Die Akte Schwarz-Gelb
Knapp 94 Jahre nach der Gründung des Ballspielvereins nahte im Jahr 2003 sein Ende. Am 22. Dezember 2003 berichteten zwei Journalisten des Kicker Sportmagazins und der Süddeutschen Zeitung gemeinsam über den drohenden Finanz-Kollaps des BVB. Die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA, um genau zu sein.
Im Oktober 2000 als erstes deutsches Fußball-Unternehmen an die Börse gegangen, die damalige Vereinsführung des BVB hatte den Aktionären die Story von einer gewinnorientierten Firma aufgetischt. Doch schon damals ächzte der BVB unter der Schuldenlast von knapp 72 Millionen Euro. Die "Story" würde heute eher Platz in Grimms Märchen finden.
Seither kam das ganze Ausmaß des Finanzgebarens der Geschäftsführung Scheibchen für Scheibchen ans Tageslicht. Immer mehr Journalisten leckten Blut und begannen zu recherchieren und zu berichten: Spielertransfers zu haarsträubenden Konditionen, die Verpfändung von Marken- und Transferrechten, teure Geldbeschaffungs-Maßnahmen, der viel zu optimistisch kalkulierte Stadionausbau, Dr. Gerd Niebaums Unwahrheiten in der berühmten Fax-Affäre um Börsenspekulant Florian Homm, etc. In Dortmunds Straßen demonstrierten die Fans gegen Borussias Geschäftsführung.
Am 11.11. werden die Brüder Sascha und Frank Fligge, beide Redakteure der Ruhr Nachrichten, "Die Akte Schwarzgelb" veröffentlichen. Das - so versprechen die Autoren - "ist Borussias Krise in komprimierter, hintergründiger Form. Kritisch, aber sachlich. Auf 140 redaktionellen Seiten im Format 22,5 x 27,0 Zentimeter. Das Buch spannt den Bogen von Millionen-Transfers über den Börsengang, die Fax-Affäre und Niebaums Rücktritt bis hin zur Sanierung. Es bietet umfangreiches Fotomaterial, bislang nicht veröffentlichte Originaldokumente, lässt BVB-Insider wie Dr. Winfried Materna, Jochen Rölfs, Dr. Reinhard Rauball und Hans-Joachim Watzke in ausführlichen Interviews Stellung beziehen."
Als sich das Dortmunder Finanz-Chaos dem Ende zuneigte, fassten die beiden Journalisten - Sascha Fligge befasst sich auch im Hauptberuf mit der Borussia, sein Bruder Frank ist für den Lokalteil unterwegs - den Entschluss, alles noch einmal in Buchform aufzuarbeiten. So sind Geschichten entstanden, an die man sich heute fast gar nicht mehr erinnern kann oder will, auch viel Neues ist darunter. Anhand zahlreicher Beispiele lassen die beiden Autoren das Hin und Her aus Vorwürfen, Dementis und Rückziehern Revue passieren und versetzen den Leser wieder zurück in die Zeit, als Fans und Freunde des BVB häppchenweise die brutale Realität ihres Vereins schlucken mussten. Als kleinen Appetithappen gibt es ein paar Zeilen vorab: "Sie haben zusammen gefeiert, damals, am 24. Juni 1989, nach dem sensationellen DFB-Pokal-Triumph des BVB gegen Werder Bremen - und noch manches Mal danach". Hermann Heinemann, ehemals Chef der Westfalenhallen, später NRW-Minister für Arbeit und Soziales, und Gerd Niebaum. Am 14. November 2004, um 13 Uhr, schreitet Heinemann, ein strammer Genosse der Wirtschaftswunder-Generation, zum Rednerpult. "Ich habe gelobt, als zu loben war", sagt er. Doch jetzt ist nicht mehr zu loben. Jetzt ist abzurechnen.
Es ist die Jahreshauptversammlung des BV Borussia 09 Dortmund e.V. - 1745 Mitglieder füllen den Innenraum der Westfalenhalle 1 leidlich. Einige von ihnen werden sich im Laufe der gut fünfeinhalbstündigen Marathonsitzung den Frust von der Seele reden. Doch jetzt hat erst einmal Hermann Heinemann das Wort. "Sie können hier und heute nicht eine zweite Chance einfordern. Die hatten Sie bereits - mit dem Geld aus dem Börsengang", sagt er an Niebaum und Meier gewandt. Von katastrophaler Informationspolitik spricht Heinemann. Unter dem Applaus der Mitglieder liest er dem scheidenden Präsidenten nach allen Regeln der Kunst die Leviten. "Wenn Sie in den Zeitungen mit dem Satz zitiert werden, hier seien Zerstörer am Werk, dann frage ich mich: Wer hat denn den Verein am meisten zerstört?!" Viel, sagt Heinemann, habe er erlebt, aber nie, "dass jemand, der einen Betrieb an die Wand gefahren hat, auch den Neuaufbau einleiten soll". Niebaum möge es ihm nicht übel nehmen, bittet Heinemann schließlich, wohl wissend, dass er es ihm ziemlich übel nehmen wird: "Aber wenn sie heute sagen, 2005 und 2006, da packen wir's, dann glaube ich Ihnen das nicht." Stehende Ovationen für Heinemann. Der Profi, geübt in der politischen Bütt, hat den Nerv der Anwesenden getroffen.
Spätestens jetzt muss Niebaum und Meier klar sein, was sie an diesem Tag und noch einmal zwei Tage später auf der Hauptversammlung der Aktionäre erwarten würde: ein Spießrutenlauf. Wobei die verbalen Prügel durch die Vereinsmitglieder sie heftiger schmerzt. Die beiden erleiden die Hölle an diesem Sonntag. Das beweisen die Tränen, die Meier schon vergossen hat, bevor Heinemann als erster Redner überhaupt das Pult betritt. Die Tränen, die Niebaum um 14.50 Uhr zwingen, seine Abschiedsrede abzubrechen. Er ist am Ende. Seiner Amtszeit. Aber auch seiner Kräfte.
Mit einer persönlichen Erklärung hat der Präsident die Versammlung um kurz nach 11 Uhr eröffnet. "Wir haben jetzt eine Situation, die uns wirtschaftlich und sportlich belastet. Dafür trage ich Verantwortung", beginnt er - und versucht sogleich, von Abwehr auf Angriff umzuschalten. Vieles in den vergangenen Monaten sei gegen ihn, den Präsidenten, gerichtet gewesen. "Aber diese Schläge waren immer auch Schläge gegen den Verein." Sein Verzicht auf das Präsidentenamt, das Wort Rücktritt benutzt er nicht, sei Ausdruck seines Verantwortungsbewusstseins. Sein Beitrag dazu, "dass sich die Situation wieder beruhigt". Verantwortung übernehme er auch in der KGaA. Nur definiere er sie anders als all jene, die seit Wochen vehement seinen Rücktritt fordern. "In Abstimmung mit den Gremien werde ich meine Dienste weiter leisten", sagt Niebaum kämpferisch und versucht die Mitglieder abschließend mit einer gehörigen Portion Pathos über die emotionale Schiene für sich zu gewinnen. Man müsse "nach innen und außen demonstrieren, dass dieser Verein eine unglaubliche Stärke besitzt. Und Menschlichkeit zeigen".
Doch die Mitglieder, die 18 Jahre lang an Niebaums Lippen geklebt haben, wollen das alles nicht mehr hören. Sie wollen nicht mehr hören, dass der BVB die Nr. 1 in Europa bei den Zuschauerzahlen ist. Dass der Ausbau des Westfalenstadions bedarfsgerecht erfolgt sei. Sie verdrehen gequält die Augen, als Meier ihnen zum x-ten Male weismachen will, dass die Bilanz das 67,7 Mio. Euro-Defizit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr durchaus verkraften kann, weil die Eigenkapitalquote ja ach so hoch ist. Und sie lachen schallend, als sich Meier zu der Anmerkung hinreißen lässt, der plötzliche Einbruch des Transfermarktes durch das Bosman-Urteil sei ein Grund für das Finanzdesaster. Zur Erinnerung: "Bosman" geschah am 15. Dezember 1995 - neun Jahre zuvor also. Und warum eigentlich, wenn doch der Transfermarkt eingebrochen ist, hat der BVB all die Jahre noch so horrende Ablösesummen gezahlt?!
Nein, die Mitglieder, die lange Zeit alles geglaubt haben, weil sie es ja auch gar nicht besser wissen konnten, wissen es inzwischen besser - und glauben Niebaum/Meier nichts mehr. "Hört auf, uns zu verarschen!", ruft ein Fan dazwischen, als Meier an der Stelle mit der "hohen Eigenkapitalquote" angekommen ist. Der Manager ist ehrlicher als Niebaum, aber er ist rhetorisch nicht so geschickt. "Wir sind hohes Risiko gegangen, ja", räumt er ein. "Aber anders hätten wir international auf diesem Niveau nicht spielen können." Buh-Rufe. Beleidigungen. "Dr. Niebaum und ich müssen die Verantwortung tragen, völlig klar. Wir müssen uns auch prügeln lassen. Aber dann möchte ich zumindest sachliche Argumente hören" fordert Meier.[...]
"Die Akte Schwarzgelb" ist erhältlich im Service-Center der Dortmunder Ruhr Nachrichten (Westenhellweg 86-88), ab Anfang November unter www.akte-schwarzgelb.de sowie im Dortmunder Buchhandel unter ISBN 3-9806135-6-9.
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