Pils gegen Wodka 2-1
Wer am Samstag in gewohnter Manier in den Zug Richtung Westfalenstadion stieg, der merkte rasch, dass etwas anders war als gewohnt. Wo sonst junge und alte Borussenfans mit einem Pils in der Hand murmelnd fachsimpeln, fand man diesmal eine größere Gruppe von anscheinend sehr gesund lebenden, aber auch sehr lauten Menschen vor, die ihre Nachbarn offenbar alle gleichzeitig mit lauter Handymusik beglücken wollten.
Überall im Wagen sah man Orangensaft und Fanta. Lediglich einige durch die Sitzreihen wandernde Plastiktüten weckten die Neugierde. Jeder der Anwesenden, die in einer unverständliche Sprache kommunizierten, führte die Öffnung der Beutel zum Mund und schien einen ordentlichen Schluck zu nehmen um direkt anschließend mit einem Vitaminschub nachzuspülen und das Gedeck danach unverzüglich an den Nebenmann weiterzureichen. Als aus einer der Tüten der blaue Schriftzug „Gorbatschow“ erkennbar war, hatte man das Rätsel um dieses Ritual schnell gelöst. Grippeforscher hätten sich vermutlich geschüttelt - oder geforscht, ob Wodka das Risiko einer Tröpfcheninfektion tatsächlich mindern kann.
Pünktlich am Hauptbahnhof angekommen, stieß noch ein Weggefährte hinzu und man checkte kurz die Stimmung, die sich, abgesehen von fehlenden schwatzgelben Farben, kaum von einem normalen Heimspiel des BVB unterschied. Allerdings merkte man schnell, dass heute eine recht große Anzahl an Gästefans im Stadion sein würde.
Am traditionellen Verpflegungspunkt in Stadionnähe stärkte man sich anschließend mit einem leckeren Dortmunder Flaschpils. Auch hier ging es recht ruhig vonstatten. Wo sich sonst hunderte Borussen zur Bratwurst vorkämpfen, war der Andrang diesmal überschaubar. Auffallend war der hohe Anteil an Familien, die ihrem Nachwuchs offensichtlich postweltmeisterliche Atmosphäre nahe bringen wollten. Nach einiger Zeit ging es an diesem lauen Herbstabend locker und unaufgeregt Richtung Stadion. Fast alles war wie bei Heimspielen, lediglich der um Unterstützung für die Deutschen bettelnde Doppeldeckerbus des "Fanclub DFB" stand im Weg.
Nach überraschend hurtiger Einlasskontrolle erwartete einen 45 Minuten vor Anpfiff ein recht leeres Westfalenstadion. Vor allem die Süd wies noch reichlich freie Plätze auf. Auf den Plätzen angekommen, grinsten einen schon die üblichen, von vielen BVB-Spielen bekannten Verdächtigen an. Manchmal hat man das Gefühl, mit diesen Leuten mehr Zeit zu verbringen als mit seinem Partner. Schenkelklopfen lösten etliche Doppelhalter aus, die, mit der Schrift Richtung Südtribüne, die Leute ermahnten, beim Einlaufen doch die bereitliegenden Papptafeln hochzuhalten. Neben der Gästeecke war der russische Anhang in kleinen Grüppchen auf allen Tribünen verstreut - es dürften etwa 8.000 Anhänger der Sbornaja gewesen sein. Das Publikum war, wie erwartet, bunt gemischt. Vom Familienausflug über Kegeltour bis hin zu lautstarken Supportergruppen war alles vertreten. Das Vorprogrammgeplärre aus den Lautsprechern wurde von den trainierten Ohren - genau wie bei Heimspielen - gekonnt ignoriert. Wer war der Vogel als Stadionsprecher? Er hätte lebenslanges Westfalenstadionverbot verdient "Danke?" "Bitte!!!". Irgendwann ertönte der Anpfiff, zu dem sich die Tribünen nun gut gefüllt präsentierten. Über die „Choreo“ kann nichts gesagt werden, da man selbst inmitten weißer Papptafeln stand.
Zum Anpfiff ertönte kurzes Gemäkel der hinter uns Ansässigen mit dem Ziel, uns zum Hinsetzen zu bewegen, allerdings waren die Fronten schnell geklärt. Soweit kommt das noch, dass wir uns auf unserer Süd hinsetzen... Andere Zuschauer hatten es da nicht so angenehm. Über das gesamte Spiel gab es ein kreislaufförderndes Auf und Nieder. Herrlich war ein offensichtlich herbeigerufener Ordner im Nebenblock, der die Leute anscheinend zum Sitzen ermahnen musste. In Block 13!
Optisch gefiel der Gästeblock durch eine Unmenge an weiß-blau-roten Fahnen nebst großer Blockfahne. Bei den Heimfans dominierte das Schwarzrotgold, nicht zuletzt auch durch Mithilfe der ARD, die mal wieder Fähnchen für die Westtribüne angekarrt hatte. Stimmlich konnten sich die Gäste einige male kurz lautstark bemerkbar machen, wurden aber meistens recht rasch wieder von deutschen Kehlen übertönt, zumal es ein russisches Liedgut im Stadion nicht zu geben scheint und ausschließlich drei unterschiedliche Sprechchöre zu vernehmen waren. Dafür wurde es nach dem Anschlusstreffer wenigstens ein wenig hell im Gästeblock. Auf Heimseite sorgte das „So gehen die Deutschen“ wiederholt für Heiterkeit und Stimmung. Einen faden Beigeschmack hinterließ eine Zaunfahne mit den Konterfeis von Altinternationalen und dem Spruch „Dem Deutschen Volke!“ nebst Fragezeichen.
Für Aufklärung wäre der Autor sehr dankbar. Die Fahne war sicher nicht als Hommage an einen verdienten Dortmunder Fanbetreuer gedacht. Zusammenfassend kann man die Stimmung als ordentlich bis gut bezeichnen, allerdings fehlte durch das sehr gemischte Publikum schon ein echter Roar, was uns „Neutrale“ aber nicht weiter störte. Dafür konnte man davon träumen, dass wir auch einmal eine so lautstarke Nordwest Ecke und so aktive Längstribünen verdient hätten.
Alles in allem war es ein gelungener Fußballabend, der half, die Ligapause entspannt zu überbrücken und an dem im Stadion überraschen viele Herzblutborussen gesichtet wurden. Und das ist auch gut so: Jemand muss schließlich auf unsere Süd aufpassen.
p.s.: Ist zufällig jemandem ein kleiner Junge namens Kevin über den Weg gelaufen? Seine Mutter wartet am Regal für Brotaufstriche auf ihn.