Stimmungsbericht

Das freie Europa.......

24.02.2002, 00:00 Uhr von:  Jens
Das freie Europa.......
Auf dem Weg nach Lille - schwatzgelb.de, Borussen-Bulldogs und Rude Boys

Ist für den gemeinen Fußballfan noch weit entfernt. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls auf, wenn man am Donnerstag abend das UEFA-Cup-Spiel zwischen dem OSC Lille und Borussia Dortmund besuchte.

Auf dem Weg nach Lille - schwatzgelb.de, Borussen-Bulldogs und Rude Boys
Auf dem Weg nach Lille - schwatzgelb.de, Borussen-Bulldogs und Rude Boys

Schon im Vorfeld waren wir gewarnt worden: Die französische Polizei sei sehr nervös und dächte bei deutschen Fußballfans immer an die Horden von Hooligans, die 1998 in Lens einfielen, wovon dann einige bekanntermaßen den Polizisten Daniel Nivel zum Krüppel schlugen. Wobei man sich schon fragen muß, ob das noch echte Polizei-Professionalität ist, jeden Fußballfan wie einen potentiellen Gewaltverbrecher zu behandeln, De-Eskalation wäre sicherlich für alle Beteiligten angenehmer gewesen. Aber die Franzosen rechneten auch mit 1.000 deutschen Hooligans, wo immer die herkommen sollten.

Doch erst mal der Reihe nach: Unser großartiger Verein schaffte es in schier unnachahmlicher Weise, aus der Kartenverteilung ein Buch mit sieben Siegeln zu machen und die Franzosen vom OSC Lille ließen die Gästefans lange warten. Erst eine Woche vor dem Spiel rückten die Franzosen die Karten raus und unser Verein ließ uns von nun an im Unklaren über die tatsächliche Anzahl der Karten. Von "Ich weiß es nicht" bis zu vagen Andeutungen, daß es mehr als 400 Karten seien, reichte die Palette.

Schon Donnerstag war dann klar, daß praktisch kein Fanclub die volle Anzahl bestellter Karten erhalten würde. Selbst "allesfahrende" Fanclubs wie die Borussen-Bulldogs oder die Away-Sups-Werdohl mußten zum Teil krasse Kürzungen in Kauf nehmen. Der Frust war groß und wir alle mußten nun schweren Herzens einigen Mitfahrern absagen, teilweise mußten gar Stornogebühren an die Busunternehmen geleistet werden, da diese in einer Woche vor Abfahrt ihre Busse nicht mehr so verplanen konnten, wie ursprünglich gedacht. Klar, bei 2000 Bestellungen und nur xxx Karten (wieviele denn nun?) bleiben natürlich auch Leute auf der Strecke, ganz natürlich. Doch der BVB wäre nicht ein Verein mit Herz, wenn er nicht selbst 5 Busse seines eigenen Tochterunternehmens "BEST-Reisebüro" einsetzen würde (wo waren die in Cottbus? Bei 1860?) und dazu noch "TRD-Reisen" mit 3 Bussen und "Voss & Votava" aus Unna mit 2 Bussen versorgen würde. Da wurde großer Sport geboten und die Freude bei den ausgebooteten Fanclubs war in Lille nun natürlich riesengroß. Zumal mit diesen Bussen auch reichlich echte Fußballtouristen der Marke "Ballermann" angeschleppt wurden.

Aufgrund dieser Kürzungen konnte schwatzgelb.de keinen eigenen Bus anbieten und fuhr nun gemeinsam mit den "Borussen Bulldogs" und "Rude Boys", so war wenigstens ein Doppeldecker voll.

Die Hinfahrt war spaßig wie immer, das eine oder andere Bierchen wurde getrunken und die Zeit ab 7:30 Uhr verging recht zügig. Selbst auf der A40 in Richtung Essen blieben wir fast staufrei, erst ab Gelsenkirchen wurde es etwas voller. Über Holland und Belgien erreichten wir gegen 13 Uhr Lille.

Der zentrale Treffpunkt in Lille: Ein großer Platz mit reichlich teuren Kneipen drumherum
Der zentrale Treffpunkt in Lille: Ein großer Platz mit reichlich teuren Kneipen drumherum

Zurück zum freundlichen Empfang in Lille, am Stadion ankommend wurden wir direkt zum Stadtzentrum umgeleitet, wo unser Busfahrer auf einem eigens dafür bestimmten Areal parken mußte. Nun erfuhren wir, daß wir bereits um 17 Uhr von der Polizei zum Stadion eskortiert werden sollten, also beinahe 4h vor Spielbeginn. Eine Diskussion hierüber war nicht möglich, die französische Polizei zeigte sich uns gegenüber äußerst desinteressiert und agressiv. Dass die Busfahrer eigentlich ihre Lenk- und Ruhezeiten einzuhalten haben, scheint die Polizei in Frankreich nicht zu kennen. Was wäre, wenn ein Busfahrer auf dem Rückweg verunglückte? Ganz zu schweigen von evtl. Verletzten frage ich mich, wer hierfür die Haftung zu tragen hat? Der Busfahrer oder die Polizei?

Also in die erste Kneipe, doch für 5,50 EURO wollte kaum einer ein Bier trinken. Also gingen wir mit einer Gruppe (ca. 15 Leute) in Richtung Innenstadt. Sofort bekamen wir eine motorisierte Polizeieskorte, die uns von der anderen Straßenseite beobachtete. Ein kurzer Zwischensprint brachte sie dann aber auch nicht in allzu große Panik.

In der Stadt erfuhren wir dann von Thilo Danielsmeyer - Fanprojekt Dortmund - daß die Abfahrtszeit nun doch auf 18:30 Uhr verlegt worden sei. Auf der Sicherheitsbesprechung hatte er dies erfahren. Leider bot die Stadt wenig aufregendes oder gar günstige Gaststätten, so daß man sich am Ende auf einem großen Platz traf und sich dort gelangweilt herumtrieb. Dort erfuhren wir dann, daß unser Bus nun doch schon um 17 Uhr von der Polizei zum Stadion geleitet worden war. Zuvor waren wir noch ermahnt worden, alle Gegenstände im Bus zu lassen, wenn wir ins Stadion wollten, angeblich würden uns sogar Handys abgenommen. Also zogen wir gegen 18 Uhr zu Fuß zum Stadion, was nur wenige Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt lag.

Die Armee (oder doch die Polizei?) bewacht die Terrorbusse
Die Armee (oder doch die Polizei?) bewacht die Terrorbusse

Am Stadion angekommen, suchten wir unseren Bus, um noch Zaunfahne und anderes heraus zu holen. Leider standen die Busse nun auf dem Platz der Polizeikaserne und die schwer bewaffneten und soldatisch gekleideten Polizisten machten mit grimmigem Blick uns unmißverständlich klar, daß wir dort nichts zu suchen hätten. Einige BVB-Fans versorgten sich nun auf dem Schwarzmarkt mit Eintrittskarten (35,- EURO), um noch ins Stadion zu gelangen. Überall war nun Polizei aufmarschiert, auf dem Stadionvorplatz war mehr Polizei als Fans anwesend.

Dank der anwesenden SKB's (Szenkundigen Beamten) aus Dortmund war es möglich, daß auch die Dortmunder, die eigentlich Karten für den Nachbarblock hatten, in den richtigen Gästeblock durften. Nach kurzer Diskussion zwischen ihnen und dem zuständigen Offizier ließ dieser auch die Schwarzmarkt-Einkäufer passieren.

Vor dem eigentlichen Block noch mehr Polizei und Ordnungskräfte, man war sehr streng und äußerst gereizt. Das übertrug sich dann auf so manchen Fan und so mußte ein Fan draußen bleiben, der sich dieses Verhalten nicht gefallen lassen wollte.

Die Durchsuchung war relativ normal, nur führte sie hier ein Polizist durch, was in Deutschland ja eher ungewöhnlich ist. Abgenommen wurde dann auch nur das übliche, Fahnen, Doppelhalter und auch eine Trommel durfte(n) mitgenommen werden. Selbst die Blockfahne von "THE UNITY" ließ man herein. Allerdings wurden Fahnenstangen der großen Schwenkfahnen kassiert, davon war dann eine nach dem Spiel verschwunden. Wer bezahlt dem Fanclub "Vestland-Borussen" diesen Verlust?

Der Block war klein und zur Hälfte überdacht, insgesamt recht ok für so ein altes Stadion. Das Stadion ist ein reines Fußballstadion fast vollständig überdacht, nur die Tribüne hinter dem Tor (neben dem Gästeblock) ist nicht überdacht. Das Stadion ist recht klein, bot aber eine nette Atmosphäre. Im Sitzplatzblock nebenan saßen ebenfalls noch einige Borussen, alle anderen fanden sich im Stehplatzblock wieder.

"Unsere" Fans von nebenan
"Unsere" Fans von nebenan

Wie schon in Liverpool begann sich der Block einzusingen und Spaß zu haben, trotz Wartezeit bis zum Anpfiff. Nach und nach füllte sich auch der Gästeblock, in dem nun einige Gestalten ihre Groschenoper aufführten und uns pausenlos beleidigten und bepöbelten. Hitlergruß, Mittelfinger und so weiter und sofort, nichts war diesen Gestalten zu billig. Auch Aufforderungen, den Block zu verlassen und sich zu prügeln, blieben nicht aus. Aber sowas kennt man als Dortmunder schon aus Gelsenkirchen (da bleibt allerdings der Hitlergruß aus).

Beim Aufwärmen der Mannschaft wurde endlich mal wieder fast jeder Spieler abgefeiert, im Westfalenstadion hört man das ja schon seit Jahren nicht mehr.

Außerdem wurde von DTS-Ronny noch eine schöne "Humba" zelebriert, ehe er den Zaun verlassen mußte.

Zum Einlaufen der Mannschaften wurden einige Fahnen über die Köpfe gezogen und "Heja BVB" gesungen. Dabei entging dem versammelten Mob offensichtlich, daß die Franzosen - wegen eines verstorbenen Spielers (Leukämie) - eine Schweigeminute abhalten wollten. Nach einigen Sekunden wurde uns dann bewußt, daß etwas vor sich ging und auch im BVB-Block herrschte Schweigen.

Die Franzosen nebenan hatte während des gesamten Spiels nichts besseres zu tun, als uns zu provozieren, auch wenn es sich teilweise um schulpflichtige Kinder handelte, die da auf dem Zaun hingen. Jedenfalls zeigten sich die Franzosen zum Einlaufen super kreativ und zündeten ein paar Gramm weißes Rauchpulver, in der anderen Fankurve wurden ein paar Bengalos geworfen, Schwenkfahnen und Doppelhalter kamen zum Einsatz. Wie fast überall in Frankreich gibt es also auch in Lille zwei Fankurven mit zwei Fangruppen.

Dortmunder Fans begrüßen ihre Mannschaft
Dortmunder Fans begrüßen ihre Mannschaft
© Foto: THE UNITY
Zaunsturm der Franzosen
Zaunsturm der Franzosen

Zum Spiel brauchen wir ja nicht mehr viel zu sagen, die Stimmung war jedoch während der 90 Minuten fast ausnahmslos gut, an Liverpool reichte es aber nicht heran. Zwischendurch gab es mal wieder einen langen "Olé, jetzt kommt der BVB!"-Dauergesang, in dieser Phase fiel dann auch das 0:1. Ein schöner Tor-Pogo folgte, doch die Mannschaft konnte das Ergebnis nicht halten. Beim 1:1 wurden die Franzosen auch mal richtig laut, was ihnen nur wenige Male während des Spiels gelang.

Der Nachbarblock war lustig anzusehen: bei jeder Ecke stürmten die größtenteils Minderjährigen den Zaun und die Ordner ließen sie gewähren. Doch plötzlich wollten die Ordner einen Fan aus dem Block ziehen und schon war die "schönste" Schlägerei im Gange. Ergebnis war ein Gerangel und in den Block marschierende Polizei, aber offensichtlich keine Festnahme. In Deutschland wäre das wohl anders ausgegangen. Auch was positives: Zwischendurch klatschte uns ein Franzose anerkennend Beifall und hob den Daumen!

Die Getränkeausgabe - wie im Gefangenenlager......
Die Getränkeausgabe - wie im Gefangenenlager......
© Foto: THE UNITY

Richtig interessant war jedoch die Getränkeausgabe an das deutsche Vieh im Block: hinter der Tribüne wurde man durch ein Gittertor "versorgt", einfach unwürdig!

Nach dem Spiel wurden wir nun - zur eigenen Sicherheit (wovor?) - noch geschlagene 45 Minuten im abgeschlossenen Block festgehalten. Nachdem wir dann endlich aus dem Block gelassen wurden, ging die Schikane weiter. Die Busse waren auf dem Vorplatz aufgefahren und Polizei und Ordner ließen nur einen schmalen Durchgang frei. Dort kam es dann zu einer weiteren Rangelei. Ein BVB-Fan wagte es, einen Ordner anzufassen und um Durchlass zu bitten, als sich dieser umdrehte und zuschlug. Daraus entstand dann eine kleine Schlägerei mit einem Polizisten, der in einem Film besser aufgehoben gewesen wäre. Knüppelschwingend hatte er sich vor den Dortmundern aufgebaut und diese provozierend aufgefordert, zu ihm zu kommen. Von seinen Kollegen wurde er dann zurück gezogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er allerdings schon mehrfach ausgeteilt und 2 Fans verletzt. Von der Polizei wurden wir dann in die Busse gedrängt und im Konvoi aus der Stadt gefahren. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, daß man von Glück sagen kann, daß sich die Dortmunder Fans vom agressiven Verhalten der Polizei nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Die Rückfahrt verlief naturgemäß ruhiger und um 5:30 Uhr waren wir endlich wieder in Dortmund. Nur um das klarzustellen: mit der französischen Bevölkerung gab es eigentlich keine Probleme, man wurde nicht beschimpft, sondern nett behandelt. Einzig das organisierte Verhalten der Ordnungsmacht war mehr als nur störend. Fußballspiele stellen sicherlich eine besondere Art der "Völkerbegegnung" dar und sind nicht das ganze oder wahre Leben, schließlich stehen hier alle unter Strom. Aber auch Fußballspiele, die Besucher dieser Spiele und diejenigen, die das ganze überwachen geben eine Visitenkarte ab. Persönlich war ich solch ein Verhalten in Frankreich überhaupt nicht gewohnt, bisher sind wir immer super aufgenommen worden.

Hier findet ihr den normalen Spielbericht

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