Die Show ist aus......
Mailand zum zweiten mal innerhalb eines Jahres. Im letzten April noch das Halbfinal-Rückspiel nach dem strahlenden 4:0 in Dortmund. 3:1 verloren, Party und der Einzug ins Finale von Rotterdam.
Dieses mal waren wir bekanntlich vom Spielgeschehen in Moskau abhängig, Champignons-Liga sei Dank. Und trotz der geringen Chancen hatten sich gut 2.500 Dortmunder in Mailand eingefunden. Mehr waren es - nach Augenmaß - auch im letzten Jahr nicht gewesen. Dieses mal aber deutlich mehr echte Touristen als schon im vergangenen Jahr. So waren weitaus weniger bekannte Gesichter oder Fanclubnamen zu lesen als beim Halbfinale. Das ließ zwar nichts gutes erahnen, sollte die Vorfreude auf das Spiel aber nicht trüben.
Dieses mal waren wir in Rekordzeit mit dem schwatzgelb.de-Bus angereist, knapp 11h (inkl. 1h Pause) hatten wir gebraucht. Die üblichen Verdächtigen des Namenlosen Mob (NLM), 2 Ambassadors, 4 Desperados, 14 Unitys und die eine Hälfte von Selm City, der wir den neuen Kracher "And it's Wörns, Wörns - the man of power!" (nach dem Kracher: "Ring of Fire") zu verdanken haben, und etliche andere Fans waren an Bord. Insgesamt 57 Mitfahrer. Die "Lachsfilet-Fraktion" hatte diese Fahrt zur Lachsfilet-Mottofahrt erklärt und versorgte Freunde, Bekannte und die Busfahrer mit Lachsbrötchen. Das mitgebrachte Bier verkaufte sich gut und anfangs geriet die Lachsfilet-Tour zu purem Horror für die anderen Mitreisenden zu werden. Doch die Hobbysänger verließ nach gut 4h die Kraft und sie schliefen ein.
In der Schweiz gab es die erste größere Pause und wir verwöhnten die staunenden Schweizer mit Dortmunder Straßenfußball (oder muß man jetzt Streetsoccer sagen?) Künsten auf dem Parkplatz. Nach 45 Minuten fuhren wir weiter Richtung Italien. Unterwegs entdeckten wir zu dritt das Phänomen "Groundspotting". Dabei wird ein Stadion nicht mehr für mindestens 45 Minuten bei einem Spiel besucht, sondern einfach aus dem Bus heraus kurz angesehen. Selm-City konnte den knappen Vorsprung von einem Stadion bis nach Mailand ins Ziel retten.
Die italienische Polizei war aus dem letzten Jahr wohl auch schlau geworden und ließ uns ganz problemlos einreisen. Keine Bus-Ansammlung an der Grenze, keine hektische Begleitung in die Stadtmitte, eigentlich überhaupt keine Polizei. So parkten wir für den Schnäppchenpreis von 26,- EUR am beeindruckenden Stadion. Vor Ort war eine Dresdner Reisegruppe inklusive am Zaun aufgehängten Banner "Eastside". Was auch immer schon wieder Dynamos bei uns suchten. Um es vorweg zu nehmen: anders als damals in Prag fielen sie nicht weiter auf, ließen ihr Banner aus dem Stadion und "Dynamo, Dynamo" Gebrüll gab es auch nicht. So kann man wohl mit fast jeder Gästegruppe im eigenen Block leben.
Vom Stadion ging es mit dem im Internet erworbenen Mailänder "Black-Ticket" direkt in Richtung Dom. Der amerikanische Feinkosthändler an der Straßenbahnhaltestelle öffnete nur widerwillig seine Toiletten für uns "alte Europäer". Nach diesem bitter nötigen Abstecher zum goldenen M fanden wir auf dem Domplatz auch gleich den Rest des Dortmunder Pöbels vor.
Die Busbesatzung der Borussen-Bulldogs aalte sich genauso in der Sonne wie Bierussia und viele andere. Sonne? Ja genau, ihr habt richtig gelesen. Locker über 20 Grad, T-Shirt-Wetter war angesagt. Sonnenbrillen sind in Italien ja sowieso Pflicht. Und so verbrachten die meisten den Tag auf dem Domplatz mit Fußballspielen, Bier trinken, klatschen, singen oder einfach nur rumlungernd. Erwähnenswert wäre noch, daß unser Mitfahrer Lupus eine japanische Reisegruppe sprengte, sein Schuß mit dem Lederball schlug jedenfalls ein wie eine Bombe. Eindeutig das falsche Lachsbrötchen gegessen, sonst hätte er nicht so daneben gezielt.
Die ersten machten sich dann gegen 15 Uhr auf den Weg in Richtung Stadion, um die wenigen Zaunfahnenplätze zu ergattern. Um 16 Uhr öffnete unser Busfahrer den Bus und wir schleppten alles in Richtung Gästeblock, was wir mitgebracht hatten. In Italien ist man bekanntlich wesentlich lockerer, was den Umgang mit so kreuzgefährlichen Dingen wie Fahnen und Megaphonen angeht. Vor dem Gästeblock hatte die Polizei eine Art Wagenburg aufgebaut, um die herum kam man zum eigentlichen Eingang. Dort erwartete uns die Polizei, die das Durchsuchen der Kleidung und Taschen übernahm. Jeder Doppelhalter mußte entrollt und vorgezeigt werden, bevor man uns dann endlich einließ. So früh waren erst wenige Menschen im Stadion und so konnte ich mich zumindest im Gästebereich noch etwas frei bewegen, um ein paar Fotos zu machen. Der Gästebereich im "Guiseppe Meazza-Stadion" (bei AC Milan Heimspielen) besteht aus dem Kernbereich, einem kleinen Eckblock genau hinter dem Spielertunnel und der Hintertortribüne, die je nach Gästeandrang ebenfalls geöffnet wird. Die Tribünen weisen zum Spielfeld einen Höhenunterschied von gut 3-4m auf, so daß die Sicht dort sehr gut ist. Allerdings ist man wie in einem Käfig eingeschlossen. Meterhohe Zäune, Fangnetze und im unteren Bereich Glaswände sorgen für eine Abgrenzung in Richtung Spielfeld. Dazu sehr viel Polizei im Gästeblock, die aber wieder einen ruhigen Abend verbringen konnte.
Die Verpflegung im Gästeblock ist für einen Verein wie den AC Mailand übrigens mehr als nur peinlich. Es gibt keine Getränkestände, nur fliegende Händler, die mit ihrem Bauchladen auf Kundenfang gehen. Sage und schreibe 4,- EUR (!!!) wollen diese Leute für ein 0,2 Liter Trinkpäckchen haben. Abgesehen davon, daß die damit nicht gerade den Massengeschmack treffen und man für einen Becher Cola etwas mehr kämpfen mußte (kostete dafür dann aber auch "nur" 4,- EUR), ist der Preis eine absolute Frechheit. Erinnert sei mal an die unwürdige Getränkeausgabe in Lille, das ist einfach nur lachhaft. Aber Hauptsache, die UEFA kümmert sich darum, ob unser Torwart den Sponsor abgeklebt hat.
Vor dem Spiel ließen wir in die Stille des Stadions immer wieder mal ein paar Gesangskostproben los und langsam nahm die Anspannung und Vorfreude zu. Seitens eines Offiziellen des BVB wurde uns dann ca. 1h vor Spielbeginn verkündet, daß das Spiel von Lokomotive Moskau gegen Real Madrid auf der Kippe stünde. Würde es abgesagt, müsse auch das BVB-Spiel ausfallen. Erste Panik machte sich breit. Urlaub und viel Geld weg und dann fällt das Spiel aus?
Irgendwann war dann klar, daß das Spiel nicht ausfallen würde und wir konnten uns auf die Spielvorbereitungen konzentrieren. Mittels zweier Megaphone versuchten Daniel und Rambo, den Block zum mitsingen zu animieren. Leider gelang dies nur in der einen Hälfte des Blockes wirklich gut. Die andere Hälfte hatte für Rambo teilweise nur ein debiles Grinsen übrig und beteiligte sich nur sporadisch an der Unterstützung der eigenen Mannschaft.
Trotz aller Lustlosigkeit bei vielen mitgereisten Pseudofans (schöne Grüße auch an den Menschen aus der Straßenbahn zum Stadion, der meinte, S04-Lieder anstimmen zu müssen) war die Stimmung insgesamt recht ok. Zumal auch das Spiel der Mannschaft in der ersten Halbzeit eine absolute Frechheit war. Niemand konnte den Eindruck bekommen, daß diese Mannschaft unbedingt in die nächste Runde wollte. Daß dann noch nach einigen Minuten das 0:1 für Madrid auf der Anzeigentafel erschien, leistet ein übriges. In Hälfte zwei erwachten Mannschaft und Fans wieder zum Leben und Borussia spielte nun endlich Fußball und hielt kämpferisch dagegen.
Die Stimmung auf Mailänder Seite war übrigens alles andere als begeisternd. Oftmals hörte man nur den Vorsänger/Einpeitscher, der über die eigene Soundanlage versuchte, die anderen zu animieren. Ansonsten war leider eher wenig Stimmung angesagt. Auch die für italienische Stadien üblichen bengalischen Fackeln waren nicht zu sehen (auf beiden Seiten nicht). BVB und Milan-Fans beschränkten sich auf Fahnen und Doppelhalter, wobei die Dortmunder Seite sicherlich nicht allzu schlecht aussah. Viele hatten sich in Mailand mit den "Schachbrett"-Fahnen eingedeckt, hoffentlich sehen wir diese dann auch wieder im heimischen Stadion.
Das Spiel war also in Hälfte zwei deutlich besser anzusehen und Borussia kam jetzt einige mal gefährlich ans Milan-Gehäuse. Amorosos toller Schuß konnte von Rossi noch entschärft werden, bei Kollers Tor war er dann aber absolut chancenlos! Im Block war nun wirklich gute Stimmung und wir hofften weiter auf Moskau. Plötzlich ein Schrei aus dem Block irgendwo über uns: "1:1! Moskau hat ausgeglichen!" Die Leute um mich herum tobten und wir alle flippten aus. Wie wir später erfuhren, bekam dies auch die Mannschaft mit und Einzelne registrierten bis zum Schlußpfiff nicht, daß wir draußen waren. Die Meldung war bekanntlich falsch und bald setzte Ernüchterung ein. Aus dem Oberrang fielen dann noch ein oder zwei kleinere "Böller" in unsere Richtung, diese landeten jedoch unten vor dem Block ohne Schaden anzurichten.
Als uns und der Mannschaft dann aber klar wurde, daß Moskau es - erwartungsgemäß - nicht geschafft hatte, wurde aus dem ersten Frust schnell eine Trotzreaktion. "Wir sind stolz auf unser Team!" schallte aus dem BVB-Lager und die Mannschaft bedankte sich bei den mitgereisten Fans. Einige Spieler verschwanden jedoch gefrustet direkt in der Kabine.
Während wir also auf die Freiheit warteten, belustigten sich viele an einem einsamen BVB'ler im Bob-Marley-Shirt, der unbedingt durch die Glastür auf den Platz wollte und dies den Italienern erklären wollte. Irgendwann hatte die Polizei dann die Nase voll und schickte ihn wieder hoch in den Block.
Irgendwann ließ uns die Polizei dann endlich raus aus dem Block und wir durften zwischen Stadion und Zaun durch einen Korridor von Polizeiwagen zu den Bussen laufen. Von dort aus wurden wir mit einer Polizeieskorte zur Autobahn gebracht. Bis zur Grenze waren dann alle Raststätten gesperrt (für uns zumindest) und in der Schweiz verlief dann alles weitgehend normal und für 99% der Busbesatzung auch im Schlaf.
Gegen 8:30 Uhr erreichten wir mehr oder minder erledigt Dortmund. Auch diese Fahrt hatten wir hinter uns gebracht. Und es ist zunächst die letzte Auswärtsfahrt auf internationaler Ebene (unser Geld- und Urlaubskonto wird es danken).
Alle Bilder aus Mailand findet ihr hier