Auf geht's, ab geht's, drei Tage nackt!
Lange Zeit hatten wir Borussen auf diesen Tag warten müssen, nun war es endlich so weit: Borussia Dortmund war wieder im Europapokal unterwegs! 2000 Fans begleiteten den BVB nach Udine, 900 davon sorgten im Sonderzug der Fanabteilung für ausgelassene Stimmung unterwegs.
Bereits am Mittwochabend ging es los – gut 800 Borussen enterten den Sonderzug und blickten trotz der sportlich aussichtslosen Situation mit einem Fünkchen Hoffnung gen Udine. Wenige Stunden später gesellte sich am Frankfurter Südbahnhof der Rest der Reisegruppe hinzu. Leider daheim bleiben mussten die beiden Frankfurter Souvenirjäger, die sich riesig über einen Dortmunder Schal gefreut hätten, letzten Endes aber doch ein wenig verloren wirkten…
Im Sambawagen steppte der Bär, von den Flippers bis hin zu Mickie Krause durften beinahe alle akustischen Vergewaltigungen wahre Urstände feiern. Doch was soll’s: man lebt schließlich nur einmal und kann ja auch mal Mensch bleiben. Dass es mit eben diesem „Mensch bleiben“ aber auch nicht so ganz einfach war, konnte man schon recht bald feststellen – der Boden klebte, der Boden wurde zur Rutschbahn, der Boden wurde zur Toilette und gelegentlich zum Papst (erfahrene Trinker wissen, was gemeint ist…).
Als erfreuliche Begleiterscheinung erhielt man zudem Aufschluss darüber, wie die „Jugend von heute“ bereits im frühen Alter zu wahren „Biervernichtern“ heranwächst – besonders in den ersten Wägen wurden Bahnhofseinfahrten euphorisch gefeiert und randvolle Becher über den Gleisen entleert. Sozusagen eine Win-Win-Situation: den Wettbewerb des Quartalssäufers locker gewonnen („Drei Kästen zu zweit geleert – in nicht mal einer Stunde!“), die Brauereien samt Regenwald gerettet und die schlimmen Studien unserer Bundesregierung widerlegt. Weiter so, Deutschland!
Doch springen wir zurück in den Sambawagen: dort feierten alte und junge Fans fröhlich miteinander, unterhielten sich unaufgeregt und rückten ein ganzes Stück näher zusammen. Die altersweisen Mitfahrer konnten sich ein Bild von eben den Fans machen, die sie sonst vorwiegend aus der Entfernung wahrnehmen können, während die jüngeren Fans feststellten, dass nicht alle Mitglieder der Generation 40+ mies gelaunte Spießer waren. Hoffen wir, dass diese zarten Bande der verständnisvollen Annäherung auch zukünftig Bestand haben werden!
Leider forderte die ausgelassene Feierei schon frühzeitig erste Opfer. Angefangen von diversen Gerüchen (die man lieber nicht zuordnen wollte) über den akuten Bierbechernotstand (der Bahnbetreiber bediente sich in Udine dafür bei den privat mitgebrachten Stadionbechern in den Abteilen) bis hin zu einigen Bierleichen (ein riesengroßes Dankeschön an all diejenigen, die gerade hierauf ein Auge hatten), wurden die Organisatoren immer wieder auf Trab gehalten.
Konnte das Personal der Fanabteilung bestimmte Probleme wie unbequeme Hosen einmal nicht lösen, stellte die Nudistenszene Dortmund ihre Kompetenz nur allzu gerne zur Verfügung – mit dem positiven Nebeneffekt einer zwischenzeitlichen Modenschau neuester Herrenunterbekleidung und der zehn geschmackvollsten Adiletten Deutschlands (leider ohne Sonja Zietlow). Dass dabei am frühen Donnerstagmorgen noch Zeit blieb, die Schüler und berufstätigen Mitbürger am Freilassinger Bahnhof mit wummernden Bässen und Aufmunterungsrufen („Alda, Paaaaaaaarty!“) zu beglücken, wird ebenfalls nicht so schnell vergessen werden – selbst wenn den Bitten nach etwas mehr nackter Haut außerhalb des Sonderzugs leider nicht entsprochen wurde.
In Udine angekommen, warteten bereits italienische Polizisten auf den Dortmunder Zug. Sie stellten sich in ihrer gewohnt lässigen Art in den Weg und glänzten mit ihrer Importanz, ließen sich jedoch nicht davon stören, dass der Gästemob einfach um sie herum lief. Dennoch gab es keine Möglichkeit, innerhalb Udines an Bier oder sonstige Fangetränke zu gelangen – die zuständigen Behörden hatten ein striktes Alkoholverbot ausgesprochen, an das sich jeder noch so unwichtige Händler hielt. Der Sparmarkt wurde vor unseren Augen geschlossen („Go away, you are not welcome“ – „Shop closed for Ultras“), Gaststätten hatten ihre Fenster verriegelt und das vollmundig angekündigte Fanfest wurde spontan abgesagt.
Unser kleiner Spaziergang durch die Stadt, der von italienischen Youtube-Ultras nur zu gerne dokumentiert wurde, nahm damit ein jähes Ende. Einige Anwohner entschuldigten sich für diese Maßnahmen („multo stupido“) und rieten uns dazu, auf eigene Faust loszuziehen. Dank eines freundlichen Taxifahrers und einiger Kneipenwirte wurde letzten Endes dann doch noch kühler Gerstensaft herangeschafft und der zwischenzeitlich aufgekommene Schwarzmarkt trockengelegt. Was das alles sollte, wird wohl keiner je verstehen können – sinnlose Verbote und Vorschriften, damit man einfach mal was getan hatte.
Das Stadion selbst lag einige Kilometer außerhalb, der Transport mit den Shuttlebussen geriet dank des sportlichen Fahrstils zu einem kleinen Highlight („Nur 20° Neigung in der Kurve? Da geht noch mehr, Kutscher!“). Angekommen im eingezäunten Gästeempfangsbereich, den man sinnvollerweise problemlos betreten und wieder verlassen konnte, wurden dann die Eingangskontrollen vorgenommen – die angekündigten Verbotsmaßnahmen entpuppten sich weitestgehend als leere Drohungen, die Ordner waren freundlich und weitestgehend hilfsbereit.
Damit hatten sie immerhin dem Dortmunder Fanprojekt etwas voraus. Ein Fan hatte seine Zaunfahne trotz vorheriger Genehmigung des Heimvereins nicht ins Stadion nehmen dürfen und bat das Fanprojekt um Hilfe – diese wurde lapidar abgelehnt und der Fan mit seinem Problem alleine gelassen. Gerne hätte man sich über diesen Vorfall noch mal auf der Rückfahrt im Sonderzug unterhalten, doch war der betroffene Mitarbeiter dort nicht mehr auffindbar – offensichtlich wurde eine private Rückfahrt favorisiert, weil die Betreuung der Fans zu anstrengend wurde. Wie soll das erst mal funktionieren, wenn sich die potenziellen Problemfälle nicht so angenehm zurückhalten wie auf dieser Fahrt?
Das Stadion selbst war keine wirkliche Augenweide, wenn man einmal von der schicken Überdachung der Haupttribüne absieht. Während sich der Gästeblock warm sang und für das Spiel fertig machte, wurde die Geschäftsstelle Udinese Calcios etwas genauer untersucht. Insbesondere die stattliche Pokalsammlung konnte sich dort eine besondere Erwähnung verdienen – sie erstreckte sich nicht nur über langweilige Vitrinen wie überall sonst, sondern dekorierte (mit umhängendem Echtheitszertifikat!) einen Digitalreceiver und diente als Ersatz für Absperrband. Und mal ehrlich: Wie kann man ungebetene Gäste stilvoller aus seinen Büros fernhalten als mit einer geschmackvollen Schüssel auf der Treppe?
Obwohl nur gut 8000 italienische Fans den Weg ins Stadion gefunden hatten, sorgten diese für ordentliche Stimmung. Für unsere Maßstäbe vielleicht etwas einfallslos, dafür aber laut und immer dann, wenn es wichtig wurde. Diesen Heimvorteil zunichte zu machen, war das Ziel des mitgereisten Gästeanhangs – gemeinsam mit der wie befreit aufspielenden Mannschaft gelang das ziemlich gut und es entwickelte sich ein tolles Spiel. Ein unglaublich intensiver Torjubel und eine hervorragende Unterstützung ließen jedermann die im Hinspiel noch schmerzlich vermisste Europapokalatmosphäre spüren – wie viel diese Dortmunder Mannschaft mit ihren Fans selbst in aussichtslosen Situation zu leisten imstande sein kann, hätte wohl niemand für möglich gehalten.
Leider wurde am Ende nichts aus dem erhofften Wunder, doch zogen wir erhobenen Hauptes wieder in Richtung Heimat. Der Sonderzug, mittlerweile trotz „Reinigung“ gute 20 Meter weit zu riechen, hatte uns wieder – und mit ihm der Sambawagen, verdreckte Böden und stattliche Flaschensammlungen, die zukünftig wohl der Vergangenheit angehören dürften.
So nahm eine unglaublich intensive und geile Europapokalfahrt ihr Ende – ein herzliches Dankeschön gilt all denjenigen, die sie ermöglicht haben. Ohne viele Namen nennen zu wollen, gebührt an dieser Stelle insbesondere der Fanabteilung und ihren ehrenamtlichen Zugordnern ein Extralob – gleiches gilt für unsere Fanbetreuer Petra, Jens und Sebastian, deren unermüdlicher Dauereinsatz in den letzten Wochen diese Fahrt erst möglich gemacht hatte. Besten Dank auch an Jassy und "stolle" für die Fotos.
Bis nächstes Jahr, Europa!