheiterte. Obwohl sich in dieser Phase zahlreiche Spieler für einen Aufenthalt in Jürgen Klopps Arschtrittmaschine empfehlen konnten, hatte sich Santana mit seiner Leichtsinnigkeit souverän den Erstzugriff gesichert.
Eine erschreckend schlechte erste Halbzeit ging zu Ende. Konnte man sich in Hamburg wenigstens über gelungene Zufallsproduktionen im Spiel nach vorne freuen, fanden gute Szenen hier so gut wie gar nicht statt. Frankfurt zeigte die wesentlich reifere Spielanlage und drängte auf die Führung, der BVB stand andächtig daneben und leistete freundliche Aufbauarbeit. Auf den Tribünen war ebenfalls Langeweile eingekehrt – der Gästeblock hatte die Schnauze gestrichen voll, die Heimkurve bekam außer einer ordentlichen Portion „Grundrauschen“ auch nicht viel gebacken.
Die zweite Halbzeit begann mit der bereits früher erwarteten Präsentation Dortmunder Devotionalien in der Frankfurter Kurve. Ein Spruchband über die gesamte Tribünenbreite („Mit uns ist nicht gut Schnitzel essen“) erinnerte zunächst an eine unangenehme Begegnung aus der Vorsaison und ließ in ihrer Dimension Übles erahnen. Sollten am Ende doch mehr Fahnen in Frankfurter Hand gelangt sein, als man vor dem Spiel angenommen hatte? Es dauerte glatte drei Minuten, bis sich das bange Warten auflösen konnte: Das Spruchband fiel zu Boden und brachte gerade mal ein Dutzend Schals und neongelbe Kleinigkeiten zum Vorschein. Bei dieser Sammlung hätte man die großmäulige Ankündigung auch etwas kleiner ausfallen lassen können - wer sich so ob seiner vermeintlichen Gefährlichkeit rühmt und dann nur harmlose Einzelfans um ihre Schals erleichtern kann, hat kaum mehr als Mitleid verdient.
Auf dem Platz kam Dortmund nun etwas besser in Tritt. Die Stockfehler der ersten Halbzeit waren spürbar weniger geworden, die Kabinenansprache Klopps schien gesessen zu haben. Ab und an blitzte nun sogar ein kleines bisschen Aggressivität auf, die man die kompletten 45 Minuten zuvor hatte vermissen lassen. So sahen mit Mats Hummels und Nuri Sahin gleich zwei Borussen die gelbe Karte – kein spielerisches Qualitätsmerkmal, doch zumindest Indiz eines vorhandenen Willens. Ein Pogo quer durch die Heimkurve setzte nun auch auf den Rängen optische Glanzpunkte.
Eine Einzelaktion war es dann, die die völlig überraschende Führung für den BVB bescherte. In der Frankfurter Hintermannschaft kam es zu kleineren Stockfehlern, Zidan stand goldrichtig und stocherte den Ball vorbei an Oka Nikolov. Der Dortmunder Anhang jubelte, die Heimkurve gab die Antwort und Borussia schien nach den glücklosen Auftritten der letzten Wochen endlich einmal wieder auf die Siegerstraße gefunden zu haben. Nuri Sahin hätte sogar auf 2:0 erhöhen können, verzog aber wenige Augenblicke nach dem Führungstreffer knapp.
Nicht einmal drei Minuten später hatte jedoch die Realität Borussia wieder eingeholt. Neven Subotic missfiel mit einem seiner zahlreichen Ballverluste am eigenen Strafraum, Amanatidis gelangte an den Ball und setzte prompt ein sattes Pfund in den Dortmunder Kasten. Da gab es für Weidenfeller, der heute als bester Borusse ein undankbares Spiel zu absolvieren hatte, überhaupt nichts zu halten. Nur kurz darauf konnte er sogar das Unentschieden retten: Wieder einmal hatte Amanatidis die Dortmunder Hintermannschaft düpiert und war alleine in den Strafraum eingedrungen, als Weidenfeller nach außen eilte und den griechischen Nationalstürmer zum Ausweichmanöver zwang – dank des spitzen Winkels traf Amanatidis nur noch das Außennetz des leer stehenden Tores.
Dortmund war nunmehr stehend KO, Frankfurt hatte sich mit dem Pech des heutigen Tages abgefunden. Immerhin sorgte der für seine extravaganten Tacklings geliebte und zugleich verhasste Maik Franz noch einmal für Aufsehen, als er in der 85. Minute seine allerletzte Mahnung vor dem fälligen Platzverweis kassierte und dem Schiedsrichter (dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen) in allerfeinster Gossensprache seine Meinung sagte. Den Schlusspunkt unter eine insgesamt unterdurchschnittliche Partie setzte Alexander Meier mit einem Kopfball an die Latte – es blieb beim glücklichen Stand von 1:1, mit dem jedoch keiner wirklich zufrieden sein wollte.
Augenzeugenbericht zur Situation vor Spielbeginn (Nicolai):
„Bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen erreichte mich der erste Anruf, dass Frankfurt durchaus nicht das letzte Spiel vergessen hat. Wie erwartet war der Weg vom S-Bahnhof Stadion zum Gästeblock eher kritisch, Polizei war wohl stundenlang Fehlanzeige. Soweit so normal – wirklich unsinnig war das Verhalten gegenüber den WET Fahrern, das thematisiert werden sollte. Ich war gegen 13:45 im Stadion und konnte sehen, dass der WET-Mob gerade an einem anderen Eingang angekommen war (am normalen Zugang stand auch ein riesen Haufen Frankfurter). Sie wurden gefilzt, wie es in Frankfurt eben üblich ist.
Kurz vor 15 Uhr war immer noch keiner im Block angekommen – nach einigen Telefonaten stellte sich heraus, dass die Gruppe mit rund 500 Personen nach der ersten Kontrolle nicht weitergekommen war, da die Polizei sie nur als Ganzes zum Gästeblock bringen wollte. Als ich den Block einmal verlassen hatte, konnte ich diese Situation auch sehen (da war die gesamte Gruppe gerade unterwegs zum GB). Dank dieser Maßnahme kam man erst gegen 15 Uhr am Gästeblock an, was ich aus der ersten Reihe genau sehen konnte. Dort sollten alle 500 Mann noch ein zweites Mal kontrolliert und abgetastet werden – eine halbe Stunde vor Spielbeginn, nachdem sie rund eine Stunde lang auf dem Stadiongelände in der Sonne warten mussten, bis der Letzte kontrolliert worden war. Die Leute wurden natürlich unruhig und die Hinterleute begannen nach vorne zu drücken. Die Polizei kam dazu und setzte reichlich Pfefferspray ein, weshalb einige Fans dann nahezu die komplette 1. Halbzeit bei den Sanitätern verbringen durften. Zu diesen Leuten zählte auch Fanbetreuer Sebastian Walleit, der sich zwischen Polizei und Fans stellte und von den Ordnungskräften nicht vor dem Einsatz des Pfeffersprays aus dem Gefahrenbereich gebracht wurde.
Am Ende gab es dann wohl auch zwei Verhaftungen, von denen eine allerdings bereits schon während der ersten Halbzeit wieder aufgehoben wurde, so dass der Festgenommene wieder in den Block durfte. In der Summe gesehen ist dieses Verhalten ein absolutes Unding. Wenn man schon so einen Aufstand beim Einlass macht, sollte man die Leute nach erfolgter Kontrolle auch ins Stadion lassen. Oben drauf kam dann die lustige Idee, dass die Fans im Gästeblock nicht den Mittelgang hinuntergehen dürften, sondern nur die beiden äußeren Treppen. Sinn und Zweck dieser Maßnahme verschließen sich mir nach wie vor, doch gab es nach dem Ärger am Mundloch natürlich den nächsten Aufreger, als die beiden Treppen recht schnell verstopft waren. Dort muss man den Ordnern aber zu Gute halten, dass sie diese Anweisung eher halbherzig befolgten.“
Statistik:
Eintr. Frankfurt: Nikolov - Franz, Vasoski, Russ, Spycher - Chris - Teber, Schwegler - Caio - Meier, Amanatidis.
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Owomoyela, Subotic, Santana, Dede - Hummels - Kuba, Sahin - Hajnal - Valdez, Zidan.
Einwechselungen: 62. Liberopoulos für Caio, 64. Bajramovic für Teber - 72. Großkreutz für Kuba, 78. Barrios für Valdez, 82. Feulner für Hajnal.
Tore: 0:1 Zidan (61., Hajnal), 1:1 Amanatidis (68.).
Eckstöße: 10:1 (Halbzeit 4:1), Chancenverhältnis: 7:7 (3:4).
Gelbe Karten: Franz - Hummels, Sahin, Hajnal.
Zuschauer: 51.050. Wetter: leicht bewölkt, 19 Grad.
Stimmen:
Michael Skibbe: „Wir haben heute ein gutes Spiel gezeigt und hätten aus unseren Chancen mehr machen müssen. Allerdings mussten wir auch zwei ganz klare Fehlentscheidungen des Schiedsrichters hinnehmen, die uns um ein reguläres Tor und aus meiner Sicht einen glasklaren Elfmeter brachten. Besonderen Dank möchte ich heute unseren Fans aussprechen, die sich das wirklich einmal verdient haben. Als wir in Rückstand gerieten und unsere Fans wirklich brauchten, waren sie da und gaben der Mannschaft den nötigen Rückenwind. Das haben die Spieler auch wirklich verdient gehabt – sie geben auf dem Platz wirklich alles.“
Jürgen Klopp: „Wir sind nicht zufrieden mit dem Spiel und eigentlich auch nicht mit dem Ergebnis. So wie wir gespielt haben, hatten wir allerdings auch nicht mehr verdient. In unseren wenigen guten Phasen hat man erkennen können, was hier drin gewesen wäre, wir haben aus diesen guten Szenen aber nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Die Frankfurter hatten ihrerseits richtig gute Chancen, das darf man natürlich auch nicht vergessen. Wir können insgesamt mit diesem Punkt leben, aber nicht mit der Art seines Zustandekommens.“