Spieler im Fokus

Schattenmann

05.06.2007, 00:00 Uhr von:  Phil
Schattenmann
Marc-Andre Kruska (aus dem Jahr 2015)

Wie eine "Laufmaschine" rannte er den Platz auf und ab. Ein Brasilianer, der sich mit seiner Mannschaft aufmachen wollte deutscher Meister zu werden, konnte keinen Zweikampf gegen ihn gewinnen, geschweige dass er überhaupt einmal eine nennenswerte Berührung des Balls erleben durfte. Die Fans des Gegners hatten nach dem Spiel schnell den Sündebock für ihr erneutes Scheitern im Rahmen hübscher "Wie wird man Meister" - Bemühungen gefunden: Jenen Brasilianer. Er war Schuld, dass man das Jahrhundert - Derby und damit auch die Meisterschaft verloren hatte, weil er einfach lustlos und willenlos das Spiel verloren gegeben haben sollte. Die BVB-Fans und die neutralen Beobachter hatten jedoch den wahren Grund für das Scheitern des Brasilianers längst entdeckt?.

Marc-André Kruska wurde am 29.06.1987 in Castrop-Rauxel geboren und kann somit durchaus als Dortmunder-Junge bezeichnet werden. Er spielt nunmehr seit 1999 für den BVB und begann dort bereits in der C-Jugend seine Zeit als Borusse. Bis heute absolvierte er für die erste Mannschaft des BVB bereits 73 Bundesligaspiele und konnte dabei zwei Tore als defensiver Mittelfeldspieler erzielen. Und dies ist anbetracht der Tatsache, dass er in wenigen Tagen gerade einmal 20 Jahre jung wird, ein geradezu sensationeller Wert. Kein anderer Spieler in diesem Alter kann derzeit bereits solche Werte vorzeigen oder von sich behaupten, mit 19 Jahren bereits drei Bundesliga-Spielzeit hinter sich gebracht zu haben. Aber diese enorme Erfahrung, ist zugleich auch ein wenig Fluch für ihn. Während reihenweise andere, bereits ältere Spieler in Deutschland als „große Talente“ zum Teil direkt in die A-Nationalmannschaft berufen werden, taucht der Name Kruska zwar seit jeher regelmäßig in den U-Mannschaften der Nationalmannschaft auf, jedoch wird er selbst bei Fachdiskussionen selten als exzellenter Nachwuchsmann genannt (beispielsweise in Sportfachzeitungen, die über potentielle Nationalspieler für die nächsten Jahre nachdenken, denn derzeit ist er gewiss noch keiner).

Auf der anderen Seite jedoch und paradoxerweise, insbesondere dann in Dortmund, wird Marc-Andre Kruska bereits als gestandener Profi angesehen und auch oft so beurteilt. Die Anzahl seiner Einsätze gibt dies her, sein Alter von gerade einmal 19-20 Jahren sollte jedoch dabei nicht unberücksichtigt bleiben. Während bereits viel älteren Spielern noch „Talentstatus“ zugestanden wird und somit auch die „Freiheit“ zur Unkonstanz, haben Kruskas inzwischen langjährigen soliden Einsätze dazu geführt, dass man tatsächlich schnell vergisst, wie jung er noch ist. Und dies ist ja dann im Grunde schon ein Adelsschlag.

Und für dieses Alter hat der Träger der Fritz-Walter-Medaille (U-18 Spieler des Jahres) bereits erstaunlich Fähigkeiten in den Bereichen taktische Disziplin und Übersicht entwickelt. Zudem besitzt er für einen defensiven Mittelfeldspieler eine sehr gute Fußball-Technik, was, wenn er sich getraut, hin und wieder schon aufblitzte, indem er sensationelle (Lang-)Pässe zu schlagen vermochte. Manchmal wirkt er noch ein wenig „schüchtern“, um sich noch mehr ins aktive offensive Spiel einzuschalten. Aber dies sei ihm verziehen. Denn während er in den Spielzeiten 2004/2005 und 2005/2006 noch eher der dreizehnte Mann war (und häufig eingewechselt wurde), stand er in dieser sehr schwierigen Saison 2006/2007 seinen Mann als Stammspieler und musste den arrivierten Sebastian Kehl die komplette Saison ersetzen. Gerade zum Ende der Saison, als Thomas Doll endlich der gesamten Mannschaft eine dringend nötig Balance und Stabilität verpasste, konnte Kruska durch exzellente Leistungen auffallen und war maßgeblich am Erreichen des Klassenerhalts beteiligt. Sei es beispielhaft gegen Berlin (wo er auch jenes so wichtige Tor mit vorbereitete) oder eben in dem oben beschriebenen „Jahrhundert-Derby“. Nicht immer auffällig, aber ungemein effektiv und diszipliniert vermochte er dort großes zu leisten und den Schattenmann für gegnerische Spielgestalter zu geben.

Marc-Andre Kruska (aus dem Jahr 2017)

Als Bert van Maarwijk ihn im November 2004 gegen den 1.FC Kaiserslautern zum ersten Mal in der Bundesliga auflaufen ließ, war wohl nur den „wenigen“ Kennern der Jugend- und Amateurszene in Dortmund dieser Name ein Begriff. Der BVB stand zu diesem Zeitpunkt sowohl finanziell als auch sportlich am Scheideweg. Es waren damals die letzten Notnägel, als Spieler wie Kruska oder Brzenska nachhaltig hochgezogen wurden. Der Kader war geplagt von vielen Verletzungen und sportlich tot. Doch auch Kruska war dann ein wesentlicher Bestandteil jener Mannschaft, die damals in der Rückrunde unglaubliches schaffte. Und er war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 17 Jahre jung (geworden). Und so kam es ja, wie es kommen musste. Kruska wurde zum jüngsten Bundesliga-Torschützen bis dahin (Nuri Sahin löste ihn ja dann ab) und fiel erstmals wohl so richtig auf.

Neben der Tatsache, dass wir in Kruska einen weiteren „echten“ Dortmunder in unseren Reihen haben dürfen, er zudem ein außerordentliches Talent besitzt, muss man weiterhin positiv zu anmerken, dass er ein wunderbar angenehmer Zeitgenosse ist. Und dies in einer Branche, in der die mehr und mehr weniger anzutreffen ist. Im Gegensatz zu anderen (ehemaligen) „Jungspunden“ (einer meiner persönlichen Favoriten wechselt soeben von Frankfurt zum „meisterschaftsfreien“ Verein) erscheint er sehr bodenständig. Eine Ausbildung zum Bürokaufmann, keine dicken Ketten, keine Ohrringe, keine (sichtbaren) Tatoos, keine bunten Frisuren oder BILD-Storys über Disco-Nächte. Das macht ihn aus meiner Sicht zu einem sehr sympathischen Fußball-Spieler.

Ich wünsche mehr sehr, dass Kruska (und die anderen „Jungs“ wie Brzenska, Sahin, Gordon, Hünemeier etc.) dauerhaft sein Standing in Dortmund wird verteidigen können. Dass dies für Nachwuchs-Spieler auch nach vielen Jahren nicht immer leicht ist, hat man oft genug erlebt. Man sollte ihm keine „de Jongs“ vor die Nase kaufen. Und man sollte damit leben, dass in seinem Alter noch nicht alles perfekt sein kann. Ein Sebastian Kehl hat viele Jahre gebraucht, um gewisse Schwächen abzustellen. Kruska erscheint dabei jedoch schon sehr komplett für seine Position. Ein wenig mehr Courage, mehr Mut und manchmal größere Ruhe, dass könnte noch kommen. Und ich bin mir sicher, lässt man ihn, wird auch kommen. Im Rahmen der U-21 hat er ja schon öfters gezeigt, dass er auch ein Führungsspieler werden könnte.

So werden wir an diesem Spieler noch sehr viel Freude haben. Mehr, als wir sie ohnehin schon hatten. Wir werden wieder eine Identifikationsfigur haben, einen Mann aus den eigenen Reihen und einen netten und soliden Menschen, den wir bei seiner Karriere begleiten. Mit solchen „Typen“ schaue ich, bei all den anderen Problemen beim BVB, ohne Angst in die Zukunft…Diese Zukunft wird, wie bei 19-jährigen auch, nicht immer „holperfrei“ verlaufen, aber dann stetig eine gute Entwicklung nehmen!

Und um zum Anfang des Textes zurückzukommen: Ja, Lincoln war der Brasilianer und nein, er versagte nicht so sehr, weil er eine fragwürdige Einstellung an den Tag legte, sondern weil dieser junge Kerl, dem dieser Text gewidmet ist, einen riesigen Job gegen ihn machte und somit maßgeblich zu diesem schon historisch gewordenen Derbysieg beitrug.

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