Topspiele in schwatzgelb

Die Helden von Berlin

02.07.2002, 00:00 Uhr von:  Klopfer

Alle Jahre wieder, wenn das Pokalfinale ausgetragen wird, erwärmt die Erinnerung an das legendäre 89er Endspiel das Gemüt der BVB-Fans. Nicht nur, dass es sich um die Wiedergeburt des erfolgreichen Fußballs in Dortmund handelte, nein, viele sind auch erst seitdem treu dabei und wissen, was es heißt, in Dortmund miteinander zu feiern.

Die Ausgangslage

Heimspiel 1989 in Berlin mit Bananen

24.06.1989: 46. DFB-Pokalfinale, Borussia Dortmund gegen Werder Bremen - der historische Spielbericht. Wenn eine Partie in die Liste der wichtigsten, dramatischsten und torreichsten Spiele des BVB gehört, dann dieses.

Wichtig, weil es die Geburtsstunde des BVB der neunziger Jahre ist. Die Grundlage für die finanzielle Gesundung und der sportlichen Erfolge der jüngeren Geschichte wurde hier gelegt.

Dramatisch, weil es ein Außenseitersieg gegen eine nominell überlegene Bremer Mannschaft war, die im Jahr zuvor noch die Meisterschaft geholt hatte. Zudem wurde noch aus einem Rückstand heraus gewonnen, und im Mittelpunkt steht der Held von Berlin: Nobby Dickel - hier als großer Triumphator, danach der tragische Held.

Torreich, denn niemals sonst hatte der BVB in einem Endspiel mit 4:1 gewonnen.

Zudem war herrliches Fußballwetter, Sonne und 24 Grad - dazu 76.000 Zuschauer.

Schon vor dem Spiel gab es das "Stimmungsfinale" - eine Fußballprozession in Schwatzgelb. Das vom Berliner Senat angebotene Treffen auf der Waldbühne wurde kurzfristig abgesagt. Angeblich scheiterte die Veranstaltung an fehlenden 40.000 DM, die die Vereine nicht tragen wollten. Dadurch drohte zwar etwas Langeweile aufzukommen, aber 35.000 Dortmunder und 15.000 Bremer Fans "verbrüderten" sich ersatzweise auf dem Ku'Damm. Friedliches Einstimmen war angesagt, und auf beiden Seiten herrschte Zuversicht.

Die Aufstellung

Die Aufstellung der Dortmunder war bis kurz vor dem Spiel nicht klar, dann aber doch: Dickel wurde aufgestellt und vom Dortmunder Anhang heftig bejubelt. Sechs Wochen zuvor wurde er noch am Meniskus operiert.

Dortmund

Er machte das "Spiel seines Lebens" und ist immer noch bei uns: Nobbi Dickel, der Held von Berlin

1. DeBeer

2. Breitzke

3. Kutowski

4. Kroth

5. Helmer

6. MacLeod

7. Möller

8. Zorc (Kapitän)

9. Dickel (12 Tore - Rekordtorschütze der Saison)

10. Rummenigge

11. Mill

Auswechselspieler: Lusch, Nikolic, Conrad, Storck, Ruländer, Meyer

Trainer: Horst Köppel (Spruch des Endspiels: "Der Riedle ist gar nicht so groß, aber wenn der springt glaubt man, ihm wachsen Flügel.")

Bremen

1. Reck

2. Schaaf

3. Otten

4. Bratseth

5. Sauer

6. Eilts (Aufsteiger der Saison)

7. Wolter

8. Votava (Kapitän)

9. Riedle

10. Neubarth

11. Hermann

Auswechselspieler: Ordenewitz, Kutzop, Rollmann, Burgsmüller

Trainer: Otto Rehhagel

Das Spiel beginnt

Kalle Riedle erzielt die 1:0 Führung für Werder Bremen

Vor dem Spiel die Nationalhymne, üblich für Pokalendspiele, aber ungewohnt für die meisten schwatzgelben Kicker. Doch einer kannte den Text schon aus der Nationalmannschaft und war damit Hauptsängerknabe bei den Dortmundern: Andy Möller - Aufsteiger der Saison beim BVB und frischgebackener Nationalspieler. Michael Zorc war bereits Kapitän, da im Laufe der Saison Frank Mill dieses Amt im Zuge von Querelen mit der Vereinsführung aufgab.

Bremen gewann die Seitenwahl, und Dickel führte den Anstoß aus. Das Spiel begann in den ersten Minuten sehr verhalten, die Dortmunder spielten vorsichtig. Auffallend waren die harten Zweikämpfe, die ersten Angriffe endeten auf beiden Seiten mit sich am Boden vor Schmerzen krümmenden Körpern. Michael Zorc dirigierte das Spiel des BVB im Mittelfeld, und zunächst war defensive Kontrolle angesagt. Die erste Zittersituation nach guten 10 Minuten: Neubarth köpfte freistehend aufs Tor, Teddy konnte halten. Immer wieder "Borussia Dortmund"-Rufe von den Rängen, aber die Bremer hatten mehr Spielanteile, und dann ging es ganz schnell: 14. Minute, Schaaf spielte einen Steilpass in die Mitte auf Kalle Riedle, und der schob den Ball mit rechts ins linke Ecke. Der erste Gedanke war, dass es doch auch Abseits gewesen sein konnte, also was macht der Schiri? Er zeigt zum Mittelkreis: 0:1, so ein Mist. Kalle Riedle machte es so, wie es seine Art war und wie er auch für den BVB Jahre später seine entscheidenden Tore machen sollte.

Alles schon verloren?

Entsetzten breitete sich aus, aber die Fans ließen sich nicht aufhalten: BVBeeeh, BVBeeeh - heftiger und trotziger als zuvor. Und sofort die Chance für den BVB: Rummenigge war durch, hätte den schnellen Ausgleich machen können, verzog aber freistehend vor Reck. Die Dortmunder Mannschaft antwortete mit dem, was sie am besten konnte: Unsere Jungs zeigten ihre "kämpferischen Tugenden", die zu der Zeit noch berüchtigt und gefürchtet waren. Es waren eigentlich nur fünf Minuten bis zum Ausgleich, aber für uns Fans waren es ganz lange und bange Minuten der Ungewissheit. Die Bremer waren Favorit und lagen in Führung. Wie sollte es weitergehen? War es das etwa schon? Aus der Traum? Das befürchtete kontrollierte Spiel der Bremer drohte Borussia zu zermürben.

Machte den “Toradler” schon lange vor Ronaldo. Nobby nach dem Treffer zum 1:1 Ausgleich.

Das durfte doch alles nicht wahr sein - endlich ein Endspiel und dann so früh schon im Hintertreffen. Und das blöde Gefühl im Bauch, das freudige Kribbeln, war weg. Stattdessen machte sich ein dumpfer Schmerz in der Bauchgegend breit.

Doch plötzlich war wieder alles offen, ganz offen - wie die Abwehr der Norddeutschen. 20. Minute: Mill bekommt den Ball auf Halblinks, lässt nacheinander zwei Abwehrspieler aussteigen und schiebt den Ball flach Richtung Bremer Strafraum. Alles sah nach einer sicheren Beute für Libero Bratseth aus - doch der zog sein Bein zurück. JAAA - auf einmal wurde daraus eine Riesenchance, denn der hinter Bratseth lauernde Nobby Dickel brauchte nur eine einzige kurz entschlossene Ballberührung und schlug den Ball flach und hart in die Bremer Maschen. TOR - das 1:1... unendlicher Jubel auf den Rängen. Alles war wieder offen. Unser Nobby, ausgerechnet er. Viele hatten an ihm gezweifelt und gesagt, es sei falsch, ihn sofort zu bringen, hätten ihn lieber als Joker gesehen. Nobby machte den Ausgleich - hätte er jemals ein wichtigeres Tor für uns schießen können?

Härte regierte weiterhin. In der 23. Minute wurde Andy Möller von Eilts böse gefoult, er bekam einen Freistoß, den er schön angeschnitten aus 20 Metern knapp am Tor vorbeizog. In der Minute drauf dann die Revanche: Andy sah Eilts in der Nähe des Dortmunder Gehäuses durchstarten, wollte dazwischen gehen, traf den Ball nicht, dafür aber den Bremer umso besser. Fünf-Meter-Flug von Eilts. Es folgten eine Rasenlandung und eine lange, horizontale, medizinische Behandlung. Ergebnis: Andy sah Gelb, und der Freistoß brachte nichts ein.

Kampf um jeden Ball

Die nächsten zehn Minuten waren geprägt durch Härte, Fehlpässe und kontrolliertes Spiel der Bremer. Rehhagels Devise, den Dortmundern möglichst keine Konterchancen zu lassen, bestimmte die Taktik. Mehr Kampf als Spiel in der Folge. Bis zur 33. Minute. Dann die nächste Großchance für den BVB, wieder durch Nobby:

Breitzke gab von rechts den Ball scharf und hoch rein, Dickel stand frei und goldrichtig, und konnte so einen schönen Kopfball ansetzten. Der ging allerdings knapp drüber.

Dann noch eine gute Konterchance in der 37. Minute: Helmer, allein auf dem Weg in die Bremer Hälfte, wurde von Wolter per Bodycheck auf den Rasen befördert - Möglichkeit dahin und gelber Karton für Wolter. Spielerisch war bis zur Pause nicht mehr viel zu vermelden. Es war eher ein Kampfspiel englischer Prägung. Forchecking der Bremer und robustes Einsteigen der Dortmunder, wie etwa durch Breitzke in der 43. Minute, als auch er gelb sah.

Die größte Chance der Bremer seit dem 1:0 kam kurz vor der Pause. Bratseth versuchte seinen Fehler zum 1:1 zu korrigieren und köpfte einen gut angesetzten Ball aufs Tor. Brandgefährlich, aber Teddy kam gerade noch dran. Super, Teddy. Wer weiß, wie die Geschichte des BVB weiter geschrieben worden wäre, hättest du hier nicht kurz vor dem Pausentee den Ausgleich mit einer Glanzparade verhindert. So wechselte man die Seiten mit einem leistungsgerechten 1:1. Gute Chancen auf beiden Seiten, jedoch ohne klare Überlegenheit einer Mannschaft. Was wir befürchtet hatten trat Gott sei Dank nicht ein. Nobby wurde nicht in der Pause ausgewechselt, obwohl er in der ersten Hälfte gelegentlich schon etwas humpeln musste. Das Knie tat weh, auch dem ein oder anderen Zuschauer - der Meniskus meldete sich aus Mitgefühl.

Rasse, Klasse, Traumfußball

Frank Mill sorgt für die Führung

Die erste Chance der zweiten Halbzeit gehörte in der 49. Minute unserem Kapitän "Susi" Zorc. Er bekam einen Steilpass, konnte sich durchsetzen, hing drei Gegenspieler ab, hatte nur noch Reck vor sich, und zog dann aber knapp rechts am Tor vorbei. Zorc gab hier eine Kostprobe seiner Torgefährlichkeit, hatte er doch immerhin in jener Pokalrunde schon 4 Tore geschossen. Es sollte aber seine einzige echte Torchance bleiben, zuviel Defensivarbeit wartete auf Susi.

Danach wurde Bremen offensiver, Riedle hatte drei gute Tormöglichkeiten nacheinender, die Dortmunder Abwehr schwamm das eine ums andere Mal, besonders bei hohen Bällen. So musste selbst Frank Mill als letzter Mann in höchster Not klären. Diese vergebenen hochkarätigen Chancen der Bremer entschieden dann auch das Spiel.

Rehhagel brachte mit Ordenewitz für Otten einen weiteren Stürmer, um den Druck weiter zu erhöhen, lockerte damit aber auch die Abwehr. Vorbei die viel gepriesene "kontrollierte Offensive". Ein offener Schlagabtausch war die Folge: Rasse, Tempo, Dynamik. Zügige Angriffe auf beiden Seiten. Mill, immer wieder Mill mit schnellen Angriffen für den BVB und den besseren Fans im Rücken - auf der anderen Seite war meistens Riedle die Spitze des Angriffs.

Eigentlich lag der Führungstreffer der Grünweißen in der Luft, aber es kam glücklicherweise anders. 57. Minute: Andy Möller von der rechten Seite auf Zorc. Susi verplemperte keine Zeit mit dem Ballstoppen, sondern hob mit einer "Volleyflanke" den Ball direkt auf den Kopf von Frankie Mill. Der lässt den völlig regungslosen Reck schlecht aussehen und zirkelt den Ball in den linken Torwinkel. Wieder Tor für Schwatzgelb! Frenetischer Jubel, als wäre es im Westfalenstadion gefallen. Mitten hinein in die Offensive der Bremer nun dieses Traumtor. Ein Fahnenmeer hüllte die Marathonkurve in schwarz und gelb - westfälischer Karneval in der Preußischen Hauptstadt. Euphorische Stimmung bei den BVB-Fans, BVB-Walzer ohne Ende - stille Gebete: "Bitte lass dieses Spiel so zu Ende gehen." Das dachte wohl jeder der schwarzgelben Fans in dieser Phase. Der Blick auf die Uhr - eine gute halbe Stunde noch. Eine Ewigkeit, wenn man darauf wartet. Ja, es dürfte schon geträumt werden, wenn nur Werder keinen mehr rein macht, und jeder von uns wäre wohl froh gewesen, hätte es in diesem Match gar kein Tor mehr gegeben.

Der BVB demontiert Werder

Lusch erzielt die Entscheidung

Aber diese Hoffnung war unnötig, denn es kam noch besser, viel besser als erwartet. Lusch machte sich am Spielfeldrand bereit, und wir befürchteten das Unglück: Sollte Nobby jetzt etwa raus? Nein, da wurde die 2 herausgeholt, Günter Breitzke, der alles in allem auch etwas unglücklich spielte. Aber noch war es nicht so weit, denn in diese Überlegungen hinein kam ein Alleingang von Frank Mill. 71. Minute: Steiler Pass und ein Riesenlauf. Niemand war in diesem Augenblick besser postiert als Frankie, deshalb schoss er selbst, doch Reck konnte mit einer Fußabwehr das zweite Tor von Mill gerade noch verhindern. Aber der schlitzohrige Borusse mit der 11 auf dem Rücken schnappte sich den Abpraller und konnte den 20 Meter vor dem Tor lauernden Nobby Dickel hoch anspielen. Was folgte, war der Traum aller Schwatzgelben: Nobby machte das, was er am besten konnte und was ihm so leicht keiner nachmacht. Spitzer Winkel, Volleyschuss, absolut keine Chance für Reck. Flach und hart schlägt die Granate ein. TOOOOOR - das 3:1! Was für eine Erlösung. Nobby Dickel machte sich mit diesem Ball unsterblich, eine Legende wurde geschrieben, ein Traumtor - ausgerechnet von ihm. Unser Held von Berlin war geboren.

Jubel nach dem Spiel

Natürlich wollen wir auch Mill nicht vergessen, denn seine Übersicht war genial, zudem ein Tor selbst geschossen, die beiden anderen vorbereitet - eine bessere Ausbeute war in einem solchen Finale wohl nicht möglich. Die Fans lagen sich in dem Armen, unbeschreiblicher Jubel, die Erlösung. Jetzt gehörte das Olympiastadion endgültig uns.

Gesang, Gesang, nur noch Gesang und keine Zeit zum Luft holen. Denn sofort darauf kam die endgültige Entscheidung. Drei Minuten später, noch bevor die Bremer überhaupt wieder die Chance hatten ranzukommen, erfolgte der tödliche Konter zum richtigen Zeitpunkt. Helmer schlägt einen weiten Ball auf den durchgestarteten Michael Lusch, der kurz zuvor eingewechselt wurde.

Wir haben den Pokal - Andreas Möller
Der steht frei und schiebt den Ball mit rechts vorbei an Oliver Reck ins linke untere Eck: 4:1 - ein unglaublicher Spielstand. JAAAA - das musste es sein! Wie lange hatten wir darauf gewartet, so viele Jahre der Erfolglosigkeit. 23 Jahre war es her, und die meisten von uns hatten doch 66 gar nicht mehr bewusst miterlebt. Nichts hatten wir seitdem gewonnen, waren dafür einmal richtig und einmal fast abgestiegen. Der ganze Film lief in diesen Minuten ab. Wie oft waren wir mit kleinen Dingen zufrieden und jetzt das: 4:1. Eine Viertelstunde noch, wieder auf die Uhr geschaut aber diesmal mit Zuversicht. Der Pokalsieg war beschlossene Sache. Wer wollte daran jetzt noch zweifeln? Was für ein Gefühl - wir würden tatsächlich den Pokal holen und im Europapokal spielen. Gestandene Männer lagen sich in der Armen und heulten vor Freude.

76. Minute: Die Bremer versuchten es trotzdem noch einmal, machten Druck und zündeten ihre "Reservewaffe" Manni Burgsmüller, ehemalige Goalgetter-Legende in Dortmund, wurde für Sauer eingewechselt, und jetzt durfte auch Nobby gehen. Unter frenetischem Jubel verließ er das Spielfeld. Für ihn kam Bernd Storck. In der 80. Minute noch mal eine Glanzparade von De Beer gegen Eilts, aber das war dann auch die letzte richtige Torchance der Bremer. Der BVB hatte noch einige gute Kontermöglichkeiten, versuchte es immer wieder, aber eigentlich waren die Aktionen nach dem 4:1 für niemanden mehr wirklich von Bedeutung. Das Spiel war gelaufen - wir hatten es geschafft.

Unglaublicher Jubel auch in Dortmund, eine halbe Stunde nach dem Spiel war der Borsigplatz in Schwarzgelb gehüllt. Und nicht nur der - die ganze Stadt gehörte dem Fußball.

Weiß auf Schwarz - Pokalsieger 1989: Borussia Dortmund

Spielstatistik

Saisonstatistik 1988/89

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