Schade! Eine kleine Unachtsamkeit kostet den Sieg
Eine ausgezeichnete Borussiamannschaft gab den verdienten Sieg kurz vor Schluß noch ab und konnte nicht den Lohn für ihre couragierte Leistung beim scheinbar enttrohnten Titelträger einheimsen. Ein frustrierter Jens Lehmann leistet kurz vor den Ende mit seinem Patzer unfreiwillige „Schützenhilfe“ beim Ausgleich. Doch der BVB hätte angesichts des besseren technischen Spiels und der größeren läuferischen Qualitäten (57% gewonnene Zweikämpfe) jedoch einen Sieg verdient gehabt.
Man kann es nicht mehr hören. Die großen Bayern... sie dürfen nicht schwächeln. Maschinengleich müssen sie siegen. Immer und immer wieder! Wegen dem Erringen aller Titel im letzten Jahr ausgepumpt? Nein, die Bayern dürfen das nicht. Bajuwarische Selbstverständlichkeit auch beim Scampi schlemmen? Nicht in München! Ja himmelherrgottsacrament, was soll man machen, wenn – so hat´s zumindest den Anschein – die ganze Welt immer nur Siege der teutonischen Gardetruppe fordert?
Hoeneß: "Der Trainer ist und bleibt unantastbar"
Das Denkmal Hitzfeld wirkt in diesen Tagen angeknockt wie nie: "Wir haben eine schlechte Bilanz. Daran trägt auch der Trainer Verantwortung. Da ist es legitim, dass dem Trainer der Wind ins Gesicht bläst. Entsprechend hinterfrage auch ich mich selbst. Aber ich glaube an meine Mannschaft. Wir werden den Abstand auf sechs Punkte verringern." Es ist die allerletzte Chance für die kriselnden Münchner. um die minimalen Hoffnungen auf den historischen vierten Titel in Serie zu wahren. Dem Meister droht das Mittelmaß, und Meistermacher Hitzfeld rückte ausgerechnet vor dem Duell gegen seinen ehemaligen Verein ins Zentrum der Kritik. "Jetzt wackelt auch Hitzfeld", titelte die Bild-Zeitung noch am Freitag in fetten Lettern auf Seite eins. Bei der 1:2-Schmach in St. Pauli soll es im Kabinengang ja erstmals zum lautstarken Disput zwischen Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge und Ottmar Hitzfeld gekommen sein - was von allen Seiten rasch dementiert wurde: "Da war nichts. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Aber nach so einer Pleite muss man mit der Gerüchteküche leben." Wer´s glaubt...
Bayern gegen Borussia, der Kracher des 22. Spieltages und für viele bereits der Tag der Vorentscheidung auf die Titelanwartschaft.
Die Voraussetzungen waren hüben wie drüben klar und der BVB – immerhin die beste Auswärtsmannschaft – begann auch mit einem breiten Kreuz recht forsch. In der 6. Minute zieht Rosicky mit einem energischen Antritt in den Strafraum rein, lässt Kuffour und Sagnol wie Schülerspieler stehen, aber legt sich in letzter Konsequenz das Leder zu weit vor. Alleine vor Kahn, der aus dem Kasten stürmt, trifft er den herauslaufenden Bayern- Keeper zwischen dem zum Spagat gestreckten Beinen am hinteren linken Oberschenkel und scheitert. Was für eine Chance? Die etwa 2500 Schwatzgelben in der Nordseite der hässlichsten Betonschüssel seit dem Rattenloch waren da schon hellwach! Die Partie ist anfangs zerfahren und hat wenig Höhepunkte. Borussia Dortmund ist eindeutig besser im Spiel und diktiert die Geschwindigkeit nach belieben. Was ist nur mit den Bayern los? Verängstigt und überrascht vom couragierten BVB, gewinnen sie kaum Zweikämpfe. Zudem lassen viele kleine Unterbrechungen nach Fouls keinen gescheiten Spielfluss zu. Allerdings steht Edgar Steinborn – mit dem der BVB noch niemals zuvor gegen die Bayern verlor – wie ein Fels in der Brandung und zeigt sich allzeit hellwach!
Lauf- und Zweikampfstärke als großes Plus
Die Bayern wirken zumeist schwerfällig. Scholl treibt den Ball auf den Strafraum zu, spielt Giovanne Elber geschickt im Strafraum frei, doch der Brasilianer ist von seiner „Einsamkeit“ derart überrascht und schlenzt im Duell 1:1 vor Lehmann mit seinem linken Fuß aus elf Metern 2 Meter am rechten langen Eck vorbei (24). In der 32. Minute zeigt sich Jens Lehmann aufmerksam, als Elber nach „Banden-Abpraller“ vom unbeteiligten Dedè mit Glück auf Jancker spielt, der auch von der Strafraumgrenze sofort abzieht. Nur fünf Minuten später flankt der solide Stefan Reuter scharf von rechts und das unfassbare passiert: Kuffour rennt seinen Torhüter Kahn um, der unterwegs im Flug war und den Ball gerade fangen wollte. Benommen bleibt der „Welttorhüter“ am Boden liegen und der völlig verdutzte Henrique Ewerthon kann den Nachschuß nicht im Gehäuse unterbringen! Willy Sagnol kann grad noch zur Ecke abblocken. Schock für Borussia: Schon nach 39. Minuten muß der bis dahin konzentriert agierende Jörg Heinrich wegen einer Oberschenkelzerrung vorzeitig das Feld verlassen, für ihn spielt nun der pfeilschnelle Evanilson. Der Halbzeitpfiff beendet eine alles in allem gute erste Hälfte, in der die Gäste mehrheitlich tonangebend waren!
Aus dem lockeren „Halbzeitplausch“ der Präsidenten, lohnt sich nur eines festzuhalten: Gerd Niebaum gab bereits eine Woche vor dem Derby gegen die Pappnasen einen kleinen Vorgeschmack auf „nachbarschaftliche Brüderlichkeit“, indem er mit einem gekonnten Seitenhieb auf Rudi-Cigar feststellte: „Ja sicher wollen wir Meister werden. Es ist doch nicht glaubwürdig, wenn man bis zum vorletzten Spieltag verkündet: Wir wollen nicht Meister werden!“ Bums, das saß!
Matthias Sammer hat seine Elf bestens eingestellt. Und so kommen unverändert selbstbewusste Dortmunder Profis aus der Kabine zurück und spielen konzentriert weiter. Gerade mal fünf Minuten sind gespielt, als der überragende Christian Wörns sich im Kopfballduell gegen Jeremies durchsetzt, doch sein wuchtiger Kopfball aus zehn Metern geht etliche Meter links an der Kiste vorbei. Aber sie bleiben dran und in der 54. Minute spielt Mittelfeldlenker Tomas Rosicky einen tollen Diagonalpass auf Ewerthon, der sofort stramm mit rechts aus 15 Metern aus der halbrechten Position abdrückt, doch Kahn kann den Ball gerade noch so eben mit einer Hand zur Ecke fausten. Schade! Dieser feine Spielzug hätte mehr verdient gehabt! Im Mittelfeld harmoniert´s jetzt ausgezeichnet. Gerade Rosicky und der etwas defensivere Kehl entwickeln ein ums andere mal gelungene Spielzüge. Und wieder kommt Ewerthon, diesmal freigespielt von Kehl, aus 16 Metern Halbrechts zum Schuß, doch der heute unglücklich agierende Stürmer verzieht wieder und trifft das rechte Außennetz (62.).
Ein „Elber“ braucht nun mal nur eine Chance!
Das Spiel wirkt sehr einseitig. Der Rekordmeister wirkt jetzt immer saft- und kraftloser. Umso überraschender dann der Aufwecker für alle Schwatzgelben, als ausgerechnet „Effe - Mr. Unsymp Nr.1“ nach einem Anspiel von Scholl die Kugel aus 14 Metern und ohne Vorwarnung an die Latte nagelt (71.). Gerade pfiff sich die – angesichts dieses Spiels – wirklich ärmliche Kulisse von 50.000 Zuschauern auf ihren Kapitän ein! Dann wechseln die „Trainerfüchse“ taktisch aus: Sammer bringt füpr den neben sich herlaufenden Lars Ricken Torjäger Amoroso zur belebung der Torgefährlichkeit rein und Hitzfeld macht es mit dem zwei Minuten später vollzogenen Wechsel Jeremies raus und Santa Cruz rein nahezu genauso! Ja, die Bayern müssen schon gewinnen, wenn ihre hohen Ansprüche nicht im Desaster enden sollen! Und dann kommt der moment, auf den die riesige Fangemeinde des BVB gewartet hatte: Kein anderer als Marcio Am-or-o-so schnappt sich die Kugel, legt ihn zur Ausführung eines Freistoßes hin, tritt an und zirkelt aus 18 Metern mit rechts und Effet in die rechte lange Torwart-Ecke (79.). Kahn war irritiert und bereits einen Schritt hinüber in die linke Richtung. Tor für Dortmund, 0:1. Amoroso reißt sich wie gehabt das gelbe Dress vom Leib und rennt seine ritualisierte Runde! Er hatte es mal wieder allen gezeigt. Die kollektiv gute Leistung der Borussia schien belohnt zu werden.... Schien! Denn nur 4 Minuten später flankt „Scholli“ am Rande seiner Kraft einfach mal von links auf den allerdings mutterseelenallein stehenden Giovanne Elber und dieser Kerl braucht ja – wie wir wissen – nur eine einzige Chance, um „seine Bude“ zu machen! So auch in diesem Fall, als er Lehmann mit einer Kopfball-Bogenlampe aus 14 Metern eiskalt „überlobt.“ Unfassbar! Allerdings nahm Jens Lehmann die Schuld am Gegentor und den beiden dadurch eingebüßten Punkten anschließend sofort auf seine Kappe. Vor Elbers Ausgleich habe er laut „Leo“ gerufen und damit für Jürgen Kohler das Signal gegeben, sich aus der Situation heraus zu halten. „Wenn ich den Ball halte, gewinnen wir das Spiel“, zeigte sich der in Vertragsverhandlungen stehende Nationalkeeper anschließend kleinlaut!
Hoeneß und Rummenigge haken derweil den Titel ab
Die Krise beim Meister nimmt freilich immer bedrohlichere Ausmaße an. Während Hoeneß und Rummenigge den Titel längst abgehakt und Platz drei als neues Saisonziel ausgegeben haben (Hoeneß: "Alles andere sind Hirngespinste"), glaubt Hitzfeld nach dem glücklichen Punktgewinn gegen den BVB immer noch an seine lustlosen Kicker: "Freiburg ist die letzte Chance. Wir werden eine andere Mannschaft erleben. Gegen solche Gegner haben wir uns immer gewaltig gesteigert", rettete sich jetzt sogar schon der „ewig siegreiche Meistercoach“ in Allgemeinplätze! „Aber wenn Dortmund nicht einbricht, wäre es unrealistisch, von der Meisterschaft zu sprechen. Wir müssen uns auf den dritten Platz konzentrieren.“
Fazit:
Ein tolles Spiel der Schwatzgelben. Wären sie bis zum Abpfiff allesamt konzentriert gewesen, der triumpf hätte weit mehr ausgekostet werden können. So bleibt es allerdings bei der Negativserie in Nordflorenz. Aber es bleibt keine Zeit zum verschnaufen, denn ein Highlight reiht sich an das Nächste. Am kommenden Sonnabend steht bereits das „Revierderby“ gegen die ungeliebten Nachbarstädter auf dem Plan, bevor es dann acht Tage später im UEFA-Pokal zum Achtelfinal-Duell beim OSC Lille geht. Danach muß die Werkself in ihre Schranken gewiesen werden, will die große Borussenfamilie am 6. Mai mit „glänzendem Rund“ auf dem Friedensplatz stehen...
Stimmen der Trainer:
Sammer: „Wir haben immer wieder Nadelstiche gesetzt, was wir auch wollten. Wir haben 1:1 gespielt, aber insgesamt hätten wir gewinnen müssen. Jetzt kommt es darauf an, wie wir uns gegen Schalke präsentieren“
Hitzfeld: „Dortmund hat sich den Punkt hier verdient. Sie sind mit ganz breiter Brust hier angetreten und ließen den Ball besser laufen.“
Statistik:
BVB: Lehmann (4) Wörns (2) Kohler (3) Reuter (3) Kehl (2,5) Heinrich (2,5) 38. Evanilson (4) Dede 2,5) – Rosicky (2,5) 80. Stevic ( - ) Ewerthon (3), Koller (2,5),
Ricken (3,5) 65. Amoroso ( - )
Tore: 0:1 Amoroso (78.), 1:1 Elber (81).
Eckstöße: 2:5
Chancenverhältnis: 5:9
Schiedsrichter: Edgar Steinborn (1,5). Endlich mal ein Schiedsrichter, der allzeit Herr der Lage war und sich von der „Bayern-üblichen Hektik“ nicht verleiten ließ. Ausgezeichnete Leistung vom Referee aus Sinzig!
Gelbe Karten: Jancker, Kahn,
Lizarazu, Kuffour – Reuter, Evanilson
Zuschauer: 54.000, (9000 Plätze blieben frei – Das gibt’s wohl nur in
München!) .