Pleite für die Lehmann Brothers
Tempofußball, sehenswerte Kombinationen. Fußballherz, was begehrst Du mehr? Mit dem eigentlich noch zu niedrig ausgefallenen 3:0-Sieg gegen die Lehmann Brothers hat der BVB rechtzeitig die Kurve gekriegt und befindet sich wieder im Aufwind, während der VfB nun eine fußballerische Rezession zu erleben droht.
Schon vor dem Anpfiff mutete die Atmosphäre im Westfalenstadion seltsam grandios an. Südtribüne und Gästeblock lieferten sich einen ordentlichen, gesanglichen Schlagabtausch und schufen im mit 71.200 Zuschauern noch recht spärlich besetzten Stadion eine tolle Fußballatmosphäre. Norbert Dickel hätte eigentlich gar nicht mehr an das Publikum appellieren müssen, die Stimmung vom Pokalspiel zu wiederholen, denn auf den Rängen war man auch ohne Aufforderung offenbar fest entschlossen, die schwarzgelben Farben an diesem Tag nach vorne zu schreien.
Jürgen Klopp hatte seine Truppe ein weiteres Mal durcheinander gewirbelt. Santana, Kringe und Kuba liefen auf, dafür rückten Kruska, Frei und Kovac zunächst auf die Bank bzw. ins Lazarett. Was auf dem Papier wie ein 4-5-1 aussah, entpuppte sich letztlich als 4-4-2 mit Raute und Kuba als Beinahe-Rechtsaußen. Eine Maßnahme, die Armin Vehs Mannschaft vor einige Probleme stellen sollte. Aber der Reihe nach.
Wer sich vor dem Spiel noch einmal ein Bier holen möchte, tut dies neuerdings am Besten direkt vor dem Einlauf der Mannschaften. So bleibt man immerhin halbwegs verschont von den Disco Boys und den gefühlten 180 Dezibel, mit denen deren Einlaufmusik minutenlang aus den Boxen wummert.
Nachdem diese Folter überstanden war, konnte das Spiel beginnen. Und die Borussia legte auch von Beginn an gut los. Schon nach zwei Minuten prüfte Tinga nach Ablage von Kuba erstmals Jens Lehmann im Tor der Gäste. Während der flache 16m-Schuss aber keine große Gefahr darstellte, sah es Minuten später auf der anderen Seite ganz anders aus. Mit vereinten Kräften hatte die schwarzgelbe Abwehrreihe Stuttgarts Hilbert den Ball zur Flanke vorgelegt und Gomez in der Mitte zum Kopfball kommen lassen, so dass sich Roman Weidenfeller ordentlich strecken musste, um zur Ecke zu klären und damit Schlimmeres zu verhindern.
Dies sollte es aber schon gewesen sein an sehenswerten VfB-Aktionen. Fortan spielte fast nur noch der BVB. Vor allem das Umschalten von Abwehr auf Angriff klappte unheimlich schnell, im Mittelfeld kaufte die schwarzgelbe der rotweißen Raute deutlich den Schneid ab und mit demeingangs erwähnten Kuba als verkappten Rechtsaußen kam Stuttgarts Linksverteidiger Magnin so gar nicht zu recht.
Doch auch der Rest der Gäste war nicht immer im Bilde. Zehn Minuten waren gespielt, als Marcel Schmelzer mit einem langen Diagonalpass ins Mittelfeld auf Hajnal das Spiel eröffnete. Der brauchte nur ein paar Schritte zu laufen und merkte schnell, dass die Stuttgarter kein Interesse daran zeigten, ihn anzugreifen. Und während das „Schieß doch" auf den Lippen der Fans noch nicht verhallt war, fasste sich der Ungar aus 25 Metern tatsächlich ein Herz. Wer das Glück hatte, auf der Südtribüne das Spiel zu verfolgen, sah sofort, dass dieser Schuss passen würde. Und tatsächlich: Der Ball wurde länger und länger, Jens Lehmann streckte sich vergeblich und dann endlich schlug das Leder im Netz der Stuttgarter ein. 1:0, die bis dahin schon gute Stimmung auf den Rängen explodierte förmlich.
Fußball im Westfalenstadion, das bedeutet endlich auch wieder sehenswerte Tore. Nach Kuba gegen die Bayern und Frei im Derby bedeutet Hajnals 25-Meter-Kracher das dritte Traumtor im dritten Bundesliga-Heimspiel. So macht Borussia endlich wieder Spaß.
Und es sollte noch weiter gehen. Die Schwarzgelben erwiesen sich den Schwaben in sämtlichen Belangen überlegen, auf der Tribüne wie auf dem Rasen. Der Stuttgarter Anhang, vor dem Spiel noch dreimal lauter, folgte der Partie größtenteils stoisch, einzig die Ultras vollzogen ihre Liturgie des spielunabhängigen Supports und ließen Singsang auf Singsang folgen.
Auf dem Rasen bereitete der BVB die nächste Angriffswelle vor. 20 Minuten gespielt, Freistoß aus der halbrechten Position, nahe der Strafraumgrenze. Hajnal läuft an und zieht das Leder viel zu nah vor das Tor. Denkste! Jens Lehmann steigt hoch, Santana ebenso. Mit Wucht springt der Brasilianer in den Ball, erreicht ihn vor Lehmann und bugsiert das Leder per Kopf in die Maschen. Zögerlicher Jubel im Westfalenstadion. Deutlich ist zu merken, dass viele auf der Tribüne mit einem Pfiff des Schiedsrichters rechnen. Doch Felix Brych dachte gar nicht daran und zeigte gen Mittelkreis. Jetzt erst brach sich der Jubel wirklich Bahn im Stadion, während die Stuttgarter wie paralysiert dastanden. Und ganz Unrecht hatten sie damit nicht. Neun von zehn Schiedsrichtern hätten dieses Tor wohl nicht gegeben, zu ungestüm hatte Santana im Fünfmeterraum Lehmann angegangen.
Doch die so oft beschworene, ausgleichende Gerechtigkeit folgte noch in derselben Halbzeit. 35. Minute, Kuba dringt über die rechte Seite in den Strafraum ein, Magnin krönt seine unbeholfene Darbietung mit einer noch unbeholfeneren Grätsche und trifft fast ausschließlich den Polen. Über einen Elfmeter hätten sich die Stuttgarter nicht beschweren dürfen. Und taten es nun trotzdem, allen voran Jens Lehmann, der seine Schockstarre vom 2:0 nun wohl abgelegt hatte und prompt von Dr. Brych mit der gelben Karte bedachte wurde.
Das Spiel war nun etwas abgeflacht. Borussia hatte einen Gang zurückgeschaltet und ließ dem VfB etwas mehr Raum, ohne dass die Gäste daraus jedoch Kapital hätten schlagen können. Im Gegenteil. Mit schnellen Gegenzügen sorgen wiederum die Schwarzgelben für Torgefahr, doch weder Kehl noch Valdez, beide sehenswert von Kuba in Szene gesetzt, vermögen den Ball freistehend vor Lehmann im Tor unterzubringen. Sofern man über irgendetwas aus dieser ersten Hälfte meckern wollte, dann allenfalls über diesen fahrlässigen Umgang mit Torchancen. Ansonsten war der Auftritt der Borussia in den ersten 45 Minuten topp.
Wer nun erwartet hatte, die Stuttgarter nach der Pause sichtlich verändert zu erleben, wurde enttäuscht. Auch zwei Spielerwechsel zur Halbzeit brachten den Gästen keine Sicherheit ins Spiel. Zwar erspielten sich die Schwaben Eckstoß um Eckstoß, blieben insgesamt aber erschreckend schwach und harmlos - wohl auch bedingt durch das super Spiel der Borussia im Mittelfeld.
Jens Lehmanns Rückkehr ins Westfalenstadion wurde eine der unschöneren Art. Der schon zu seiner Dortmunder Zeit eher geduldete und respektierte als geliebte Schlussmann wurde vereinzelt böse bepöbelt, als er seien Posten zwischen den Pfosten vor der Südtribüne bezog. Dass er sich anschließend mit dem Mittelfinger am Kopf kratzte, war wohl mehr als Zufall.
Nach 56 Minuten Spielzeit verließ Nelson Valdez den Platz. Und obgleich für ihn Alex Frei den Platz betrat, gehörte diese Minute dem Südamerikaner, der wieder einmal ein Riesenpensum geleistet hatte, vor dem Tor jedoch abermals glücklos geblieben war. Mit lautstarken Sprechchören wurde Valdez verabschiedet, auf den Seitentribünen verabschiedete man den neuen Liebling mit stehenden Ovationen. Man kann oft und gerne über dieses Publikum meckern, aber an diesem Tage bewahrheitete sich wieder einmal das besondere Gespür für jene Spieler, die rackern und schuften. Auch Kuba, Hajnal und Tinga wurde an diesem Tag die besondere und selten gewordene Ehre zu Teil, noch während des Spiels mit Sprechchören gefeiert zu werden.
Und natürlich Alex Frei. Der war gerade eine Minute auf dem Platz, als er aus Abseitsposition abstaubte. Doch Felix Brych verweigerte diesem Treffer zu Recht die Anerkennung. Die Szene sollte aber nur den Auftakt darstellen für eine neuerliche Gala des Schweizers. Zwei Minuten später die nächste Gelegenheit:
Florian Kringe leitet mit viel Engagement einen Konter ein und treibt den Ball über die linke Seite. Flanke ins Zentrum und dort trifft Frei den Ball beinahe goldrichtig, das Tor aber eben nicht.
Die Borussia nun wieder etwas aktiver. Zwei Minuten später versuchte es der inzwischen mit anscheinend grenzenlosem Selbstvertrauen gesegnete Kuba mit einem Dribbling, die Stuttgarter Hintermannschaft auszutanzen. Während die Schwarzgelben nach vorn weiter sehenswert agierten, mehrten sich hinten die kleinen Unsicherheiten. Mit vereinten Kräften erstickte man zwar weiterhin jede drohende Gefahr im Keim, souverän sah das aber nicht immer aus - und hätte gegen eine stärkere Mannschaft möglicherweise auch noch einmal gefährlich werden können.
Doch die Stuttgarter ließen sich an diesem Abend völlig den Schneid abkaufen. Auf dem Rasen wie auf der Tribüne, wo der Gästeblock einen seltsam zerrissenen Eindruck erweckte. Während der eine Teil dem Treiben auf dem Platz zunehmend resigniert und schweigend folgte, schien es, als wolle das Kommando Karstadt einen Sommerschlussverkauf starten. Da wurden Klamotten vom Leib gerissen und derartig vom Spiel entrückt Gesänge angestimmt, dass man als Unbeteiligter nur mit dem Kopf schütteln konnte.
Wohltuend anders das Bild im Rest des Stadions, wo es einmal nicht ausschließlich der Süd vorbehalten war, für die Stimmung zu sorgen. Denn nicht erst mit dem 2:0 war es an diesem Tag der gesamte Dortmunder Anhang auf den Tribünen, der seine Mannschaft unterstützte. Natürlich die Süd, aber auch die Seitentribünen und vor allem die lautstarken Ecken. Das hat Spaß gemacht, so darf es gerne öfter sein.
Folgerichtig krönte Alex Frei in der 73. Minute daher dann doch noch seine Bemühungen. Traumflanke von Young-Pyo Lee, Frei in der Mitte so frei, als seien die Stuttgarter bereits in der Kabine. Wuchtiger Kopfball, Tor, 3:0. An diesem Tag sah alles so leicht aus bei den Borussen und dieses Tor war praktisch sinnbildlich. Das Spiel war entschieden, die restliche Spielzeit wurde lediglich noch runter gespielt, bevor sich die Schwarzgelben dann endlich und verdientermaßen von den Rängen feiern lassen konnten.
Analystenmeinung:
Tolles Spiel, tolle Stimmung, mehr kann man eigentlich nicht wollen. Nach der Tristesse von Udine und Hoffenheim erscheint eine allzu euphorische Sichtweise der Dinge nicht angebracht, aber man soll die Feste ja bekanntlich feiern, wie sie fallen. Und gegen die Schwaben war es eben eine in allen Belangen ansprechende Leistung, die die Borussen da auf den Platz brachten. Das gilt es jetzt zu konservieren. Während die Lehmann Brothers mit solcher Spielweise noch einige Pleiten erleben werden, raten wir die Perfomance von Borussia Dortmund heute mal vorsichtig-euphorisch: A
Spielerrating
Weidenfeller: Musste direkt in der Anfangsphase einmal retten, ansonsten weitgehend ungeprüft durch die harmlose Stuttgarter Offensive. Im Spielaufbau mit Schwächen. Note 3 und der Analystentipp: Halten!
Lee: Starke Leistung als rechter Verteidiger, die durch die Vorlage zum 3:0 gekrönt wurde. Befindet sich enorm im Aufwind, hat aber noch Luft nach oben. Darum: Note 2,5 und die Empfehlung: Kaufen!
Santana: In seinem Kurs steckt Phantasie. Deutete gegen Stuttgart an, warum er verpflichtet wurde, und erzielte seinen Bundesligatreffer Nummer Zwei. Gute Leistung, Note 2, kaufen!
Subotic: Befindet sich nach dem Höhenflug zu Saisonbeginn und der Katastrophenleistung derzeit in der Konsolidierungsphase. Gestern mit einigen guten, aber auch manchen unsicheren Szenen. Note 3 und die Analystenmeinung: Abwarten!
Schmelzer: Solide Leistung, mit ihm im Depot macht man derzeit wenig verkehrt. Sicherte hinten solide ab, nach vorn aber noch verbesserungswürdig. Die Eröffnung zum 1:0 war sehenswert. Note 3,5, halten.
Hajnal: Starke Performance auf dem Börsen-Grün. „Tor des Monats"-Kandidat mit dem sehenswerten 1:0 und ansonsten an vielen Angriffen beteiligt. Unbedingte Kaufempfehlung, Note 1,5
Kehl: Nachdem man vor Wochen noch dringende Verkaufsempfehlungen aussprechen wollte, hat sich der Kapitän etwas gefangen. Leicht verbessertes Auftreten gegen Stuttgart, aber noch nicht auf dem Level der Mitspieler. Abwarten, Note 4.
Tinga: In der noch jungen Saison der absolute Yellow Chip, der in keinem Depot fehlen durfte. Gegen Stuttgart unauffälliger als zuletzt. Halten, Note 3,5
Kringe: Gehört seit jeher zu den risikoärmeren Anlagen. Auch gegen Stuttgart wieder mit einer guten Leistung. Halten, Note 2,5
Kuba: Kein Tor selbst erzielt, keines direkt vorbereitet und trotzdem der vielleicht beste Spieler auf dem Platz. Sorgte auf ungewohnter Position als verkappter Rechtsaußen für Magnins Auswechslungs zur Halbzeit. War aber auch danach kaum zu halten. Schnelles Spiel nach vorn, feine Pässe mit viel Gefühl: Für Kuba gilt in der noch jungen Saison eine absolute Kaufempfehlung. Note 1,5
Valdez: Früher oft gescholten, seit Neuestem Publikumsliebling. Auch das ist das Dortmunder Publikum. Gestern wieder ebenso unermüdlich wie glücklos im Abschluss. Muss vor der Pause das 3:0 machen. Bedingte Kaufempfehlung, Note 3,5
Kruska: Kam früh für Tinga und spielte anschließend ähnlich solide und unauffällig. Macht es dem Analysten damit schwer, eine echte Empfehlung auszusprechen. Für die Minuten auf dem Platz gilt: Note 3,5
Frei: Sozusagen die Volksaktie. Auf ihm lastet zuweilen der Ballast des Heilsbringers, mit dem er aber außerordentlich gut zurechtkommt. Bilanz aus 33 Spielminuten: Ein Tor, ein Abseitstor, eine Großchance. Note 2, halten!
Sahin: Kam elf Minuten vor Schluss, für eine Bewertung reicht das nicht.
Aufstellungen und Statistik
Borussia: Weidenfeller - Lee, Santana, Subotic, Schmelzer - Kehl - Tinga (54. Kruska), Kringe - Hajnal (79. Sahin) - Kuba, Valdez (57. Frei)
Stuttgart: Lehmann - Boulahrouz (61. Mandjeck), Tasci, Delpierre, Magnin (46. Boka) - Khedira - Hilbert, Hitzlsperger - Lanig (46. Marica) - Cacau, Gomez
Gelbe Karten: Tinga - Lehmann, Tasci, Boulahrouz
Tore: 1:0 Hajnal (10., Vorlage Schmelzer), 2:0 Santana (20., Vorlage Hajnal), 3:0 Frei (73., Vorlage Lee)
Zuschauer: 71.200
Schiedsrichter: Dr. Felix Brych, Note 5: Hatte knifflige Entscheidungen zu fällen und lag damit zweimal falsch. Zum Glück ohne nennenswerte Auswirkung. Das gesamte Gespann wirkte unsicher: Während Brych bei Zweikampfbeurteilungen zögerte, schien Assistent Achmüller auf Zuruf die Fahne zu heben. Das darf in der Bundesliga nicht passieren.