...Andreas Birnmeyer (HSV Supporters Club): "Den klassischen Fußballfan gibt es heute nicht mehr"
Als sich eine Hand voll Borussen vor einigen Jahren dazu aufmachten, den Fans des BVB eine eigene Abteilung innerhalb ihres Vereins zu schaffen, hatten sie kaum mehr als eine vage Vorstellung dessen, was sie alles bei ihrem Vorhaben zu beachten hätten. Um nicht ganz bei Null anfangen zu müssen, entschlossen sich die Initiatoren dazu Unterstützung zu suchen ? der Supporters Club des HSV zeigte sich hilfsbereit und stand mit Rat und Tat zur Seite. schwatzgelb.de sprach mit Andreas Birnmeyer, Geschäftsführer des HSV Supporters Club, über die BVB-Fanabteilung, Fußballfans und deren Rolle im Interessengeflecht des modernen Fußballs.
schwatzgelb.de: Herr Birnmeyer, Sie sind Geschäftsführer des HSV Supporters Club. Was genau hat man sich unter dem Supporters Club und ihrer Tätigkeit vorzustellen?
Birnmeyer: Der Supporters Club als Abteilung des HSV erledigt verschiedene Aufgaben für den Verein, besonders aber für die Fans und dort in erster Linie die Mitglieder. Der HSV hat rund 48.000 Mitglieder, von denen rund 42.000 Mitglieder im Supporters Club sind und dementsprechend in unserer Abteilung verwaltet werden. Von Datenpflege über Mitgliederwerbung bis hin zum Mahnwesen ist da alles mit dabei. Der zweite Aufgabenbereich ist die Fanbetreuung, da beide Fanbetreuer im Supporters Club angesiedelt sind. Sie kümmern sich um die Belange der Fans und dienen als deren Schnittstelle zum HSV. Ebenfalls zuständig sind wir für das Auswärtsticketing, das heißt, wir vertreiben die Eintrittskarten und organisieren Anreisen zu den Auswärtsspielen. Ein weiterer großer Bereich ist unsere Kollektion, die ehrenamtlich von einem Grafikdesigner entworfen, mit unserem Logo versehen und nur an unsere Mitglieder ausgegeben wird. Gerade das Merchandising wird immer wichtiger, da unsere Fans anspruchsvoller werden. Da ist es nicht mehr nur mit Schals und Kappen getan, sondern es werden T-Shirts, Polo-Shirts, Accessoires wie Kartenspiele oder sogar Schlüsselanhänger von uns erwartet. Neben dem Design übernehmen wir Produktion und Vertrieb, den wir über die gleichen Distributionskanäle wie beim Auswärtskartenverkauf – also Onlineshop, Stände im Stadion, et cetera – bewerkstelligen. Das alles heißt in der Summe: Ich habe hier neun Mitarbeiter, dazu studentische Aushilfskräfte und ehrenamtliche Mitarbeiter, die das Tagesgeschäft abwickeln. Ich bin als Geschäftsführer für das operative Tagesgeschäft zuständig und zudem die Schnittstelle zur ehrenamtlichen Abteilungsleitung, die von den Mitgliedern basisdemokratisch gewählt wird.
schwatzgelb.de: Ihre Abteilung wird im nächsten Jahr 15 Jahre alt und gilt in deutschen Fanszenen als Vorzeigeprojekt. Wie kam es damals zur Gründung des Supporters Club und wer hatte die Initiative ergriffen?
Birnmeyer: Das freut uns natürlich zu hören, wenn unsere Arbeit geschätzt wird. Die Initiative ergriffen haben einfache HSV-Fans im klassischen Sinne, ich nenne sie jetzt einfach mal Kuttenfans. Das waren Leute, die richtige Leidenschaft für den HSV und den Profifußball empfanden und sich sehr emotional für Dinge wie Vereinspolitik und eine aktive Teilnahme am Vereinsleben interessierten. Die stellten fest, dass ihnen als Fans in der damaligen Form keine Türen geöffnet waren, um sich dort einbringen zu können. Sie haben den Supporters Club als Abteilung des HSV gegründet, um Einfluss auf die Vereinspolitik und die Gestaltung des Vereinslebens nehmen, mehr Demokratie in den Verein bringen und die eigenen Mitsprachrechte stärken zu können. Der zweite Grund war jedoch genauso wichtig. Wie der Name Supporters Club bereits sagt, ging es im wahrsten Sinne des Wortes um das Supporten – ein furchtbarer Begriff für jemanden, der Englisch kann – und darum, dem HSV nach außen ein neues Gesicht zu geben. Es sollte mehr Transparenz geschaffen und klar gemacht werden, dass es beim HSV auch viele andere Abteilungen und Möglichkeiten gibt, selbst Sport zu treiben. Das alles war das Werk einer Hand voll engagierter, leidenschaftlicher, klassischer HSV-Fans.
schwatzgelb.de: Was musste unternommen werden, um den Supporters Club innerhalb des Vereins zu etablieren? Gab es Gegenstimmen und Kritik an der Interessenvertretung der Fans innerhalb des Vereins?
Birnmeyer: Es gab immer Gegenstimmen und Kritik, damals wie heute. Ich denke, es zeichnet uns als Gesamtverein wie als Supporters Club aus, dass wir zu den unterschiedlichsten Themen die Diskussion und eine basisdemokratische Entscheidung gesucht haben. Und daran wird sich auch zukünftig nichts ändern! Wir möchten wichtige Themen artikulieren und Anliegen unserer Anhänger in den Verein hineintragen. Ich glaube, dass wir die offene, zum Teil sehr kontroverse Diskussion beim HSV ganz gut praktizieren – von den Fans und Mitgliedern angefangen über den Supporters Club bis hin zum Vorstand. Wir verstecken uns nicht mit unserer Meinung, sind aber auch selbst offen für Kritik. Ob das Kritik an unserer Vorgehensweise oder unseren Stellungnahmen ist, spielt dabei keine Rolle. Das gehört einfach dazu und hat uns schon immer begleitet. Die anfängliche Skepsis ist allerdings im Lauf der Zeit einer Art kritischen Betrachtung gewichen, das heißt, es wird nicht mehr unsere Daseinsberechtigung in Frage gestellt, sondern darüber diskutiert, ob wir zu mächtig werden oder zu viele Entscheidungsbefugnisse bekommen. Das wird uns noch in alle Ewigkeit begleiten, weil Traditionalisten und progressive Fans immer wieder aufeinander prallen und deshalb ein großes Konfliktpotenzial vorhanden ist. Was wir diesbezüglich von anderen fordern ist, dass man uns kritisch behandelt, dabei aber fair bleibt. Und dass man dazwischen unterscheidet, was der Wahrheit entspricht und was irgendjemand polemisch von sich gibt.
schwatzgelb.de: Sie sprechen das Thema Konfliktpotenzial an, da möchte ich gleich eine Frage nachschieben. Im Dezember 2006 gab es beim HSV eine Mitgliederversammlung, bei der die Presse ausgeschlossen wurde. Obwohl kein einziger Reporter anwesend war, wurde in beinahe allen Medien von Hetzkampagnen und einem Riesenskandal berichtet. Wie haben Sie sich da verhalten?
Birnmeyer: Das war eigentlich nichts besonderes. In der Satzung des HSV steht, dass die Mitglieder zu Beginn der Versammlung darüber entscheiden dürfen, ob Presse und Gäste zugelassen werden oder nicht. Das stand da schon immer drin, selbst wenn das in den Jahren zuvor nicht so gehandhabt wurde. Aufgrund der sportlichen Krise zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung aufgeladen und die Presse lechzte geradezu nach einem großen Knall bei der Mitgliederversammlung. Schon die Wochen und Monate zuvor wurde kein gutes Haar am HSV gelassen, Trainer, Vorstände und andere Funktionsträger wurden da besonders von den Boulevardblättern sehr heftig angegriffen. Die Mitglieder haben zwar alle Pressevertreter über einen Kamm geschoren, was vielleicht auch nicht richtig war, letztendlich haben sie aber nur ihr Recht in Anspruch genommen, über einen Antrag zu entscheiden. Dass die Medien dann die beleidigte Leberwurst spielten und sich kein bisschen bemühten, sich mit der Satzung auseinander zu setzen, war bedauerlich. Da wurden Aussagen von einzelnen Mitgliedern aus der Distanz aufgeschnappt und zusammengeschrieben, ohne dass irgendjemand wusste, was eigentlich in diesem Saal passiert war. Wir haben daraufhin das Recht der Mitglieder verteidigt und immer wieder darauf hingewiesen, dass nichts anormales passiert war, zugleich aber auch bedauert, dass es seitens einiger Mitglieder Pöbeleien gegen die Medienvertreter gegeben hatte. Natürlich wurde uns deshalb sehr oft vorgeworfen, unsere Mitglieder aufgehetzt und manipuliert zu haben – das war aber völlig falsch.
schwatzgelb.de: Wie ist der Supporters Club strukturiert und was hat sich daran im Lauf der Zeit geändert? Nach welchen Kriterien werden neue Mitarbeiter eingestellt?
Birnmeyer: Das ist unterschiedlich. Wenn ich da mal mit mir anfangen darf: ich habe an der Uni Betriebswirtschaft studiert und somit eine akademisch-intellektuelle Ausbildung genossen, die bei meiner Einstellung für das damalige Aufgabenprofil sicherlich eine Rolle gespielt hat. Wenn wir heute Personal suchen, erstellen wir ein Anforderungsprofil mit verschiedenen Kriterien. Darunter fallen Kompetenz im Sinne von Wissen, Berufserfahrung und Ausbildung, Persönlichkeit und Charakter sowie eine Prognose, welche Entwicklung wir von einem Mitarbeiter erwarten. Das Spektrum ist also groß und ob letztlich ein Diplomsoziologe, Bäckerlehrling oder Industriekaufmann die Kriterien am besten erfüllt, müssen die Vorstellungsgespräche zeigen. Wir wollen loyale Mitarbeiter in einem harmonischen Team haben und verhindern, dass jemand heute bei uns arbeitet, dann nach München geht und letztlich bei diesem anderen Verein in Hamburg landet. Die einzige Bedingung, die wir deshalb an alle Bewerber stellen, ist eine Mitgliedschaft im Supporters Club.
schwatzgelb.de: Über die reine Interessenvertretung hinaus gibt es eine Menge kultureller, politischer und gesellschaftlicher Ziele, denen sich der Supporters Club verbunden fühlen könnte. Was leisten Sie in diesen Bereichen, beispielsweise wenn es um den Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit geht?
Birnmeyer: Wir verurteilen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und alle anderen Arten von Diskriminierung aufs Allerschärfste und bekämpfen diese mit allem Nachdruck. Wir nehmen regelmäßig öffentlich zu diesen Themen Stellung, wenn wir gefragt werden oder das Gefühl haben, uns ganz klar zu diesem Thema positionieren zu müssen. Diesen Dingen bieten wir ganz offen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Stirn und bekämpfen das schon im kleinen Rahmen. Ein Beispiel: Auf der Sonderzugrückfahrt aus Hannover fiel uns ein Fan auf, der wiederholt durch rechtsradikale Sprüche auf sich aufmerksam machte. Als er sich nicht davon abbringen ließ, beantragten wir bei der Bahn einen Sonderstopp und schmissen den Mann gleich am nächsten Bahnhof raus. Hinsichtlich anderer sozialer Aspekte sind wir ebenfalls aktiv – wir sponsern Kinderfeste, Tombolas, beteiligen uns stark bei dem Projekt „HSV-Fans helfen kranken Kindern“ oder auch der Hamburger Tafel, um die gesellschaftliche Bedeutung unseres Vereins hervorzuheben. Gerade in der reichen Stadt Hamburg ist es wichtig darauf aufmerksam zu machen, dass es selbst hier Armut und soziale Härtefälle gibt. Wir vereinigen in unserer Mitgliederschaft einen Querschnitt der Bevölkerung, darunter befinden sich eine ganze Menge Menschen mit großen Geldsorgen. Deren Probleme nehmen wir sehr ernst – diesen Menschen zu helfen ist uns ein großes Bedürfnis, dafür setzen wir uns gerne ein.
schwatzgelb.de: Neben Abteilungen auf Vereinsebene hat sich in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an bundesweit agierenden, vereinsübergreifenden Faninitiativen aufgetan. Findet Kooperation statt?
Birnmeyer: Wir unterhalten uns regelmäßig mit den verschiedensten Organisationen und Gruppierungen, von Faninitiativen über Sicherheitskräfte und Polizei bis hin zu Dienstleistern wie der Deutschen Bahn. Im Rahmen des Supporters Club erledigen wir das im kleinen Kreis, diskutieren und verhandeln hinter verschlossenen Türen. Unsere Mitglieder sollen die Ergebnisse sehen und diese dann bewerten. Wenn wir zum Beispiel in einem Sonderzug keine Polizei dabei haben wollen, müssen wir uns da eine passende Alternativlösung überlegen, mit Bahn und Bundespolizei sprechen und sehen, wer am Ende die besseren Argumente hat. Der Fan bekommt nur das Resultat mit: Hey, da ist ja gar keine Polizei im Zug. Wenn er dann eine Sekunde nachdenkt, wird er sich denken können: Dafür hat der Supporters Club gesorgt. So viel Verständnis bringen unsere Fans und Mitglieder schon mit, dass sie das richtig einordnen können. Anders sieht es aus, wenn wir in vereinsübergreifenden Bündnissen von Fans für Fans aktiv werden. In diesen bringen wir uns sehr stark ein, in einigen Bereichen sogar federführend. Das kann in einem öffentlicheren Rahmen ablaufen, da man gemeinsam versucht, gegen bestimmte Dinge vorzugehen und Lösungen für Probleme zu finden, die alle betreffen. Die Gespräche bleiben zwar auch in diesem Fall intern, allerdings wird öffentlich kommuniziert, was man erreichen möchte und auf was man sich geeinigt hat. Wenn wir der Meinung sind, dass bestimmte Dinge völlig aus dem Ruder laufen, schalten wir da schon mal die Presse mit ein, um die Öffentlichkeit über Missstände zu informieren für unsere Belange zu sensibilisieren.
schwatzgelb.de: Welche Bedeutung haben diese Faninitiativen?
Birnmeyer: Nehmen wir zum Beispiel die Initiative Unsere Kurve, in der sich neben uns auch Dortmunder Fans sehr stark engagieren. Sie ist als Zusammenschluss immens wichtig, weil Themen diskutiert werden, die Fans jeder Couleur betreffen und gleichermaßen belasten. Ob es da um Stadionverbotsrichtlinien, die Ausgabe von Tickets für Spiele der Nationalmannschaft oder Themen wie Fankultur versus Kommerz geht – das sind alles Dinge, die die Fans sehr interessieren und in die sie viel Zeit und Arbeit reinstecken. Sie stellen den Großteil der Zuschauer, haben aber dennoch kaum Möglichkeiten zur Einflussnahme und sind deshalb gerade was sicherheitsrelevante Themen wie Stadionverbote angeht, einer gewissen Willkür ausgesetzt. Wir artikulieren diese Probleme gegenüber Sicherheitskräften und DFB, um den Fans eine Stimme zu geben, auf Missstände hinzuweisen und andere Möglichkeiten des Umgangs mit bestimmten Problematiken aufzuzeigen. Wir halten sehr viel von diesen Interessensgemeinschaften, weil sie uns die Möglichkeit geben, in der Öffentlichkeit unsere Meinung zu vertreten. Unsere Befürchtung ist, dass der Fußball – so wie wir ihn mögen – aufgrund der extremen Kommerzialisierung und des immer weitergehenden Sicherheitswahns leiden und kaputt gehen wird. Diese Einschätzung teilen wir alle und da besteht Einigkeit über sämtliche Vereinsgrenzen hinweg, weshalb diese Zusammenarbeit erst möglich wird.
schwatzgelb.de: Fällt es schwer, die Faninteressen gegenüber den Sponsoren durchzusetzen?
Birnmeyer: Das ist sehr schwierig. Gerade die traditionsbewussten Fans haben sehr große Probleme mit der Verkommerzialisierung des Fußballs. Sie kritisieren das, was Manni Breuckmann mit den Worten kommentiert hat, dass irgendwann einmal die Eckfahne Nutellafahne heißen und das das Ende des Fußballs sein wird. Da stimmen wir ihm alle unisono zu, denn wir verfolgen den Fußball in der Bundesliga und anderen Ligen mit größter Sorge – das Sponsoring hat Auswüchse angenommen, die mit großem Misstrauen betrachtet werden müssen. Wir versuchen deshalb im Supporters Club möglichst ohne Sponsoring auszukommen oder aber dieses auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Wir arbeiten nur mit einer Hamburger Brauerei zusammen, die uns schon sehr lange gut und unkompliziert verbunden ist. Wir machen da kein großes Brimborium drumherum, es ist allerdings auch kein Geheimnis, weil unsere Fans das Bier sehr mögen. Vielleicht muss man noch dazu sagen, dass es in Hamburg zwei große Brauereien gibt – die eine ist die klassische HSV-Brauerei, die zweite steht diesem anderen Verein sehr nahe, der vor kurzem in die zweite Bundesliga aufgestiegen ist und dessen Namen ich aus ihnen verständlichen Gründen auszusprechen vermeide.
schwatzgelb.de: Eine Einflussnahme ist nicht möglich?
Birnmeyer: Nur sehr bedingt. Es gibt reihenweise Sponsoren, die mit uns überhaupt nichts zu tun haben wollen und bei denen es sehr schwer fällt Gehör zu finden. Wir behalten uns in jedem Fall das Recht vor, irrsinnige Maßnahmen in aller Öffentlichkeit zu kritisieren und zu hinterfragen, wenn wir das Gefühl haben, dass gewisse Grenzen überschritten werden – damit kommt eben nicht jeder zurecht.
schwatzgelb.de: Wie sieht das bei den Verbänden aus?
Birnmeyer: Was die DFL angeht, will die vor allem möglichst hohe TV-Einnahmen erzielen, das ist salopp gesagt auch ihre Daseinsberechtigung. Natürlich kritisieren wir die kurzfristigen Spieltagsansetzungen und Zerstückelungen – das ist aber ein typischer Fall für Unsere Kurve, weil dabei Fans aller Vereine betroffen sind. Unser Eindruck ist, dass die DFL sehr viel Gesprächsbereitschaft signalisiert und für unsere Kritik offen ist, in der Umsetzung jedoch einige Probleme hat und sehr langsam agiert. Das mag durchaus mit dem Konstrukt DFL zu tun haben, eine Bewertung diesbezüglich möchte ich mir deshalb nicht erlauben. Trotz allem erkennen wir aber auch den Widerspruch, der in dieser ganzen Thematik begründet liegt. Die Geldmassen, die da heute im Sponsoring und den TV-Verträgen hin und hergeschoben werden, sind überlebenswichtig. Ohne sie kann es den Profifußball heutzutage gar nicht mehr geben, sportliche und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit sind ohne diese Maßnahmen nicht mal ansatzweise denkbar.
schwatzgelb.de: Wenn ich behaupte, Sponsoren und Vereine sähen in den Fans kaum noch mehr als folkloristisches Beiwerk, das auf den Rängen zu jubeln und ansonsten den Mund zu halten hätte – würden Sie mir dann zustimmen?
Birnmeyer: Da steckt eine ganze Menge Wahrheit drin. Sponsoren gehen nur dann ins Stadion, wenn sie wissen, dass die Hütte voll und die Stimmung gut ist. Sonst wäre das eine langweilige Veranstaltung, bei der man sagen könnte: Das kann ich mir in Zukunft sparen. Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sponsoren und Fans, weil die Sponsoren nur dann vernünftig werben und ihre Interessen verfolgen können, wenn das Paket für sie stimmt. Stellen sie sich vor, der HSV würde jede Woche vor 5.000 Zuschauern spielen, die sich gähnend langweilen, und das lauteste was passieren würde wäre, wenn einer mal hustet. Der Return on Investment wäre für den Sponsor gleich null, der HSV würde zur Randerscheinung verkommen. Verein und Sponsor wollen, dass a) das Stadion voll ist und b) eine gute Stimmung kreiert wird, um besonders die teuren Logen vermieten zu können, in denen die Sponsoren c) ihre Kunden mitnehmen und sagen können: Beim HSV gibt’s ein tolles Stadion, tolle Stimmung, da ist was los. Schauen sie sich das mal auf unsere Kosten an. So funktioniert das ganze System. Nun hat sich im Vor- und im Nachgang der WM natürlich einiges geändert. Früher, das wissen Sie ja selber auch, gingen ein paar Kutten zum Fußball, ein paar Hools und ein paar Arbeiter. Wenn da mal 30.000 Leute dort waren, war das viel. Heute sind die Stadien brechend voll, die Zuschauer sind ganz anders. Die genießen das Drumherum, können mit Fußballkultur und dem Fußball, wie wir ihn kennen, schätzen und lieben gelernt haben, zum Teil aber nur sehr wenig anfangen. Dazu sind sie viel zu distanziert, da fehlt oftmals jedes Verständnis. Ich erinnere Sie da an Boris Becker und Steffi Graf. Als die beiden damals erfolgreich Tennis gespielt haben, war Tennis der Sport schlechthin in Deutschland und die Straßen wie leer gefegt, wenn wieder ein Spiel im Fernsehen kam. Momentan ist Fußball in, neue Stadien sind da, die WM ist gut gelaufen, die Gewaltproblematik stellt sich so nicht mehr wie früher und man ist gesellschaftlich anerkannt, wenn man sich mit seinen Freunden im Stadion sehen lässt – da machen wir uns natürlich Sorgen, dass das im Fußball ebenfalls nur eine temporäre Erscheinung sein könnte. Ich glaube es zwar nicht, aber viele Leute behaupten das. Was die Sponsoren angeht, fühlen die sich heute natürlich ebenfalls viel besser als früher. Die haben eigene Parkplätze, eigene Eingänge, bequeme und gute Sitze, werden nett bedient, bekommen gutes Essen – für die wird schlichtweg alles getan. Der normale Fan, als den ich mich auch sehe, will sich mit Bier und Bockwurst hinstellen, um 15 Uhr die Mannschaften einlaufen sehen, ab 15.30 Uhr neunzig Minuten lang seinen Verein leidenschaftlich unterstützen und dann wieder nach Hause gehen. Das Brimborium drumherum mit Show nach amerikanischem Vorbild wollen die klassischen Fußballfans nicht, die Sponsoren aber sehr wohl. Die zentrale Frage, an der sich die Geister scheiden, lautet: Ist das hier ein Fußballbundesligaspiel oder ein Event?
schwatzgelb.de: Ebenso häufig liest man, dass diejenigen Anhänger, die nicht ins Schema des konsumierenden Durchschnittsfans passten, gezielt aus den Stadien gedrängt würden – sei es durch Stadionverbote, übertriebene Sicherheitsmaßnahmen oder eben jene penetrante Belästigung mit ungewollten Showeinlagen.
Birnmeyer: Auch da ist sehr viel Richtiges dran, obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob das in diesem vehementen Maße zutrifft. Meines Erachtens geht man über den Kartenpreis, wenn man das ungewollte Publikum weg haben möchte, welches zwischenzeitlich Scheiße ruft oder sich lautstark über den Schiri beschwert. Diese Leute haben schlicht nicht die finanziellen Möglichkeiten, um sich die stetig steigenden Preise leisten zu können. Als ich damals zum HSV kam, kostete der Stehplatz noch zwei D-Mark und ich empfand es als Frechheit, dass die Preise auf fünf D-Mark angehoben wurden. Heute bekommen Sie keine Karte mehr unter 12, 13 Euro – und das heißt noch nicht mal, dass Sie von dort etwas sehen können. Ich glaube, dass das ein sehr gezielt genutzter Hebel ist, um ungeliebte Fans los zu werden. Da werden Kettenreaktionen in Gang gesetzt: meine Freunde gehen nicht mehr hin, das ganze Brimborium geht mir auf den Keks, jetzt wird auch noch das Bier teurer und so weiter. Über die Schiene Geld können Sie den Leuten den Spaß am Fußball wirklich verderben. Trotzdem glaube ich, dass wir in Deutschland noch auf einem guten Weg sind. Die Karten sind teuer, aber immer noch für die meisten Menschen erschwinglich. In Großbritannien, vor allem in England, sieht das anders aus. Da gibt es bei einem Arbeiterclub wie Chelsea keine Dauerkarte unter 1000 Euro. Die echten Fans gehen einfach nicht mehr hin, was aber auch daran liegt, dass Chelsea ein elitäres und renommiertes Publikum haben möchte. Ein weiteres Problem ist, dass es heute den klassischen Fußballfan nicht mehr gibt, weil die Arbeiterschicht beinahe ausgestorben ist. Da gab es zum Beispiel die Kumpel, die sechs Tage die Woche in die Grube gefahren sind, um sich am Samstag ihren BVB anschauen zu können: verdreckt, stinkend, aber es war ein Spektakel. Für diese Menschen war der Fußball da – heute gibt es den Fußball noch, um dem Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG Hallo sagen zu können.
schwatzgelb.de: Seit dem Rückzug der Hooligans aus den Stadien sind die Ultras immer weiter ins Blickfeld der Medien und Sicherheitskräfte gerückt, umstrittene Sportsoziologen wie Gunter Pilz sprechen mittlerweile gar von einer heranwachsenden Generation der „Hooltras“. Welchen Stellenwert hat heutzutage Gewalt in den Stadien?
Birnmeyer: Es ist immer schwierig auf die Aussagen von Gunter Pilz einzugehen, der uns mittlerweile ja allen ein Begriff ist. Man hat den Eindruck, dass er von alledem was er beobachtet, analysiert, schreibt und verstanden zu haben glaubt, am Ende des Tages doch nicht allzu viel Ahnung hat. Diese Vergleiche und Wortspiele mit Hooligans, Ultras und Hooltras sind schon seltsam, weil die nicht so wirklich viel miteinander zu tun haben. Das ist meine persönliche Meinung, im Team stehen wir diesen Aussagen tendenziell allerdings ähnlich kritisch gegenüber. Natürlich möchte ich Herrn Pilz nicht die Ahnung absprechen, selbst wenn das viele tun und damit vielleicht nicht so ganz Unrecht haben, aber unsere Erfahrungen sehen nun einmal völlig anders aus. Das Hooliganproblem existiert heute nicht mehr wie früher – das heißt aber nicht, dass es keine Hooligans mehr gäbe, denn die brauchen nach wie vor ihren Adrenalinkick. Ihre Verlagerung in Richtung Feld, Wald und Wiese ist dabei sicherlich den sehr restriktiven, mancherorts überzogen restriktiven Sicherheitsmaßnahmen geschuldet, denn in Stadion und Stadionnähe wäre die Gefahr Stadionverbot zu bekommen oder juristisch belangt zu werden viel zu groß. Nach wie vor kommen viele dieser Menschen aus relativ guten Verhältnissen und suchen nur am Wochenende den Boxkampf, um Druck abzulassen, Ärger mit dem Staatsanwalt wollen sie nicht haben. Wir versuchen die Leute hier von der Gewalt abzubringen, weil wir überhaupt nichts davon halten und ihnen klar machen wollen, dass sie damit auch ihrem Verein schaden. Das klappt so weit ganz gut, selbst wenn es immer Ausnahmen geben wird. Das Hooliganproblem stellt sich zwar nicht mehr vordergründig, dennoch sollten wir es im Auge behalten. Im gleichen Maße lehnen wir allerdings auch Gewalt seitens der Polizei ab, die leider regelmäßig völlig überreagiert. Da werden Fans in Sippenhaft genommen, über einen Kamm geschoren, mit Vorurteilen belegt und schikaniert, statt dass verschiedene Fangruppen differenziert betrachtet werden. Das ist der vollkommen falsche Ansatz.
schwatzgelb.de: Welches Verhältnis haben sie zu den Hamburger Ultragruppierungen?
Birnmeyer: Die Ultraszene ist eine interessante Sache. Ultras sind größtenteils für die Stimmung verantwortlich und basteln schöne Choreografien, lassen sich in der Regel – genau hängt das von der jeweiligen Gruppe ab – aber nur schwer in unser Gesamtkonstrukt integrieren. Sie wollen autark sein, ihr Ultradasein leben und sich nicht unterordnen, wofür ich einige Sympathien hege. Die Ultras greifen Themen auf, die ohne sie und ihren hartnäckigen Einsatz niemals in der Öffentlichkeit thematisiert werden würden – das sind Themen wie Kommerzialisierung und Sicherheitsvorkehrungen, genauso aber banale Dinge wie der Kartenvorverkauf für Spiele der Nationalmannschaft und Stimmung im Stadion. Kritisch stehen wir den Ultras deshalb gegenüber, weil sie manchmal über die Stränge schlagen und meinen, sich aufgrund ihres Ultradaseins mehr herausnehmen zu können als andere. Das ist eine Fehlinterpretation, was ihnen klar zu machen nicht immer leicht ist. Insgesamt ist die Ultrabewegung jedoch eine begrüßenswerte Sache und sehr wichtig für den Fußball.
schwatzgelb.de: Ist es überhaupt sinnvoll, möglicherweise gewaltbereite Fans aus ihrem gewohnten Umfeld im Stadion auszuschließen? Sie könnten vor den Stadiontoren auf gewaltbereite Fans der gegnerischen Vereine treffen, das Risiko läge damit um ein vielfaches höher. Besonders die zu Unrecht ausgesperrten Fans könnten in brenzlige Situationen geraten, die innerhalb des Stadions niemals entstehen würden.
Birnmeyer: Grundsätzlich kann ich mir das vorstellen und es mag sein, dass das anderenorts tatsächlich so passiert. Wir haben damit aber keine Erfahrungen gemacht, weshalb ich darauf nicht im Detail eingehen möchte. Nur eines kann ich sicher sagen: Nur weil das in Hamburg nicht der Fall ist, heißt es nicht, dass es in anderen Städten nicht vielleicht sogar ein akutes Problem darstellt.
schwatzgelb.de: Viele Politiker zeigen sich gerne in Fußballstadien, um Bürgernähe zu präsentieren und regionale Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Ist es in auch Hamburg gute Sitte, als Bürgerschaftskandidat einen öffentlichen Fanbezug zum HSV herzustellen?
Birnmeyer: Sicherlich gibt es in der Hamburger Bürgerschaft einige Vertreter, die dem Fußballsport zugeneigt und mit den Herzen beim HSV sind, leider wird es aber auch solche geben, die diesen komischen Verein aus dem Hafen toll finden. Damit wird in Hamburg jedoch nicht hausiert. Ab und zu kommt der erste Bürgermeister zum HSV, manchmal der Innensenator – das wird dann entsprechend publiziert. Es ist aber nicht so, dass sich Herr von Beust selbst als größten HSV-Fan überhaupt bezeichnen würde. Das würde ihm auch kein Mensch abnehmen, da kämen dann sofort Gegenfragen: Wenn du so toll bist, warum warst du dann nicht mit in Gelsenkirchen? Da spürt man die hanseatische Zurückhaltung, zumindest beim HSV. Wie das bei dem anderen Verein fünf Kilometer in Richtung Wasser aussieht, kann ich nicht beurteilen.
schwatzgelb.de: Gerhard Schröder beispielsweise machte nie einen Hehl aus seinen Lieblingsclubs – von Borussia Dortmund über Hannover 96, Hertha BSC, Energie Cottbus und seit neuestem Gelsenkirchen und Zenith Sankt Petersburg war da schon einiges mit dabei...
Birnmeyer: (lacht) Das ist genau das, was ich meine: lächerlich und völlig daneben. Da spielt es keine Rolle, ob man Sympathien für einen Politiker hat oder nicht, aber das ist total unglaubwürdig.
schwatzgelb.de: Allerdings nicht unglaubwürdig genug, dass er damit alleine stünde. Quer durch alle Parteien und Positionen gibt es derartig flexible Fans zu bewundern.
Birnmeyer: Das ist richtig, bei Schröder wird das aber besonders deutlich. Heute Hertha, morgen Dortmund und dann Gelsenkirchen – damit macht er sich lächerlich. Das ist ein Widerspruch in sich und grundsätzlich unmöglich. Mit so etwas verliert er viel Glaubwürdigkeit, denn jeder normale Fußballfan wird sich fragen, wie so etwas denn gehen soll. Da leben – ich sage es mal ganz salopp – einige Menschen ihre Profilneurosen aus und drängen sich zwanghaft in den Vordergrund, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Im Gegensatz dazu haben wir mit Olli Dittrich, Dittsche, ein echtes Positivbeispiel. Er ist seit vielen Jahren eingefleischter HSV-Fan, hat eine Dauerkarte und ist wirklich bei sehr vielen Spielen mit dabei. So oft es geht, fährt er bei den Auswärtsspielen mit, seine Liebe zum HSV ist definitiv nicht nur Bestandteil seiner Fernsehsendung. Dittsche ist ein angenehmer Typ, leidenschaftlich dabei und trotzdem nicht effekthaschend. Das finde ich höchst respektabel, sein Fandasein würde hier absolut niemand in Frage stellen. Und das ist der Unterschied zu Schröder. Der will überall dabei sein, kann das aber alleine schon aufgrund der vielen Mannschaften nicht. Dass mit Sankt Petersburg nun plötzlich noch ein russischer Club dabei ist, ist ganz schlimm. Klassisch hat man einen englischen Verein mit dabei, aber ein russischer? Wo gibt’s denn so was? Tut mir leid, aber das geht gar nicht.
schwatzgelb.de: Interessant würde dieser Aspekt genau dann, wenn Personen mit Entscheidungsmacht in den VIP-Bereichen auf Unternehmer mit dem nötigen Kleingeld träfen. Wenn man diversen Berichten Glauben schenkt, werden dort mitunter Verträge geschlossen, deren Auftragswerte in die Millionen gehen. Stehen die Fans dort nur im Weg oder wäre es denkbar, dass sich organisierte Fangruppen diese Verhältnisse zunutze machen könnten?
Birnmeyer: Es wäre schön, wenn man das ausnutzen könnte, ich glaube aber nicht, dass es wirklich möglich wäre. Das liegt zum einen daran, dass die meisten Fans gar nicht wissen, dass so etwas stattfindet. Sie vermuten es vielleicht, haben aber – und das ist der zweite Punkt – keinen Zutritt zu diesen Bereichen und können es daher gar nicht wissen. Diese Gespräche finden in einem Rahmen statt, der den normalen Fans immer vorenthalten bleiben wird, wobei ich persönlich schon diese Ausgrenzung für ein absolutes Unding halte. Es wäre klasse, wenn sich die Fans in diesen Kreisen Gehör verschaffen und auf ihre Sorgen und Nöte hinweisen könnten – besonders bei den Politikern, die etwas bewegen können und so ehrlich wären, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Leider ist das in der Realität aber nicht der Fall, da geht es um große Deals mit anderen Wirtschaftsbossen oder Verträge mit neuen Spielern. Die Fans nerven nur, die wissen eh nix ist die typische Haltung, ansonsten wird man gerne mit der Aussage Was wollt ihr überhaupt? Ohne unser Geld wärt ihr gar nicht hier abgewimmelt.
schwatzgelb.de: Welche Ziele müssen verfolgt werden, wenn man die Interessen der Fußballfans langfristig stärken möchte? Gibt es Etappenziele, die unbedingt erreicht werden müssen?
Birnmeyer: Wir wünschen und fordern, dass Fans mehr Mitspracherechte bekommen. Das gilt sowohl für ihre Position innerhalb der Vereine, als auch in den Verbandsgremien. Fans sollen ihre Anliegen dort äußern können, wo man sich konstruktiv mit ihnen beschäftigt und nicht nur müde belächelt. Das halte ich nicht nur für wichtig, sondern auch für realistisch. Außerdem wünsche ich mir, dass die willkürliche Ausgrenzung der Fans, sei es durch Stadionverbote oder Maßnahmen der Preispolitik, ebenso wie der Austausch normaler Fans durch VIP-Besucher ein Ende nimmt. Das ist auf Dauer nicht gut für den Fußball, darunter leidet zwangsläufig die Stimmung. Der Fußball muss auch zukünftig leidenschaftlich gelebt, Vereinstraditionen bei einigen Vereinen wiederbelebt werden. Die Bundesliga darf nicht als Rampenlichtevent für bestimmte Personen missbraucht werden. Fußball ist ein Massensport im klassischen Sinn und lebt von der Breite des einfachen Publikums, das den Sport in all seinen Formen emotional lebt. Wir haben in Hamburg über den Supporters Club schon einige Schritte in die richtige Richtung machen können, mittlerweile haben auch andere Vereine die Möglichkeiten entdeckt, die in diesen Fanabteilungen liegen. Dortmund, Frankfurt oder Mönchengladbach kann man da als Beispiele heranziehen.
schwatzgelb.de: Wie sie bereits erwähnen, wurde in Dortmund vor vergleichsweise wenigen Jahren die Fanabteilung gegründet. Wenn ich mich nicht täusche, haben sie den Initiatoren damals beratend zur Seite gestanden – welche Tipps haben sie gegeben?
Birnmeyer: Unterschiedliche! Wir haben als allererstes gesagt, dass sie auf jeden Fall dafür sorgen müssen, Mitspracherecht im Verein zu bekommen und eine Abteilung des BVB zu werden. Das ist unbedingt notwendig, wenn man wachsen und langfristig erfolgreich arbeiten will – ansonsten wird man von niemandem für voll genommen. Das war der wichtigste Hinweis. Daneben haben wir ganz klar gemacht, dass die Gründung einer Abteilung durch eine Hand voll Fans wahnsinnig viel Arbeit macht, Durchhaltevermögen erfordert und Rückschläge mit sich bringen wird, die man durchstehen können muss. Es werden sehr viel Idealismus, Eigeninitiative, Zeit, Energie, Kraft, Flexibilität und Aufwand nötig sein. Seid euch bewusst, welche Opfer ihr bringen und wie viel Zeit ihr investieren müsst. Ganz wichtig war eine gute und möglichst billige Werbekampagne, mit der man möglichst viele BVB-Fans gleich zu Beginn von der Fan- und Förderabteilung begeistern und zum aktiven Einsatz bewegen können sollte. Darüber hinaus haben wir weitere Hilfe zugesagt, weil uns natürlich selbst viel daran gelegen war, dass diese Abteilung in Dortmund erfolgreich werden würde. Man darf nicht immer nur auf sich schauen, sondern muss von anderen Vereinen lernen, wie diese Dinge dort geregelt werden. Ob Hamburg, Frankfurt oder Köln ist egal, da kann man sich immer etwas abschauen und die eigene Arbeit anschließend kritisch hinterfragen. Diese Kritik war schließlich der letzte große Punkt, auf den wir hingewiesen haben: Reagiert nicht beleidigt, sondern seid offen und hört euch jede Kritik an. Seid ehrlich und sucht auch innerhalb eurer Verantwortung nach Fehlern, das kann Wunder bewirken.
schwatzgelb.de: Gab es Ihrerseits auch Tipps zur Finanzierung?
Birnmeyer: Selbstverständlich. Die Frage nach der richtigen Finanzierung war sogar ganz wesentlich, weil sich die Beteiligten damals gar nicht bewusst waren, wie viel Geld das alles kosten würde. Will man über Mitgliedsbeiträge gehen, kurzfristig große Aktionen zur Mitgliedergewinnung und Finanzierung durchführen oder sich einen Sponsor im Hintergrund halten? Das muss man sich alles erstmal überlegen! Wir haben zwar grundsätzlich von Sponsoren abgeraten, weil wir glauben, dass eine solche Abteilung von alleine wachsen kann und Sponsoren letztlich immer irgendeinen Einfluss nehmen wollen, haben die Entscheidung aber den Verantwortlichen überlassen.
schwatzgelb.de: Sie meinen Einfluss nehmen wie bei einem Verein, dessen Fans nun das große Gazpromlogo auf ihren Trommeln stehen haben müssen?
Birnmeyer: Also bitte, das ist doch das Allerletzte! Genauso diese Gazprombahn, die da irgendwo durch die Gegend fährt – hallo, wo gibt’s denn bitte so was? Das ist so ziemlich der schlimmste Einfluss, den ein Sponsor überhaupt nehmen kann und den man als Fanabteilung in absolut jedem Fall verhindern muss. Es gibt nichts schlimmeres als einen Sponsor, der immer wieder mit Geld aushilft und sich dann bei aufkommender Kritik einschaltet, um diese Kritik zu unterbinden. So was geht in gar keinem Fall.
schwatzgelb.de: Besteht heute noch Kontakt zwischen der Fanabteilung und dem HSV Supporters Club? Haben sie die Entwicklung in Dortmund verfolgt?
Birnmeyer: Wir betrachten die Entwicklung in Dortmund aus der Distanz. Wir haben regelmäßig die Treffen der Interessengemeinschaft Unsere Kurve, treffen uns aber auch bei den Heim- und Auswärtsspielen gegen Borussia Dortmund mit Vertretern der Fanabteilung. Bei unserem letzten Heimspiel haben uns 15 Dortmunder Fans besucht, die wir durch unser Museum und unsere Räumlichkeiten geführt haben, um ihnen ein Gefühl dafür zu geben, wie so eine Arbeit aussehen kann. Leider konnte bei der DFB-Fantagung in Leipzig niemand aus der aktiven Fanszene des BVB dabei sein, weil in Dortmund eine wichtige Hochzeit stattfand, zu der die ganze Gemeinde pilgern musste (lacht). Doch um ihre Frage noch einmal konkret zu beantworten: Ich denke, die Umsetzung der Fan- und Förderabteilung ist den Dortmundern sehr gut gelungen und der BVB befindet sich hier auf einem erfreulichen Weg.
schwatzgelb.de: Welchen Rat würden sie abschließend den Fans geben, die noch keine eigene Abteilung innerhalb ihres Vereins haben? Lohnt es sich, derart viel Arbeit in eine eigene Interessenvertretung zu investieren?
Birnmeyer: In jedem Fall! Wenn da etwas organisch wachsen kann, kreiert werden kann oder wenn etwas positives bewirkt werden kann, macht das sehr viel Sinn. Wir werben ganz offensiv dafür, besonders bei den Vereinen, die daran noch nicht gedacht haben. Wir versuchen klar zu machen, welche Chancen darin liegen können – vertretet eure Interessen, verschafft euch Gehör und sorgt dafür, dass ihr ernst genommen und eingebunden statt ausgesperrt und belächelt werdet! Lasst euch nicht als Gewalttäter abstempeln, sondern organisiert euch und das am besten in Vereinsabteilungen. Nur dann nehmen euch die Leute ernst! In dieser Richtung betreiben wir ganz starke Lobbyarbeit, um den Vereinen klar zu machen, dass mittel- und langfristig sehr viele Fans von diesen Strukturen profitieren werden. Selbst beim FC Bayern ist wohl mittlerweile die Erkenntnis eingekehrt, dass es mit dem Diktat von oben durch Hoeneß und Rummenigge nicht mehr weitergehen kann und Initiative von unten gebraucht wird. Diese Fans haben den schwierigsten Weg von allen vor sich, da in München seit Jahren eine komplett andere Schiene gefahren wird. Wenn wir dabei helfen können, stehen wir gerne zur Verfügung, denn eine starke Fanszene in München würde den Bayern richtig gut tun. Und das schöne daran: sie müssten dabei nicht mal auf ihren ach so geliebten sportlichen Erfolg verzichten.
schwatzgelb.de: Vielen herzlichen Dank für das ausführliche und interessante Interview, Herr Birnmeyer!