Neuer Wind beim BVB Ein bisschen Anstand bitte, Herr Ober? Eine Polemik
Neuer Wind in Dortmund: Trainer Dolls radikale Methoden und Transferpolitik sorgen für Kontroversen.
Trainingslager sind eine tolle Sache. Trainer und ihre Helfer packen ihre Koffer und das versammelte, unter Vertrag stehende Spielermaterial zusammen und fahren in teure Fünf-Sterne-Hotels, vor denen im Idealfall noch ein schöner Rasenplatz zu finden ist. Ein hübscher Wald, in welchem man ein wenig die Beine vertreten kann, sollte auch nicht fehlen. Hier setzen die diplomierten (so sollte es jedenfalls sein) Fußballlehrer dann ihr geballtes Wissen in konzentrierter Arbeit um und formen eine Mannschaft nach ihren Vorstellungen. Hier können Teams entstehen, indem man ein so genanntes "Teambuilding" betreibt, wofür auch heutzutage gerne eigens Psychologen mitgenommen werden, die sich um die gebeutelte Fußballerseele kümmern. Und in diesen Trainingslagertagen entscheiden die Übungsleiter meist, wer denn nun unter den Spielern zu ihren Favoriten zählt und wer nicht.
In Dortmund läuft so was aber unter dem neuen Trainer nun anders. Schließlich sollte (und musste wohl auch) nach der letzten desolaten Saison alles anders werden. So wurde der Kader per Transferaktivität in durchaus größerem Umfang umgestaltet. Und dies durchaus den Vorstellungen des Trainers folgend. Allgemein wurden diese Umbaumaßnahmen in der breiten Öffentlichkeit als sehr sinnvoll, bedacht und planvoll bewertet. Thomas Doll schien klare Vorstellungen zu haben und anders als bei seinem Vor-Vorgänger Bert van Marwijk war der BVB, in Person des Michael Zorc, diesmal auch bereit, diese Vorstellungen umzusetzen.
Allerdings gab es ein Problem bei diesen Bemühungen. Während Christoph Metzelder freiwillig den Weg auf die Reservebank Real Madrids gesucht hatte und die Spieler Pirson, Saka und Meier aus eigenen Stücken eine neue Herausforderung (oder ihr Karriereende) suchten, standen (und stehen) diverse Spieler auf dem Zettel, die Doll nicht mehr wollte, welche aber schwer zu verkaufen waren, bzw. nur ungern ihre teilweise gut dotierten Verträge in Dortmund aufgeben wollten. Es handelte sich genau genommen um die Spieler Ricken, N. Sahin, Amoah, Buckley und bestimmt auch ein Stück weit Steven Pienaar.
Und diese standen offenbar auch Bemühungen im Wege, einen Ersatzspieler aus Hamburg zu holen, welcher der absolute Wunschspieler des Trainers sein soll. Natürlich ist P. Trochowski inzwischen sogar Nationalspieler. Wie genau es dazu kommen konnte, bleibt dem Verfasser jedenfalls genauso ein Rätsel, wie es z.B. im Falle David Odonkor eines war. Aber er war der Wunschspieler des Trainers. Seltsamerweise eigentlich, weil Doll noch im Verlauf der letzten Saison feststellte, dass das BVB-Mittelfeld "zu klein" sei (was die Körpergrößen betrifft), zu langsam und zu zweikampfschwach. P. Trochwoski mag ein begnadeter Fußballer sein, mit einem fulminanten Schussvermögen, aber in erster Linie ist er klein, langsam und in der defensive eher zweikampfschwach. Aber gut, der Trainer-Novize Doll scheint ihn ins Herz geschlossen zu haben. Dabei sei darauf verwiesen, dass Dolls Personalentscheidungen in seiner Hamburger Zeit teilweise grotesk waren, was u.a. zu seinem Scheitern dort führte.
Hatte Thomas Doll schon kurz nach seinem Amtsantritt in Dortmund versucht, alte Fehler aus seiner Hamburger Zeit zu kompensieren, indem er Lars Ricken und Florian Kringe aus unerfindlichen Gründen aus dem Profikader "suspendierte" (um wenige Tage später Florian Kringe wieder zu "begnadigen", eine Posse?), fing er dann wohl an jene Spieler rauszusuchen, mit denen er nicht mehr planen wolle. Ganz oben in der Liste stand dabei der Name Lars Ricken. Eine heikle Sache. Allerdings konnte man den Eindruck nicht loswerden, dass es Doll hier in erster Linie um eine Profilierung an einem "harten Brocken" ging. Sportlich war Ricken inzwischen längst ersetzbar (anders als z.B. F. Kringe), mannschaftsintern jedoch war er noch immer ein Führungsspieler und in der Öffentlichkeit eines der BVB-Symbole. Geradezu wie geschaffen für einen jungen Trainer in seinen ersten Trainerjahren, um an solchem ein Exempel zu statuieren. Erst Recht dann, wenn man bei seiner ersten Trainerstation, durch zu "liebes" Verhalten aufgefallen war und als "Kumpel" der Spieler galt. Und so schritt Thomas Doll zur Tat und demontierte nach und nach einen der ganz großen BVB-Helden. Gewiss, die Tatsache, dass er einen Spieler nicht will, ist sein gutes Recht. Die Art und Weise, einen Spieler, der über 17 Jahre für diesen Verein Großartiges geleistet hatte, in dieser Form auszusortieren, erschien nicht passend.
Doll wusste dabei genau, welche Empfindlichkeiten er damit treffen würde. Aber, die Fans des BVB hielten zunächst still, weil ihr Verein andere Sorgen hatte. Lars Ricken verdingte sich unterdessen durchaus erfolgreich in der Zweitvertretung seines BVB und verhalf diesen schließlich auch zum Klassenerhalt der Regionalliga Nord. Hierfür kehrte er eigens aus seinem Italien-Urlaub zurück. Eine weitere Tat, die zeigte, wie sehr Lars Ricken mit dem BVB verbunden ist. Sie reihte sich ein in jene Zeit, als Ricken als erster einem Gehaltsverzicht zustimmte und auf die Hälfte seines Gehalts verzichtete, als dieser Verein am Boden lag.
Aber nicht genug. Ricken, wie auch D. Buckley und N. Sahin, stellten sich als nach und nach als "unverkaufbar" heraus (während für M. Amoah ein Abnehmer gefunden werden konnte). Eine Malaise. Denn Thomas Doll wollte sie ja nicht mehr, brauchte sie nicht mehr und viel lieber hätte er eben einen P. Trochowski in seinem Kader gesehen. So wurde Doll nicht müde zu sagen, dass z.B. Lars Ricken um "seine Position" wisse und Michael Zorc mit ihm Gespräche führen würde. Es scheint auch durchaus denkbar, dass die Doll zugeschriebene Aussage "Ricken macht unter mir kein Spiel mehr", so auch gegenüber einen Reporter gefallen sein könnte. Die guten Kontakte des T. Doll zum Boulevard waren ja schon zu aktiven Zeiten durchaus bekannt (zuletzt auch in Hamburg).
Es half aber alles nichts. Lars Ricken war nicht loszubekommen. Ricken selbst ging sehr wohl mehr als professionell mit dieser Situation um und sagte, dass ein Trainer nun einmal das Recht habe, sich seine Spieler auszusuchen. Nur er wollte nicht weg von seiner Borussia. Scharfe Ricken-Kritiker, selber im BVB-Fan-Umfeld zu finden, sagten: "Er will nicht weg von seinem Vertrag".
Und so kam es, wie es kommen musste. Und dies nicht nur im Falle des Urgesteins Ricken. Doll, der moralinsaure Prediger des "Jeder fängt bei Null an, jeder hat die gleiche Chance", packte seinen Kaderkoffer für jenes Trainingslager in der Schweiz. Und beließ Lars Ricken und Nuri Sahin dabei in der Plastiktüte für "abgelegte Spieler". Ob Delron Buckley auch in diese "Du hast keine Chance und nutzen darfst du sie auch nicht" -Tüte kommt, scheint noch nicht abschließend geklärt zu sein.
So will Thomas Doll dann Transferpolitik über den Trainingsplan gestalten und verpackt dies unter einer jener Floskeln, die der Trainergilde so eigen sind: Wir wollen konzentriert, mit einem konzentrierten Kader arbeiten? Eine an Unehrlichkeit und Unsachlichkeit nicht zu übertreffende Äußerung. Fakt ist, dass Lars Ricken, Delron Buckley und Nuri Sahin gültige Verträge beim BVB besitzen. Dieser muss sie bezahlen und dafür bieten diese ihre Arbeitskraft an. Mit der Maßnahme des Ausschlusses sollen diese Spieler quasi erpresst werden, um irgendeinem Wechsel zuzustimmen. Weshalb ein Trainer solch gebundenes Kapital dann einfach so "ausschließen" darf, wird wohl das Geheimnis der BVB-Verantwortlichen bleiben. Zumal es an Doppelmoral und Schäbigkeit immer wieder nicht zu übertreffen ist, wie z.B. Trainer sich hier verhalten. Würde in 12 Monaten ein Alex Frei den BVB unter Druck setzen, weil er ein bessere Angebot hat und gerne wechseln würde, so würden sie allesamt, die Verantwortungsträger, aufheulen: ?Die ganze Branche ist verdorben. Verträge gelten nichts mehr?unmöglich!? Dabei sind es zwei Seiten einer Medaille, die hier zusammenkommen.
Leider, aus Sicht eines BVB-Fans, gibt es Vereine, die sich bei solchen Dingen weitaus generöser und vor allem seriöser verhalten. Vor allem dann, wenn es sich um hoch verdiente Spieler handelt, wie es ein Lars Ricken ist oder halt um blutjunge Nachwuchsspieler, bei denen man schlichtweg noch zur Fürsorge verpflichtet wäre. Statt dessen wird ein gerade einmal 18-jähriger Nuri Sahin nach Holland verliehen, weil er sich dort entwickeln soll. Tatsächlich geht es darum, einen Kaderplatz zu "befreien" und in aller erster Linie darum, Geld zu sparen. Solches zeugt nicht von verantwortungsvollem Umgang mit Spielern, die man irgendwann einmal in die eigene Jugend lockte, um sie dort auszubilden. Da geht es immer noch auch um Menschen. Nuri Sahin wird man gesagt haben: "Entweder du machst das jetzt oder du bist weg vom Fenster. Eine reale Chance hier zu spielen, hast du erstmal keine mehr". Was soll dieses gerade erwachsen werdende Kind da wohl entscheiden?
Fälle bei anderen Vereinen haben zudem gezeigt, dass eine starrköpfige Haltung eines Trainers durchaus kontraproduktiv sein kann. Der Fall Cacau in Stuttgart ist da wohl der derzeit bekannteste. Der Trainer A. Veh hatte ihn vor der letzten Saison aussortiert und befand ihn als "nicht brauchbar" für seine Vorstellungen. Der Sportmanager Heldt bemühte sich somit ihn zu verkaufen, was jedoch nicht gelang. Anstatt ihn aber rauszuwerfen, in die Regionalliga zu verbannen, bekam er einfach die Möglichkeit, normal mit der Mannschaft zu trainieren. Auch im Trainingslager. Das Resultat ist bekannt und man sah: Auch Trainer können irren. Selbst dann, wenn sie es nicht gerne hören.
Thomas Doll jedoch macht hier die Fehler eines Anfängers und benimmt sich aus meiner Sicht mit seinem rabiaten Vorgehen durchaus schäbig. Solcherlei Verhalten von Vereinen und Trainern gegenüber Spielern, die unter Vertrag stehen, befinde ich, egal wo, für unsäglich und ungehörig. Und dies eben erst Recht in solchen Fällen, wie es Lars Ricken und Nuri Sahin sind.
Zumal Doll dabei taktische Fehler begeht, wie sie eben einem Anfänger unterlaufen. Er macht mit dem Fall Ricken eine Baustelle auf, deren Ausgang er überhaupt nicht abzuschätzen weiß (so jedenfalls ist der Eindruck). Er will die "harte Hand" mimen, vergisst aber, dass man sich mit solch einer auch wehtun kann. Aber keine Frage, es ist als verantwortlicher Cheftrainer sein gutes Recht, wie es ja auch Lars Ricken sagte, seinen Kader möglichst nach Wunsch zusammenzustellen. Nur, eine alte Lehre des Philosophen Schopenhauers: "Man kann zwar machen was man will, aber nicht wollen was man will". Trainer mögen immer eine Wunschvorstellung haben, wie ihr Kader aussehen soll. In erster Linie können sie dabei aber vor allem beeinflussen, wie ihre "erste Elf" aussieht. Beim Rest müssen sie Flexibilität und "Geschmeidigkeit" mitbringen, weil sie an Restriktionen gebunden sind- z.B. gültige Spielerverträge. Das diese Trainer, die jedes Mal jammern, wenn sie irgendwo entlassen werden, dann gerne zu Methoden greifen, um diese Restriktionen zu umgehen, mag man so feststellen, für richtig muss man es nicht befinden. Und Thomas Doll befindet sich derzeit an der Speerspitze solcher Methodik. Für mich, den Verfasser, bleibt hier die Position: Jeder Spieler, der einen gültigen Profivertrag hat und der sich nichts "Arbeitsrechtliches" zu Schulden hat kommen lassen, darf und muss an allem teilnehmen dürfen, was der gesamten "Belegschaft" auch im Rahmen des Trainingsprogramms ermöglicht wird. Alles andere sind Methoden des Mobbings und Spiegelbild eines ungehörigen Umgangs untereinander.
Es ist dabei insbesondere bei der Personalie Lars Ricken unwürdig und schäbig, dass Doll hier offenbar freie Hand erhält. Ich bin kein Verfechter der These, dass ein Trainer der stärkste Mann in einem Verein sein muss. In diesem Falle wäre ein Machtwort der BVB-Verantwortlichen dringend erforderlich, um dieser Sache das "Schmutzige" zu nehmen. Leider haben sich diese durch die letzte Saison soweit selbst kastriert, dass sie fast gezwungen sind, einen Trainer komplett machen zu lassen, was er machen will. Dabei geht es gar nicht darum, dass Doll sagt, er wolle Spieler x und Spieler y nicht mehr. Absolut legitim ist solches. Es geht darum, dass ein Trainer sich hier fast zwanghaft an einem Spieler profilieren will, dessen Fallhöhe hoch genug ist und der sportlich ersetzbar erscheint (wobei der Verfasser hier durchaus eine andere Meinung hat). Und mit dieser Profilierung versucht er alte Fehler zu kompensieren oder will in Praktika Erlerntes umsetzen, was ihm die Verantwortlichen bei seinem vorherigen Verein versagten.
Es ist jammerschade, dass der durchaus sympathische Thomas Doll hier so taktlos Methoden anwendet, die ich jedenfalls so bei meinem und unseren BVB nicht sehen will. Ich haben den Traum von einem wenigstens "etwas anderen" BVB noch nicht aufgeben und erst Recht werde ich mir nicht durch irgendeinen blutjungen Trainer, der gerade seine ersten Schritte macht, vorgeben lassen, wie es denn so abzulaufen hat. Doll hat hier für mich versagt, eine unsaubere und unschöne Rolle inne und verheddert sich zudem in Widersprüchen, indem er von "Gleiche Chance für Alle" redet, aber es gleich mit dem Hintern umreißt. Auch wenn er Ricken nie mehr aufstellen will oder einen D. Buckley auch nicht, so gehören sie per Vertrag dennoch zu diesem "für Alle".
Ein Ottmar Hitzfeld, der besaß das Gespür für solches. Als er seinerzeit feststellte, dass es für einen Michael Zorc nicht mehr so ganz reichte, da vollzog er den "langsamen Abschied" geschickt und mehr oder weniger würdevoll (allein seine Einwechslung im CL-Finale sei da genannt). Und dies, obwohl beide wohl nie das allerbeste Verhältnis hatte. Ein O. Hitzfeld war gewiss kein Kind von Traurigkeit, aber er hatte es nicht nötig, zum einen sich an Spielern zu profilieren und zum anderen Transferpolitik durch die Hintertür zu betreiben. Er spielte mit offenen Karten und überließ den Fakten das Schaffen von Tatsachen?(indem Spieler dauerhaft unberücksichtigt blieben und so dann irgendwann die Konsequenzen zogen). Auch in den Fällen Michael Schulz oder Frank Mill, seinerzeit durchaus Institutionen in Dortmund, vermochte er durch Fakten Tatsachen zu schaffen, indem er diesen Spielern einfach neue Leute vor die Nase setze und sie so zu einem "Wechsel" brachte.
Doll selbst scheint da noch viel lernen zu müssen. Und er scheint seinen HSV-Komplex noch bewältigen zu müssen. Die Pause vor wenigen Monaten, die zwischen seinem Ende in Hamburg und Einstieg in Dortmund lag, war vielleicht ein wenig zu kurz, um abschließend für sich zu erörtern, wieso er wohl der erfolgloseste Bundesligatrainer des Jahrgangs 2006/2007 wurde. Die Personalpolitik, die er beim HSV mitgetragen hat und mitformte, war desolat und katastrophal. Seine Menschenführung und Kaderführung, nach allem was man aus Hamburg hörte, fehlerhaft. Daraus nur den Schluss zu ziehen, es eben genau umgekehrt zu machen, wäre fatal. Für Doll und für den BVB.
Gewiss, Doll ist ein großes Trainertalent. Eine große Hoffnung für Dortmund, weil er frischen Wind brachte (was auch manchmal eben ein Sturm werden kann). Aber über Art und Weisen einiger seiner Methoden sollte er noch einmal nachdenken?
Mehr Anstand wäre da vonnöten, dies wünsche zumindest ich mir und bin zutiefst enttäuscht, dass solche Verhaltensweisen nun auch in Dortmund Einzug gehalten haben.