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...Marco und Kevin (Teil 1): "Wir testen Grenzen"

28.05.2008, 00:00 Uhr von:  SSC
...Marco und Kevin (Teil 1): "Wir testen Grenzen"
THE UNITY

Fanchoreografien in der Bundesliga: Jeder kennt sie, jeder bestaunt sie. Doch was steckt dahinter? schwatzgelb.de sprach mit Kevin und Marco, zwei kreativen Köpfen der Dortmunder Fangruppierung THE UNITY, über die wachsende Bedeutung der vergänglichen Kunst und deren weit reichende Folgen.

schwatzgelb.de: Seit Einführung der Bundesliga hat sich das Fandasein stark verändert. Täglich können wir lesen, was sich alleine in den vergangenen zehn Jahren zum Negativen entwickelt haben soll. Was ist in dieser Zeit denn besser geworden?

Kevin: Da würde ich in erster Linie die optische Darstellung der Fans nennen, die sich gerade in den letzten vier bis fünf Jahren sehr stark verändert hat. Heute sieht man auf der ganzen Tribüne viel mehr Fahnen, Schwenker und Doppelhalter als früher, was dem Westfalenstadion sehr gut tut. Genauso sieht man immer wieder Menschen, die über Spruchbänder ihre Meinung kund tun und nicht alles kommentarlos hinnehmen. Diese Entwicklung finde ich sehr vorteilhaft.

Marco: Das Schöne daran ist, dass es diesen Prozess nicht nur in Dortmund gegeben hat. In ganz Deutschland lebte die Gestaltung von Choreografien und lebendigen Tribünen auf, wurden eine Menge wirklich guter Ideen umgesetzt. Diese Aufmerksamkeit wird gerne genutzt, um auf Missstände hinzuweisen, die die aktiven Fans in ganz Deutschland stören.

Choreo in Hamburg

Fiel Journalisten zu belanglosen Novemberkicks nichts Besseres ein, feierten Floskeln wie „Spitzenspiel im Hexenkessel" oftmals Hochkonjunktur. Heute wird in solchen Fällen lieber die Kreativität der Fans betont, die sich zur Bekämpfung der Langeweile etwas ganz Tolles hätten einfallen lassen. Fußball und Kreativität - wie passt das zusammen?

Marco: Gerade in dieser Saison sieht man sehr deutlich, wie langweilig der Fußball in Deutschland geworden ist: Bayern schreitet mit neun Punkten voran, dahinter entfacht höchstens noch ein Zweikampf oder Dreikampf um die Champions League. Da ist doch klar, dass besonders bei den Spielen im Mittelfeld immer öfter in die Fanblöcke geschaut werden muss, wenn man seine Seiten füllen möchte. Im Europapokal haben vor zwei bis drei Jahren wenigstens noch Vereine wie Frankfurt, Mainz oder Aachen ein bisschen Farbe reingebracht, bis auf die Bayern konnte aber auch dort keiner etwas reißen. Was die Kreativität angeht, wird diese immer weiter gefördert, je stärker die Qualität der Bundesliga nachlässt.

Im Mittelpunkt dieser Kreativität stehen meist große und aufwändige Choreografien. Was genau hat man sich unter einer Choreografie denn vorzustellen?

Kevin: Grundsätzlich würde ich sagen, dass eine Choreografie vor allem in einem größeren Rahmen stattfinden sollte als das gewöhnliche ‚ein paar Schwenker, ein paar Doppelhalter‘. Ein knackiges Spruchband rundet das Ganze ab und vor allem muss das gewisse Etwas dahinter stecken, das man nur sehr schwer beschreiben kann. Besonders wichtig ist die Aussage einer Choreografie, ob man jetzt zum Beispiel die Mannschaft motivieren oder sich vor allem selbst darstellen will. Letzteres kommt bei uns viel seltener vor als woanders, dennoch möchte man natürlich irgendetwas präsentieren und seinen Verein auf einer gewissen Ebene vertreten.

Für immer Westfalenstadion-Choreo

Worin liegt euer Antrieb, so viel Energie in diese Kunstwerke zu stecken?

Marco: Tja, warum steckt man da so viel Energie rein? Man lebt eben für den Verein. Das zeigt sich nicht nur am Samstag im Stadion, sondern auch am Einsatz unter der Woche. Nun ist das Westfalenstadion wegen der großen Südtribüne und vielen VIP-Sitzplätze leider nicht gerade prädestiniert für Choreografien, dass wir mal eben jede Woche ein paar Papptafeln hinlegen könnten. Wir müssen immer wieder aufs Neue abwägen, was eine gute optische Wirkung erzielen kann und was eher nicht. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass in Dortmund beinahe nur noch Choreografien mit Folien möglich sind, die als Blockfahnen über die Fans hinweg gezogen werden. Wir haben zwar immer wieder mal überlegt, ob wir etwas mit Papptafeln machen wollen, ließen es aufgrund der vielen Umbaumaßnahmen mit VIP-Sitzen dann aber sein.

Kevin: Dazu kommt, dass eine Choreografie vor allem von den Fans auf der Südtribüne getragen werden muss. Das hat nichts damit zu tun, dass es auf den Sitzplätzen weniger oder gar schlechtere Fans gäbe, sondern dass die Südtribüne schlichtweg das Aushängeschild Borussia Dortmunds ist. Ob das wiederum immer gut ist, will ich nicht beurteilen.

Die erste "Für immer Westfalenstadion"-Choreo

Auf einigen dutzend Homepages werden die schönsten Choreografien der Welt vorgeführt, bei Youtube gibt's die passenden Videos und bei Stadionwelt gar eine eigene Buchreihe. Handelt es sich bei Choreografien um eine Modeerscheinung?

Marco: Choreografien haben sich dauerhaft als Tribünenelement etabliert und werden zukünftig sicherlich noch weiter ausgedehnt werden. Wir befinden uns in Deutschland in einer Art Anfangsstadium, in welchem die einzelnen Fangruppen ihre Grenzen testen und herausfinden wollen, was sie technisch alles umsetzen können. Der Kontakt zu den jeweiligen Vereinen wird besser, die Widerstände nehmen spürbar ab und die Qualität der Choreografien steigt - es kann eigentlich nur bergauf gehen. In welche Richtung man sich weiterentwickeln kann, sieht man im internationalen Vergleich: bei uns geht es darum die eigenen Fans mitzureißen, in anderen Ländern will man das ganze Stadion auf den Kopf stellen. Da sehe ich in Europa noch ein großes Entwicklungspotenzial.

Erste größere Choreo in der Saison 2002/03

Kevin: Wir haben alleine auf unserer Tribüne schon eine krasse Entwicklung erlebt. Wenn ich an die ersten Experimente mit Papptafeln oder die kleine Blockfahne mit Dortmunder Skyline zurückdenke, sieht das verglichen mit der „Für immer Westfalenstadion" Choreografie aus der Hinrunde ziemlich winzig aus. Es ist kein großes Geheimnis, dass wir auch das Geschehen in anderen Stadien verfolgen und uns Gedanken darüber machen, was davon bei uns ganz gut aussehen könnte.

Wettbewerb belebt das Geschäft?

Marco: Es tauchen immer wieder gute Ideen auf, die man entweder selbst umsetzt oder bei anderen Vereinen sieht. Nur durch den Versuch, uns selbst oder Aktionen anderer Gruppen zu übertreffen, können wir besser werden und uns weiter entwickeln.

Lange Zeit genügte die Behauptung „Fußballfans haben keine Lobby" zur Situationsbeschreibung deutscher Fanszenen. Gerade eben hörten wir hingegen, dass der Kontakt zu den Vereinen immer besser werde. Wie passt das zusammen?

Marco: Wir stehen über verschiedene Kanäle in Kontakt zu anderen aktiven Fangruppen und hören, dass sich die Zusammenarbeit mit den Vereinen fast überall verbessert haben soll. Im Prinzip kann man das auf die Berichterstattung in den Medien zurückführen, die für die Vereine aus Imagegründen immer wichtiger geworden ist: wird über tolle Choreografien berichtet, wirft das ein gutes Bild auf die Vereine und freut die Sponsoren. Insgesamt betrachtet meine ich zu wissen, dass sich der Kontakt zwischen Fans und Vereinen in ganz Deutschland verbessert hat und bei uns in Dortmund mit am vorbildlichsten statt findet.

Gibt es dafür einen besonderen Grund?

Die BVB-Fanbetreuung

Marco: Zum Einen haben wir mit Jens und Sebastian zwei Fanbeauftragte, über die wir sehr gut mit dem Verein kommunizieren können. Zum Anderen treffen wir uns regelmäßig mit dem geschäftsführenden Vorstand und haben ein echtes Vertrauensverhältnis zu diesem aufgebaut. Das geht so weit, dass wir beinahe alles an Choreografien machen dürfen, was wir wollen - bei einigen anderen Vereinen wäre das völlig undenkbar. Selbst wenn wir nicht die einzigen sind, die ein so enges Verhältnis zu ihren Vereinen haben, sehe ich uns in Deutschland diesbezüglich sehr weit vorne.

Im Vorfeld der WM 2006 sorgte ein Sponsor mit einer Werbespot-Choreografie für Furore, ein Geldgeber des FC Bayern bestimmt auf einzelnen Stadionplätzen die Kleiderordnung und auch Regierungen haben schon Gefallen an der organisierten Selbstdarstellung gefunden. Was unterscheidet eine Fanchoreografie von einfacher Propaganda?

Kevin: Zunächst einmal natürlich die Tatsache, dass eine Fanchoreografie ein Geschenk der Fans an den Verein, in diesem Fall an die Spieler als seine Vertreter, sein soll, um einen extra Motivationsschub herbeizurufen. Die Sponsoren sehen wie gut diese Art der Darstellung ankommt und haben ihrerseits die Intention, diese Begeisterung auf ihre Marke zu übertragen. Darüber hinaus sollten Arbeitseinsatz und Herzblut in der Choreografie stecken, was bei einer Darstellung eines Sponsors nicht in dieser Qualität gegeben ist.

Wie steht es um den beliebten Vorwurf, Choreografien seien nicht mehr als die Selbstdarstellung bestimmter Fangruppen?

1909-Tage TU-Choreo

Kevin: Ganz an der Realität geht diese Aussage nicht vorbei. Zum 1909 Tage Jubiläum von THE UNITY nahmen wir beispielsweise unser altes T-Shirt-Motiv als Element einer Blockfahne auf und feierten damit die Gruppe. Allerdings ersetzten wir unseren Schriftzug durch „Borussia Dortmund", weil wir ohne die anderen Fans auf der Südtribüne gar nichts wären. Man muss immer im Blick behalten, dass wir vielleicht 1,5 Prozent der Fans auf der Tribüne stellen und von diesen abhängig sind, selbst wenn unsere Einflüsse manchmal ein wenig weiter reichen.

Marco: Gerade in letzter Zeit haben wir sehr viel für die Allgemeinheit getan - sowohl im Pokal als auch bei der Westfalenstadionchoreografie, die wir ab sofort einmal jährlich wiederholen werden. Große Ansprachen, dass wir das mit 30, 40 oder 50 Mann gemacht hätten und sich nun bitte alle bei uns bedanken müssten, wird man bei uns nicht erleben. In anderen Szenen wird die Macht großer Mitgliederzahlen gerne genutzt, um sich selber darzustellen - das ist in Dortmund nicht der Fall.

Du denkst an Nürnberg oder Frankfurt?

Marco: In Nürnberg ist das ziemlich extrem. Die nutzen beinahe jedes Heimspiel für eine kleine Aktion, welche sich meistens auf den Block der Ultras Nürnberg beschränkt und irgendwie immer einen Bezug zur Gruppe Ultras Nürnberg herstellt. Frankfurt ist für mich der Vorreiter alles Guten, was Choreografien in Deutschland angeht, weshalb ich die etwas rausnehmen würde. Die hatten schon im Waldstadion Blockfahnen im Einsatz, als woanders noch kein Mensch daran dachte, eine aktive Fanszene zu haben. Es sind vor allem die wirklich großen Szenen - Beispiele wären noch Köln oder Gelsenkirchen -, die sehr stark auf sich selbst fixiert sind.

Im zweiten Teil des Interviews erfahrt ihr mehr über die Wirkung von Choreografien auf die Spieler und Funktionäre Borussia Dortmunds. Ebenso könnt ihr die Durchführung einer Rekordchoreografie verfolgen - Schritt für Schritt vom ersten Gedanken bis hin zum großen Erlebnis im Stadion. Morgen auf www.schwatzgelb.de.

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