Ich bin froh, dass du da bist?
Dies soll kein ausgewogener Bericht über einen Spieler Borussia Dortmunds werden, von denen es so viele gibt. Es soll vielmehr eine Liebeserklärung an einen besonderen Spieler werden, der sich eine besondere Behandlung verdient hat.
Seit dem 01. Juli 1990, also mehr als 16 Jahren, ist er nun Vereinsmitglied und Spieler des Ballspielvereins Borussia aus Dortmund. Und er musste dafür keinen Wohnortwechsel durchführen, ist er doch eben in der Heimstadt dieses Fußballvereins geboren worden. Er ist ein Spieler, der durch Zitate auffällt wie „Ich kann versuchen, die Tradition und die Philosophie dieses Vereins und der Stadt in die Mannschaft zu tragen“ oder „Ich kann mir vorstellen, dass ich nach meiner Karriere wieder als ganz normaler Fan auf der Südtribüne stehe“. Wohlgemerkt entstanden diese Aussagen zu einem Zeitpunkt, als Borussia Dortmund sowohl finanziell vor dem Exodus stand, als auch sportlich in eine tiefe Depression rutschte.
Auch bei dem Amas immer mit vollem Einsatz
Er war einer der ersten Spieler zu diesem Zeitpunkt, die ohne langes Zögern bereit waren, auf 20 Prozent seines Gehalts zu verzichten, weil dies für den beinahe illiquiden Verein überlebenswichtig war. Seine Begründung, diesen Schritt ohne Murren mitzugehen, mutet noch heute wie von einem anderen „Fußball-Planeten“ an. Er erklärte, dass er sicherlich in den erfolgreichen Zeiten auch finanziell in großem Maße an diesen Erfolgen partizipiert hätte und nun eben auch in schlechten Zeiten Abstriche machen müsse.
Es geht um Lars Ricken
Lars Ricken, der es immerhin auf 16 Länderspiele brachte und bis heute ca. 300 Bundesligaspiele (49 Tore), der dreimal Deutscher Meister mit dem BVB wurde und die Champions-League maßgeblich mit gewann. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Lars Ricken auch Vize-Weltmeister 2002 wurde (wenn auch ohne Einsatz), Europameister 1992 mit der U16-Nationalelf und Vize-Europameister mit der U18.Damals war Ricken der Mann für die entscheidenden Tore, sei es in vielen UEFA-Cup-Spielen oder Champions-League-Duellen. Seine Erfolgs-Geschichte, die des BVBs in diesen Zeiten, ist hinlänglich wohl jedem, der diesen Text lesen wird, bekannt und muss deshalb nicht an dieser Stelle im Detail nochmals erzählt werden. Viel wichtiger erscheinen jene Jahre, in denen Lars Ricken sportlich langsam aber sicher immer mehr in der Versenkung verschwand. Spätestens nach der Saison 2001/2002 sank der Ricken-Stern immer mehr. Von noch mehr Verletzungen gebeutelt, vom Trainer missachtet, ja selbst von den eigenen Anhängern gescholten. In immer unruhigeren Zeiten beim BVB (ab Saison 2004/2005) wurde ausgerechnet Lars Ricken unter Beschuss genommen. Man fing an einen der Helden und vielleicht die Identifikationsfigur zu stürzen. Aus schnödem Erfolgsdenken heraus, auf der stetigen Suche nach Sündenböcken geriet ausgerechnet jener Lars Ricken ins Fahndungsraster. Ein unglückliches Interview reichte und es schien beinahe so, als wäre das Kapitel Lars Ricken damals unwürdig zu Ende gegangen und kaum einer hätte es wirklich als Drama empfunden. Ricken galt als überbezahlt, übergewichtig, „überlangsam“, Verletzungen anziehend und insgesamt als gescheitert.
Ein Gesicht, dass Bände spricht
In jener Saison, in der sein und unserer BVB jedoch völlig am Ende seiner Kräfte war zeigte sich nochmals, was man an solcherlei Spielern hat, dass man alles andere als von einem Gescheiterten sprechen sollte. Jedenfalls dann nicht, wenn man in einem Fußballprofi nicht nur den Einzelakteur mit überdurchschnittlichem sportlichen Talent und guter Form sieht. Der BVB stand am Ende der Vorrunde 2004/2005 sportlich vor dem Offenbarungseid. Man konnte ohne großes Zögern sagen, der BVB war die schwächste Bundesligamannschaft zu diesem Zeitpunkt. Man war zwar nicht Tabellenletzter, aber die Kurve zeigte gewaltig nach unten und nur wenige Punkte trennten einen vom diesem Tabellenplatz. Zusätzlich schlingerte das BVB-Schiff im Grunde führungslos in seine seiner schwersten finanziellen Krise umher und beinahe täglich drohte die Insolvenz und das mögliche AUS. Auch diese „Story“ dürfte in ihrer Komplexität jedem bekannt sein.
Zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, wie wichtig ein Spieler wie Lars Ricken im BVB-Kader war und ist. Er im Zusammenspiel mit einigen anderen deutschen Spielern im Kader war es, der in der Winterpause eine Trendwende erreichte, indem er mit seinen Mitstreitern dem restlichen Kader deutlich machte, worum es geht. Er spielte dabei wohl die Karte des spielenden BVB-Fans, die Karte des in Dortmund geborenen und mit diesem Verein tief verbundenen Spielers. Es gelang eine erstaunliche sportliche Wendung. Die Rückrunde wurde zur besten in der BVB-Geschichte und Lars Ricken nahm sogar auf dem Platz dabei einen wichtigen Platz ein.
Vergessen waren bei den Fans die Schmähungen, auch wenn man ihn noch immer für nicht wirklich durchtrainiert und fit hielt. Aber er war und ist noch immer einer hervorragender Torjäger und Vorbereiter und davon hat und hatte der BVB speziell im Mittelfeld nicht genug. Und er war ein Leader, ein Spieler, der mit Herz und Seele für seinen BVB rannte, kämpfte und Tore schoss. Auch der ihn nie liebende Trainer van Maarwijk kam in dieser Zeit nicht an ihm vorbei. Leider holte ihn dann sein altes Problem wieder ein und er erlitt einen für Dortmunder Regionen üblichen Kreuzbandriss. Mittlerweile ist er wieder gesund und hat schon wieder einige Minuten in der Bundesliga mimischen dürfen. Nicht zu vergessen, dass Lars Ricken in all den Jahren beim BVB auch immer ohne jedenfalls großes Murren bereit war für die zweite Mannschat in der Regionalliga oder Oberliga anzutreten ohne dort in der Regel den Eindruck zu hinterlassen, dass dies unter seinem Niveau sei.
Lars Ricken war und ist, in all den Jahren, erst Recht in denen der „großen“ Stars, immer ein Dortmunder Junge geblieben. Eine Identifikationsfigur und eine Projektionsfläche für die seltene Spezies der Fußballprofis die „treu und fest“ zu ihrem Verein stehen, egal welche Zeiten dieser durchlebt. Ein Profi, der zwar auch viel Geld verdient, aber der niemals das vergessen hat, worum es eigentlich mal gehen sollte. Für seinen Verein spielen, für seine Anhänger und „Freunde“ und dies bedingungslos. Keine Frage, Lars Ricken hatte auch Glück, dass er seinerzeit in den Profikader des Ottmar Hitzfeld getragen wurde. Er hatte Glück in einer gigantisch starken Mannschaft mitwirken zu können und blieb wohl auch deshalb dem BVB erhalten. Damals war es keine „Heldentat“, den BVB nicht zu verlassen. Es gab wohl kaum besseres, sportlich wie finanziell. Und natürlich hat auch er dem BVB viel zu verdanken. Auch in dunklen Momenten seiner Karriere konnte sich Ricken immer darauf verlassen, dass der BVB ihn nicht fallen lassen würde. Man mag ihn nicht vergleichen mit einem Lukas Podolski, dessen Abgang aus Köln Richtung München letztlich nur logisch war, weil er schlichtweg in einem Verein „verwurzelt“ war, der ihm keinen ausreichenden sportlichen Rahmen bieten konnte. In diesem Punkt hatte Ricken sicherlich halt das Glück, welches oben beschrieben wurde.
Insbesondere aber in den schweren Tagen des BVBs zeigte sich, aus welchem Holz dieser Lars Ricken geschnitzt ist und wie glücklich wir uns schätzen sollten, noch einige Jahre solch einen Spieler und Charakter im Kader zu haben.
Lars Ricken ist sicherlich ein Anachronismus. Er steht für viele zum einen für erfolgreiche und „glorreiche“ Zeiten. Unvergessliche Momente bringt man mit ihm in Verbindung, wie mit kaum einem anderen BVB-Spieler „unserer“ Generation. Er ist eine Legende, bei vollem Bewusstsein über die heutzutage inflationäre Benutzung dieses Begriffs. Ich, der Autor, kann da nur jenes Tor gegen Deportivo La Coruna anführen, welches für mich bis heute DAS Tor meines „Fanseins“ ist. Viele weitere „Lars-Ricken-Tore“ sind allen bekannt und jeder hat sie wohl auf tief in seinem Gedächtnis gespeichert. Zum anderen gehört er zu einer Spezies Fußballspieler, die man zumindest in der Bundesliga nur noch selten findet. Vereinstreue Spieler kann man wohl als anachronistisch bezeichnen. Umso schöner, dass es sie noch gibt, und wir solch ein Exemplar bei uns haben.
Ohne Frage, Lars Ricken hat nie den Status erreicht, den er hätte erreichen können. Er war zu verletzungsanfällig und vielleicht in seinen jungen Jahren auch oft nicht gut beraten in seiner Außendarstellung (vielleicht manchmal auch nicht professionell genug). Er hatte mit dem „eigenen Stall“-Status zu kämpfen und wurde als Allrounder jahrelang „missbraucht“ (er spielte wohl schon auf fast jeder Position in seiner Karriere), während ihm gleichzeitig massenweise teure Stars vor die Nase gesetzt wurden.
Helden und Legenden stehen außerhalb jeder Kritik
Und dennoch ist er oder gerade wegen dieser kurvenreichen Karriere, wie geschrieben, jetzt schon eine BVB-Legende, wenigstens einer der großen Helden, und eine besondere Erscheinung am Firmament der Fußballwelt. In den derzeitigen Tagen könnte sein „Sternlein“ erneut zum Leuchten kommen. Gilt er inzwischen doch wieder als Hoffnungsträger für eine sportlich etwas „müde“ Mannschaft und wird als Initialzünder gehandelt. Man wird sehen, ob er nochmals und erneut etwas zum Gelingen der BVB-Geschicke im positiven beitragen kann. Man würde es sich für ihn, als auch für die ganze Mannschaft, wünschen. An der Bewertung des Spielers Lars Ricken ändert dies alles jedoch nicht mehr viel!
Lars, ich bin froh, dass du da bist, dass du da warst und möchte mich an dieser Stelle als BVB-Fan tief vor dir verbeugen ob der Dinge, die du für diesen Verein getan hast. Und sei dir gewiss, ich würde mich an sich vor keinem einzigen Fußballprofi verneigen, zu seltsam mutet diese Geschäft in diesen Tagen für mich an. Für dich jedoch mache ich in vollster Überzeugung eine Ausnahme! Und ich wünschte mir, dass bis in den letzten BVB-Fankopf diese undifferenzierte (will ich gerne zugestehen) Liebeserklärung Einzug hält und du dich nie wieder mit merkwürdigen Kritiken auseinandersetzen musst! Helden und Legenden stehen außerhalb jeder Kritik…