DVD "The Final Kick"
Wo waren Sie am 17. Juli 1994? So in etwa könnte die Frage lauten, die der Dokumentarfilm "The Final Kick" von Andreas Roggenhagen zwar nicht stellt, dafür aber für Hunderte Menschen rund um den Globus beantwortet. Auch für Roberto Baggio übrigens, dem man diese Frage besser nicht stellen sollte, denn der Film behandelt das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschafft zwischen Brasilien und Italien, und mit einer Armada an Kollegen rund um den Globus zeigt der Filmemacher gewöhnliche Menschen dabei, wie sie das Finale vor dem Fernseher verfolgen. Aus Klöstern, Gefängnissen, Harems oder einfachen Wohnzimmern.
Etwa zwei Milliarden Menschen haben das erste und bislang einzige WM-Endspiel verfolgt, dass im Elfmeterschießen entschieden wurde, und schon nach den ersten Szenen wird deutlich, dass Andreas Roggenhagen offenbar beabsichtigte, möglichst vielen dieser zwei Milliarden dabei über die Schulter zu schauen. Bildmaterial aus 40 Ländern bringt dem Zuschauer die globalen Reaktionen auf den Spielverlauf näher, die emotionalen der Fans von Selecao und Squadra Azzura wie die nüchternen aus Neuseeland, Slowenien, Weißrussland, Namibia oder dem Oman.
Leider verstrickt sich der Film dabei schnell in seiner eigenen Idee. Das Spiel wird chronologisch aufgearbeitet, der Film beginnt mit dem Anstoß und endet mit der Pokalübergabe, aber auch die Zuschauerreaktionen wurden mit Hilfe zeitsynchronisierter Kameras exakt den Spielszenen zugewiesen, auf denen sie basierten, so dass ein munterer Wechsel zwischen Spiel und fußballerischer Weltreise beginnt. Etwas zu munter, denn wenn 56 Minuten Film mit einem Fußballspiel samt Szenen aus 40 Ländern gefüllt werden, bleibt schnell etwas auf der Strecke. Hier: die Übersicht.
Irgendwann hat der Zuschauer schlicht vergessen, ob die portraitierten Zuschauer, die er gerade sieht, nun aus Istanbul stammen oder doch aus Algier. An dieser Stelle wünscht man sich darum auch schnell etwas weniger Weltreise-Eifer des Regisseurs, die Hälfte der besuchen Länder hätte es auch getan.
Zumal der Film selbst in den wirklich kurzen Einblendungen nicht ohne Klischees auskommt: Die Deutschen feiern – nach wo wohl? – in Herne am Kanal, in Finnland stapft ein Elch durch die Landschaft, in Weißrussland dreht man im Gefängnis und die Brasilianer versammeln sich kollektiv am Strand. Nunja.
Dabei bleiben wirklich interessante Informationen auf der Strecke. Dass die Belegschaft einer iranischen Autofabrik in Wahrheit nur dank der Filmemacher und der staatlichen Propaganda in den Genuss eines kollektiven Fußballabends kommt, bleibt im Film völlig unerwähnt, da dieser durchweg ohne Kommentar daherkommt. Wer sich nicht die Mühe macht, sich die Länderinfos aus dem Bonusmaterial zu Gemüte zu führen, bleibt darüber ebenso im Unklaren wie über den Grund des kolumbianischen Trauerzugs, der in der Halbzeitpause gezeigt wird und dem erschossenen Andres Escobar gilt.
Dafür, dass das 94er Finale nicht unbedingt zu den unterhaltsamsten der FIFA-Geschichte gehört, können die Macher hingegen wenig, es wirkt sich aber dennoch zwangsläufig auf die Dramaturgie des Films aus, wenn es nach 120 Minuten immer noch 0:0 steht. So müssen sich die Zuschauer über Schwalben und Torwarteskapaden ereifern, anstatt Tore zu feiern oder zu betrauern. Erst mit dem Elfmeterschießen gewinnt auch der Film an Dramatik.
Fazit: Genre: Buch / Regie: Produzenten: Redaktion: Schnitt: Länge: Erschienen: Preis: Website: Dokumentation Andreas Roggenhagen Carl-Ludwig Rettinger / Jaochim Ortmanns Claus Josten, ZDF Guido Krajewski 56 Minuten 1995 16,90 Euro www.lichtblick-film.de Aus der Idee zu diesem Film hätte man mehr machen können, diesen Vorwurf muss sich Andreas Roggenberg gefallen lassen, selbst obwohl er für dieses Werk 1995 den Adolf-Grimme-Preis erhalten hat. 40 Länder in 56 Minuten, das sind einfach zu viele Schauplätze in zu kurzer Zeit, zumal es aufgrund der kurzen Verweildauer an einem Standort auch nicht gelingt, einen wirklichen Eindruck von Land und Leuten zu bekommen, der fehlende Kommentar tut da sein Übriges.
Erstrecht, da es sicher spannendere Dinge gibt, als fremden Menschen beim Fußballgucken zuzusehen. Da wäre es zumindest angebracht gewesen, die einzelnen Personen näher vorzustellen. Zumal die Drehorte bisweilen skurril genug sind, als dass man als Zuschauer gerne mehr erfahren würde darüber, wie es bei, Fußballabend im Harem eines Kameruner Popstars zugeht. Leider nicht das einzige, was der Film schuldig bleibt, auch den Emotionen der Sieger und Verlierer wird nur wenig Augenmerk gewidmet. Ein Highlight der 56 Minuten Film sind jedoch zweifellos die permanent wechselnden Spielkommentare in den unterschiedlichsten Sprachen. Bedauerlicherweise das einzige akustische Schmankerl, denn die Filmmusik kommt ebenso wie Untertiel und Einblendungen mit dem Charme eines Homevideo aus den 70ern daher.
Das Geld für diese DVD jedenfalls wäre in einer Stehplatzkarte deutliche besser angelegt. Immerhin 16,90 Euro (im Stadionwelt-Shop) sind schließlich nicht günstig für gerade mal eine knappe Stunde Film- und kaum vorhandenes Bonusmaterial.